Verwaltungsrecht

Keine Unzulässigkeitsentscheidung bei subsidiärem Schutzstatus im Mitgliedsstaat bei vor dem 20. Juli 2015 gestellten Asylanträgen

Aktenzeichen  AN 3 K 14.30182, AN 3 K 15.50594

Datum:
26.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 71a
VwVfG VwVfG § 47
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 2 S. 2
RL 2013/32/EU Art. 52 Unterabs. 1
RL 2005/85/EG RL 2005/85/EG Art. 25 Abs. 2 lit. b

 

Leitsatz

1 Bei Schutzanträgen, die noch unter der Altfassung der Asylverfahrensrichtlinie gestellt worden sind, führt die Gewährung subsidiären Schutzes in einem anderen Mitgliedsstaat nicht zur Unzulässigkeit eines „Aufstockungsbegehrens“ auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (ebenso BVerwGE 150, 29). (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Umdeutung einer Unzulässigkeitsentscheidung in eine Sachentscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylG ist unzulässig, da es an der Vergleichbarkeit der zu erlassenden Entscheidungen nach § 47 Abs. 1 VwVfG fehlt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Bescheide des Bundesamtes vom 3. Februar 2014 und vom 30. November 2015 in der Fassung vom 20. Januar 2016, alle mit dem Geschäftszeichen …, werden aufgehoben.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
4. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist zum einen der Bescheid vom 3. Februar 2014, der infolge der Aufhebung der Abschiebungsanordnung in seiner Ziffer 2 die Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 ) zum Gegenstand hat und zum anderen der Bescheid vom 30. November 2015 in der Fassung vom 20. Januar 2016, der in Ziffer 1 die Ziffer 1 des am 3. Februar 2014 ergangenen Dublin-Bescheides aufrecht erhält, in Ziffer 2 die Abschiebungsandrohung nach Italien ausspricht und in Ziffer 3 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate dem Tag der Abschiebung befristet.
Die Klage, über die nach Verzicht der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2VwGO) ist zulässig und begründet. Statthafte Klageart ist vorliegend die isolierte Anfechtungsklage (vgl. z. B. BayVGHU. v. 6.3.2015 – 13 a ZB 15.50000 -, juris). Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten vom 3. Februar 2014 und vom 30. November 2015 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1VwGO.
Die jeweils in Ziffer 1 festgesetzte (Bescheid vom 3. Februar 2014) bzw. aufrechterhaltene (Bescheid vom 30. November 2015) Unzulässigkeit des Asylantrags ist rechtswidrig, weil es für diesen Ausspruch keine Rechtsgrundlage gibt, weshalb die Bescheide insoweit aufzuheben sind (1.). Die Bescheide können auch nicht im Wege einer Umdeutung als Sachentscheidung über einen Zweitantrag nach § 71 aAsylG aufrechterhalten bleiben (2.).
Infolgedessen fehlt auch für die in Ziffer 2 des Bescheides vom 30. November 2015 ausgesprochene Abschiebungsandrohung nach Italien eine entsprechende Rechtsgrundlage (§ 34 Abs. 1AsylG). Gleiches gilt in weiterer Folge für die in Ziffer 3 des Bescheides vom 30. November 2015 vorgenommene Befristung des Einreiseund Aufenthaltsverbote gemäß § 11 Abs. 1AufenthG (3.).
1.
Weder § 27 aAsylG noch § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 60 Abs. 1 Satz 3AufenthG können nach der derzeit gültigen und für die Entscheidung nach § 77 Abs. 1AsylG maßgeblichen Rechtslage den Unzulässigkeitsspruch tragen.
a.
Übereinstimmend gehen die Beteiligten von einem Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-VO) aus. Deshalb stützt die Beklagte ihre Entscheidungen nicht (mehr) auf § 27 aAsylG.
b.
Aber auch § 60 Abs. 2 Satz 2AufenthG stellt – aufgrund der Gewährung subsidiären Schutzes in Italien – keine Rechtsgrundlage dar, die den Unzulässigkeitsausspruch tragen kann.
