Verwaltungsrecht

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs

Aktenzeichen  15 ZB 19.32352

Datum:
27.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15181
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 4, § 77 Abs. 2, § 78 Abs. 3, § 78 Abs. 4
VwGO § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat oder unter Verstoß gegen Prozessrecht den Beteiligten weiteren Vortrag abgeschnitten hat und der übergangene Vortrag entscheidungserheblich war. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Übrigen brauchen sich die Gerichte nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich und im Detail auseinanderzusetzen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechts- oder Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 18.30004 2019-04-18 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
Die Kläger – georgische Staatsangehörige – wenden sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Dezember 2017 (Nr. 6 des Bescheids korrigiert durch Bescheid vom 2. Januar 2018), mit dem ihre Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt, ihnen die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Georgien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 18. April 2019 wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die von den Klägern erhobene Klage mit den gestellten Anträgen, die Beklagte unter (teilweiser) Aufhebung des Bescheids vom 19. Dezember 2017 zu verpflichten, ihnen den Flüchtlingsstatus gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise ihnen den subsidiären Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der allein geltend gemachten Zulassungsgrund der Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) als in § 138 Nr. 3 VwGO bezeichnetem Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht hinreichend dargelegt worden (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.) oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 19.6.2019 – 15 ZB 19.32197 – noch unveröffentlicht). Diese Voraussetzungen sind auch der Sache nach nicht mit der Antragsbegründung substantiiert vorgetragen worden.
Die Kläger rügen in ihrer Antragsbegründung, das Verwaltungsgericht habe – soweit die Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gerichtet gewesen sei – den im Rahmen der Anhörung des Klägers zu 1 gegenüber dem Bundesamt vorgebrachten Umstand, dass dieser im Falle der Rückkehr nach Georgien mit der Verhängung einer hohen Geldstrafe sowie einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zu rechnen hätte, nicht hinreichend berücksichtigt. Damit habe der Kläger zu 1 auch zum Ausdruck bringen wollen, dass die zu erwartende Bestrafung jedenfalls zunächst für einen längeren Zeitraum eine inländische Fluchtalternative völlig ausschließe. Soweit der Kläger zu 1 mit 25.000 Lari als Geldstrafe einen für georgische Verhältnisse außerordentlich hohen Betrag zahlen müsse, würden sich die Geldschwierigkeiten der Kläger, die nach ihrem Vortrag einer inländischen Fluchtalternative entgegenstünden, weiter verschärfen. Auch mit Blick auf die dem Kläger zu 1 bei Rückkehr nach Georgien drohende einjährige Haftstrafe verstehe es sich von selbst, dass die Klägerin zu 2 ohne dessen Hilfe nicht in der Lage wäre, einen Umzug innerhalb Georgiens zu bewerkstelligen, erst recht nicht nach der Geburt eines weiteren gemeinsamen Kindes am 1. Mai 2018. Das Verwaltungsgericht hätte diesen Vortrag hinsichtlich der Frage, ob subsidiärer Schutz wegen einer inländischen Fluchtalternative zu versagen gewesen sei, berücksichtigen und verarbeiten müssen. Dieser Pflicht sei es nach Maßgabe der Urteilsgründe nicht gerecht geworden.
Aus diesem Vortrag ist eine Versagung des rechtlichen Gehörs zu Lasten der Kläger nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat den voranstehenden Vortrag des Klägers zu 1 ersichtlich tatsächlich sowie rechtlich berücksichtigt und gewürdigt, auch soweit es um Fragen des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) geht. Schon im Tatbestand des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 18. April 2019 ist der Vortrag des Klägers zu 1 gegenüber dem Bundesamt, ihm drohe bei einer Rückkehr nach Georgien eine Geldstrafe von 25.000 Lari sowie eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, ausdrücklich erwähnt. In den Entscheidungsgründen hat das Verwaltungsgericht – neben der umfassenden Bezugnahme auf die Begründung des Bescheids (hierzu noch im Folgenden) – im Rahmen der Erörterungen zu § 3a Abs. 1 AsylG ausgeführt, dass ein drohendes Gerichtsverfahren wegen vorzeitiger unerlaubter Beendigung des Militärdienstes keine Menschenrechtsverletzung darstelle, da Fahnenflucht auch in Deutschland – wie wohl auch in diversen anderen Staaten – als Straftat gelte. Zudem hat das Erstgericht in den Entscheidungsgründen in Anwendung von § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamts vom 19. Dezember 2017 verwiesen und sich diese vollumfänglich zu Eigen gemacht. Auch in der Sachverhaltsdarstellung in diesem Bescheid wird der Vortrag des Klägers zu 1, dass in Georgien gegen ihn ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden sei, weil er seinen Vertrag als Berufssoldat vorzeitig gekündigt habe, und dass er deswegen im Falle seiner Rückkehr mit einer Geldstrafe von 25.000 Lari oder einer Gefängnisstrafe zu rechnen habe, ausführlich dargestellt. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wird hierzu im Bescheid (Seite 8) ausgeführt, der Kläger sei trotz Aufforderung den N a c h w e i s schuldig geblieben, dass ihm wegen „seines vorgeblichen unerlaubten Entfernens vom Dienst“ ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 AsylG“ drohe. Im Übrigen brauchen sich die Gerichte nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich und im Detail auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 18.31366 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 30.10.2018 – 15 ZB 18.31200 – juris Rn. 14; B.v. 30.4.2019 – 15 ZB 19.31547 – noch unveröffentlicht; B.v. 19.6.2019 – 15 ZB 19.32197 – noch unveröffentlicht). Solche besonderen Umstände sind vorliegend weder vom Kläger substantiiert vorgebracht worden noch sonst ersichtlich.
Die Kläger wenden sich mit ihrer Argumentation in der Sache letztlich ausschließlich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung bzw. gegen die rechtliche Subsumtion des Erstgerichts, ohne damit jedoch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs substantiiert darzulegen. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (BayVGH, B.v. 20.12.2018 – 15 ZB 18.32985 – juris Rn. 5; B.v. 30.4.2019 – 15 ZB 19.31547; OVG Saarl., B.v. 16.5.2015 – 2 A 197/14 – juris Rn. 8 m.w.N.). Selbst bei Mängeln der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) allenfalls dann verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2018 – 8 ZB 18.311172 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 19.12.2018 – 15 ZB 18.33135 – juris Rn. 6; B.v. 7.1.2019 – 15 ZB 19.30027 – juris Rn. 5; B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 7; B.v. 30.4.2019 – 15 ZB 19.31547 – noch unveröffentlicht). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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