Verwaltungsrecht

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs bei abweichender Tatsachen- und Beweiswürdigung

Aktenzeichen  9 ZB 16.30086

Datum:
7.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6032
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138

 

Leitsatz

Eine Verletzung rechtichen Gehörs liegt vor, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbes. gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (BVerwG BeckRS 2014, 50226). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist nicht wegen der – nach dem Zulassungsvorbringen einzig in Betracht kommenden – Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO).
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung in Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.). Ein Verfahrensfehler kann ausnahmsweise aber dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – juris Rn. 22 m.w.N.). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
a) Vielmehr wendet sich die Klägerin mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe seiner Aufklärungspflicht nicht genügt, weil es nicht geprüft habe, ob in Rumänien für die Behandlung der schwer psychisch erkrankten Klägerin geeignete Einrichtungen vorhanden und ob die finanziellen Voraussetzungen für eine etwaige Behandlung gegeben seien, im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht, womit jedoch grundsätzlich kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen wird (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2018 – 9 ZB 16.30738 – juris Rn. 6 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat sich, wie den Entscheidungsgründen seines Urteils (vgl. UA S. 4 f.) entnommen werden kann, im Wege des nach § 77 Abs. 2 AsylG zulässigen Verweises auf die Gründe des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) sowie im Rahmen eigener Ausführungen mit der Frage auseinandergesetzt, ob für die an einer hebephrenen Schizophrenie erkrankte Klägerin, deren dauerhafte Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung erforderlich sei, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG anzunehmen ist. Es hat allerdings eine von der Auffassung der Klägerin abweichende Beweiswürdigung vorgenommen und ausdrücklich auf der Basis der Recherchen des Bundesamts sowie der zum Gegenstand des Verfahrens genachten Auskünfte darauf abgestellt, dass psychiatrische Einrichtungen in Rumänien grundsätzlich vorhanden seien und psychische Erkrankungen behandelt werden könnten. Die in Deutschland vorhandenen Medikamente seien grundsätzlich erreichbar und die Finanzierung der Behandlung sei über das rumänische Sozialsystem gesichert.
Im Übrigen wäre, selbst wenn eine Fallgestaltung vorläge, in der eine ggf. gebotene, aber unterbliebene Sachverhaltsaufklärung im Einzelfall einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darstellen könnte, der im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretenen Klägerin der Erfolg des Zulassungsantrags auch deshalb versagt, weil es ihr im gerichtlichen Verfahren erster Instanz offen stand, in der mündlichen Verhandlung Beweisanträge zur Frage der Behandelbarkeit ihrer Erkrankung in Rumänien zu stellen. Die Rüge eines Verfahrensmangels ist kein Mittel, Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten im vorangegangenen Instanzenzug zu kompensieren (stRspr. vgl. z.B. BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20/12 – juris Rn. 6). Die Klägerin hat im Zulassungsverfahren nicht vorgetragen, dass sich dem Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltsermittlung auch ohne entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen, sondern beurteilt die Frage der Sachaufklärung aus Sicht der Klagepartei (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2012 a.a.O. Rn. 7 m.w.N.).
b) Soweit die Klägerin noch einwendet, das Gericht habe sich nicht mit dem „Überführungsprozess“ der Klägerin von Deutschland nach Rumänien befasst, weil die Klägerin krankheitsbedingt unmöglich alleine nach Rumänien reisen und sich einen Therapieplatz beschaffen könne, kann dies schon deshalb nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags führen, weil damit kein – hier allein maßgebliches – zielstaatsbezogenes Vollstreckungshindernis angesprochen wird, sondern ein inlandsbezogenes, das den Vollzug der Abschiebung betrifft und nicht vom Bundesamt, sondern von der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39/12 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 9 ZB 17.30403 – juris Rn. 9).
2. Die Klägerin hat somit auch keinen Anspruch auf die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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