Nach Mitteilung des Liaisonbeamten vom 14. August 2015 war der dem Kläger aufgrund der Zuerkennung subsidiären Schutzes erteilte Aufenthaltstitel bis zum 21. November 2011 gültig. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger den Aufenthaltstitel hätte verlängern können oder nicht (von ersterem ist auszugehen), hätte das Bundesamt in dieser Fallkonstellation den in Deutschland gestellten Asylantrag des Klägers als Zweitantrag im Sinne des § 71 aAsylG behandeln müssen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B. v. 23.20.2015 – 1 B 41.15 -, juris) wegen des zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Rechts des Art 25 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005, der nach der Übergangsvorschrift des Art. 52 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 für den streitgegenständlichen Asylantrag des Klägers gilt, rechtswidrig, da dieser vor dem 20. Juli 2015 gestellt wurde. Nach der geltenden Regelung hätte eine Unzulässigkeitsentscheidung nur ergehen dürfen, wenn im Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden wäre. Dies ist aber nicht der Fall.
Die nationale Regelung des § 60 Abs. 2 Satz 2AufenthG verstößt daher bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2013/32/EU gegen Europarecht und ist daher nicht anwendbar.
Im Einzelnen:
Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 bis 3AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind.
Beruft sich der Ausländer auf ein aus § 60 Abs. 1AufenthG folgendes Abschiebungsverbot, so hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Ausnahme der in Satz 2 geregelten Fälle in einem Asylverfahren festzustellen, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und infolgedessen dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist.
Ein Ausländer darf gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1AufenthG ebenfalls nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1AsylG bezeichnete ernsthafte Schaden droht.
Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2AufenthG gilt § 60 Abs. 1 Satz 3 und 4AufenthG entsprechend.
Daraus ergibt sich die Unzulässigkeit eines auf Gewährung internationalen Schutzes gerichteten Asylverfahrens bei Zuerkennung von internationalem Schutz im Sinne des Art. 2 bDublin III-VO i. V. m. Art. 2 hRL 2011/95/EU (Asylverfahrensrichtlinie n. F.).
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. Juni 2014, 10 C 7.13 – juris – ausdrücklich entschieden, dass ein Ausländer aufgrund der genannten Regelungen, wenn ihm bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ein Schutzstatus zuerkannt wurde, gleichen oder minderwertigen Schutz nicht erneut in der Bundesrepublik Deutschland beanspruchen kann.
Diesbezüglich führt es u. a. folgendes aus:
„Die Anerkennung eines Ausländers als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter in einem anderen Staat wirkt zwar völkerrechtlich nicht wie eine Statusentscheidung durch deutsche Behörden und hat in diesem Sinne keine umfassende Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland (hierzu auch Marx, InfAuslR2014, 227 ). Die Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 legt einheitliche Kriterien für die Qualifizierung als Flüchtling fest, sieht aber keine völkerrechtliche Bindung eines Vertragsstaats an die Anerkennungsentscheidung eines anderen vor (vgl. BVerwfG, B. v. 14.11.1979 – 1 BvR 654/79 – BVerfGE52, 391 ; BVerwG, U. v. 29.4.1971 – BVerwG 1 C 42.67 – BVerwGE38, 87 = Buchholz 402.24, § 28AuslG Nr. 2 Seite 4 f.). Eine solche Bindungswirkung ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht. Dieses ermächtigt zwar nach Art. 78 Abs. 2 a und b AEUV zu Gesetzgebungsmaßnahmen, die einen in der ganzen Union gültigen einheitlichen Asylstatus und einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige vorsehen, die maßgebliche Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 sieht eine in der ganzen Union gültige Staatsentscheidung jedoch nicht vor. Die Bundesrepublik Deutschland hat aber von der nach Völker- und Unionsrecht fortbestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, durch einen