Verwaltungsrecht

Keine zwingende charakterliche Nichteignung wegen nachlässigen Umgangs mit eigenen bzw. fremden Bekleidungsgegenständen

Aktenzeichen  M 5 K 17.916

Datum:
9.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28029
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 10 S. 1, § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
BayBG Art. 44 Abs. 2, Art. 56 Abs. 3
StPO § 170 Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
LlbG Art. 12 Abs. 5
BayVwVfG Art. 46

 

Leitsatz

1. Eine Entlassungsverfügung muss einen Entlassungstenor enthalten, der Entlassungszeitpunkt und Entlassungsgrund benennt, da beides Regelungswirkung entfaltet; insbesondere können sich je nach Entlassungsgrund unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben (Fortführung VG München BeckRS 2018, 20952). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein vorsätzliches Entwenden oder Behalten von Kleidungsstücken kann einem Polizeibeamten auf Probe nicht vorgeworfen werden, wenn nichts vorgetragen wird, was den Schluss zulässt, der Beamte sei bewusst untätig geblieben und habe die Gegenstände trotz der Kenntnis, dass es sich nicht um seine eigenen handele, nicht zurückgegeben. (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Polizeibeamten auf Probe kann auch nicht zur Last gelegt werden, dass er ihm offensichtlich nicht zugehörige Kleidungstücke nicht bemerkt und dann nicht zeitnah zurückgegeben habe, wenn wie vorliegend in der Truppe insgesamt ein wohl systemimmanenter, ungeordneter Umgang mit Kleidungsstücken vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Präsidiums der … … vom 10. Februar 2017 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe ist § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG). Danach kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn er sich in der Probezeit nicht bewährt hat. Nach Art. 56 Abs. 3 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) ist die Entlassungsverfügung unter Angabe des Grundes und des Zeitpunktes der Entlassung zuzustellen. Der Entlassungstatbestand steht im Zusammenhang mit § 10 Satz 1 BeamtStG, wonach in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nur berufen werden darf, wer sich in der Probezeit hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bewährt hat. Steht die fehlende Bewährung fest, ist der Beamte zu entlassen, Art. 12 Abs. 5 Gesetz über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz – LlbG). Mangelnde Bewährung liegt bereits dann vor, wenn begründete Zweifel bestehen, ob der Beamte die Anforderungen, die mit der Wahrnehmung der Ämter seiner Laufbahn verbunden sind, erfüllen kann (Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand Februar 2018, § 23 BeamtStG, Rn. 136). Die diesbezügliche Prognoseentscheidung ist gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Begriff der mangelnden Bewährung und die gesetzlichen Grenzen des dem Dienstherrn zukommenden Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt und ob allgemeine Wertmaßstäbe beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sind (vgl. zum Ganzen BayVGH, U.v. 13.1.2016 – 3 B 14.1487 – juris Rn. 33 ff. m.N.).
2. Es ist bereits fraglich, ob der Entlassungsbescheid in formeller Hinsicht den Anforderungen gem. Art. 56 Abs. 3 BayBG genügt, wonach die Entlassungsverfügung u.a. unter Angabe des Grundes der Entlassung zuzustellen ist. Dies dürfte dahingehend zu verstehen sein, dass der Entlassungsgrund bereits im Tenor zumindest in allgemeiner Form benannt werden muss.
a) Entlassungsgrund ist primär der Entlassungstatbestand. Bei der – zweckmäßigen – Aufteilung der Entlassungsverfügung in den Entscheidungssatz (Tenor) und die Begründung genügt es zwar, wenn die näheren Angaben zur Entlassung in der Begründung festgehalten werden. Der Tenor muss den Entlassungstatbestand aber zumindest allgemein bezeichnen, z.B. „Entlassung auf Antrag“ oder „Beamter wird wegen mangelnder Bewährung entlassen“. Der Entlassungsgrund ist deswegen genau festzulegen, weil sich je nach dem Entlassungsgrund unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben können. Nicht nur der – unbestritten im Tenor anzugebende – Entlassungszeitpunkt, sondern auch der jeweilige Entlassungsgrund hat somit Regelungswirkung. Auch können mehrere Entlassungsgründe vorliegen, auf welche die Entlassungsverfügung sowohl alternativ als auch kumulativ gestützt werden kann. Eine Entlassungsverfügung ist hinsichtlich des Entlassungsgrundes zwar auslegungsfähig, so bei einem unvollständigen oder unklaren Entscheidungssatz (vgl. Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, a.a.O., Art. 56 BayBG, Rn. 30; so auch schon zur Vorschrift des Art. 44 Abs. 2 BayBG a.F.: Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/ Zängl, BayBG, Stand September 2007, Art. 44 Anm. 4c; Weißgerber/Maier in Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht Bayern, Stand 1.2.2018, Art. 56 Rn. 11). Der Tenor muss aber jedenfalls überhaupt eine Aussage zum Entlassungsgrund enthalten (VG München, B.v. 6.7.2018 – M 5 S 18.2145 – BeckRS 2018, 20952; B.v. 24.7.2017 – M 5 S 17.1703 – nicht veröffentlicht).
