Verwaltungsrecht

Klage auf Duldung ohne Auflage der Beschränkung des Aufenthalts auf den Freistaat Bayern

Aktenzeichen  Au 9 K 21.452

Datum:
22.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21327
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG  § 61 Abs. 1c S. 1 Nr. 3
VwGO § 114 S. 2

 

Leitsatz

1. Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts nach § 61 Abs. 1c AufenthG ist als sog. Dauerverwaltungsakt zu qualifizieren, dessen Regelungswirkung sich nicht in der einmaligen Befolgung erschöpft, sondern der für die Dauer der räumlichen Beschränkung des Aufenthalts Rechtsgrundlage ist und entsprechende Wirkungen entfaltet. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stehen bevor, wenn die Ausländerbehörde erstmals zielgerichtet und konkret tätig geworden ist, um die grundsätzlich mögliche Abschiebung einzuleiten, ohne dass bereits ein bestimmter Zeitpunkt für diese feststehen muss. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Soweit sich die Klage gegen die in der Bescheinigung vom 5. Februar 2021 über die Beantragung einer Duldung verfügte Beschränkung des Aufenthalts auf den Freistaat Bayern richtet, ist diese bereits unzulässig, da diese Bescheinigung mit Erteilung der Duldung durch Bescheid vom 22. Februar 2021 ihre Erledigung gefunden hat.
Soweit sich die Klage gegen die in Nr. 3 des Bescheids des Beklagten vom 22. Februar 2021 verfügte Beschränkung des Aufenthalts auf den Freistaat Bayern, verlängert am 2. Juni 2021, richtet, ist die Klage zulässig. Die angefochtene Auflage stellt eine mit der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO) isoliert anfechtbare Nebenbestimmung zur Duldungserteilung dar, da diese einen den Duldungsinhaber belastenden Regelungscharakter im Sinn von Art. 35 BayVwVfG beinhaltet.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Auflage ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Beschränkung des räumlichen Aufenthalts auf den Freistaat Bayern (Nr. 3 des Bescheids vom 22. Februar 2021) ist § 61 Abs. 1c Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Nach dieser Bestimmung kann eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers angeordnet werden, wenn konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung gegen den Ausländer bevorstehen. Dabei stellt das Gericht hinsichtlich der maßgeblichen Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt dieser Entscheidung ab, da die räumliche Beschränkung des Aufenthalts nach § 61 Abs. 1c AufenthG als sog. Dauerverwaltungsakt zu qualifizieren ist, dessen Regelungswirkung sich nicht in der einmaligen Befolgung erschöpft, sondern der für die Dauer der räumlichen Beschränkung des Aufenthalts Rechtsgrundlage ist und entsprechende Wirkungen entfaltet (OVG SH, B.v. 21.2.2019 – 11 B 15/19 – juris Rn. 9).
a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer räumliche Beschränkung des Aufenthalts des Klägers liegen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als dem bei Dauerverwaltungsakten maßgeblichen Zeitpunkt vor.
aa) Der Kläger ist nach §§ 50 Abs. 2, 58 Abs. 2 AufenthG, §§ 36 und 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG und Nr. 3 des Tenors des bestandskräftigen Bescheids des Bundesamts vom 27. September 2018 vollziehbar ausreisepflichtig. Der vom Kläger gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ändert hieran nichts, da diese keine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG entfalten konnte.
bb) Weiterhin stehen konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vor.
Für die Beurteilung der Frage, wann konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorliegen, ist der gleiche Maßstab anzuwenden wie bei § 60c Abs. 2 Nr. 5 Halbsatz 1 AufenthG (Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 61 AufenthG Rn. 18). Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stehen demgemäß bevor, wenn die Ausländerbehörde erstmals zielgerichtet und konkret tätig geworden ist, um die grundsätzlich mögliche Abschiebung einzuleiten, ohne dass bereits ein bestimmter Zeitpunkt für diese feststehen muss (Dollinger in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 60c AufenthG Rn. 38). Konkrete Maßnahmen können etwa sein die Erstellung eines Rückübernahmeersuchens, die Einleitung der Buchung von Transportmitteln für die Abschiebung oder vergleichbar konkrete Vorbereitungshandlungen. Der Beklagte hat eine solchermaßen konkrete Maßnahme bereits eingeleitet. So war bereits am 16. Juni 2019 eine Rückführung nach Dänemark vorgesehen, die jedoch an daran scheiterte, dass der Kläger in der ihm zugewiesenen