nationale Regelung den Anerkennungsentscheidungen anderer Staaten im begrenzten Umfang Rechtswirkungen auch im eigenen Land beizumessen (vgl. etwa die diesbezügliche Empfehlung des UNHCR im Beschluss Nr. 12 seines Exekutivkomitees aus dem Jahre 1978). In Deutschland genießen im Ausland anerkannte Flüchtlinge schon seit Inkrafttreten des Ausländergesetzes von 1990 (dort § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) den gleichen Abschiebungsschutz wie die im Inland Anerkannten, ohne dass ein erneutes Anerkennungsverfahren durchgeführt wird. Durch § 60 Abs. 1 Satz 2AufenthG (n. F.) ordnet das nationale Recht eine auf den Abschiebungsschutz begrenzte Bindungswirkung der ausländischen Flüchtlingsanerkennung an (ähnlich Treiber in: GK-AufenthG, Stand Juli 2011, § 60 Rn. 205.3). Es besteht aber gerade kein Anspruch auf eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Feststellung subsidiären Schutzes (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2AufenthG n. F.) oder eine hieran anknüpfende Erteilung eines Aufenthaltstitels in Deutschland. Vielmehr ist das Bundesamt bei Vorliegen einer ausländischen Anerkennungsentscheidung zur Feststellung von subsidiärem Schutz oder der (erneuten) Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland weder verpflichtet noch berechtigt. Ein gleichwohl gestellter Antrag ist unzulässig. Das hat der Senat bereits zu der bis 30. November 2013 geltenden Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 und 6AufenthG (a. F.) entschieden (B. v. 26.10.2010 – BVerwG 10 B 28.C – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1AufenthG Nr. 43). Dem entspricht die nunmehr geltende Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3AufenthG. Sie ist jedenfalls bei Zuerkennung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat mit Unionsrecht vereinbar. Denn Art. 33 Abs. 2 a der Richtlinie 2013/32/EU – Asylverfahrensrichtlinie 2013 – eröffnet dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu behandeln, wenn dem Ausländer bereits ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt, d. h. ihm entweder die Flüchtlingseigenschaft oder unionsrechtlich subsidiären Schutz zuerkannt hat (vgl. Art. 2 i der Richtlinie).“
Im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 2015, 1 B 51.15, heißt es u. a. wie folgt:
„Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem im angefochtenen Beschluss zitierten Urteil vom 17. Juni 2014 (10 C 7.13 – BVerwGE150, 29 Rn. 30) entschieden, dass ein Begehren auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiären Schutz unzulässig ist, wenn dem Ausländer bereits im Ausland die Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten i. S. v. § 4AsylVfG zuerkannt worden ist. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht u. a. damit begründet, dass durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) die Unzulässigkeit eines erneuten Anerkennungsverfahrens nunmehr auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4AsylVfG erstreckt worden ist (§ 60 Abs. 2 Satz 2AufenthG). Damit hat der nationale Gesetzgeber von der von den Mitgliedstaaten in Art. 33 Abs. 2 Buchstabe 1 der Richtlinie 2013/32/EU – Asylverfahrensrichtlinie 2013 – eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu behandeln, wenn dem Ausländer bereits ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt, d. h. ihm entweder die Flüchtlingseigenschaft oder unionsrechtlichen subsidiären Schutz zuerkannt hat (vgl. Art. 2 i der Richtlinie).“
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Beschluss vom 23. Oktober 2015, 1 B 41.15, klarstellend und ergänzend darauf hingewiesen, dass bei Schutzanträgen, die noch unter der Altfassung der Asylverfahrensrichtlinie gestellt worden sind und für welche daher die durch die Asylverfahrensrichtlinie n. F. erweiterten Möglichkeiten der Antragsablehnung als unzulässig noch nicht greifen, die Gewährung (bloßen) subsidiären Schutzes in einem anderen Mitgliedsstaat einem „Aufstockungsbegehren“ auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entgegensteht und eine materielle Prüfung durch die Beklagte nicht ausschließt.
