Verwaltungsrecht

Keine Übernahme eines dem Beamten gegen ausländischen Schädiger zustehenden Schmerzensgeldanspruchs durch den Dienstherrn

Aktenzeichen  3 ZB 20.190

Datum:
18.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38224
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 97 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
ZPO § 699, § 802c

 

Leitsatz

1. Eine Beamter kann – mangels Vorliegens einer unbilligen Härte – von seinem Dienstherrn nicht Übernahme und Bezahlung eines ihm zustehenden Schmerzensgeldanspruchs verlangen, wenn er keinen erfolglosen Vollstreckungsversuch gegenüber seinem in Großbritannien lebenden Schädiger unternommen hat. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Uneinbringbarkeit des Anspruchs ist für das Vorliegen einer unbilligen Härte zwingend erforderlich; dies gilt auch, wenn bei ökonomischer Betrachtung ein Vollstreckungsversuch im Ausland wenig erfolgversprechend erscheint. (Rn. 6 und 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch nach dem sogenannten Brexit handelt es sich bei Großbritannien um ein Land mit einem funktionsfähigen Verwaltungs- und Justizsystem, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb dort eine Vollstreckung von vornherein aussichtslos sein soll. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 18.1445 2019-12-05 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 1.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. VwGO (besondere rechtliche Schwierigkeiten) und des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg, weil die von dem Kläger vorgetragenen Zulassungsgründe zum Teil bereits nicht in einer den Erfordernissen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt wurden und im Übrigen nicht vorliegen.
1. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dann zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Das ist hier nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage des Klägers auf Übernahme und Bezahlung seines Schmerzensgeldanspruchs in Höhe von 1.000,- Euro durch den Dienstherrn (Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Finanzen vom 18.7.2018) zu Recht abgewiesen. Es ist zutreffend zu dem Schluss gekommen, dass mangels erfolglosen Vollstreckungsversuchs des Klägers gegenüber seinem in Großbritannien lebenden Schädiger keine „unbillige Härte“ im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 BayBG vorliegt. Mithin kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob ein rechtskräftiger Vollstreckungsbescheid im Sinne des § 699 ZPO ein tauglicher Vollstreckungstitel für einen rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldanspruch im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG ist.
Eine unbillige Härte liegt nach Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,- Euro erfolglos geblieben ist.
Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer unbilligen Härte sind als Ausnahmeregelung grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen. Soweit der durch den Gesetzgeber in Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG vorgegebene Fall einer unbilligen Härte mangels Erreichens der Mindestschadensgrenze oder mangels erfolgloser Vollstreckung nicht vorliegen sollte, ist eine Erfüllungsübernahme zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, da das Gesetz in Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG lediglich eine beispielhafte Aufzählung enthält (vgl. Wortlaut „insbesondere“); jedoch wird man wegen des besonderen Ausnahmecharakters der Regelung („…bisher einmalige Norm ist daher als Ausnahmetatbestand für schwerwiegende Übergriffe konzipiert…“, vgl. LT-Drs. 17/2871 S. 45) eine unbillige Härte nur unter besonderen Voraussetzungen annehmen können.
