Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Yeziden bei Herkunft aus dem irakischen Kurdengebiet

Aktenzeichen  RO 4 K 16.32238

Datum:
2.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133310
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Der Vortrag eines Asylbewerbers, dass beim Bundesamt mit dem Dolmetscher Verständigungsschwierigkeiten aufgetreten seien, stellt regelmäßig eine Schutzbehauptung dar, die nicht geeignet ist, Widersprüche im jeweiligen Vorbringen zu entkräften. Asylbewerber besitzen im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt vielmehr stets die Möglichkeit, auf Verständigungsprobleme hinzuweisen. (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Irakische Kurden yezidischer Religionszugehörigkeit sind in den kurdischen Autonomiegebieten keiner Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG ausgesetzt (vgl. VG Oldenburg BeckRS 2017, 114991). (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 In der Autonomen Region Kurdistan (KRG-Region) kann von einem bewaffneten Konflikt nicht ausgegangen werden (vgl. VG Augsburg BeckRS 2017, 104925). Sie war und ist vielmehr Ziel innerirakischer Migration, wobei dort sogar Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt sind. (Rn. 19 – 20) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die humanitäre Lage in der KRG-Region ist derzeit nicht so außergewöhnlich prekär, dass Art. 3 EMRK beeinträchtigt wäre. (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Es ist davon auszugehen, dass die bayerische Erlasslage, wonach derzeit irakische Staatsangehörige, die nicht Straftäter oder Sicherheitsgefährder aus den autonomen Kurdengebieten sind, nicht abgeschoben werden, hinsichtlich allgemeiner Gefahren iSv § 60 Abs.7 S. 1 AufenthG einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt. (Rn. 23) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes für … vom 22.8.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein Anspruch des Klägers darauf, ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG)) zuzuerkennen, besteht nicht. Die hilfsweise zu prüfenden Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG und die weiter hilfsweise zu prüfenden Voraussetzungen des nationalen Schutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) liegen hier ebenfalls nicht vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Zur Begründung folgt das Gericht den Ausführungen der Beklagten im streitgegenständ-lichen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird folgendes ausgeführt.
1. Ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG besteht nicht. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund eines der in § 3 AsylG genannten Anknüpfungsmerkmale. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, er sei in D* … geboren, das in der Provinz Mosul liege, und habe dort gelebt. In E* … habe er nicht gelebt. Der IS sei gekommen. Sie hätten flüchten müssen. Das Leben in einer Aufnahmeeinrichtung sei aber kein Leben. das gericht hält das klägerische Vorbringen insoweit nicht für glaubhaft. Zum einen ergibt sich aus dem vom Kläger beim Bundesamt vorgelegten Staatsangehörigkeitszeugnis, dass der Kläger in E* … geboren ist. Zum anderen erschließt sich für das Gericht nicht, warum der Kläger nicht bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben hat, dass seine Familie vor dem IS in das Kurdengebiet geflohen ist. Vielmehr hat der Kläger beim Bundesamt angegeben, in der Provinz E* … im Dorf F* … in einem Eigentumshaus seines Vaters gewohnt zu haben. Er hat weder eine Flucht vor dem IS noch schlechte Zustände in einer Aufnahmeeinrichtung erwähnt. Vielmehr hat er auf die allgemeine Sicherheitslage hingewiesen und sich darauf berufen, dass sein Bruder umgebracht worden sei. Der Kläger vermochte die Widersprüche in seinen Angaben gegenüber dem Gericht auch nicht schlüssig aufzulösen. Vielmehr reagierte er in der mündlichen Verhandlung ungehalten. Soweit der Klägerbevollmächtigte darauf hingewiesen hat, dass es beim Bundesamt Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher gegeben habe, stellt dies aus Sicht des Gerichts eine Schutzbehauptung dar, die nicht dazu geeignet ist, die Widersprüche im klägerischen Vorbringen zu erklären. Der Kläger hätte bei der Anhörung vor dem Bundesamt die Möglichkeit gehabt, auf die Verständigungsprobleme hinzuweisen. Er wurde bei der Anhörung auch von seinem Vormund begleitete, so dass es ihm auch möglich gewesen wäre, diesen ins vertrauen zu ziehen, falls er selbst Bedenken gehabt hätte, Schwierigkeiten mit dem Dolmetscher anzusprechen. Der Kläger muss sich daher an seinem Vorbringen vor dem Bundesamt hinsichtlich seines Herkunftsortes festhalten lassen. Aus Sicht des Gerichts ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger aus Mosul stammt.
Aufgrund seiner yezidischen Religionszugehörigkeit ist der Kläger in den kurdischen Autonomiegebieten auch keiner Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG ausgesetzt (siehe hierzu Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 7.6.2017, Az. 3 A 3731/16-juris; Verwaltungsgericht Bayreuth, Urteil vom 20.3.2017, Az.: B 3 K 17.30047-juris, a.A. Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, Urteil vom 8.3.2017, Az.: 15a 5929/16.A –juris).
