Verwaltungsrecht

Keine verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks

Aktenzeichen  20 ZB 17.30713

Datum:
6.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 119323
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 4
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die Aussetzung der Abschiebung irakischer Staatsangehöriger in Bayern nach § 60a AufenthG steht einer verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG entgegen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 16.31888 2016-12-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 22. Dezember 2016 ist zu verwerfen, da keiner der in § 78 Abs. 3 AsylG normierten Zulassungsgründe in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt wurde.
Der Zulassungsantrag bezeichnet bereits keinen der in § 78 Abs. 3 AsylG abschließend aufgezählten Zulassungsgründe. Aus den Ausführungen lässt sich jedoch bei wohlwollender Auslegung entnehmen, dass der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG geltend gemacht werden soll. Dieser verlangt hinsichtlich seiner Darlegung, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, dass er erläutert, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und schließlich darlegt, weshalb der Frage eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 72). Im Zulassungsantrag ist bereits keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage, die grundsätzliche Bedeutung aufweisen könnte, formuliert. Damit ist bereits die erste an die Darlegung des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu stellende Anforderung nicht erfüllt.
Aber auch wenn man den knappen Ausführungen des Zulassungsantrags die grundsätzlich zu klärende Frage, „ob angesichts der derzeitigen in Bayern geltenden ausländerrechtlichen Erlasslage bezüglich Rückführungen in den Irak durch das Verwaltungsgericht auf eine Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich allgemeiner Gefahren in verfassungskonformer Weise verzichtet werden könne“ entnehmen würde, ist aber jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht dargelegt.
Denn das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 22. Dezember 2016 zur Begründung seiner Auffassung, dass angesichts des in Bayern geltenden faktischen Abschiebungsstopps ein zusätzlicher Schutz in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erforderlich sei, auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 2001 (1 C-2/01 – NVwZ 2001, 1420) verwiesen. Darin hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 7 AufenthG) auf jeden Fall dann geboten sei, wenn der einzelne Asylbewerber sonst gänzlich schutzlos bliebe, das heißt, wenn seine Abschiebung in den gefährlichen Zielstaat ohne Eingreifen des Bundesamts oder der Verwaltungsgerichte tatsächlich vollzogen würde. Mit Rücksicht auf das gesetzliche Schutzkonzept sei sie aber auch dann zulässig, wenn der Abschiebung zwar anderweitige – nicht unter § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 Satz 1 oder § 54 AuslG fallende – Hindernisse entgegenstünden, diese aber keinen gleichwertigen Schutz böten. Gleichwertig sei der anderweitige Schutz nur, wenn er dem entspreche, den der Ausländer bei Vorliegen eines Erlasses nach § 54 AuslG hätte oder den er bei Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erreichen könnte (BVerwG a.a.O, zitiert nach juris, Rn. 12). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat der 23. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Urteil vom 10. Mai 2005 (Az. 23 B 05.30217 – juris, Rn. 30) für das Herkunftsland Irak ausgeführt, dass das Bayerische Staatsministerium des Innern und die Konferenz der Länderinnenminister wiederholt festgestellt hätten, dass ein Beginn von zwangsweisen Rückführungen in den Irak nicht möglich sei. Demzufolge sei auch in Bayern die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger weiterhin ausgesetzt. Damit liege eine Erlasslage im Sinne des § 60a AufenthG vor, welche dem betroffenen Ausländer derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittele, so dass den Klägern nicht zusätzlich Schutz vor der Durchführung der Abschiebung etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren wäre. Dieses Urteil ist rechtskräftig (vgl. BVerwG, B.v. 1.9.2005 – 1 B 68/05 – juris und v. 22.3.2006 – 1 C 13.05 – zu finden unter www.b…de). Die Erlasslage, die der Entscheidung des 23. Senats zugrunde lag, entspricht derjenigen, die heute in Bayern gilt. Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechts- oder Tatsachenfrage erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die verdeutlicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird (Happ a.a.O., Rn. 72; BVerfG – NVwZ-Beilage 1995, 17; BVerwG NJW 1993, 2825). Der Zulassungsantrag setzt sich mit der vom Verwaltungsgericht angeführten Rechtsprechung nicht auseinander. Aufgrund dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Rechtsfrage grundsätzlich geklärt. Warum nun eine neue Klärungsbedürftigkeit entstanden sein sollte, geht aus dem Zulassungsantrag nicht hervor. Dementsprechend sind die Darlegungsanforderungen nicht gewahrt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Verwerfung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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