Verwaltungsrecht

Keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wegen Nichtvorliegens der Angemessenheit des erforderlichen Zeitraums für einen Studienabschluss

Aktenzeichen  19 CS 16.2006

Datum:
24.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 3
AufenthG AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 16, § 81 Abs. 4
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 6

 

Leitsatz

1 Ein Masterstudiengang nach erfolgreich absolviertem Bachelorstudium stellt keine Änderung des Aufenthaltszwecks nach § 16 Abs. 2 S. 1 AufenthG dar. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (in Bayern: AVwVAufenthG – vom 26.10.2009, GMBl 2009, S. 877) handelt es sich um ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften, die nach den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung iVm dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) Außenwirkung entfalten. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke eines Studienabschlusses ist bereits vor Ablauf der noch als angemessen anzusehenden Höchstdauer ausgeschlossen, wenn ein erfolgreicher Abschluss nicht mehr erreicht werden kann. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4 In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass ein angemessener Zeitraum dann nicht mehr gegeben ist, wenn unter Berücksichtigung der bisherigen Studienleistungen und des dafür aufgewendeten Zeitbedarfs das angestrebte Ausbildungsziel innerhalb einer Gesamtaufenthaltsdauer von zehn Jahren nicht mehr erreicht werden kann. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 4 S 16.502 2016-09-08 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. September 2016, durch den einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Studiums an einer Hochschule, gegen die Aufforderung zur Ausreise nach Kamerun und gegen die Abschiebungsandrohung (vgl. Nrn. 1 bis 3 des Bescheides vom 14.6.2016) versagt worden ist, hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung angeführten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdegericht grundsätzlich zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), greifen nicht gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts durch, die auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage werde keinen Erfolg haben, weil die behördliche Ablehnung mangels eines solchen Anspruchs des Antragstellers rechtmäßig ist. Aufgrund dessen überwiegt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage im Hinblick auf den Wegfall der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG nicht das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Antragsteller trägt vor, er habe das Bachelor-Studium abgeschlossen. Zeitliche Verzögerungen hierbei seien den zum damaligen Zeitpunkt noch nicht profunden Sprachkenntnissen sowie Lieferverzögerungen bei den Chemikalien für die erforderlichen Experimente zuzuschreiben, doch der Antragsteller werde nunmehr zügig das Master-Studium im Studiengang Life Science, für den der Antragsteller an der Universität Hannover eingeschrieben sei, absolvieren können. Das Beschwerdevorbringen greift nicht durch.
1. Das Verwaltungsgericht und die Ausländerbehörde haben darauf hingewiesen, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht nachgewiesen wurde, und der Antragsteller hat dem nichts Durchgreifendes entgegengesetzt. Das erstinstanzliche Vorbringen, der Antragsteller habe der Ausländerbehörde angeboten, eine Bürgschaftserklärung der älteren Schwester des Antragstellers beizubringen, findet keine Grundlage in den Ausländerakten, ist nicht hinreichend substantiiert und genügt insoweit nicht den Anforderungen an die Glaubhaftmachung bzw. die Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 AufenthG.
2. Ebenso ist der Antragsteller seiner nach § 82 Abs. 1 AufenthG bestehenden Nachweispflicht einer Immatrikulation in dem angestrebten Masterstudiengang bislang nicht nachgekommen.