Die Uneinbringbarkeit des Schmerzensgeldanspruchs ist unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Gesetzesmaterialien für das Vorliegen einer unbilligen Härte zwingend erforderlich (Nichtvollstreckbarkeit als „Pflichtvoraussetzung“: Buchard in Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht Bayern, Stand 1.4.2019, Art. 97 Rn. 28.1). Der bayerische Gesetzgeber macht in seiner Gesetzesbegründung deutlich, dass die Geltendmachung des Schmerzensgeldanspruchs auf Grund seiner höchstpersönlichen Natur und Genugtuungsfunktion grundsätzlich dem Beamten vorbehalten bleiben muss. „Nur soweit die Uneinbringbarkeit des Anspruchs wegen Vermögenslosigkeit des Schädigers zu einer unbilligen Härte führt, eröffnet Art. 97 BayBG aus Fürsorgegründen die Möglichkeit, bei uneinbringlichen, rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldansprüchen eine entsprechende Übernahme der Erfüllung bei ihrem Dienstherrn zu beantragen“ (LT-Drs. 17/2871 S. 45, Hervorhebungen nicht im Original). Damit setzt die Annahme einer unbilligen Härte voraus, dass sich der Schädiger als nicht zahlungsfähig erwiesen hat (Conrad in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: August 2020, Art. 97 Rn. 8). Gestützt wird dies durch den Regelungszusammenhang mit Blick auf Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG, wonach die Übernahme der Erfüllung innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen ist. Der Zweck der eigenen Vollstreckungsversuche des Beamten liegt darin, gegenüber dem Dienstherrn die Uneinbringbarkeit des Anspruchs wegen Vermögenslosigkeit des Schädigers nachzuweisen. Daher kann ohne Vollstreckungsversuch nicht ohne Weiteres vom Vorliegen einer unbilligen Härte ausgegangen werden. Aus alledem folgt, dass die erfolglose Vollstreckung für das Vorliegen einer unbilligen Härte zwingend erforderlich ist. Auch aus dem Wortlaut des Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG folgt, dass auf den Versuch der „Vollstreckung“ nicht verzichtet werden darf. Dem steht – wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt – die Formulierung der Regelung des Art. 97 Abs. 2 Satz 1 („insbesondere“) nicht entgegen, da diese angesichts der gesetzgeberischen Intention nur so verstanden werden kann, dass sie sich auf die Höhe des Betrags bezieht, über welche eine Vollstreckung erfolglos geblieben sein muss, nicht hingegen auf die Erfolglosigkeit der Vollstreckung an sich.
In dem hier vorliegenden Fall steht außer Streit, dass der Kläger keine Zwangsvollstreckung versucht hat, weil sich der Schuldner im Ausland aufhält (vgl. Antrag auf Erfüllungsübernahme v. 10.10.2017 – Dienstunfallakte S. 1) und eine Vollstreckung in Großbritannien (Liverpool) bei ökonomischer Betrachtung angesichts der Schmerzensgeldhöhe von 1.000 Euro aus Sicht des Beamten nicht sinnvoll erschien. Dadurch bestehen keine konkreten Anhaltspunkte für die Uneinbringbarkeit des Schmerzensgeldanspruchs wegen der Vermögenslosigkeit des Schädigers, dessen Aufenthaltsort und Wohnanschrift bekannt ist. Daran vermag auch die unbeantwortet gebliebene anwaltliche Zahlungsaufforderung vom 8. Juni 2016 nichts zu ändern, die einem erfolglosen Zwangsvollstreckungsversuch nicht gleichgesetzt werden kann.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass sich die Uneinbringbarkeit allein aus dem Auslandswohnsitz des Schädigers in Großbritannien ergeben könnte. Auf das Urteil des VG Ansbach (U.v. 25.7.2019 – AN 1 K 18.01545 – juris Rn. 94) kann sich der Kläger mangels vergleichbaren Sachverhalts nicht stützen. Denn dort wurde die Vermögenslosigkeit des Schädigers durch Vorlage eines Vermögensverzeichnisses gemäß § 802c ZPO gerade belegt, für die im vorliegende Verfahren weder Anhaltspunkte bestehen noch solche von Seiten des Klägers substantiiert vorgetragen wurden. Allein aus den (unverhältnismäßigen) Kosten der Zwangsvollstreckung, die im Erfolgsfalle der Schuldner zu tragen hätte, kann aber kein Schluss auf die Erfolgsaussichten der Vollstreckung gezogen werden.
Im Kern vertritt der Kläger die Auffassung, dass ein Vollstreckungsversuch gegen den in Großbritannien wohnenden Schädiger angesichts des Brexits, der unklaren Vollstreckungsmöglichkeiten und des damit verbundenen hohen Risikos einer erfolglosen Vollstreckung sowie der geringen Schmerzensgeldhöhe und erheblichen Kostenlast für ihn unzumutbar bzw. unverhältnismäßig sei.
Damit dringt er jedoch nicht durch. Seine im Wesentlichen ökonomische Betrachtungsweise ist angesichts der – wie dargestellt – notwendigen erfolglosen Vollstreckung nicht von Belang. Vorrangig hat der Beamte selbst alles ihm rechtlich und tatsächlich Mögliche zu tun, um seinen Anspruch durchzusetzen. Auf die Kosten und Erfolgsaussichten hierfür kommt es nicht an. Scheut er das Kostenrisiko, das er im Wege der Erfüllungsübernahme nicht auf den Dienstherrn abwälzen kann, verzichtet er freiwillig auf die Erfüllung seines Schmerzensgeldanspruchs.