Das ist vorliegend nicht der Fall. Der angegriffene Bescheid enthält in seinem Entscheidungssatz (Tenor) nur den Zeitpunkt der Entlassung („mit Ablauf des …03.2017“), nicht jedoch den Entlassungsgrund.
b) Bei Art. 56 Abs. 3 BayBG handelt es sich nicht nur um eine reine Ordnungsvorschrift. Vielmehr führt dessen Nichtbeachtung grundsätzlich zur formellen Rechtswidrigkeit des Bescheids. Hinsichtlich der Angabe des Zeitpunkts der Entlassung besteht darüber – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung auch Einigkeit. Für den Grund der Entlassung – in Art. 56 Abs. 3 BayBG gleichberechtigt neben dem Zeitpunkt der Entlassung genannt – kann daher nichts anderes gelten.
c) Allerdings ist denkbar, dass dieser formale Fehler die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat und daher gem. Art. 46 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) unbeachtlich ist.
3. Jedenfalls aber hält der angegriffene Entlassungsbescheid einer materiell-rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Beklagte hat aufgrund des angeblich äußerst nachlässigen Umgangs des Klägers mit eigenen bzw. den Ausrüstungsgegenständen anderer Kollegen begründete Zweifel an dessen charakterlicher Eignung angenommen. Sein Verhalten zerstöre das notwendige Vertrauen des Dienstherrn und der Bediensteten in den Kläger und untereinander. Die Negativprognose bestätige sich durch seinen mangelnden Arbeitseifer. Diese Bewertung und die darauf basierende Entlassungsverfügung sind in mehrfacher Hinsicht rechtlich fehlerhaft. Teilweise basiert die angegriffene Entscheidung auf einem unzutreffenden Sachverhalt, teilweise werden entscheidungserhebliche Umstände nicht bedacht. Im Ergebnis erweist sich die Entlassung gemessen an den zu berücksichtigen Umständen als unverhältnismäßig.
a) Zum einen ist bereits nicht erkennbar, inwiefern der Kläger einen nachlässigen Umgang mit seinen eigenen Gegenständen gezeigt haben soll. Es ist nicht vorgetragen, dass eigene Bekleidungsstücke des Klägers abhandengekommen sind, beschädigt wurden oder in sonstiger Weise beeinträchtigt waren. Soweit dem Kläger beim Schlussantreten im Jahr 2014 oder 2015 seine Lederjacke kurzzeitig abhandenkam und er in der Folge stattdessen die eines Kollegen trug, ließ sich diese Verwechslung zeitnah aufklären. Der Kläger erhielt seine eigene Jacke zurück. Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass er seine eigenen Gegenstände nicht ordnungsgemäß behandelt habe. Etwas anderes ist vom Beklagten jedenfalls nicht konkret dargelegt.
Insgesamt erweckt die Schilderung des Klägers und der beteiligten Kollegen den Eindruck, dass es sich bei dem Vorfall mit der Lederjacke um ein allgemeines Missverständnis gehandelt hat. Schließlich befand sich nach den Angaben des D.K. bei dessen polizeilicher Vernehmung auch die Jacke des Klägers nicht an ihrem üblichen Platz. Es sei eine hektische Situation gewesen. Letztlich fand D.K. seine eigene Jacke, sodass er ein überzähliges Exemplar besaß. Der Kläger, der zwar fälschlich die Lederjacke des Kollegen H. trug, kam eigenständig auf D.K. zu und sprach ihn auf die Lederjacke an. Daraus lässt sich ableiten, dass der Kläger die Verwechslung scheinbar bemerkt hatte und wohl auf der Suche nach seiner Jacke war. Ein nachlässiger Umgang oder fehlendes Bemühen lassen sich hieran nicht festmachen.
b) Auch im Hinblick auf den Umgang mit den Gegenständen anderer Kollegen ist der Vorwurf fehlender charakterliche Eignung nicht nachvollziehbar, soweit er sich auf ein bewusstes Behalten stützt.