Unterkunft nicht angetroffen wurde. Am 24. September 2020 stellte die Ausländerbehörde erneut einen Antrag auf Durchführung der Luftabschiebung nach Dänemark, die ebenfalls daran scheiterte, dass sich der Kläger nicht in seiner Unterkunft aufhielt. Ein weiterer Antrag auf Luftabschiebung vom 5. Februar 2021 konnte aus organisatorischen Gründen nicht durchgeführt werden. Nach den Angaben des Beklagten im gerichtlichen Verfahren ist mit der Buchung eines weiteren baldigen Rückführungstermins zu rechnen. Konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen liegen daher vor. Der Beklagte hat nicht zu verstehen gegeben, dass er von der Rückführung des Klägers nach Dänemark Abstand nehmen wird.
b) Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anordnung einer räumlichen Beschränkung des Aufenthalts vor, so steht die Anordnung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Gerichtlich überprüfbare Ermessensfehler sind nicht erkennbar (§ 114 Satz 1 VwGO, Art. 40 bei VwVfG). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgetragenen gesundheitlichen Einschränkungen seiner Eltern. Die zunächst geltend gemachten beruflichen Gründe waren nicht weiter zu berücksichtigen, da der Kläger aufgrund des Erlöschens seiner Arbeitserlaubnis mit Wirkung vom 23. Dezember 2020 seinen Arbeitsplatz verloren hat. Eine weitere Arbeitstätigkeit, die im Rahmen der Ermessensentscheidung Berücksichtigung finden könnte, ist nicht gegeben.
Unter Berücksichtigung des Normzwecks der Anordnung der räumlichen Aufenthaltsbeschränkung sind die vom Beklagten angestellten Ermessenserwägungen nicht zu beanstanden. Zwar wurden im streitgegenständlichen Bescheid die gesundheitlichen Gründe der Eltern des Klägers im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt, dieses führt jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung, da der Beklagte die Ermessenserwägungen insoweit in der mündlichen Verhandlung ergänzen konnte. Im Verwaltungsverfahren hatte der Kläger gegenüber dem Beklagten lediglich geltend gemacht, die räumliche Aufenthaltsbeschränkung stehe im Widerspruch zu seiner beruflichen Tätigkeit bei einer Firma in Baden-Württemberg. Die gesundheitliche Situation seiner Eltern bzw. deren Betreuungsbedürftigkeit war im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung nicht geltend gemacht worden. Da es sich bei der Beschränkung des räumlichen Aufenthalts nach § 61 Abs. 1c AufenthG um einen Dauerverwaltungsakt handelt, sind auch nachträglich geltend gemachte Umstände, wie vorliegend die gesundheitliche Situation der Eltern des Klägers, zu berücksichtigen. Der Beklagte hat seine Ermessensentscheidung jedoch während des Klageverfahrens in einer § 114 Satz 2 VwGO entsprechenden Weise ergänzt.
Gemäß § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Ob ein Nachschieben von Ermessenserwägungen zulässig ist, bestimmt sich nach dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht. § 114 Satz 2 VwGO regelt lediglich, unter welchen Voraussetzungen veränderte Ermessungserwägungen im Prozess zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 – 1 C 14.10 – juris Rn. 11). Da für die rechtliche Beurteilung von Dauerverwaltungsakten grundsätzlich die jeweils aktuelle Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, muss das Prozessverhalten des Betroffenen sich auf zukunftsbezogene Veränderungen einstellen (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – juris Rn. 33). Hingegen kann ein wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidriger Verwaltungsakt im gerichtlichen Verfahren nicht im Wege einer Ergänzung nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt werden. Die genannte Norm setzt nämlich voraus, dass bereits bei Erlass der behördlichen Entscheidung Ermessenserwägungen angestellt worden sind, das Ermessen also in irgendeiner Weise betätigt worden ist.
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Beklagte die erst nachträglich vorgetragenen Gesichtspunkte im Klageverfahren in seine Entscheidung einbezogen, gewürdigt und in ermessensfehlerfreier Weise an seiner Entscheidung festgehalten. Da der Beklagte bei Erlass der streitgegenständlichen Anordnung zur Beschränkung des räumlichen Aufenthalts sein Ermessen erkannt und ausgeübt hat, konnte er die Erwägungen nachträglich im gerichtlichen Verfahren noch ergänzen. So hat der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass auch die Betreuungsbedürftigkeit der Eltern des Klägers keine andere Entscheidung rechtfertige. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass sich die Schwester des Klägers in der gleichen Stadt wie die gemeinsamen Eltern aufhält. Da die Schwester mit einem ebenfalls syrischen Staatsangehörigen zusammenlebt, sei zu erwarten, dass dieser unterstützend tätig werden könne.