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung eines subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG.
a. Anhaltspunkte für das Drohen eines ernsthaften Schadens wegen der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG genannten Gründe sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
b. Des Weiteren ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in seine, für die Betrachtung maßgebliche, Herkunftsregion (KRG-Region) einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) ausgesetzt wäre.
Besteht ein bewaffneter Konflikt nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in der Regel nur dann in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehrt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 – 10 C 9/08). Nach aktueller Erkenntnislage besteht im Irak kein landesweiter bewaffneter Konflikt. Zwar existiert in weiten Teilen des Iraks seit Mitte des Jahres 2014 eine Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure in Gestalt des sog. Islamischen Staates (IS) und es ist die Sicherheitslage in den nordwestlichen Provinzen des Irak als angespannt anzusehen, da es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen in den Provinzen Anbar, Babil, Bagdad, Diyala, Ninawa, Salah al-Din und Kirkuk sowie auch an den Rändern der Region Kurdistan-Irak kommt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak vom 07.02.2017, S. 16). Die drei kurdisch verwalteten Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniyya selbst sind jedoch hiervon nicht betroffen. Die KRG-Region war und ist Ziel innerirakischer Migration, wobei dort sogar Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt sind (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 12 und 19).
Von einem bewaffneten Konflikt kann demnach jedenfalls dort nicht ausgegangen werden (so z.B. auch VG Augsburg, Urteil vom 13. März 2017 – Au 5 K 16.32681; die Frage zwar im Ergebnis offen lassend, aber stark in diese Richtung tendierend: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 17. März 2016 – 13a B 15.30241). Im Übrigen ist hierbei auch zu berücksichtigen dass der IS nach aktuellen Erkenntnissen und Presseberichten stetig weiter aus den von ihm eroberten Gebieten zurückgedrängt wird, zuletzt aus der Stadt Mosul, sodass nicht absehbar ist, dass in der KRG-Region in näherer Zukunft ein bewaffneter Konflikt entstehen wird. Den Klägern ist daher eine Rückkehr in die KRG-Region möglich und zumutbar.
3. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor. Dem Kläger droht im Fall der Abschiebung in den Irak keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK, der er nicht entgehen könnte. Auch ist auch die humanitäre Lage in der KRG-Region derzeit nicht so außergewöhnlich prekär, dass Art. 3 EMRK beeinträchtigt wäre (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 22: „bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig“).
4. Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.
Im Hinblick auf die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage im Irak hat das Bayerische Staatsministerium des Innern im Erlasswege mit Rundschreiben vom 10.8.2012 i.d.F. vom 3.3.2014 (Az. IA2-2081.13-15), welches nach wie vor Gültigkeit beansprucht, verfügt, dass irakische Staatsangehörige, die nicht Straftäter oder Sicherheitsgefährder aus den autonomen Kurdengebieten sind, nicht abgeschoben werden und Duldungen bis auf Weiteres auf Grundlage des § 60a Abs. 1 AufenthG erteilt bzw. verlängert werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die Erlasslage hinsichtlich allgemeiner Gefahren derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf. Der Kläger ist deswegen aber auch insoweit nicht schutzlos gestellt. Denn sollte der ihm infolge des Rundschreibens vom 10.8.2012 i.d.F. vom 3.3.2014 zustehende Abschiebungsschutz nach Rechtskraft dieses Urteils entfallen, so könnten sie unter Berufung auf eine extreme Gefahrenlage jederzeit [ohne an die strengeren Maßstäbe für Asylfolgeanträge nach § 71 AsylG gebunden zu sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 – 1 C 2/01 m.w.N.)] ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vor dem Bundesamt verlangen (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 08. Dezember 2005 – 13a B 05.30340).
Zuletzt ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak einer „extremen Gefahrenlage“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2010 – 10 C 10/09) ausgesetzt wären. Insbesondere steht nicht zu erwarten, dass er mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würden. Der Kläger ist zwar noch minderjährig. Seine Eltern und Teil seiner Geschwister leben aber nach wie vor in der Kurdenregion. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland wieder in seinem Familienverband leben kann und sein Lebensunterhalt gesichert ist.
5. Gegen das in Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheides angeordnete befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG bestehen keine recht-lichen Bedenken, solche wurden im Übrigen vom Kläger im Verfahren auch nicht vorgetragen.
Nach alledem war die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylG.
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 ff ZPO.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.


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