Aktenzeichen 10 CE 18.1997
Leitsatz
1. Duldungsinhabern wird der Zugang zu einer Beschäftigung durch einen ausdrücklichen Zulassungsakt, der Beschäftigungserlaubnis, eröffnet (Rn. 17). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 6 E 18.1285 2018-09-04 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
III. In Abänderung von Nr.
III. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. September 2018 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller verfolgt mit seinen Beschwerden sein Begehren auf vorläufige Gestattung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit zur Duldung sowie auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren weiter.
Der Antragsteller, ein 1976 geborener kosovarischer Staatsangehöriger, erhielt nach seiner letzten Einreise Ende Mai 2015 in das Bundesgebiet und nach Stellung eines Asylfolgeantrags Anfang Juni 2015 am 15. April 2016 erstmals eine bis 14. April 2018 befristete Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug. Mit inzwischen bestandskräftigem Bescheid vom 22. Februar 2017, der eine Abschiebungsandrohung enthielt, befristete der Antragsgegner im Hinblick auf die zwischenzeitlich beendete eheliche Lebensgemeinschaft die Aufenthaltserlaubnis nachträglich zum 1. März 2017. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb erfolglos (VG Augsburg, B.v. 1.8.2017 – Au 6 S 17.433). Das Klageverfahren wurde nach Klagerücknahme mit Beschluss vom 20. November 2017 eingestellt (Au 6 K 17.432).
Der Antragsteller ist seit 6. Juli 2017 Vater eines im Bundesgebiet geboren Kindes ungarischer Staatsangehörigkeit, für das er mit der ebenfalls ungarischen Mutter das gemeinsame Sorgerecht ausübt; alle drei wohnen in familiärer Lebensgemeinschaft.
Am 1. August 2017 beantragte der Antragsteller die Ausstellung einer Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgerkindes analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Am 2. Oktober 2017 erhob er entsprechende Klage auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Ausstellung der Aufenthaltskarte. Mit Urteil vom 20. Dezember 2017 (Au 6 K 17.1538) verpflichtete das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg den Antragsgegner, dem Antragsteller die begehrte Aufenthaltskarte auszustellen. Gegen das Urteil hat der Antragsgegner die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt (10 BV 18.281), über die noch nicht entschieden ist. Eilanträge des Antragstellers auf vorläufige Feststellung, dass er ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet berechtigt sei, sowie darauf, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig eine Bescheinigung analog § 4 Abs. 2 AufenthG oder analog § 5 Abs. 1 FreizügG/EU auszustellen, blieben erfolglos (siehe BayVGH, B.v. 15.3.2018 – 10 CS 17.2378 u.a.).
Am 11. Juli 2018 erteilte der Antragsgegner dem Antragsteller eine Duldung, lehnte aber mit Bescheid vom 17. Juli 2018 die Gestattung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch Eintragung einer Nebenbestimmung „Erwerbstätigkeit gestattet“ ab.
Der vom Antragsteller daraufhin beantragte Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, wonach der Antragsgegner vorläufig verpflichtet wird, unter Abänderung der entgegenstehenden Nebenbestimmung in die Duldung die Nebenbestimmung „Erwerbstätigkeit gestattet“ aufzunehmen, wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. September 2018 abgelehnt. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf vorläufige Gestattung einer Erwerbstätigkeit auf der Grundlage der ihm erteilten Duldung nicht glaubhaft gemacht. Er besitze keinen Aufenthaltstitel, der ihn zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtige. Da das Aufenthaltsgesetz keine günstigere Rechtsstellung vermittle als die Vorschriften des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU), führe auch das Meistbegünstigungsprinzip nach § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU zu keinem anderen Ergebnis. Schließlich habe der Antragsteller auch nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf vorläufige Gestattung der Erwerbstätigkeit auf Grundlage eines Anspruchs auf Ausstellung bzw. Erteilung einer Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU inne zu haben, da insoweit der Ausgang des Berufungsverfahrens, in dem die Rechtsfragen inmitten stünden, welche Bedeutung der Herkunft der dem Kind vom Antragsteller bisher zur Verfügung gestellten Existenzmittel beizumessen sei und ob sein Kind darauf verwiesen werden könne, mit der Mutter und dem Antragsteller das Bundesgebiet zu verlassen und nach Ungarn überzusiedeln, noch offen seien.
Zur Begründung seiner Beschwerden trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass durch die Ablehnung der Gestattung der Erwerbstätigkeit in das Freizügigkeitsrecht des Unionsbürgerkindes des Antragstellers, für das dieser personensorgeberechtigt sei und mit dem er zusammenlebe, sowie mittelbar auch in das Freizügigkeitsrecht der Kindesmutter unzulässig eingegriffen werde. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hätten Eltern eines Unionsbürgerkindes ein Recht zum Aufenthalt mit und bei ihrem Kind. Das Freizügigkeitsrecht des Unionsbürgerkindes würde einen geringeren Schutz entfalten, wenn es den Aufnahmemitgliedstaat verlassen müsste, weil dort mangels Gestattung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit der Unterhalt nicht gesichert sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Ausländerakten sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden sind zulässig, bleiben in der Sache jedoch ohne Erfolg.
Das erkennbare Rechtsschutzziel des Antragstellers (§ 88 VwGO) ist darauf gerichtet, auf Grundlage seiner Duldung einer (nachweisbar) erlaubten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet auch schon vor rechtskräftiger Feststellung der geltend gemachten, von seinem ungarischen Kind abgeleiteten Freizügigkeit nachgehen zu können, um dessen und seinen eigenen Unterhalt sichern zu können.
1. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht eine vorläufige Regelung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO abgelehnt. Die vom Antragsteller in seiner Beschwerde dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Insofern erscheint bereits fraglich, ob mit dem Vorbringen dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprochen wurde, weil sich die Beschwerdebegründung mit einer allgemeinen Darstellung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Aufenthaltsrecht und damit einhergehend zum Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit begnügt, ohne auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene rechtliche Würdigung einzugehen. Eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung verlangt aber, dass der Beschwerdeführer unter Aufgreifen dieser Gründe aufzeigt, weshalb die Entscheidung aus seiner Sicht überprüfungsbedürftig ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.6.2016 – 10 CS 16.638 – juris Rn. 5 m.w.N.); im vorliegenden Fall wäre daher erforderlich gewesen, konkret darzulegen, weshalb die auch im vorliegenden Verfahren inmitten stehenden Rechtsfragen im Hinblick auf das noch offene Berufungsverfahren 10 BV 18.281 mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Antragstellers zu beantworten wären.
Ungeachtet dessen hat, sofern von einer Erfüllung des Darlegungserfordernisses und damit von einer zulässigen Beschwerde ausgegangen wird, der Antragsteller keinen Anspruch auf (vorläufige) Gestattung einer Erwerbstätigkeit zur Duldung. Mithin ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis begründet, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs spricht (BVerfG, B.v. 28.9.2009 – 1 BvR 1702/09 – juris Rn. 15, 24; BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 7 CE 13.2063 – juris; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand September 2018, § 123 Rn. 74 f. m.w.N.) und ein Anordnungsgrund gegeben ist. Voraussetzung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist daher grundsätzlich, dass hinsichtlich der Hauptsache überwiegende Erfolgsaussichten bestehen (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 123 Rn. 23 f.). Dabei muss unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Grundrechte der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass kein Anordnungsanspruch besteht, umso höher sein, je schwerwiegender die drohenden Nachteile und je weniger wahrscheinlich ihre Rückgängigmachung im Falle eines späteren Obsiegens sind (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 123 Rn. 94; BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris).
Dies zugrunde gelegt ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die begehrte Gestattung der Erwerbstätigkeit abgelehnt hat, weil der Antragsteller keinen Aufenthaltstitel besitzt, der ihn hierzu berechtigt. Der Antragsteller hat derzeit keine Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, welche ihm die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlauben würde. Die ausländerrechtliche Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit endete spätestens mit Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 1. August 2017 (Au 6 S 17.433), mit dem der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den für sofort vollziehbar erklärten Befristungsbescheid vom 22. Februar 2017 abgelehnt wurde (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).
Soweit das Verwaltungsgericht die vorläufige Gestattung einer Erwerbstätigkeit auf der Grundlage eines Anspruchs auf Ausstellung bzw. Erteilung einer Aufenthaltskarte (analog § 5 Abs. 1 FreizügG/EU) abgelehnt hat, weil ein Anspruch hierauf nicht mit der nach den oben dargestellten Maßgaben notwendigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht wurde, ist dem der Antragsteller – wie oben dargelegt – mit der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten. Wie der Senat bereits in den Beschwerdeverfahren betreffend u.a. das Begehren des Antragstellers auf (vorläufige) Ausstellung einer Bescheinigung analog § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU entschieden hat (s. hierzu B.v. 15.3.2018 – 10 CS 17.2378, 10 CE 17.2379 und 10 C 17.2380 – juris Rn. 15 ff.), können die auch im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entscheidungserheblichen Fragen, insbesondere welche Rolle die Herkunft der Existenzmittel spielt, die der Antragsteller dem Kind bisher zur Verfügung gestellt hat, und ob dessen Mutter und das gemeinsame Kind darauf verwiesen werden können, das Bundesgebiet zu verlassen und nach Ungarn überzusiedeln, nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Antragstellers beantwortet werden.
2. Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten (Nr. IV. des angefochtenen Beschlusses v. 4.9.2018) bleibt ebenfalls erfolglos. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den oben dargelegten Gründen schon zum für die Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung unter Abänderung des erstinstanzlich festgesetzten Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Geduldeten Ausländern ist es im Ausgangspunkt nicht gestattet, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, solange ihnen dies nicht durch einen Einzelakt der Ausländerbehörde erlaubt wird (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand April 2019, § 60a Rn. 67). Duldungsinhabern wird der Zugang zu einer Beschäftigung durch einen ausdrücklichen Zulassungsakt, der Beschäftigungserlaubnis eröffnet (vgl. § 32 BeschV). Der Gegenstandswert im gerichtlichen Verfahren gegen die Versagung der Erlaubnis zur Beschäftigung beträgt demgemäß § 52 Abs. 2 GKG 5.000 Euro pro Person (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2018 – 10 CE 18.738 – juris Rn. 10; VGH BW, U.v. 10.7.2017 – 11 S 695/17 – juris Rn. 40; SächsOVG, B.v. 25.5.2016 – 3 E 54/16 – juris Rn. 4). Im Verfahren über den einstweiligen Rechtschutz wird in der Regel, sofern nicht von der Vorwegnahme der Hauptsache auszugehen ist, der hälftige Wert zugrunde gelegt (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Da für die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt, ist insoweit eine Streitwertfestsetzung entbehrlich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).