Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung durch ukrainische Separatisten

Aktenzeichen  W 6 K 16.31955

Datum:
25.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 3b, § 3d, § 4, § 77 Abs. 2, § 83b
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AsylVfG AsylVfG § 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Ukrainische Sicherheitsbehörden sind willens und in der Lage, Schutz vor einem ernsthaften Schaden durch nichtstaatliche Akteure zu gewähren (vgl. BayVGH BeckRS 2016, 112325). Asylsuchende sind deshalb auf innerstaatlichen Schutz in der Ukraine durch die Behörden – insbesondere durch die ukrainische Polizei – zu verweisen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen durch die sog. „Freiwilligen-Bataillone“ der ukrainischen Separatisten hat sich mit deren Eingliederung in die Nationalgarde verringert. Zudem besteht eine inländische Fluchtalternative. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch wenn in der Ostukraine seit dem Frühjahr 2014 in den Oblasten Donezk und Luhansk ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht, besteht für Personen aus dem Kriegsgebiet eine inländische Fluchtalternative in andere Landesteile der Ukraine. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 5. Oktober 2016 nicht rechtswidrig ist und die Kläger dadurch (schon deswegen) nicht in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 5 VwGO). Denn die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (1.). Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG bzw. auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (2.).
1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S. des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S. des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 -, BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 -, BVerwGE 1979, 143 f.).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 -, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
1.1. Soweit der Kläger vorträgt, er sei von Angehörigen des ukrainischen Militärs verschleppt und gefoltert worden, bis er ein erzwungenes Geständnis mit dem Inhalt, er sei ein Separatist, abgelegt hatte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Kläger vergeblich Schutz von übergeordneten Stellen vor diesen Verfolgungsmaßnahmen ersucht hätten. Insoweit schließt sich das Gericht den zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes im verfahrensgegenständlichen Bescheid an (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass die ukrainischen Sicherheitsbehörden nicht willens oder in der Lage sind, den Klägern Schutz vor einem ernsthaften Schaden durch nichtstaatliche Akteure zu gewähren (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2016 – 11 ZB 16.30679, juris, Rn. 7). Daher sind die Kläger auf den innerstaatlichen Schutz in der Ukraine durch dortige Behörden – insbesondere durch die ukrainische Polizei – zu verweisen. Soweit die Kläger geltend machen, bei örtlichen Polizeibehörden hätten sie keinen Schutz suchen können, weil die nächstgelegene Polizeistation bereits von den Russen okkupiert worden wäre, hätten sie sich jedenfalls an andere oder höherrangige Polizeidienststellen oder an Nichtregierungs-organisationen wenden können. Dass die Kläger durchaus mobil waren und mehrmals ihren Aufenthaltsort innerhalb kurzer Zeit gewechselt haben, zeigt der örtliche Verlauf ihrer Flucht, der sie über mehrere inländische Stationen in der Ukraine geführt hat.
1.2. Das Vorbringen des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung, nach ihm würde in der Ukraine gefahndet, und er könne nicht in die Ukraine zurückkehren, weil ihm von Polizeibzw. Militärangehörigen nachgestellt worden sei, welche ihm dann weiter nachstellen würden, ist eine nicht näher dargelegte Behauptung. Der Kläger zu 1) kann zum Beleg einer vermeintlich bestehenden Strafverfolgung keine Dokumente vorlegen und hat auch sonst nichts darüber hinaus vorgetragen, das seine Aussage substantiiert untermauern könnte. Sein einziger Anhaltspunkt diesbezüglich ist die ihm gegenüber getätigte Aussage seiner Mutter, die noch in der Ukraine lebt und zu der er Kontakt hält.
Eine konkrete Gefahr einer – unbegründeten und damit willkürlichen – Verfolgung durch Polizeibzw. Militärangehörige ist darüber hinaus weder erkennbar noch ersichtlich. Es ist bekannt, dass es eine Zeitlang in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechts-verletzungen gekommen ist. Dazu zählten extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Problematisch waren insbesondere die Gebiete, in denen nicht die ukrainischer Streitkräfte selbst, sondern sogenannte „Freiwilligen-Bataillone“ gegen Separatisten vorgingen. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzung gekommen ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11. Februar 2016 zu den damals aktuell vorherrschenden Zuständen, S. 10-11). Nach Einschätzung des Gerichts ist der Kläger zu 1) im September 2014 Opfer von Angehörigen eines solchen „Freiwilligen-Bataillons“ geworden. Die von ihm beschriebenen Geschehnisse hält das Gericht für glaubhaft. Dass ihm bei einer jetzigen Rückkehr weitere Verfolgung drohen könnte, erscheint jedoch ausgeschlossen. Zum einen konnte sich der Kläger zu 1) selbst nicht erklären, was die Männer meinten, davon zu haben, dass sie ihm ein erzwungenes Geständnis, er sei ein Separatist, abpressen konnten. Zum anderen hat sich die bestehende Situation deutlich geändert: der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 geht aufgrund der Tatsache, dass diese sogenannten „Freiwilligen-Bataillone“ nunmehr der Nationalgarde (Innenministerium) unterstellt sind und offiziell nicht mehr an der sogenannten Kontaktlinie, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt werden, von einer Verbesserung der Lage aus; die in den früheren Lageberichten geschilderten Probleme in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten werden nunmehr in der Vergangenheitsform wiedergegeben. Die in der Vergangenheit bekannt gewordenen Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von (allerdings teilweise schleppend verlaufenden) Strafverfahren. Das Gericht verkennt nicht, dass Fälle von willkürlichen Festnahmen sowie Verschwindenlassen nach wie vor aus den von Separatisten kontrollierten Gebieten sowie von der Krim gemeldet werden. Hier müssen sich die Kläger jedoch auf eine inländische Fluchtalternative verweisen lassen. Im Übrigen zeichnen sich derzeitig noch bestehende Verbände nach Expertenmeinung durch Professionalismus aus (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, S. 12-13).