Der Beklagte ist an den strafrechtlichen Freispruch bei der Beurteilung der beamtenrechtlichen Eignung nicht gebunden. Der Dienstherr kann daher den einem Strafverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt bei der Beurteilung der Eignung des Betroffenen – wie im vorliegenden Fall – zugrunde legen, auch wenn das Verfahren zu einem strafrechtlichen Freispruch geführt hat. Denn es ist insoweit gesetzlich keine ausdrückliche Bindungswirkung angeordnet. Der strafgerichtliche Freispruch verbietet grundsätzlich nur materielle strafrechtliche Folgen aus der Tat. Bei der Frage der Entlassung eines Beamten wegen mangelnder Bewährung in der Probezeit handelt es sich aber nicht um ein Strafverfahren (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 24.1.2017 – 2 B 75/16 – NJW 2017, 2295 Rn. 8 ff.).
Vorliegend fehlt es jedoch an einer ausdrücklichen und hinreichenden Begründung dafür, dass beim Kläger ein bewusstes Behalten fremder Uniformteile vorgelegen hätte. Der Beklagte hat nichts vorgetragen, was den Schluss zulässt, der Kläger sei bewusst untätig geblieben und habe die Gegenstände trotz der Kenntnis nicht zurückgegeben, dass es sich nicht um seine eigenen handelte. Ein vorsätzliches Entwenden oder Behalten der Kleidungsstücke kann dem Kläger daher grundsätzlich nicht vorgeworfen werden. Soweit der Beklagte dem Kläger im streitgegenständlichen Bescheid zur Last legt, Gegenstände anderer – wenn auch straflos – behalten zu haben, impliziert dies jedoch die Unterstellung eines absichtlichen bzw. bewussten Verhaltens, nämlich die unterbliebene Rückgabe der Gegenstände trotz Erkennens ihrer Fremdheit.
Im Übrigen stützt sich der Beklagte teilweise auch auf bloße Vermutungen. So habe der Kollege D.D. gesehen, dass der Kläger neben dessen Dienstmütze einen kleinen Zettel in der Hand gehalten habe. Der Beklagte leitet daraus ab, der Kläger habe diesen Zettel mit seinem Namen beschriftet und die fremde Dienstmütze damit kennzeichnen wollen. Es ist aber weder gesichert festgestellt, dass der Kläger eine solche Kennzeichnung vornehmen wollte, noch, ob auf dem Zettel überhaupt sein Name stand oder ob dem Kläger bewusst war, dass es sich um die Mütze des Kollegen D.D. handelte. Er selbst gibt an, er habe gedacht, die Mütze gehöre ihm. Auf die Mütze angesprochen, gab der Kläger diese ohne Weiteres zurück.
c) Die begründeten Zweifel an der charakterlichen Eignung könnten allenfalls darauf gestützt werden, dass der Kläger die Fremdheit zwar tatsächlich nicht erkannte, diese aber hätte erkennen müssen. Dieser Vorwurf trifft aber allenfalls auf den Damenparka (weil Damenbekleidung), das Paar Lederhandschuhe mit Protektoren (weil Damenhandschuh und Überzahl) und die Regenjacke (weil Kennzeichnung mit „…“ und Überzahl) zu. Allerdings kann dieser bereits quantitativ dürftige Vorwurf (drei fremde Bekleidungsstücke innerhalb von vier Dienstjahren) die Entlassungsverfügung auch in qualitativer Hinsicht angesichts der in der Truppe insgesamt ungeordneten Bekleidungssituation und mangels negativer Auswirkungen innerhalb und außerhalb der Truppe nicht rechtfertigen.
(1) Es ist bereits für einen objektiven Dritten größtenteils nicht erkennbar, welche Gegenstände dem Kläger zuzuordnen und welche für ihn fremd waren.
