Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – Libanon – erfolgloser Berufungszulassungsantrag wegen Verletzung rechtlichen Gehörs

Aktenzeichen  15 ZB 19.34099

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32478
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt nur vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergegangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 11 K 19.30203 2019-10-09 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Januar 2019, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, ihm die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung in den Libanon oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 9. Oktober 2019 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 18. Januar 2019 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG festzustellen, ab. Mit seinem auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht aufgrund eines allein geltend gemachten Verfahrensfehlers gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zuzulassen. Die von den Klägern behauptete Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
Der klägerseits erhobene Vorwurf der Versagung des rechtlichen Gehörs bezieht sich auf folgende Passagen in den Entscheidungsgründen angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 9. Oktober 2019:
„Soweit der Kläger im Klageverfahren vorgetragen hat, er sei im Libanon in seinen Rechten als Kind benachteiligt worden, so greift dies nicht durch. Der Kläger hat durch seinen Bevollmächtigten vorbringen lassen, er habe auf dem Gemüsemarkt eine Arbeitstätigkeit aufnehmen müssen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass er dabei unter erniedrigenden oder menschenunwürdigen Bedingungen habe arbeiten müssen. Allein die Tatsache, dass er aufgrund der fehlenden Unterstützung seiner Familie einer Tätigkeit habe nachgehen müssen, um sein Leben zu finanzieren, stelle eine Beeinträchtigung seiner Rechte als Kind dar.
Diese Angaben stehen im Widerspruch zu den Angaben des Klägers in seiner Anhörung beim Bundesamt. Der Kläger hatte dort angegeben, freiwillig gearbeitet zu haben, um sich Reisen finanzieren zu können. Ein Zwang zum Arbeiten, um seinen Lebensunterhalt sicherstellen zu können, bestand demnach nicht. In der mündlichen Verhandlung am 9.10.2019 hat der Kläger nochmals bestätigt, freiwillig gearbeitet zu haben; wenn er nicht gearbeitet hätte, hätten seine Eltern seinen Lebensunterhalt sichergestellt; die wirtschaftliche Situation seiner Familie sei durchschnittlich gewesen, sein Vater sei wirtschaftlich in der Lage gewesen, die Familie zu ernähren. Der Kläger war demnach nicht gezwungen, als Minderjähriger zu arbeiten, um sein Existenzminimum zu sichern. Sein Lebensunterhalt konnte durch seinen Vater sichergestellt werden. Hinzu kommt, dass der Kläger als palästinensischer Flüchtling bei der UNRWA registriert war und einen entsprechenden Flüchtlingsausweis besaß, den er im Asylverfahren vorgelegt hat. Er war damit berechtigt, Unterstützungsleistungen der UNRWA in Anspruch zu nehmen. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, dass der Kläger als Kind gezwungen war, zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalt sicherzustellen.
Ferner ist nicht ersichtlich, dass der Kläger unter erniedrigenden oder menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten musste. Zum einen hat der Kläger nicht einmal selbst behauptet, dass er unter erniedrigenden oder menschenunwürdigen Bedingungen habe arbeiten müssen. Er hat lediglich im Klageverfahren zunächst schriftlich durch seinen Bevollmächtigten vortragen lassen, dies könne nach seinen Angaben in der Anhörung beim Bundesamt nicht ausgeschlossen werden. Im weiteren Klageverfahren, insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung, hat er aber wiederum keine erniedrigenden oder menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen geschildert. Zum andern hat der Kläger – wie ausgeführt – freiwillig gearbeitet, um sich Reisen finanzieren zu können. Er war hierzu nicht gezwungen, sein Lebensunterhalt war auf andere Weise sichergestellt. Er hätte seine Arbeitstätigkeit daher jederzeit beenden können, wenn sie erniedrigend oder menschenunwürdig gewesen wäre.
