Verwaltungsrecht

Keine Zulassung der Berufung gegen Urteil im Asylstreitverfahren ukrainischer Staatsangehöriger

Aktenzeichen  11 ZB 17.30510

Datum:
29.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 113710
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, 3, Abs. 4 S. 4
EMRK Art. 9
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Die Frage, ob jemand, gestützt auf sein Gewissen oder tiefe und echte Glaubensüberzeugungen, den Wehrdienst verweigert, ist eine Frage des Einzelfalls und einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich (Rn. 10). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Aufklärungsmangel ist kein absoluter Revisionsgrund iSd § 138 Nr. 3 VwGO und damit kein Berufungszulassungsgrund im Asylverfahren (Rn. 11). (redaktioneller Leitsatz)
3. Die ordnungsgemäße Begründung einer Gehörsrüge im Zulassungsverfahren erfordert grundsätzlich Ausführungen dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre (Rn. 12). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 16.32671 2017-03-14 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Kläger sind ukrainische Staatsangehörige. Am 9. Oktober 2014 reisten sie mit Schengen-Visa mit dem Flugzeug von Kiew über Athen in die Bundesrepublik Deutschland ein. Vor ihrer Ausreise lebten die Kläger in der Stadt L* … Bei der Einreise begehrten sie am Flughafen Stuttgart Asyl und stellten am 8. Dezember 2014 eine Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt).
Bei seiner Anhörung am 21. Juni 2016 gab der 1979 geborene Kläger zu 1 an, seine letzte Meldeadresse sei in L* … gewesen. Am 5. Juni 2014 sei er von L* … nach Kiew gegangen und habe dort einen Monat bei seinem Onkel gelebt und dann bei einer anderen Familie aus L* … Er habe Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche gehabt, wenn er seine Adresse in L* … angegeben habe. Er habe keinen Grundwehrdienst geleistet. Vor seiner Ausreise habe er keine Nachricht vom Wehrkommando bekommen. Eventuell habe sein Onkel in Kiew, bei dem er kurze Zeit gewohnt habe, etwas bekommen.
Mit Bescheid vom 15. November 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Kläger ab, erkannte die Flüchtlingseigenschaft sowie einen subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Bei nicht fristgerechter Ausreise werde die Abschiebung in die Ukraine angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot werde auf 30 Monate befristet. Der Kläger zu 1 müsse nicht befürchten, zum Grundwehrdienst eingezogen zu werden, da er die Altersgrenze schon überschritten habe. Da er weder Wehrdienst noch Wehrersatzdienst geleistet habe, scheide auch eine Dienstpflicht als Reservist aus. Die Familie stamme zwar aus L* …, könne aber in anderen Landesteilen der Ukraine internen Schutz finden. Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 verfügten über gute Ausbildungen und Berufserfahrungen und könnten das nötige Familieneinkommen erwirtschaften. Bis zum dritten Lebensjahr des Klägers zu 4 könnten sie auch staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen. Darüber hinaus könnten sie sich als Binnenflüchtlinge registrieren und die nach dem ukrainischen IDP-Gesetz zur Verfügung stehenden Leistungen beantragen.
Mit Urteil vom 14. März 2017 hat das Verwaltungsgerichts Augsburg die Klage gegen den Bescheid vom 15. November 2016 abgewiesen. In der mündlichen Verhandlung habe der Kläger zu 1 ausgeführt, er wolle nicht gegen seine Landsleute in der Ostukraine kämpfen. Aus diesem Vorbringen ergäben sich keine echte Gewissensentscheidung und auch keine flüchtlingsschutzrelevante Gefährdungssituation. Der Kläger habe keinen Grundwehrdienst geleistet und dürfte daher für eine Einziehung als Reservist nicht in Frage kommen. An der Echtheit des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Einberufungsbescheids bestünden Zweifel, da im Klagebegründungsschriftsatz noch angegeben worden sei, der Onkel habe den Einberufungsbescheid bei seinem Umzug verloren. Es sei auch nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen keine weiteren Nachforschungen über den Onkel angestellt worden seien, sollte der Einberufungsbefehl tatsächlich echt sein.
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem sie geltend machen, an der Richtigkeit des Urteils bestünden ernstliche Zweifel und die Angelegenheit habe grundsätzliche Bedeutung. Das Verwaltungsgericht habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, da es die Echtheit des vorgelegten Einberufungsbescheids in Zweifel ziehe und dies in der mündlichen Verhandlung nicht geäußert habe. Der Kläger hätte ansonsten einen Beweisantrag gestellt. Dabei handele es sich um einen Verfahrensfehler. Dem Kläger sei auch das rechtliche Gehör verwehrt worden, da das Gericht in der mündlichen Verhandlung keine Erklärung zu den Unklarheiten in Bezug auf das Vorgehen der Militärbehörden abgegeben oder den Kläger dazu befragt habe. Der Kläger habe auch keine Möglichkeit gehabt, den Wehrdienst aus Gewissensgründen zu verweigern. Eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung verletze ihn daher in seinem Recht aus Art. 9 EMRK. Das Gericht spreche von einer echten Gewissensentscheidung ohne darzustellen, welche Voraussetzungen diese enthalten müsse.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da keiner der in § 78 Abs. 3 AsylG genannten Berufungszulassungsgründe hinreichend dargelegt ist.
1. Eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils kommt in Asylverfahren nicht in Betracht, da dieser Zulassungsgrund in § 78 Abs. 3 AsylG nicht vorgesehen ist.
2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Eine solche Frage kann der Begründung des Berufungszulassungsantrags nicht entnommen werden.
Selbst wenn man die Begründung des Berufungszulassungsantrags dahingehend verstehen wollte, dass grundsätzlich klärungsbedürftig sei, ob dem Kläger zu 1 wegen einer von ihm beabsichtigten Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohe, führt dies auf keine Frage, die für das Verwaltungsgericht von Bedeutung war. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass Art. 9 EMRK auf den Kläger nicht anwendbar ist, da seinen Äußerungen keine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entnommen werden könne. Die Frage, ob jemand, gestützt auf sein Gewissen oder tiefe und echte Glaubensüberzeugungen, den Wehrdienst verweigert, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl. EGMR, U.v. 7.7.2011 – 23459/03 – BeckRS 2012 80059 Leitsatz 4) und einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
3. Soweit die Kläger geltend machen, das Verwaltungsgericht habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, da es die Echtheit des Einberufungsbescheids nicht weiter untersucht habe, kann dies nicht zur Zulassung der Berufung führen. Ein Aufklärungsmangel ist kein absoluter Revisionsgrund i.S.d. § 138 Nr. 3 VwGO und damit kein Berufungszulassungsgrund im Asylverfahren (vgl. BayVGH, B.v. 19.8.2015 – 11 ZB 15.30161 – juris Rn. 9; B.v.18.5.2015 – 11 ZB 15.30087 – juris Rn. 3). Im Übrigen ist es Sache der Kläger, die auch in erster Instanz schon anwaltlich vertreten war, fristgerecht die Tatsachen vorzutragen, die ihre Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihnen drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben dazu zu machen (§§ 25 Abs. 1 Satz 1, 74 Abs. 1 Satz 1 AsylG, Art. 4 RL 2011/95/EU).
4. Ein Verfahrensfehler i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht hinreichend dargelegt. Die ordnungsgemäße Begründung einer Gehörsrüge im Zulassungsverfahren erfordert grundsätzlich Ausführungen dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 74).
Mit dem Berufungszulassungsantrag wird aber nur geltend gemacht, die Kläger hätten einen Beweisantrag gestellt, wenn das Gericht darauf hingewiesen hätte, dass es Zweifel an der Echtheit des Einberufungsbescheids habe. Welche Tatsachen durch welche Beweismittel hätten bewiesen werden sollen, wird jedoch nicht weiter ausgeführt. Ebenso wird nicht dargelegt, was die Kläger vorgetragen hätten, wenn das Verwaltungsgericht sie darauf hingewiesen hätte, dass es Unklarheiten in Bezug auf das Vorgehen der Militärbehörden sehe. Dieses Vorbringen genügt nicht den Darlegungsanforderung des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass hinsichtlich des angeblichen Einberufungsbescheids auch nicht nachvollziehbar ist, weshalb dieser an eine Adresse in Kiew geschickt worden sein soll, obgleich der Kläger zu 1 selbst angegeben hat, seine letzte Meldeadresse sei in L* … gewesen und er habe deswegen auch Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche gehabt. Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Onkel des Klägers zu 1 den angeblichen Einberufungsbefehl, der nach der vorgelegten Übersetzung eine Aufforderung enthält, am 5. August 2014 vor dem Militärkommissariat in Kiew zu erscheinen, nicht schon vor der Ausreise der Kläger am 9. Oktober 2014 übergeben hat und der Kläger zu 1 noch bei seiner Anhörung im Juni 2016 beim Bundesamt angegeben hat, er wisse nichts von einem Einberufungsbefehl. Ebenfalls nicht nachvollziehbar erscheint, dass der Kläger zu 1 die Ukraine im Oktober 2014 über den Flughafen Kiew ungehindert verlassen konnte, wenn er schon im August 2014 zum Militärdienst einberufen worden wäre. Angesichts dieser zahlreichen Ungereimtheiten bestand kein Anlass für das Verwaltungsgericht, der Echtheit des unter Verstoß gegen die Fristen des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG und § 87b Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Papiers nachzugehen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
6. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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