Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung eines bisexuellen Asylsuchenden wegen seiner homosexuellen Veranlagung in Nigeria

Aktenzeichen  M 9 K 17.39188

Datum:
8.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7641
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3a Abs. 3, § 3d Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

Homosexuelle bilden in Nigeria eine soziale Gruppe iSd § 3 Abs. 1 iVm § 3d Abs. 1 Nr. 4 AsylG. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Bundesamts vom 26. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 VwGO. Auf die Gründe des Bescheids wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend gilt:
Einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, Art. 16 a Abs. 1 GG, hat der Kläger nicht. In der mündlichen Verhandlung hat er selbst vorgetragen, dass er nicht politisch verfolgt wird. Dies wird dadurch bestätigt, dass er mit einem gültigen Pass problemlos über den Flughafen Lagos aus Nigeria ausreisen konnte.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegen ebenso wenig vor wie die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG ist der Ausländer dann Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG liegt nach § 3 a AsylG bei Handlungen vor, die aufgrund von Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen; dies können gemäß § 3 a Abs. 3 AsylG physische oder psychische Gewalt einschließlich sexueller Gewalt gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen sein, wobei eine solche Verfolgung auch von Parteien, herrschenden Organisationen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann, § 3 c AsylG. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesem Landesteil leben kann, § 3 e Abs. 1 AsylG.
Homosexuelle bilden in Nigeria eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3 d Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe sein, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Ausgehend davon, dass die Homosexualität als ein für die Identität einer Person so bedeutsames Merkmal darstellt, dass sie nicht zu einem Verzicht darauf gezwungen werden sollte, erlaubt das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen in Nigeria, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung, dass diese Person eine solche deutlich abgegrenzte Gruppe bilden, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (EuGH, U.v. 7.11.2013, C 199/12 bis C 201/12; VG Karlsruhe, U.v. 9.8.2017 – A 4 K 6228/17 – m.w.N.). Nach den aktuellen Erkenntnissen sind homosexuelle Handlungen jeglicher Art in Nigeria strafbar. Danach drohen Homosexuellen hohe Haftstrafen (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 3.12.2015, S. 14).
Das Gericht hat ausgehend davon in der mündlichen Verhandlung aufgrund der vorgelegten Dokumente über die eingetragene Lebenspartnerschaft und die Heirat als wahr unterstellt, dass der Kläger auch homosexuell ist und dies als wahr unterstellt. Auf das Beweisangebot, den mitgebrachten Ehemann des Klägers als Zeugen anzuhören, musste das Gericht deshalb nicht eingehen. Ebenfalls als wahr unterstellt das Gericht, dass aufgrund der seit 2014 geltenden „Same Sex Marriage (Prohibition Bill)“ in ganz Nigeria eine gleichgeschlechtliche Ehe oder eingetragene Partnerschaft sowie öffentliche Liebesbeziehungen zu einem Menschen gleichen Geschlechts mit hohen Strafen belegt werden; dies ist aufgrund einer Vielzahl von Berichten bekannt. Über den Beweisantrag, darüber ein Gutachten einzuholen, musste daher nicht mehr entschieden werden.
Ungeachtet dessen ist der Kläger nach eigenen Angaben gegenüber dem Bundesamt bisexuell. Diese Aussage wird dadurch bestätigt, dass er Vater einer im Oktober 2016 geborenen Tochter ist und zu diesem Zeitpunkt in einer seit Juni 2016 zur Eintragung beim Standesamt beantragten Lebenspartnerschaft lebte, die nach seinen Angaben langjährig bestand. Der Kläger selbst hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er das Sorgerecht für seine Tochter wolle und Kopien vorlegen lassen, die angeblich aus den Akten des nigerianischen Familiengerichts stammen, wonach dieses wegen seiner eingetragenen Lebenspartnerschaft das Sorgerecht allein der Mutter zugesprochen und damit gegen elementare Menschenrechte ihm gegenüber verstoßen habe. Das Gericht unterstellt, dass der Kläger tatsächlich der Vater des Kindes ist und in Nigeria ein Sorgerechtsstreit geführt wird oder wurde.
Unter Berücksichtigung dessen, dass der Kläger bisexuell ist, ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass es dem Kläger nicht möglich ist, seine homosexuelle Veranlagung in der Öffentlichkeit zu verbergen und es ihm besonders wichtig ist, diese zu leben und zu zeigen. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger abgesehen von der Eheschließung im Bundesgebiet wichtig ist, mit seinem Mann zusammen zu wohnen und homosexuelle Verhaltensweise in der Öffentlichkeit zu zeigen. Der Kläger wohnt woanders als sein Partner und bei seiner ausführlichen Darlegung blieb offen, ob dieser ihn gelegentlich besucht oder umgekehrt oder ob der Wunsch nach einem Zusammenwohnen besteht. Die Tatsache, dass der Kläger Vater einer kleinen Tochter ist, zeigt vielmehr, dass er keine ausschließliche Prägung durch die Homosexualität hat und diese unschwer in der Öffentlichkeit verbergen kann. Der Kläger hatte offenbar nach seiner Rückkehr nach Deutschland eine Lebenspartnerschaft mit einer Frau, mit der er ein Kind hat. Bereits deshalb fehlt es an dem Tatbestandsmerkmal, dass eine relevante Rechtsgutsverletzung des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Nach der Gesamtschau der Äußerungen des Klägers ist es unter Berücksichtigung seiner Herkunft, seines Wissensstandes und der in der mündlichen Verhandlung erkennbaren Persönlichkeitsstruktur außerdem nicht glaubhaft, dass er zwischen Ende September 2013 und Anfang Januar 2014 in seinem Heimatland von der Bürgerwehr seines Heimatortes wegen seiner Homosexualität verfolgt wurde und sich aus begründeter Furcht vor dieser Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes aufhält. Zum einen hat sich der Kläger schriftlich und mündlich widersprochen. In seinen umfangreichen Schreiben hat er ausgeführt, dass sein Vater ihn nach Nigeria zurückgeholt habe. In der mündlichen Verhandlung hat er demgegenüber erklärt, er habe in Nigeria einen Job gefunden und arbeiten wollen. Nähere Detailangaben, wieso sein Vater ihn wegen Homosexualität in sein Heimatdorf zurückholte, unterblieben. Ebenso wenig hat der sehr wortgewaltige Kläger dargelegt, warum er nicht anfing zu arbeiten. In dem entscheidenden Punkt einer Verfolgung im Heimatdorf blieb die Geschichte vage und der Kläger wortkarg. Schriftlich wie mündlich wurden pauschale Behauptungen in den Raum gestellt und auf Detailangaben verzichtet. Zum anderen ist bereits die Darstellung seiner Verletzungen, so wie sie sich im Entlassungsbericht des Krankenhauses darstellen, nicht glaubhaft. Der Kläger gibt an, er habe sich 14 Tage mit erheblichen Verletzungen im Krankenhaus aufgehalten, der Krankenhausbericht bestätigt schwere Verletzungen durch einen Sturz aus größerer Höhe. Es erschließt sich nicht, dass nach 14 Tagen diese Verletzungsfolgen spurenlos abgeheilt sein können. Es erschließt sich auch nicht, dass der Kläger problemlos und ohne körperliche Beeinträchtigungen wieder nach Deutschland zurückfliegen konnte, dort Asyl beantragte und keinen Arzt aufsuchte, der Verletzungen und deren Folgen dokumentierte. Unter Berücksichtigung des Bildungsstandes des Klägers, der umfangreich zu asylerheblichen Tatbeständen recherchiert hat, blieb der Kläger eine Erklärung dafür schuldig, warum er dies trotz umfangreicher Planung unterließ. Da auch diesbezüglich der Kläger sich wortkarg verhielt, hält das Gericht seinen diesbezüglichen Vortrag für unglaubwürdig. Die von ihm vorgelegten Belege, u.a. ein Foto von hinten, lassen weder schlüssig noch überzeugend erkennen, dass es sich um die Person des Klägers handelt.
