Verwaltungsrecht

keine Verstoß gegen freie Beweiswürdigung

Aktenzeichen  20 ZB 19.602

Datum:
18.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 35083
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 108 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1
BayKAG Art. 8

 

Leitsatz

Der Umstand, dass das Gericht eine andere Beweiswürdigung vornimmt als der Beteiligte, der aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial andere Schlüsse ziehen will, begründet keinen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 11 K 18.631 2019-02-14 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 1.275,57 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Nacherhebung von Schmutzwassergebühren für die Jahre 2012 bis 2015. Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 14. Februar 2019 stattgegeben. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung begehrt die Beklagte die Änderung des erstinstanzlichen Urteils unter Klageabweisung.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von der Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Aus dem Vorbringen der Beklagten ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36). Sie sind nicht erst dann gegeben, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.2017 – 2 BvR 2615/14 – IÖD 2017, 52 = juris Rn. 19; B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77/83). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 = juris Rn. 17 m.w.N.; 8 ZB 16.1806 – juris Rn. 9 m.w.N.). Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 19.3.2013 – 20 ZB 12.1881 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 15.12.2017 – 8 ZB 16.1806 – DVBl 2018, 127 = juris Rn. 9 m.w.N.).
Nach diesem Maßstab bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Die Einwendungen der Beklagten greifen nicht durch. Soweit die Beklagte die Richtigkeit des Urteils mit der Begründung in Zweifel zieht, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung die Sach- und Rechtlage in mehrfacher Hinsicht verkannt, richtet sie sich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es gehört danach zur Aufgabe des Tatsachengerichts, sich auf der Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens im Wege einer freien Beweiswürdigung seine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Wie es seine Überzeugung bildet, wie es also die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise würdigt, unterliegt seiner Freiheit. Die Einhaltung der daraus entstehenden verfahrensrechtlichen Verpflichtungen ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigen oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Die Freiheit des Gerichts ist nur dann überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Mit Einwänden gegen die freie, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene richterliche Überzeugung wird die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts dementsprechend erst dann in Frage gestellt, wenn gute Gründe dafür aufgezeigt werden, dass die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Überzeugungsbildung mangelhaft ist, etwa weil das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung mit Blick auf eine entscheidungserhebliche Tatsache von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiswürdigung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist. Letzteres ist insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme genügt dagegen zur Begründung ernstlicher Zweifel nicht (vgl. VGH BW, B.v. 12.7.2012 – 2 S 1265/12 – juris Rn. 3, m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte nichts dargelegt, was die Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts als ernstlich zweifelhaft erscheinen lässt. Das Verwaltungsgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass für das Entstehen des Gebührentatbestandes entscheidend ist, dass Wasser aus der Eigengewinnungsanlage der Hauswasserversorgungsanlage zugeführt wird, um dieses dort zu benutzen bzw. zu verbrauchen, denn ein Gebührentatbestand setzt die tatsächliche Inanspruchnahme und nicht nur die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Entwässerungsanlage voraus. Diesen zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt stellt die Beklagte mit ihrem Zulassungsantrag nicht in Frage. Das Verwaltungsgericht kommt in seinem Urteil allerdings zum Schluss, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Gebührenschuld eine solche tatsächliche Verbindung zwischen der Eigengewinnungsanlage und der Hauswasserversorgungsanlage vorhanden gewesen sei, sei durch das Gericht nicht mehr aufklärbar. Die objektive Darlegungslast für das Entstehen der Beitragsschuld treffe damit die Beklagte als Abgabegläubigerin. Die Beklagte meint nun entgegenhalten zu können, dass mehrere tatsächliche Anhaltspunkte, wie der Antrag des Klägers auf Einzelveranlagung für die Niederschlagswasserentwässerungsgebühr mit der Angabe der Zisterne für die Brauchwassernutzung sowie die Tatsache, dass beim Ortstermin eine betriebsbereite Hauswasserversorgungsanlage vorhanden war, der lediglich die jederzeit herstellbare Verbindung zum Hausnetz gefehlt habe, dieser Annahme entgegenstünden. Hinzu komme schließlich, dass auf dem Anwesen des Klägers bis zur Nacherhebung völlig unterdurchschnittliche Verbrauchswerte festzustellen seien. Aus der Gesamtschau dieser Umstände meint die Beklagte nun die tatsächliche Inanspruchnahme der Entwässerungsanlage durch das in der Zisterne gesammelte Wasser herzuleiten und damit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründen zu können. Dabei verkennt die Beklagte jedoch, dass das Verwaltungsgericht all diese Indizien in seinem Urteil berücksichtigt und gewichtet hat. Allein der Umstand, dass das Gericht eine andere Beweiswürdigung vornimmt als die Beklagte, begründet aber keinen Verstoß gegen § 108 Absatz 1 VwGO und damit keine ernstlichen Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
Soweit sich die Beklagte auf die Pauschalierungsregelung bei Eigengewinnungsanlagen im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 4 BGS-EWS sowie auf die Nachweisführungspflicht des Gebührenpflichtigen nach § 10 Abs. 2 Satz 7 BGS-EWS entsprechend der Mustersatzung des BayStMI beruft, so kam es auf diese Regelungen aus der Sicht des Verwaltungsgerichts nicht an. Dieses stützte seine Entscheidung darauf, dass es nicht erweislich sei, dass Wasser aus der Eigengewinnungsanlage der Hauswasserversorgungsanlage zugeführt worden ist (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 1 BGS-EWS). Die von der Beklagten angeführten Regelungen des § 10 Abs. 2 Satz 4 bis 7 EWS betreffen dagegen pauschale Schätzungen der Höhe der zugeführten Wassermengen aus der Eigengewinnungsanlage und waren damit aus der Sicht des Verwaltungsgerichts nicht anwendbar. Dass das Verwaltungsgericht seine Annahme auf eine nicht ausreichende Tatsachengrundlage gestellt haben könnte, hat die Beklagte dagegen nicht vorgebracht (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
2. Aus dem gleichen Grunde ist die Berufung auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die von der Beklagten als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage stellte sich dem Verwaltungsgericht nicht.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 3 GKG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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