So legt der Beklagte dem Kläger zur Last, er habe überzählige Handschuhpaare (Asservat 1) besessen, welche ihm nicht von seinem Dienstherrn ausgegeben wurden. Es hat sich jedoch kein anderer Kollege gefunden, der die entsprechenden Handschuhe vermisste. Möglich ist vielmehr – wie vom Kläger auch vorgetragen – dass sich der Beamte diese Exemplare privat angeschafft hat. Allein die Tatsache, dass der Kläger im Besitz von mehr als einem Paar Handschuhe war, lässt nicht darauf schließen, dass er diese unrechtmäßig besessen hat.
Eine Überzahl lag laut dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers bezüglich der Hemden (Asservat 3, 3a), der Einsatzoveralljacke mit der Kennzeichnung „D K“ (Asservat 5), der Lederjacke mit der durchgestrichenen und mit „… ersetzten Kennzeichnung „D K“ (Asservat 9) und der schnitthemmenden Lederhandschuhe (Asservat 12) nicht vor.
Diese Gegenstände wurden auch nicht (Hemden, Einsatzoveralljacke, Lederjacke) bzw. jedenfalls nicht so, als dass der Kläger dies hätte wissen können (schnitthemmende Lederhandschuhe), vermisst.
Auch die vom Bekleidungsnachweis des Klägers abweichenden Größen sprechen nicht für eine Fremdheit dieser Gegenstände. Die Zeugenaussagen der Kollegen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren haben ergeben, dass sie zum Teil die an sie ausgegebenen Kleidergrößen nicht kennen und bei Verlust von Bekleidungsgegenstände diese entweder auf eigene Rechnung in ggf. anderer Größe nachkaufen oder vom Dienstherrn (zum Teil gegen Kostenerstattung) erneut ausgegeben bekommen, ohne dass dies im Bekleidungsnachweis vermerkt werden würde. Die im Bekleidungsnachweis des Klägers ersichtlichen Größen sind zudem nicht einheitlich, sondern variieren. So hat er die Regenschutzjacke in Größe M erhalten, den Parka dagegen in Größe L; eine RV-Jacke in Größe 48, die Dienstjacke demgegenüber in Größe 52. Darüber hinaus argumentiert der Beklagte selbst, dass die Größen im Bekleidungsnachweis häufig nicht mit den ausgegebenen Größen übereinstimmen. Denkbar ist etwa, dass sich durch einen Austausch im Laufe der Zeit Größenabweichungen ergeben haben, sei es wegen körperlicher Veränderungen, sei es aus Zufall. Der Bekleidungsnachweis datiert vom 2. März 2011 und betrifft daher lediglich die Erstausstattung. Auch könnten Gegenstände tatsächlich zwischen den Kollegen vertauscht worden sein, was jedoch unter Umständen von keinem der beteiligten Beamten negativ empfunden wurde. Auch andere Kollegen tragen wohl Dienstkleidung in Größen, die nicht der ursprünglich an sie ausgegebenen entspricht. Zudem weichen die aufgefundenen Größen von denen des Bekleidungsnachweises nicht in einem Ausmaß ab, dass dies sofort hätte ins Auge springen müssen (vorgefundener Lederblouson mit Größe 48 statt 50, Hemd mit Größe 38 statt 39/40).
Ebenso kann – insbesondere hinsichtlich der Einsatzoveralljacke – nicht von den in den Kleidungsstücken teilweise vorgefundenen Namens- bzw. Initialeneintragungen auf deren Fremdheit geschlossen werden. Die mit „D K“ gekennzeichnete Einsatzoveralljacke deutet zwar auf eine Zugehörigkeit zu dem Kollegen D.K. hin. Dieser hat laut Bekleidungsnachweis eine Einsatzoveralljacke allerdings Größe 52 und nicht in der aufgefundenen Größe 48 erhalten. Es scheint vielmehr so, dass in der Truppe Namen und Initialen auch in (fremde) Kleidungsstücke eingetragen werden, diese dann jedoch zu einem anderen Kollegen (zurück-)gelangen, ohne dass es insgesamt bei jemandem zu einem Bekleidungsdefizit kommen würde. So finden sich auch in der beim Kläger aufgefundenen Lederjacke die Initialen „D K“, obwohl der Kollege D.K. laut eigener Aussage seine Lederjacke bei dem Verwechslungsvorfall im Jahr 2014 oder 2015 zurückerhalten hat und weder D.K. noch ein anderer Beamter eine Lederjacke seither vermisst. Gleiches gilt für die aufgefundene Schirmmütze mit der durchgestrichenen Namenseintragung „…“: Der Kollege … vermisst keine Schirmmütze und gibt an, seine nie verloren zu haben.