Wiederum ungeachtet dessen besteht für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit im Sinne des § 3 e AsylG. Selbst wenn unterstellt wird, dass der Kläger nicht in seinen Heimatort zurückkehren kann, weil ihm dort Homosexualität zugeschrieben würde, hat der Kläger aus diesem Grund keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Aufgrund der Ausbildung des Klägers hält das Gericht es für sehr unwahrscheinlich, dass der Kläger in seinem Heimatort leben will. Ebenfalls aufgrund dieser Ausbildung ist es ihm möglich, sich einer etwaigen Bedrohung in seiner Heimatregion durch die Bürgerwehr, die ihn nach eigenen Angaben zu Hause verfolgt hat, dadurch zu entziehen, dass er seinen Aufenthalt in eine Großstadt verlagert. Angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten in Nigeria mit mehreren Millionenstädten, die weder über ein Meldewesen verfügen noch irgendwelche zentralen Fahndungssysteme besitzen, ist die Wahrscheinlichkeit, einen Menschen außerhalb seiner Heimatregion zu finden, als gering einzuschätzen (VG Düsseldorf, U.v. 9.7.2018 – 27 K 9431/17.A m.w.N.). Der Kläger gehört aufgrund seiner Ausbildung und der Möglichkeit, im Ausland zu studieren, zweifelsfrei zu den privilegierten Teilen der Bevölkerung und hat die dementsprechenden Möglichkeiten. Es ist ihm ohne weiteres möglich, die Dokumente aus dem Bundesgebiet über die eingetragene Lebenspartnerschaft bzw. Ehe dort nicht vorzulegen; das Gericht hält die Vielzahl von Aussagen nigerianischer Kläger darüber, dass in Nigeria Papiere unter jedem Namen beschafft werden könnten, angesichts der fehlenden Melderegister für glaubhaft. Der Umstand, dass auch sein Ehemann nicht mehr nach Nigeria zurückkehren könne, wird bereits durch die eigenen Angaben des Klägers widerlegt, dass dieser während der Semesterferien 2007 zu Hause war. Da der Kläger und sein Ehemann auch hier nicht zusammenwohnen und wirtschaften und der Kläger zur Überzeugung des Gerichts bisexuell ist, besteht nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass bei einer vergleichbaren Lebensführung irgendjemand von der Homosexualität erfährt. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Ehemann des Klägers um einen Studenten handelt, der im Bundesgebiet einen entsprechenden ausländerrechtlichen Aufenthaltstitel hat und hier nach Abschluss seines Masterstudiums eine Promotion erwägt. Auf absehbare Zeit wird sich daher an der Gestaltung der Lebensverhältnisse nichts ändern.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Diese Voraussetzungen hat der Kläger – wie ausgeführt – nicht dargelegt. Die Gefahr gravierender wirtschaftlicher und sozialer Nachteile und Probleme bei einem Umzug ist im Falle des Klägers nicht zu erwarten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er aufgrund seiner Ausbildung darauf angewiesen ist, beruflich in einer der wohlhabenden Großstädte tätig zu werden und deshalb von vornherein nicht mehr in seinen Heimatort zurückkehrt, zumindest in einen anderen Ort umziehen kann, um etwaigen Repressalien des Staates oder Dritter im Heimatort auszuweichen, § 3 e AsylG.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Wenn – wie hier – die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG verneint werden, scheidet ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf dieselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Art. 3 EMRK aus (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12). Anhaltspunkte, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1, Art. 2 GG wegen einer außerordentlichen Gefährdungssituation besteht, liegen im Falle des Klägers nicht vor.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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