Eine Verletzung in seinen Rechten als Kind bzw. eine Verletzung des Art. 3 EMRK ist daher nicht ersichtlich.“
Der Bevollmächtigte des Klägers rügt diesbezüglich im Zulassungsantrag zur Begründung einer Gehörsverletzung, das Verwaltungsgericht habe aus den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf Seite 6 der Entscheidungsgründe den falschen Schluss gezogen, dass der Kläger als Kind im Libanon freiwillig gearbeitet habe und ein Zwang zum Arbeiten zur Sicherstellung des Lebensunterhalts demnach nicht bestanden habe. Das Verwaltungsgericht habe insofern völlig außer Acht gelassen, dass kein Kind „freiwillig“ von 4:00 Uhr morgens bis 17:00 Uhr im Gemüsemarkt Kisten schleppe, ohne dass hierzu ein zumindest mittelbarer Zwang – und sei es auch aus kulturellen und finanziellen Gründen – bestehe. Auch wenn der Kläger die erwirtschafteten Erträge habe behalten dürfen, spreche dies keinesfalls gegen eine Kinderarbeit. Das Verwaltungsgericht habe hierbei die Ausführungen des Klägers hinsichtlich der familiären Situation nicht berücksichtigt. Dieser Gehörsverstoß sei entscheidungserheblich. Das angefochtene Urteil beruhe auch auf der Gehörsverletzung, da ihm mangels eines gerichtlichen Hinweises ein weiterer Vortrag zu anspruchsbegründenden Tatsachen, die die Zweifel des Gerichts hätten ausräumen können, abgeschnitten worden sei. Jedenfalls könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht ggf. eine für den Kläger günstigere Entscheidung getroffen hätte, wenn es diesem durch die prozessual gebotene Form des Vorhalts Gelegenheit gegeben hätte, Zweifel des Gerichts durch weitere Nachweise und Erläuterungen auszuräumen.
Hiermit vermag der Kläger eine Zulassung der Berufung wegen Versagung rechtlichen Gehörs nicht zu begründen. Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt nur vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11) oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 3 m.w.N.). Aus der Antragsbegründung geht nicht hervor, dass diese Voraussetzungen vorliegend gegeben sein könnten.
Insgesamt vermag die Antragsbegründung nicht darzulegen, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag des Klägers nicht tatsächlich berücksichtigt und gewürdigt hat. Im Übrigen brauchen sich die Gerichte nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich und im Detail auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 18.31366 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 30.10.2018 – 15 ZB 18.31200 – juris Rn. 14; B.v. 30.4.2019 – 15 ZB 19.31547 – juris Rn. 7; B.v. 19.6.2019 – 15 ZB 19.32197 – juris Rn. 5; B.v. 27.6.2019 – 15 ZB 19.32352- juris Rn. 6). Solche besonderen Umstände sind vorliegend weder vom Kläger substantiiert vorgebracht worden noch sonst ersichtlich. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet im Übrigen keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder seine (mögliche) Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt. Eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs konkretisierende gerichtliche Hinweispflicht – zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung – besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 23.1.2014 – 1 B 12.13 – juris Rn. 11 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 5.6.2019 – 15 ZB 19.32063 – juris Rn. 5). Für eine Überraschungsentscheidung in diesem Sinn wird in der Antragsbegründung nichts Relevantes aufgezeigt. Der Kläger wendet sich mit seiner Argumentation damit in der Sache letztlich ausschließlich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung bzw. gegen die rechtliche Subsumtion des Erstgerichts, ohne damit jedoch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs substantiiert darzulegen. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (BayVGH, B.v. 20.12.2018 – 15 ZB 18.32985 – juris Rn. 5; B.v. 30.4.2019 – 15 ZB 19.31547 – juris Rn. 8; B.v. 5.6.2019 – 15 ZB 19.32063 – juris Rn. 5; OVG Saarl., B.v. 16.5.2015 – 2 A 197/14 – juris Rn. 8 m.w.N.). Bei Mängeln der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs allenfalls dann verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 5.6.2019 – 15 ZB 19.32063 – juris Rn. 5 m.w.N.). Dass ein solcher Mangel vorliegt, vermag der Zulassungsantrag nicht aufzuzeigen bzw. zu begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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