Soweit der Kläger auf den sogenannten Brexit abstellt, der zum Zeitpunkt der Erwirkung des rechtskräftigen Titels nicht absehbar war, ändert sich daran nichts. Jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt konnte auf das unionsrechtliche Vollstreckungsregime der Verordnung Nr. 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen vom 21. April 2004 zurückgegriffen werden. Im Übrigen handelt es sich bei Großbritannien um ein Land mit einem funktionsfähigem Verwaltungs- und Justizsystem. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb dort eine Vollstreckung von vornherein aussichtslos sein soll.
2. Die Rechtssache weist nicht die behaupteten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Dies ergibt sich zunächst bereits aus den vorstehenden Ausführungen (1.) zum – nicht gegebenen – Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
Mit dem pauschalen Hinweis auf den „Begründungsaufwand“ des verwaltungsgerichtlichen Urteils werden besondere rechtliche Schwierigkeiten nicht in einer dem Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise geltend gemacht.
Soweit der Kläger besondere Schwierigkeiten der Rechtssache hinsichtlich des Vollstreckungsbescheides als tauglicher Titel für einen rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldanspruch im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG geltend macht, ist dieser Gesichtspunkt – wie dargestellt – ohne Einfluss auf die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Schließlich besteht keine uneinheitliche Rechtsprechung zur Frage der erfolglosen Versuche der Zwangsvollstreckung, da die von Klägerseite ins Feld geführte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach (U.v. 25.7.2019 – AN 1 K 18.1545 – juris Rn. 76) – wie unter 1. aufgezeigt – einen nicht vergleichbaren Sachverhalt betrifft.
3. Der Rechtssache fehlt auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Eine Rechts- oder Tatsachenfrage ist dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich ist, höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts noch nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist. Die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2010 – 6 B 58.10 – juris Rn. 3; B.v. 17.12.2010 – 8 B 38.10 – juris Rn. 7f.).
Vor diesem Hintergrund rechtfertigen die aufgeworfenen Rechtsfragen:
„1. Ist der Vollstreckungsbescheid i.S.d. § 699 ZPO vom Anwendungsbereich des Art. 97 Abs. 1 BayBG direkt oder bei entsprechender Anwendung erfasst?
2. Liegt eine „unbillige Härte“ i.S.d. Art. 97 Abs. 1 BayBG vor, wenn keine erfolglosen Vollstreckungsversuche unternommen wurden, weil die Uneinbringlichkeit bei ex ante Betrachtung ersichtlich war?
3. Liegt eine „unbillige Härte“ i.S.d. Art. 97 Abs. 1 BayBG vor, wenn der Schädiger in einem Land wohnhaft ist, in welchem die rechtliche Möglichkeit der Vollstreckung unsicher ist?“
nicht die Zulassung der Berufung. Die erste Frage würde sich in dieser Form in einem Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen, weil das Verwaltungsgericht die Abweisung der Klage neben der Verneinung dieser Frage auf das Nichtvorliegen einer besonderen Härte und damit auf zwei selbstständige Gründe gestützt hat.
Die zweite Frage ist nicht von grundsätzliche Bedeutung, da sie ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens aus den unter 1. genannten Gesichtspunkten zu beantworten ist. Darüber hinaus geht diese Frage von falschen Voraussetzungen aus, soweit sie unterstellt, dass die Uneinbringbarkeit der Schmerzensgeldforderung bei ex ante Betrachtung ersichtlich gewesen sei.
Die dritte Frage stellt sich im vorliegenden Verfahren bereits nicht, da Großbritannien zum Zeitpunkt der Erwirkung des Schmerzensgeldtitels Mitglied der Europäischen Union war und auch nach dem Austritt über ein geordnetes Rechtssystem verfügt. Die Frage ist im Übrigen viel zu weit gefasst, lässt sich in dieser Allgemeinheit nicht beantworten und würde sich deshalb in dieser Form in einem Berufungsverfahren so nicht in entscheidungserheblicher Weise stellen.
4. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG (wie Erstinstanz).
6. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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