Es führt dazu u. a. folgendes aus:
„Soweit die Beschwerde im Übrigen hinsichtlich des Umfangs der aus § 60 Abs. 2 Satz 2AufenthG abzuleitenden Unzulässigkeit eines materiellen Prüfverfahrens darauf hinweist, dass die Ablehnung der Durchführung eines erneuten Asylverfahrens wegen der Gewährung subsidiären Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat den unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere Art. 33 Abs. 1 a) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 S. 60) – Asylverfahrensrichtlinie n. F. – entspreche, wonach die Mitgliedstaaten zusätzlich zu den Dublin-Bestimmungen einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten dürfen, wenn ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat, übersieht sie die Übergangsregelung in Art. 52 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2013/32/EU. Danach wenden die Mitgliedstaaten die in Umsetzung dieser Richtlinie nach Art. 51 Abs. 1 erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz nach dem 20. Juli 2015 oder früher an; für vor diesem Datum gestellte Anträge gelten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften „nach Maßgabe der Richtlinie 2005/85/EG“ (Asylverfahrensrichtlinie a. F.). Zu den dieser Übergangsregelung unterfallenden Bestimmungen zählt auch die Ermächtigung in Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU, die regelt, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten zusätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der Dublin-Verordnungen ein Antrag nicht geprüft wird, einen Antrag auf internationalen Schutz wegen Unzulässigkeit nicht prüfen müssen. Folglich darf ein – wie hier – vor dem Stichtag (20.7.2015) gestellter Asylantrag nur nach Maßgabe der Regelung in Art. 25 der Richtlinie 2005/85/EG als unzulässig betrachtet werden. Nach Art. 25 Abs. 2 b) der Richtlinie 2005/85/EG können die Mitgliedstaaten einen Asylantrag wegen Schutzgewährung in einem anderen Mitgliedstaat aber nur als unzulässig betrachten, wenn der andere Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Daran fehlt es hier. Da es sich bei der den Mitgliedstaaten in Art. 33 Abs. 1 a) der Richtlinie 2013/32/EU eingeräumten – und gegenüber der Vorgängerregelung erweiterten – Option um eine den Antragsteller belastende Änderung handelt, ermöglicht auch die Günstigkeitsbestimmung des Art. 5 der Richtlinie 2013/32/EU keine vorzeitige Anwendung der Änderung auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge. Damit steht im vorliegenden Verfahren Unionsrecht der von der Beklagten angenommenen Auslegung des § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 und 4 AufenthG entgegen, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.“
Für vorliegenden Fall der Zuerkennung (lediglich) subsidiären Schutzes in Italien und der Asyl-(zweit)antragstellung im Dezember 2014 ergibt sich damit, dass der Anwendung der von der Beklagten herangezogenen Rechtsgrundlage des § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 und 4 AufenthG Art. 25 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2005/85/EG entgegensteht.
Die Richtlinie 2013/32/EU ist auf den Fall des Klägers trotz der Umsetzung der in Art. 33 Abs. 2 lit. a) enthaltenen Regelung durch den deutschen Gesetzgeber in § 60 Abs. 2 Satz 2AufenthG bereits zum 1. Dezember 2013 nicht anwendbar wegen Art. 52 UA 1 der Richtlinie 2013/32/EU i. V. m. der Günstigkeitsbestimmung des Art. 5 dieser Richtlinie.
Diese Regelungen bestimmen, dass die neue Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) nur dann für bereits vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge Geltung beanspruchen kann, wenn es sich nicht um eine den Antragsteller belastende Änderung handelt.
Bei Anwendung der neuen Asylverfahrensrichtlinie, hier deren Art. 33 Abs. 1 Satz 2 lit. a), umgesetzt durch § 60 Abs. 2 Satz 2AufenthG, würde der Kläger schlechter gestellt als durch die Regelung in Art. 25 Abs. 1 Satz 2 lit. a) der Vorgängerrichtlinie 2005/85/EG, wonach ein Asylantrag nur dann als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn ein anderer Mitgliedstaat dem Antragsteller bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat.