Soweit keine Überzahl vorlag und Bekleidungsstücke nicht vermisst wurden, kann der Vorwurf eines nachlässigen Umgangs mit Bekleidungsstücken anderer daher trotz Größenabweichungen und fremder Namens- oder Initialeneintragung nicht überzeugen.
(2) Für eine Einschätzung, ob der Kläger die Fremdheit hätte erkennen müssen, ist auch die in dem Entlassungsbescheid aufgestellte Behauptung des Beklagten näher in den Blick zu nehmen, in der Gruppe des Klägers seien häufiger als in anderen Gruppen Dinge verschwunden, Kollegen hätten Bekleidungstücke vermisst; dies sei dem Kläger bekannt gewesen. In diese Richtung haben sich die Kollegin D.S. sowie der in einer anderen Klasse befindliche Kollege H.J. geäußert, der angab, er habe dies von anderen Personen gehört. D.K. hat hingegen ausgesagt, ihm sei über den Vorfall mit der Lederjacke hinaus nicht bekannt gewesen, dass andere Kollegen Gegenstände vermisst hätten oder Bekleidung öfters verschwinde. Auch der Kläger selbst trägt vor, er habe weder allgemein noch konkret von verschwundenen Gegenständen Kenntnis gehabt. Die Kollegen F.M., D.K. sowie N.P. sagten aus, dass der Kläger von ihnen nicht explizit darüber informiert worden war, dass sie Gegenstände vermissten. Es scheint mithin eher so, dass weder allgemein in der Truppe noch konkret dem Kläger ein (gehäuftes) Verschwinden von Gegenständen bekannt war. Der Beklagte hat zudem keine Nachweise erbracht, dass es gewisse Unregelmäßigkeiten gegeben hat und dass der Kläger dies wusste oder hätte wissen müssen.
(3) Dem Kläger kann aus diesem Grund (nur) zur Last gelegt werden, dass er ihm offensichtlich nicht zugehörige Kleidungstücke nicht bemerkt hat.
Dies betrifft den Damenparka, welcher laut der Kollegin D.S. wegen der kleineren Damenschulterklappen leicht erkennbar gewesen sei, sowie die Regenjacke Größe S, die beim Kläger in Überzahl vorhanden und mit dem Namen „…“ gekennzeichnet war, und das Paar Lederhandschuhe mit Protektoren, das links in der Damenausführung und insgesamt in Überzahl vorhanden war. Bei diesen Kleidungsstücken ist wohl davon auszugehen, dass die geschlechtsverschiedene Ausführung bzw. die Überzahl einem gewissenhaften Beamten hätten auffallen müssen. Fraglich ist aber, ob dieser Vorwurf hinreichend schwer wiegt und daher allein ausreicht, um eine charakterliche Ungeeignetheit des Klägers zu begründen.
(a) Dies ist bereits deshalb zu verneinen, weil in der Truppe insgesamt ein – wohl systemimmanenter – ungeordneter Umgang mit Kleidungsstücken vorherrscht.
Die Dienstkleidung ist für alle Beamte dem Grunde nach die Gleiche. Der Bekleidungsnachweis stimmt allerdings nicht immer mit der (ggf. erneut) ausgegebenen oder privat (nach-)gekauften Bekleidung überein, die Beamten kennen ihre eigene Größe nicht, Namens- bzw. Initialeneintragungen werden in fremden Kleidungsstücken getätigt. Dementsprechend kommt es immer wieder – nicht nur seitens des Klägers – zu Verwechslungen. Dies hat jedoch ausweislich der polizeilichen Zeugenvernehmungen – und entgegen der Darstellung des Beklagten in dem angefochtenen Bescheid – bisher nicht zu einem Vertrauensverlust innerhalt der Truppe oder gar zu einer Beeinträchtigung des Außenbildes der Bayerischen Polizei geführt.
Einigen Richtern der erkennenden Kammer ist aus eigener Erfahrung als frühere Soldaten bekannt, wie schnell es gerade bei Einsätzen zu einem unabsichtlichen Vertauschen von Uniformteilen kommen kann. Aufgrund des gleichen Aussehens ist es relativ schwer, die vertauschten Gegenstände dem ursprünglichen Besitzer zuzuordnen.