3. Schließlich ist in dem (notwendigerweise summarischen) Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass die für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erforderliche Voraussetzung, dass der Aufenthaltszweck in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann (§ 16 Abs. 1 Satz 5 AufenthG), nicht erfüllt ist.
Der Senat nimmt zwar (jedenfalls) für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes an, dass – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – der angestrebte Masterstudiengang nach erfolgreich absolviertem Bachelorstudium keine Änderung des Aufenthaltszwecks nach § 16 Abs. 2 Satz 1 AufenthG darstellt (a). Jedoch ist selbst bei Annahme eines einheitlichen Studienzweckes nicht zu erwarten, dass gemäß § 16 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ein erfolgreicher Abschluss noch in einem angemessenen Zeitraum erreicht werden kann (b).
a) Nach § 16 Abs. 2 AufenthG soll während des Aufenthalts nach Abs. 1 in der Regel keine Aufenthaltserlaubnis für einen anderen Aufenthaltszweck erteilt oder verlängert werden, sofern nicht ein gesetzlicher Anspruch besteht. Nach Nr. 16.2.4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (AVwVAufenthG – vom 26.10.2009, GMBl 2009, S. 877), bei denen es sich um ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften handelt, die nach den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung i.V.m. dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) Außenwirkung entfalten (vgl. BayVGH, B. v. 15.9.2009 – 19 CS 09.1812 bis 1814 – juris), wird der Inhalt des Aufenthaltszwecks grundsätzlich durch die Fachrichtung (Studiengang und ggf. Studienfächer) bestimmt. Ein anderer Aufenthaltszweck in diesem Sinne liegt unter anderem dann vor, wenn die Fachrichtung geändert wird. Gemäß Nr. 16.2.5 Sätze 2 und 3 AVwVAufenthG kann ein Studiengangwechsel im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung zugelassen werden, wenn das Studium innerhalb einer angemessenen Zeit abgeschlossen werden kann. Ein angemessener Zeitraum ist in der Regel dann nicht mehr gegeben, wenn das Studium unter Berücksichtigung der bisherigen Studienleistungen und des dafür aufgewendeten Zeitbedarfs innerhalb einer Gesamtaufenthaltsdauer von zehn Jahren nicht abgeschlossen werden kann. Nach Nr. 16.0.5 Satz 2 AVwVAufenthG kann der Aufenthaltszweck Studium bei konsekutiven und nicht konsekutiven Bachelor-/Master-Studiengängen auch das Studium bis zu einem zweiten berufsqualifizierenden Abschluss an einer deutschen Hochschule umfassen.
Die Verwaltungsvorschriften tragen hierdurch dem Umstand Rechnung, dass aufgrund der Umsetzung des Bologna-Prozesses die Studienabschlüsse Bachelor u. Master nunmehr die regelhaften Studienabschlüsse sind und ein auf dem Bachelor-Studiengang aufbauendes Masterstudium sich nicht als Zweckwechsel darstellen muss (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 16 AufenthG, Rn. 12 ff.). Zwar handelt es sich bei dem Bachelor-Abschluss um einen berufsbefähigenden Abschluss. Gleichwohl eröffnet der Bachelor-Abschluss allein häufig weder in Deutschland noch im Ausland hinreichende Arbeitsmarktperspektiven, so dass sich ein anschließendes Master-Studium als sinnvoll bzw. erforderlich erweist.
b) Auch wenn die – nicht nachgewiesene – Aufnahme eines Masterstudiums im Studiengang Life Science der Universität Hannover im Anschluss an die Absolvierung des Bachelorstudiums Biotechnologie/Biopharmazeutische Technologie keinen Wechsel des bisherigen Aufenthaltszwecks darstellt, erfüllt der Antragsteller nicht die Voraussetzung des § 16 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis nur verlängert werden darf, wenn der Aufenthaltszweck innerhalb eines angemessenen Zeitraums erreicht, mithin das Studium innerhalb einer angemessenen Zeit abgeschlossen werden kann.