Findet Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU somit keine Anwendung, sondern vielmehr Art. 25 der Richtlinie 2003/85/EG, liegt mit der Vorschrift des § 60 Abs. 2 Satz 2AufenthG, bei Fällen wie dem vorliegenden, ein Verstoß gegen Unionsrecht vor mit der Folge, dass die Vorgängerrichtlinie 2003/85/EG hier unmittelbar anzuwenden ist.
Da dem Kläger in Italien subsidiärer Schutz gewährt wurde (welcher nach Auffassung der Beklagten nach Ablauf der befristeten Geltungsdauer in allen Mitgliedstaaten verlängerbar ist), er mit dem vorliegenden Asyl(zweit)antrag vom 2. Dezember 2014 auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kommt wegen der Übergangsregelung des Art. 52 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU i. V. m. der Günstigkeitsbestimmung des Art. 5 der Richtlinie 2013/32/EU nicht Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU zur Anwendung, sondern Art. 25 der Vorgängerrichtlinie 2003/85/EG.
Danach kann ein Asylantrag nur dann als unzulässig abgelehnt werden, wenn dem Antragsteller zuvor in einem anderen Mitgliedstaat höher- oder gleichwertiger Status zuerkannt worden ist. Für vorliegenden Fall ergibt sich somit, dass der Asyl(zweit)antrag des Klägers, mit dem er einen höheren Status (Flüchtlingseigenschaft) als den ihm bereits in Italien zuerkannten (subsidiären) Schutz anstrebt, zu Unrecht als unzulässig abgelehnt worden ist, auch wenn die Tatsache der Schutzgewährung durch Italien zum Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland dem Bundesamt noch nicht bekannt war.
2.
Eine Aufrechterhaltung von Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids durch Umdeutung in einen Bescheid nach § 71 aAsylG scheitert bereits im Hinblick darauf, dass der Bescheid insoweit eine andere (neue) Qualität erhalten würde.
Das Bundesamt hat nach Bekanntwerden des subsidiären Schutzstatus erkannt, dass es möglicherweise in einem Zweitantragsverfahren nach § 71 aAsylG über den in Deutschland gestellten Asylantrag des Klägers hätte entscheiden müssen. Davon ging die Beklagte schon in ihrer Stellungnahme an das Gericht am 2. Oktober 2014 (Bl. 101-103 der Behördenakte) aus. Hierzu hat es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers entsprechende Schreiben und Anhörungsbögen zugesandt, die jedoch vom Kläger nicht ausgefüllt wurden, da dieser bzw. dessen Prozessbevollmächtigter der Auffassung war, dass es sich aufgrund des Zuständigkeitsübergangs auf die Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf der Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren um ein Erstverfahren handelte. Mit Erlass der – mittlerweile aufgehobenen – Ziffer 1 des Bescheides vom 30. November 2015, worin die Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens abgelehnt wurde, hat die Beklagte diese Absicht auch nach außen dokumentiert. Letztlich hat sie jedoch an dieser Auffassung nicht festgehalten, sondern durch die Korrektur des Tenors am 20. Januar 2016 deutlich gemacht, dass sie an der Unzulässigkeitsentscheidung – und damit an der Auffassung, für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers gar nicht zuständig zu sein, festhalten will.
Daraus folgt zweierlei:
Zum einen steht damit fest, dass die Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 71 aAsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3VwVfG gar nicht geprüft, sich also materiellrechtlich mit den fluchtauslösenden Umständen bzw. den nach Schutzgewährung in Italien eingetretenen Veränderungen tatsächlicher oder rechtlicher Art nicht auseinandergesetzt hat. Hätte sie an ihrer – zutreffenden – Auffassung der Durchführung eines Zweitantragsverfahrens festgehalten, wäre der Kläger für die veränderte Sach- und Rechtslage, auf die er einen weitergehenden Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung in Deutschland stützen wollte, darlegungspflichtig gewesen.