Auch das Risiko eines zukünftigen Vertrauens- und Ansehensverlusts dürfte zu verneinen sein, da die Bekleidungsverwechslungen in der Truppe als reguläre Begleiterscheinung wahrgenommen werden (vgl. polizeiliche Zeugenvernehmung des D.G. Bl. 220 d. StA-Akte sowie des D.K. Bl. 221 d. StA-Akte). Darüber hinaus dürfte das Verhalten des Klägers angesichts dieser Gesamtsituation kein Einzelfall sein. So haben bspw. auch der Kollege D.K. (Lederjacke) zumindest kurzzeitig und wohl auch der Kollege … (Schirmmütze) fremde Bekleidungsgegenstände unerkannt in Besitz gehabt. Der Kollege D.K. hatte den Verlust seiner Einsatzoveralljacke bis zu der dienstlichen Aufforderung zur Nachschau nicht bemerkt. Eine gesteigerte, mithin „äußerste“ Nachlässigkeit kann dem Kläger daher nicht zum Vorwurf gemacht werden.
(b) Im Hinblick auf die Regenjacke sowie die Lederhandschuhe mit Protektoren bestand aus Sicht eines objektiven gewissenhaften Dritten in der Gruppe des Klägers – und damit erst recht subjektiv für den Kläger – schon keine Veranlassung zur Nachschau. Der Verlust dieser Gegenstände war – jedenfalls in der Gruppe des Klägers – nicht bekannt. Auch ein allgemeiner Eindruck dahingehend, dass in der Gruppe des Klägers gehäuft Gegenstände abhandenkamen, bestand wie oben aufgezeigt nicht. Vielmehr spricht das bisherige Verhalten des Klägers dafür, dass er als fremd erkannte Gegenstände (vgl. Lederjacke des D.K. und Dienstmütze des D.D.) umgehend zurückgab. Dieser Eindruck wird auch nicht dadurch relativiert, dass der Kläger trotz ausdrücklicher Aufforderung der Kollegin D.S. den (wohl ihrigen) Damenparka in seinem Zimmer nicht als fremd erkannte und zurückgab. Denn zum einen war der Parka beim Kläger ausweislich der vorgelegten Akten nicht in Überzahl vorhanden. Zum anderen verblieb dem Kläger zur Nachschau aufgrund seines baldigen Urlaubsantritts nur knapp ein Tag.
(c) Darüber hinaus hatte das (geringfügige) Fehlverhalten des Klägers keine negativen Auswirkungen auf die Truppe selbst oder die Außenwahrnehmung der Bayerischen Polizei. Ausweislich der polizeilichen Zeugenvernehmungen werden Bekleidungsverwechslungen in der Truppe als regulärer Vorgang empfunden, von dem sich das Fehlverhalten des Klägers weder quantitativ noch qualitativ abhebt. Ein Vertrauensverlust in der Truppe insgesamt oder konkret gegenüber dem Kläger ist damit nicht eingetreten. Zudem handelt es sich hier um rein interne Vorfälle, die – soweit ersichtlich – bisher keinerlei Außenwirkung gezeigt haben und auch wenig geeignet erscheinen, an die Öffentlichkeit zu dringen und Schaden zu hinterlassen. Die pauschale Begründung des Beklagten, es sei gegenüber der Öffentlichkeit nicht vertretbar, dass Polizeibeamte Sachen Anderer finden und keine Bemühungen zeigen, diese zurückzugeben, vermag insofern nicht zu überzeugen.
