Verwaltungsrecht

Keine Verpflichtung zur Erteilung einer Verfahrensduldung

Aktenzeichen  10 CE 21.2930

Datum:
6.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41317
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 19 Abs. 4
AufenthG § 25b Abs. 1, § 60a Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Die Verpflichtung zur Erteilung einer Verfahrensduldung gem. § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG iVm Art. 19 Abs. 4 GG kommt nur dann in Betracht, wenn die hierfür erforderlichen Voraussetzungen, dass zweifelsfrei ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels besteht oder der Erlass der einstweiligen Anordnung auf ermessensfehlerfreie Ermessensausübung geboten ist oder dass keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen könnten, erfüllt sind. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 E 21.5665 2021-11-10 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen vor dem Verwaltungsgericht erfolglosen Eilantrag weiter, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm einstweilen bis zur Verbescheidung des zuletzt gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Duldung zu erteilen.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Aufhebung oder Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, weil weder ein Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung noch einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG gegeben ist.
1. Eine – lediglich ausnahmsweise mögliche (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2021 – 10 CE 21.748 u.a. – juris Rn. 51 m.w.N.) − Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG kommt nicht in Betracht. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen, dass zweifelsfrei ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels besteht oder der Erlass der einstweiligen Anordnung auf ermessensfehlerfreie Ermessensausübung geboten ist oder dass keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen könnten (vgl. VGH BW, B.v. 2.3.2021 – VGH 11 S 120/21 − BeckRS 2021, 4045 Rn. 16), sind beim Antragsteller nicht erfüllt.
a) Ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG besteht schon deswegen nicht, weil er die tatbestandlichen Anforderungen nicht erfüllt. Danach setzt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Betroffene geduldet ist. Der Antragsteller ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 23) nicht im Besitz einer Duldung, nachdem ihm eine solche nach dem 9. Oktober 2020 nicht mehr erteilt wurde. Dass er einen materiellen Duldungsanspruch hätte, wird von ihm in der Beschwerdebegrünung zwar behauptet, aber nicht dargelegt. Dass die Abschiebung des Antragstellers unmöglich oder in zeitlicher Hinsicht nicht absehbar wäre, ist nicht ersichtlich.
Unabhängig davon ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG erforderliche Integrationsprognose zulasten des Antragstellers ausfällt. Insbesondere kann der Antragsteller seinen Lebensunterhalt nicht wie von § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG verlangt aus eigenen Mitteln sichern. Der Einwand des Antragstellers, er habe zuletzt wegen einer fehlenden Beschäftigungserlaubnis nicht arbeiten dürfen, greift nicht durch. Dabei kann dahinstehen, ob der häufig auftretende Fall einer beschäftigungsverbotsbedingten Erwerbslosigkeit im Falle der Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG überhaupt ein für die Integrationsprognose unschädlicher Sonderfall (vgl. zur Systematik der Vorschrift NdsOVG, B.v. 3.6.2021 – 8 ME 39/21 – juris Rn. 10) sein kann (bejahend im Fall des § 30 Abs. 3 AuslG a.F. VGH BW, B.v. 10.9.2001 – 11 S 2212/00 – juris Rn. 5). Ein atypischer Fall käme nach Auffassung des Senats allenfalls in Frage, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass ihm die Aufnahme einer seinen Lebensunterhalt sichernden Erwerbstätigkeit möglich gewesen wäre, er sich um die Erteilung einer erforderlichen Beschäftigungserlaubnis nachdrücklich bemüht und eine etwaige Versagung einer solchen Erlaubnis (erfolglos) angefochten hat (BayVGH, B.v. 20.10.2021 – 10 ZB 21.2276 – juris Rn. 9; NdsOVG, B.v. 18. März 2010 – 8 ME 24/10 – juris Leitsatz 3 jeweils zu § 25a AufenthG; ähnlich OVG LSA, B.v. 29.3.2010 – 2 O 8/10 – juris Rn. 14 zu § 104a Abs. 1 AufenthG). Ein solch nachhaltiges Bemühen um eine Beschäftigungserlaubnis ist mit dem Beschwerdevorbringen nicht dargelegt.
Im Übrigen sind auch die ergänzenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Rahmen der Integrationsprognose zur Teilnahme des Antragstellers an Demonstrationen der islamistischen Muslimbruderschaft im Bundesgebiet nicht zu beanstanden. Soweit das Beschwerdevorbringen insofern beschreibt, der Antragsteller setze sich lediglich für die Menschenrechte in Ägypten ein, ist das Vorbringen unsubstantiiert. Der Antragsteller hat in seinem ersten Asylverfahren selbst die Mitgliedschaft bei der Muslimbruderschaft angeführt. Nach den vom Beschwerdevorbringen nicht beanstandeten Darstellungen in der Antragserwiderung der Antragsgegnerin, gehen die Verfassungsschutzbehörden noch immer von einer solchen Mitgliedschaft, jedenfalls aber von einer Sympathie für diese Vereinigung aus.
Insofern ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts zur negativen Integrationsprognose im Sinne des § 25b AufenthG auch angesichts der vom Antragsteller angeführten wenigen positiven Gesichtspunkte (Erwerbstätigkeit bis 2005, Sprachkenntnisse) nicht zu beanstanden.
Zur Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG komme nicht in Betracht, verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht.
2. Die Abschiebung des Antragstellers ist auch sonst nicht rechtlich oder tatsächlich unmöglich im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Aus dem Umstand, dass der Antragsteller (möglicherweise) seit Jahren hätte abgeschoben werden können, kann der Antragsteller nichts für sich herleiten, zumal sein im Jahr 2013 angestrengtes Asylfolgeverfahren erst durch Ablehnung seines Antrags auf Zulassung der Berufung mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. September 2020 (15 ZB 20.31673) rechtskräftig abgeschlossen wurde. Der Antragsteller ist – wie das Verwaltungsgericht zu Recht annimmt – auch kein faktischer Inländer, dessen Abschiebung nach Art. 8 Abs. 1 ERMK unzulässig sein könnte (vgl. zu den entsprechenden Voraussetzungen BayVGH, B.v. 7.10.2021 – 19 CE 21.2020 – juris Rn. 15; B.v. 28.11.2017 – 10 CE 17.2018 – juris Rn. 17 jeweils m.w.N.). Er hat seine wesentliche Sozialisation bis zum Alter von (wohl) 27 Jahren in Ägypten erfahren und sich trotz seines langen Aufenthalts in Deutschland nicht nachhaltig in die hiesigen Verhältnisse integrieren können. Sein Aufenthalt war zu keinem Zeitpunkt rechtmäßig, eine nachhaltige wirtschaftliche Integration ist nicht erfolgt. Die von ihm selbst eingeräumte intensive Befassung mit den politischen Verhältnissen in Ägypten sowie vorhandene, gegebenenfalls reaktivierbare familiäre Kontakte in Ägypten belegen zudem, dass von einer völligen Entwurzelung aus den ägyptischen Verhältnissen nicht ausgegangen werden kann. Der pauschale (nicht glaubhaft gemachte) Vortrag des Bevollmächtigten des Antragstellers, der Antragsteller habe ihm berichtet, die Schwester des Antragstellers werde ihn bei einer Rückkehr nicht unterstützen, ist nicht geeignet, eine andere Einschätzung zu rechtfertigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben