Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung wegen illegaler Ausreise aus Tunesien

Aktenzeichen  W 8 K 18.30649

Datum:
20.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20829
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
AsylG § 3, § 4, § 25, § 43 Abs. 3 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2

 

Leitsatz

1 Eine Strafverfolgung in Tunesien verfolgt jedenfalls keine asylerhebliche Zielsetzung, selbst wenn eine illegale Ausreise, also ein Verlassen des Landes ohne gültige Papiere, mit einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe geahndet werden kann. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung drohen könnte, und die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung steht einer Abschiebung nicht entgegen (§ 60 Abs. 6 AufenthG). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Einer christlichen Frau mit ukrainischer Staatsangehörigkeit ist zumutbar, zusammen mit ihrem Ehemann in Tunesien zu leben. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht ist insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Tunesien politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Das Vorbringen des Klägers betreffend seine Person bezieht sich nicht auf das relevante Land seiner Staatsangehörigkeit Tunesien, sondern auf die Ukraine. Hinsichtlich Tunesiens sind keine Gründe ersichtlich, die einer Rückkehr des Klägers dahin entgegenstünden. In der mündlichen Verhandlung am 20. August 2018 erklärte der Kläger ausdrücklich, er werde in Tunesien nicht politisch verfolgt. Das Problem sei seine Frau.
Eine politische Verfolgung droht dem Kläger auch nicht sonst bei einer Rückkehr, etwa wegen seiner Ausreise, seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland. Eine betreffende Strafverfolgung verfolgt jedenfalls keine asylerhebliche Zielsetzung, selbst wenn eine illegale Ausreise, also ein Verlassen des Landes ohne gültige Papiere, mit einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe geahndet werden kann. Im letzten Jahr wurden ausschließlich Geldstrafen verhängt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien vom 23.4.2018, Stand: Dezember 2017, S. 20; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Tunesien vom 21.7.2017, S. 23). Der Kläger hat Tunesien zudem nach eigenem Vernehmen nicht illegal verlassen. Aber selbst eine drohende Bestrafung wäre weder flüchtlings- noch sonst schutzrelevant.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung drohen könnte, und die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung einer Abschiebung nicht entgegenstehen (§ 60 Abs. 6 AufenthG).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären.
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen – in dem schon ausführliche dargelegt ist, dass das Existenzminimum des Klägers bei einer Rückkehr gesichert ist und Grundversorgung sowie die medizinische Versorgung in Tunesien gewährleistet sind (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien vom 23.4.2018, Stand: Dezember 2017, S. 19 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Tunesien vom 21.7.2017, S. 20 ff.) – und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt – für sich und seine Ehefrau – durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Tunesien noch lebenden Großfamilie zurückzugreifen. Insofern ist die Lage nicht anders als bei zahlreichen Landsleuten in vergleichbarer Lage (ebenso VG Berlin, B.v. 27.4.2018 – 34 L 1592.17 A – juris; VG Dresden, U.v. 30.10.2017 – 12 K 2107/16.A – Milo; VG Greifswald, U.v. 10.10.2017 – 4 A 1893/17 As HGW – juris; VG München, U.v. 28.8.2017 – M 26 K 16.30745 – juris; VG Chemnitz, U.v. 3.8.2017 – 4 K 1393/15 A – juris).
Die Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Ausländerbehörde zuständig ist, eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse – wie etwa familiäre Aspekte – zu prüfen (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Gleichermaßen darf die Ausländerbehörde gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise mit anderen Familienangehörigen zu ermöglichen.
Derartige inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind ausländerrechtlich gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend zu machen und nicht im Asylverfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen des Klägers zu seiner Ehefrau, etwa, dass er mit seiner Ehefrau hier in Deutschland zusammenleben wolle, weil es hier keine Diskriminierung aufgrund des Glaubens gebe, irrelevant, weil dieses Vorbringen keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse des Klägers beinhaltet und daher im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen ist.
Die Ausführungen zu Vorkommnissen in Tunesien im Jahr 2013 betreffen seine Frau, nicht ihn selbst, und sind aus diesem Grund vorliegend irrelevant. Abgesehen davon hat das Gericht keine Bedenken, dass es für die Ehefrau des Klägers, auch als Christin mit ukrainischer Staatsangehörigkeit, zumutbar ist, zusammen mit ihrem Ehemann in Tunesien zu leben. Politische Verfolgung oder eine sonst drohende ernsthafte Gefahr sind nicht ersichtlich. Denn Frauen und Männer sind in Tunesien weitgehend rechtlich gleichgestellt. Religions- und Weltanschauungsfreiheit werden in Tunesien mit gewissen Einschränkungen gewährt. Christen bilden eine kleine Minderheit in Tunesien. Tunesien ist gegenüber religiösen Minderheiten grundsätzlich tolerant, auch wenn Nicht-Muslime in der Praxis durch das islamisch beeinflusste Personenstandsrecht Diskriminierungen erfahren können. In Tunesien leben rund 25.000 Christen, mehrheitlich ausländische Katholiken. Es ist sogar rechtlich möglich, vom Islam zum Christentum zu konvertieren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien vom 23.4.2018, Stand: Dezember 2017, S. 4, 10 f., 13; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Tunesien vom 21.7.2017, S. 15 ff.). Auch vor dem Hintergrund, der vom Kläger als Attacken gegen seine Frau bezeichnete Anfeindungen und Beschimpfungen, die schon über fünf Jahre zurückliegen, hat das Gericht nach der aktuellen Auskunftslage keine Bedenken gegen eine Rückkehr des Klägers und seiner Ehefrau nach Tunesien, gegebenenfalls müssten sie um polizeiliche Hilfe nachsuchen. Des Weiteren ist Ihnen erforderlichenfalls zuzumuten, andere Landesteile bzw. Städte aufzusuchen, in denen gegebenenfalls auch andere Christen leben, sodass eine inländische Aufenthaltsalternative besteht.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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