(4) Darüber hinaus ist der Kläger durch seinen Dienstherrn nicht zuvor abgemahnt worden. Eine Abmahnung ist jedoch erforderlich, wenn die Mängel behebbar sind und eine Entlassung für den Beamten andernfalls überraschend käme, es sei denn, das fragliche Verhalten ist offensichtlich gravierend dienstpflichtwidrig (BVerfG, B.v. 15.12.1976 – 2 BvR 841/73 – BVerfGE 43, 154-197 – juris Rn. 113; BVerwG, B.v. 24.1.2017 – 2 B 75/16 – NJW 201, 2295 Rn. 28; BayVGH, U.v. 28.7.2016 – 3 B 14.1431 – BeckRS 2016, 50748 Rn. 91; B.v. 10.9.2009 – 3 ZB 07.2118 – BeckRS 2009, 43688 Rn. 16; B.v. 16.6.1998 – 3 B 96.2870 – BeckRS 1998, 19250 Rn. 38; Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, a.a.O., Art. 23 BeamtStG, Rn. 150). Bei Leistungsmängeln sowie dienstlich zu beanstandendem Verhalten ist für den Beamten nämlich häufig nicht deutlich erkennbar, welches Gewicht diesen Mängeln seitens des Dienstherrn beigemessen wird. So liegt der Fall auch hier. Die benannten Vorfälle waren zudem nicht so gravierend, dass sie eine sofortige Entlassung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen würden.
(a) Bis zu der Zimmerdurchsuchung war dem Kläger augenscheinlich nicht bewusst, dass ein Fehlverhalten vorliegen und er Anlass haben könnte, sich sorgfältiger zu verhalten. Zwar liegen zwischen dem Auffinden der Gegenstände und der Entlassungsverfügung mehr als zwei Jahre; in dieser Zeit war dem Kläger jedoch die Führung der Dienstgeschäfte untersagt, sodass er keine Gelegenheit hatte, sein Verhalten zu ändern und die Entlassung für ihn daher überraschend kam.
(b) Es ist auch grundsätzlich zu erwarten, dass ein Beamter seinen nachlässigen Umgang mit Bekleidungsstücken nach einer dahingehenden Abmahnung bessert und einen derart aufmerksamen Kleidungsumgang pflegt, dass ihm geschlechtsverschiedene Kleidungsstücke oder Überzahlen auffallen und er entsprechend handeln kann. Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich bei dem hier in Streit stehenden Verhalten um einen (behaupteten) charakterlichen Eignungsmangel handelt. Auch charakterliche Eigenschaften können sich – je nach ihrer Art und Intensität – entwickeln und ändern. Zu den änderungsfähigen Eigenschaften zählt jedenfalls die Nachlässigkeit im Umgang mit fremden Kleidungsstücken, die durch gehörige Anspannung der Aufmerksamkeit abgemildert und sogar abgestellt werden kann (vgl. zur Abänderbarkeit von u.a. nachlässiger Nichteinhaltung von Terminen und Hinwegsetzen über dienstliche Anordnungen BayVGH, B.v. 27.8.2014 – 3 ZB 13.2214 – BeckRS 2014, 55966 Rn. 20, 31). Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die gegen die Fähig- und Willigkeit des Klägers sprechen, seine Aufmerksamkeit dahingehend zu intensivieren, zumal es sich um ein jeweils punktuelles, unvorsätzliches Fehlverhalten handelt, das der fortlaufenden Kontrolle des Dienstherrn zugänglich ist (anders in BGH, U.v. 7.5.2009 – RiZ(R) 1/08, IBRRS 2009, 2326).
(c) Das dem Kläger i.E. vorwerfbare Verhalten (Nichterkennen der Fremdheit von drei Kleidungsstücken in vier Dienstjahren) ist weder in seiner Quantität noch in seiner Qualität derart dienstpflichtwidrig und hat auch keine derartigen weiteren Folgen gezeitigt, dass eine Entlassung ausnahmsweise ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt wäre.
d) Soweit im streitgegenständlichen Bescheid angeführt ist, auch das übrige dienstliche Verhalten könne nichts an der negativen Prognose ändern, ist dies ohne Gewicht. Zum einen ist das Vorbringen in diesen Punkten – zu denen auch keine Anhörung des Klägers erfolgte – unsubstantiiert. Es ist nicht konkret dargelegt, inwiefern sich mangelnder Arbeitseifer, minimalistisches Verhalten und ein Entzug von Routineaufgaben gezeigt haben sollen. Zum anderen hat der Dienstherr das offenbar selbst nicht als Grundlage für die Entlassungsverfügung angesehen, sondern die Erwägungen lediglich im Rahmen einer Interessenabwägung ergänzend herangezogen. Sie sind für sich gesehen nicht geeignet, eine Entlassung wegen charakterlicher Ungeeignetheit zu begründen.
4. Die Kosten waren dem Beklagten als unterlegenem Beteiligten aufzuerlegen, § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 709 Satz 2 Zivilprozessordnung.


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