Diese Erwägungen sind gerichtlich nicht zu beanstanden. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, lebt seine Schwester im gleichen Ort wie seine Eltern. Ausweislich der beigefügten (einzig) aktuellen ärztlichen Bescheinigung vom 17. Juni 2021 begleitet der Kläger seine Eltern regelmäßig bei Arztbesuchen und übersetzt die besprochenen Werte. In einem ärztlichen Attest vom 24. September 2018 wird zwar ausgeführt, dass die Mutter zur Unterstützung im Alltag ihren Sohn bei sich haben sollte. Der Bescheinigung ist weder zu entnehmen, dass die Eltern des Klägers zwingend auf Unterstützung angewiesen sind, noch dass diese gerade und nur durch den Kläger erbracht werden kann. Gründe hierfür sind im Übrigen weder in der Erkrankung der Mutter des Klägers (Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr, benigne Hypertonie, Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkrankung und Rückenbeschwerden) zu erkennen noch im Hinblick auf die Tatsache, dass diese erst 49 Jahre alt ist, zu erwarten. Darüber hinaus ist die Bescheinigung mangels Aktualität nicht aussagekräftig. Die Betreuung durch den Kläger erstreckt sich im wesentlichen darauf, dass er die Mutter bei Arztbesuchen begleitet und die sprachliche Hürde überwindet, indem er im Arztgespräch als Dolmetscher tätig ist. Diese Unterstützung kann jedoch auch von anderen Begleitpersonen erbracht werden. Zwar leidet die Mutter des Klägers unter erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen, es ist jedoch nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen, dass sie pflegebedürftig ist und ausschließlich der Pflege durch den Kläger bedarf. Auch die Tatsache, dass sowohl seine Schwester als auch seine Mutter aktuell einen Deutschkurs besuchen, lässt darauf schließen, dass diese nicht so hilfsbedürftig sind, wie vom Kläger dargestellt. Da der Lebensgefährte der Schwester des Klägers ebenfalls syrischer Staatsangehöriger ist, kann eine Unterstützung der Eltern des Klägers auch durch weitere Personen sichergestellt werden, die ihrem Kulturkreis zuzuordnen sind. Da die Mutter des Klägers nicht pflegebedürftig ist, sind die vom Kläger geschilderten Fehlgeburten seiner Schwester zur Überzeugung des Gerichts nicht auf die Pflege der Mutter zurückzuführen. Hierfür fehlen auch jegliche medizinischen Unterlagen.
Auch wenn es menschlich verständlich ist, dass sich der Kläger um seine Eltern kümmern möchte, führt dies nicht dazu, dass das Ermessen zugunsten des vollziehbar ausreisepflichtigen Klägers auszuüben wäre, zumal der Beklagte die Erteilung von Verlassenserlaubnissen in Aussicht gestellt und auch schon durchgeführt hat. Über diesen Weg ist auch eine Begleitung bei geplanten Arztbesuchen möglich. Zu keiner anderen Einschätzung führt der Vortrag der Klägerbevollmächtigten, dass im Notfall eine Verlassenserlaubnis nicht rechtzeitig erteilt werden kann, denn für diesen Fall steht die vor Ort lebende Schwester des Klägers zur Verfügung. Im Übrigen ist es den 49 und 61 Jahre alten Eltern des Klägers zuzumuten, sich an ihrem Wohnort ein eigenes unterstützendes Netzwerk aufzubauen. Der Lebensgefährte der Tochter, ein syrischer Staatsangehöriger, der sich bereits seit 5 – 6 Jahren in Deutschland aufhält und einer Erwerbstätigkeit nachgeht, wird hierbei unterstützend tätig sein können.
Wie sich in der Vergangenheit gezeigt hatte, war der Kläger für die von dem Beklagten vorgesehenen Abschiebungsmaßnahmen nicht erreichbar, weil es sich nicht in seiner Unterkunft aufgehalten hatte. Unter Berücksichtigung des Normzwecks von § 61 Abs. 1c AufenthG, nämlich die Durchsetzung der Ausreisepflicht zu fördern und das Untertauchen zu verhindern, ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Ausreisepflicht höher zu bewerten, als das private Interesse des Klägers, sich unbeschränkt bei seinen Eltern aufhalten zu können. Es ist daher unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgetragenen Umstände nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte durch die streitgegenständliche Auflage den Aufenthalt des Klägers in seinem Zuständigkeitsbereich sicherstellt.
Da der Beklagte die räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf den Freistaat Bayern ermessensfehlerfrei anordnen konnte, war die Klage abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff ZPO.


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