Zum jetzigen Zeitpunkt fehlen dem Bundesamt Erkenntnisse zu den vom Kläger in Italien vorgebrachten Fluchtgründen, die zu einer Zuerkennung subsidiären Schutzes geführt haben, so dass derzeit eine Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3VwVfG nicht möglich sein dürfte. Insbesondere wurde er zu den ausreisebegründenden Umständen gar nicht angehört.
Hieraus ergibt sich, dass die im Zweitantragsverfahren zu treffende Entscheidung eine ganz andere Qualität und einen ganz anderen Prüfungsumfang – nämlich die einer Entscheidung in der Sache- gehabt hätte als die mit der Feststellung der Unzulässigkeit getroffene Entscheidung, mit der das Bundesamt bereits seine Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens verneint. Insofern fehlt es an der Vergleichbarkeit der zu erlassenden Entscheidungen nach § 47 Abs. 1VwVfG.
Zum anderen würde eine Umdeutung aber auch dem eindeutig geäußerten Willen der Beklagten selbst widersprechen, da sie mit der korrigierten Entscheidung vom 16. Januar 2016 in Zusammenschau mit dem Bescheid in der ursprünglichen Fassung vom 30. November 2015, dem die Übersendung entsprechender „Zweitantragsformulare“ vorausgegangen war, zeigt, dass sie die Möglichkeit der Durchführung eines Zweitantragsverfahrens gesehen und entsprechend entschieden hat, diese Entscheidung aber wieder revidiert hat und nun an der Unzulässigkeitsentscheidung festhält. Damit würde eine Umdeutung § 47 Abs. 2VwVfG zuwiderlaufen.
Des Weiteren spricht gegen eine Umdeutung, dass das Bundesamt entgegen §§ 71 a Abs. 2, 24 Abs. 2 Asyl nicht über das Bestehen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1AufenthG entschieden hat.
Eine Umdeutung würde auch daran scheitern, dass die Rechtsfolgen einer Entscheidung nach § 71 aAsylG für den Kläger ungünstiger wären (vgl. BVerwG v. 16.11.2015 – 1 C 4.15 -, juris), z. B. weil es dabei nicht mehr um die Überstellung in einen Dublin-Staat ginge, sondern er nach Erlass einer Abschiebungsandrohung in jeden aufnahmebereiten Staat abgeschoben werden könnte.
Darin liegt gleichzeitig die Rechtsverletzung des Klägers, der einen Anspruch auf Prüfung hat, ob ein Zweitantragsverfahren nach § 71 aAsylG durchzuführen ist. Die Unzulässigkeitsentscheidung verwehrt ihm den Zugang zu einer inhaltlichen Prüfung seines Asyl(zweit)antrags nach der zugrunde zulegenden europarechtlichen Regelung des Art. 25 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2005/85/EG.
3.
Infolge der zur Aufhebung führenden Rechtswidrigkeit der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids entfallen die Grundlagen für die in Ziffern 2 (unabhängig von der Frage, ob im Zusammenhang mit einer Unzulässigkeitsentscheidung der Erlass einer Abschiebungsandrohung überhaupt zulässig ist, vgl. hierzu BVerwG, B. v. 23.10.2015 – 1 B 41/15 -, juris; BayVGH, B. v. 23.11.2015 – 21 ZB 15.30237 -, juris; VG AnsbachU. v. 30.3.2016 – AN 3 K 15.50318 -, juris) und 3 getroffenen Regelungen, so dass auch Ziffern 2 und 3 aufzuheben waren, § 34 Abs. 1 und § 11 Abs. 1AufenthG.
Nach alldem war der Klage im Umfange des gestellten Anfechtungsbegehrens voll umfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 bAsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
zu beantragen.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
Der Antragsschrift sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Gegenstandswert beträgt vor Verbindung im Verfahren
AN 3 K 14.30182 2.500,00 EUR und im Verfahren
AN 3 K 15.50594 2.500,00 EUR,
nach Verbindung insgesamt 5.000,00 EUR (§ 30 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1RVG).
Dieser Beschluss ist gemäß § 80AsylG unanfechtbar.


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