Verwaltungsrecht

Keine waffenrechtliche Zuverlässigkeit eines “Reichsbürgers”

Aktenzeichen  24 ZB 20.1876

Datum:
29.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40208
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 152, § 154

 

Leitsatz

Personen, die der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind, oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die für eine waffenrechtliche Erlaubnis erforderliche Zuverlässigkeit. (Rn. 7 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 K 17.4275 2020-07-01 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarte sowie die hierzu ergangenen Folgemaßnahmen mit Bescheid des zuständigen Landratsamts vom 10. August 2017. Zugleich verfolgt er das Ziel, eine Eintragung als sog. „Reichsbürger“ aus Akten der Behörden tilgen zu lassen.
Das Verwaltungsgericht hat seine entsprechende Klage mit Urteil vom 1. Juli 2020 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 10. August 2017 erweise sich als rechtmäßig, weil der Kläger im waffenrechtlichen Sinn unzuverlässig geworden sei. Die Angaben, die der Kläger im Zusammenhang mit einem Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit gemacht habe, sowie die Einlassungen in seinen Schreiben vom 24. Mai und 25. August 2017 und im Fax vom 30. Juni 2020 seien nur dadurch zu erklären, dass er der Reichsbürgerbewegung angehöre bzw. sich deren Ziele und Ideologie zu eigen gemacht habe. Dieser Umstand rechtfertige eine negative Prognose im Hinblick auf seine künftige waffenrechtliche Unzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Hinsichtlich der begehrten Tilgung aus behördlichen Akten hat das Verwaltungsgericht die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen. Der Kläger habe es versäumt, vor Klageerhebung einen dem Klageantrag entsprechenden Antrag beim Landratsamt bzw. bei der entsprechenden Behörde zu stellen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht geltend, an der Richtigkeit des streitgegenständlichen Urteils bestünden ernstliche Zweifel. Zudem weise die Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung auf. Das Urteil erster Instanz werde in vollem Umfang angefochten.
Der Beklagte – Landesanwaltschaft Bayern – ist dem Antrag entgegengetreten und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Akten des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Das Darlegungsgebot gestaltet das Zulassungsverfahren dahingehend, dass das gerichtliche Prüfungsprogramm im Zulassungsverfahren jedenfalls im Wesentlichen darauf beschränkt ist zu klären, ob der Rechtsmittelführer seine Darlegungslast erfüllt hat und die dargelegten Gründe eine Zulassung der Berufung tragen (BVerfG, B.v. 23.7.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163). Vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG dürfen allerdings die Anforderungen an die Darlegung nur in einer Weise gestellt werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Anwalt mit zumutbarem Aufwand noch erfüllt werden können (BVerfG, B.v. 8.1.22009 – 2 BvR 758/07 – BVerfGE 125, 104). Dem Darlegungsgebot ist genügt, wenn der dargelegte Zulassungsgrund in der Sache auf einen der gesetzlichen Tatbestände zielt (BVerwG, B.v. 2.10.2003 – 1 B 33/03 – NVwZ-RR 2004, 220). Das Oberverwaltungsgericht muss sich aber nicht aus einem Darlegungsgemenge das heraussuchen, was möglicherweise zur Begründung des Antrags geeignet sein könnte (BVerfG, B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – BayVBl. 2011, 338). Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist ein Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 VwGO nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor.
a) Das gilt zunächst für den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden sind und dadurch Anlass besteht, an der (Ergebnis-)Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zu zweifeln. Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (Kuhlmann in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 124 Rn. 15 m.w.N.). Insoweit führt die Zulassungsbegründung aus, der Kläger sei nicht der Reichsbürgerbewegung zugehörig. Er habe immer wieder betont, ein rechtstreuer Bürger zu sein. Das Gericht habe Entlastendes nicht berücksichtigt. Damit wird die Tatsachenfeststellung des Erstgerichts, der Kläger habe sich reichsbürgertypisches Gedankengut zu eigen gemacht, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Vielmehr wird die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts angegriffen, was auch im Rahmen von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzlich möglich ist (Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 124, Rn. 80). Das Gericht entscheidet gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Tatsachen- und Beweiswürdigung, der einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht nicht gänzlich frei. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d. h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt nur vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (stRspr z.B. BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 21 ZB 16.1678 – juris Rn. 20 m.w.N.). Derartige Fehler zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf; sie sind auch nicht ersichtlich. Der Kläger beschränkt sich vielmehr darauf, unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags darauf hinzuweisen, seiner Ansicht nach sei das Verwaltungsgericht zum falschen Ergebnis gekommen.
b) Die Berufung ist auch nicht aufgrund der vom Kläger behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 14 ZB 17.390 – juris Rn. 14 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Der Kläger hält folgende Fragen für klärungsbedürftig:
„1. Rechtfertigt die Stellung eines (legalen) Antrags auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit beim Bundesverwaltungsamt mit der Angabe Geburtsstaat „Kgr. Bayern“ den Verdacht der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung?
2. Rechtfertigt allein die Stellung eines (legalen) Antrags auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit beim Bundesverwaltungsamt mit der Angabe Geburtsstaat „Kgr. Bayern“ den Verdacht der Nichteinhaltung waffenrechtlicher Vorgaben?
3. Rechtfertigt die Stellung eines (legalen) Antrags auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit beim Bundesverwaltungsamt mit der Angabe Geburtsstaat „Kgr. Bayern“ eine Prognoseentscheidung dergestalt, dass Zweifel an der Rechtstreue des Klägers bestehen?
4. Rechtfertigt die Stellung eines (legalen) Antrags auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit beim Bundesverwaltungsamt mit der Angabe Geburtsstaat „Kgr. Bayern“ die Annahme, der Kläger würde die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland (offensiv) ablehnen und die Legitimität der Institutionen der Bundesrepublik Deutschland negieren?
5. Können Reichsbürger als Gruppe angesehen werden, deren Merkmale auf die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit der zugehörigen Personen schließen lassen?“
Die Fragen 1. bis 4. sind – abgesehen davon, dass der Kläger keinen Antrag beim Bundesverwaltungsamt gestellt hat – einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich. Sie betreffen jeweils eine im Wege der Beweiswürdigung zu gewinnende Schlussfolgerung des Tatsachengerichts und können nicht unabhängig von den jeweiligen Begleitumständen der behaupteten Antragstellung beurteilt werden. Im Übrigen hat das Erstgericht seine Schlussfolgerung, der Kläger habe sich reichsbürgertypisches Gedankengut zu eigen gemacht, im Wege einer Gesamtwürdigung der insoweit aussagekräftigen Indizien getroffen, ohne einer der in den Fragen 1. bis 4. formulierten Voraussetzungen jeweils für sich genommen allein entscheidende Beweiskraft zuzuerkennen.
Um die fünfte Frage zu beantworten, ist keine Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderlich. Denn in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist bereits geklärt, dass Personen, die der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind, oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, nicht die für eine waffenrechtliche Erlaubnis erforderliche Zuverlässigkeit besitzen (BayVGH, B.v. 4.10.2018 – 21 CS 18.264 – juris Rn. 13; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 21 CS 17.1339 – juris, jeweils m.w.N.).
c) Hinsichtlich des als unzulässig abgewiesenen Klageantrags („Tilgung einer behördlichen Eintragung als Reichsbürger“) hat der Kläger keine Zulassungsgründe dargelegt.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.1.1, Nr. 35.5 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013, abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, und entspricht der nicht infrage gestellten Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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