Darüber hinaus ist zu beachten, dass es in der Ukraine insgesamt zu positiven Entwicklungen gekommen ist, vgl. entsprechende Ausführungen im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.2.2017 zur Bekämpfung der Korruption und der Verfassungs- und Justizreform (S. 7f.). Es ist daher davon auszugehen, dass den Klägern nach ihrer Rückkehr der Weg zu den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden, einschließlich der ukrainischen Polizei, offenstünde. Es kann nicht festgestellt werden, dass ein etwaiges Schutzersuchen der Kläger bei den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden – einschließlich der ukrainischen Polizei – von vorne herein aussichtslos wäre.
2. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf subsidiären Schutz berufen. Die Ausführungen der Kläger vermögen eine subsidiäre Schutzberechtigung nicht zu begründen; stichhaltige Gründe i.S. Von § 4 AsylG wurden nicht vorgebracht. Im Übrigen sind auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG), und im Übrigen auf die obigen Ausführungen verwiesen (vgl. 1.).
Insbesondere bestehen keine stichhaltigen Gründe dafür, dass dem Kläger zu 1) bei einer Rückkehr in die Ukraine eine Haftstrafe droht und er dort unmenschlichen Haftbedingungen i.S.v. Art. 3 EMRK ausgesetzt sein wird. Er hat nicht glaubhaft machen können, dass ihm tatsächlich ein Strafverfahren droht (s.o. 1.2.).
Auch wenn in der Ostukraine seit dem Frühjahr 2014 in den Oblasten Donezk und Luhansk ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht, besteht für Personen aus dem Kriegsgebiet eine zumutbare inländische Fluchtalternative in andere Landesteile der Ukraine. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 ist zwar aufgrund der aktuellen Situation in der Ukraine von einem erhöhten Migrationspotential auszugehen. Die Zahl der registrierten Binnenflüchtlinge ist bis Januar 2017 auf 1,6 Millionen gestiegen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, S. 11). Die Grundversorgung für Rückkehrer ist jedoch, wie für die meisten Menschen in der Ukraine, knapp ausreichend. Auch die medizinische Versorgung ist kostenlos und flächendeckend, auch wenn qualitativ höherwertige Leistungen teilweise von privaten Zuzahlungen abhängig sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, S. 16). Zudem bestehen in der Ukraine soziale Sicherungssysteme. Mit dem ukrainischen Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 (IDP-Gesetz) steht eine Rechtsgrundlage zur Verfügung, die die Registrierung, Versorgung und Unterbringung der Kläger gewährleistet (BayVGH, B. v. 16.3.2017 – 11 ZB 17.30218, BeckRS 2017, 105454).
Der gesundheitliche Zustand der Klägerin zu 2) vermag ebenfalls kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu begründen. Zwar wurden im Laufe des gerichtlichen Verfahrens zwei Atteste vorgelegt. Aus dem hausärztlichen Attest vom 15. September 2016 ergibt sich jedoch nur, dass die Klägerin zu 2) an einer Veneninsuffizienz, d.h. Krampfadern, leidet, aufgrund derer sie schon eine Operation hinter sich gebracht hat. Ferner wurden Myome, d.h. gutartige Muskeltumore, in ihrer Gebärmutter diagnostiziert, bezüglich welcher ihr eine Operation empfohlen worden sei; hierzu hat sich die Klägerin zu 2) jedoch noch nicht entschieden. Ihre Schilddrüsen-Probleme werden mithilfe von Tabletten behandelt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sie ihre weitere Therapie bzw. ärztliche Behandlung nicht in der Ukraine fortführen kann, da die medizinische Versorgung dort kostenlos und flächendeckend ist (s.o.). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin zu 2) bei ihrer Rückkehr ist nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu erwarten.
3. Daher sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in die Ukraine rechtmäßig. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung bestehen keine Bedenken. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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