Für die Angemessenheit des erforderlichen Zeitraums ist die durchschnittliche Studienzeit des jeweiligen Studiengangs zur Erreichung eines anerkannten Abschlusses zugrunde zu legen, wobei besondere Schwierigkeiten für den Ausländer zu berücksichtigen sind. Aus diesem Grund werden Überschreitungen der durchschnittlichen Fachstudiendauer von drei Semestern hingenommen (vgl. Nr. 16.1.1.6.2. AVwVAufenthG). Bei Überschreitung der zulässigen Studiendauer (Nr. 16.1.1.6.2 AVwVAufenthG) kann die Aufenthaltserlaubnis nur dann noch weiter verlängert werden, wenn ein erfolgreicher Abschluss abzusehen ist. Für diese Prognose bedürfte es der Vorlage aussagekräftiger Bestätigungen der Hochschule. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist bereits vor Ablauf der noch als angemessen anzusehenden Höchstdauer ausgeschlossen, wenn ein erfolgreicher Abschluss nicht mehr erreicht werden kann (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 16 AufenthG Rn. 14). Der Zeitraum bis zum voraussichtlichen Abschluss des Studiums ist regelmäßig dann nicht mehr angemessen im Sinne des § 16 Abs. 1 S. 5 Halbs. 2 AufenthG, wenn zu diesem Zeitpunkt die Regelstudienzeit erheblich überschritten ist (vgl. OVG LSA, B.v. 5.11.2014 – 2 M 109/14 – juris). Auch nach der Auffassung des Senats kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass ein angemessener Zeitraum dann nicht mehr gegeben ist, wenn unter Berücksichtigung der bisherigen Studienleistungen und des dafür aufgewendeten Zeitbedarfs das angestrebte Ausbildungsziel innerhalb einer Gesamtaufenthaltsdauer von zehn Jahren nicht mehr erreicht werden kann.
Die Prognose der Antragsgegnerin, der Antragsteller werde das nunmehr angestrebte Masterstudium unter Berücksichtigung der bisherigen Studienleistungen und des dafür aufgewendeten Zeitbedarfs innerhalb einer Gesamtaufenthaltsdauer von 10 Jahren nicht abschließen können, ist nicht zu beanstanden. Der Aufenthalt des Antragstellers zu Studienzwecken in Deutschland begann am 18. September 2008 mit Sprachkursen für ein anschließendes Studium; zum Wintersemester 2009/10 hat er sich an der Technischen Hochschule Mittelhessen für den Studiengang Biotechnologie/Biopharmazeutische Technologie eingeschrieben. Dieses Bachelorstudium hat der Antragsteller im Sommersemester 2016, mithin nach 14 Fachsemestern abgeschlossen. Er hat vorgetragen, im Anschluss daran einen Masterstudiengang in Bayreuth angestrebt zu haben, sich schließlich jedoch im Masterstudiengang Life Science der Universität Hannover eingeschrieben zu haben. Abgesehen davon, dass der Antragsteller die Immatrikulation im erstrebten Masterstudiengang in Hannover nicht nachgewiesen hat (vgl. 2.), ist vorliegend zu berücksichtigen, dass er das Bachelorstudium, für das eine Regelstudienzeit von sieben Semestern vorgesehen ist, mithin erst nach dem Doppelten der Regelstudienzeit abschließen konnte. Vor diesem Hintergrund liegt es außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller einen Masterstudiengang mit einer Regelstudienzeit von vier Semestern innerhalb eines angemessenen Zeitraums wird absolvieren können. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass er auch die Gesamtaufenthaltsdauer von zehn Jahren erheblich überschreiten würde.
Zwar geht Nr. 16.2.5 Satz 3 AVwV-AufenthG nur „in der Regel“ davon aus, dass ein angemessener Zeitraum nicht mehr gegeben ist, wenn eine Gesamtdauer von 10 Jahren voraussichtlich nicht eingehalten werden kann. Überzeugende Gründe, hier ausnahmsweise von der Angemessenheit eines längeren Zeitraums auszugehen, sind aber weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Das Beschwerdevorbringen, aufgrund der zwischenzeitlichen Verbesserung von Sprachkenntnissen sollten keine so gravierenden Verzögerungen wie beim Bachelorstudium zu erwarten sein, begründet keine günstigere Prognose. Nachdem alle ausländischen Studierenden mit Sprachproblemen zurechtkommen müssen, kann die außergewöhnliche Überschreitung der Regelstudienzeit damit nicht hinlänglich erklärt werden. Unverschuldete Studienverzögerungen durch Sprachprobleme sind auch in keiner Weise substantiiert worden. Dasselbe gilt für die behaupteten Lieferschwierigkeiten bei Experimentiermaterialien.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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