Verwaltungsrecht

Klage auf Feststellung des Nichteintritts der Rücknahmefiktion

Aktenzeichen  Au 6 K 17.33332

Datum:
17.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9520
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 10 AsylG
VwGO § 82 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Klage auf Feststellung des Nichteintritts der Rücknahmefiktion nach § 81 AsylG fehlt nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis wegen „Untertauchens“, wenn genau dies Ansatzpunkt der strittigen Verfahrenseinstellung gewesen ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wohnanschrift ist die Adresse, unter welcher die Person tatsächlich erreichbar ist; die Angabe einer Adresse, über welche Zustellungen erfolgen können, genügt hierfür nicht (zum Postfach: BVerwG BeckRS 1999, 30054686). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Klage nach § 81 Satz 1 AsylG als zurückgenommen gilt.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die auf Feststellung des Nichteintritts der Rücknahmefiktion unter Wiederaufnahme des Klageverfahrens und Aufhebung des Einstellungsbeschlusses vom 16. Januar 2018 gerichtete Klage ist nicht begründet. Im Gegenteil gilt im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) die Klage des Klägers wegen der Rücknahmefiktion nach § 81 Satz 1 AsylG als zurückgenommen. Das Klageverfahren ist damit beendet.
1. Die Klage auf Feststellung des Nichteintritts der Rücknahmefiktion ist zulässig.
Die Klage ist als allgemeine Feststellungsklage auf Feststellung des Nichteintritts der Rücknahmefiktion nach § 81 AsylG statthaft, denn hat ein Kläger trotz gerichtlicher Aufforderung das Verfahren länger als einen Monat nicht betrieben, gilt die Klage bereits kraft Gesetzes als zurückgenommen; die Verfahrenseinstellung durch gerichtlichen Beschluss hat insoweit nur deklaratorischen Charakter (vgl. Bergmann in ders./Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 81 AsylG Rn. 18; zum gleichgerichteten § 92 Abs. 2 Satz 3 VwGO Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 92 Rn. 19). Ob die Voraussetzungen der Rücknahmefiktion eingetreten sind, kann durch ein (ggf. Zwischen-)Urteil festgestellt werden (vgl. Bergmann in ders./Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 81 AsylG Rn. 25).
Die Feststellungsklage ist auch nicht deswegen unzulässig, weil dem Kläger wegen „Untertauchens“ das Rechtsschutzbedürfnis für seine Klage fehlen würde, wenn genau dies – wie hier – Ansatzpunkt der strittigen Mitwirkung am Verfahren ist.
2. Die Klage auf Feststellung des Nichteintritts der Rücknahmefiktion ist jedoch unbegründet, weil die Klage des Klägers wegen der Rücknahmefiktion nach § 81 Satz 1 AsylG als zurückgenommen gilt. Dies wird deklaratorisch nochmals im Urteilstenor ausgesprochen.
Der Kläger hat das Klageverfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als einen Monat nicht betrieben.
Der Kläger ist mit gerichtlichem Schreiben vom 12. Dezember 2017, dem Bevollmächtigten zugestellt am 15. Dezember 2017, erstmals und – auf die nach Fristablauf mit Schreiben vom 26. Januar 2018 erfolgte Stellungnahme seines Bevollmächtigten und Rückversicherung bei der Ausländerbehörde erneut mit gerichtlichem Schreiben vom 2. Februar 2018, dem Bevollmächtigten zugestellt am 2. Februar 2018, gemäß § 81 AsylG und unter Hinweis auf die dortige Rücknahmefiktion sowie die Stellungnahme der Ausländerbehörde aufgefordert worden, innerhalb eines Monats die derzeitige Anschrift des Klägers mitzuteilen. Dem ist er nicht nachgekommen.
a) Bei der angegebenen Adresse der Gemeinschaftsunterkunft handelt es sich nicht um die Adresse, unter welcher der Kläger tatsächlich im maßgeblichen Zeitraum wohnte.
Gestützt auf die Mitteilungen der für den zugewiesenen Wohnort des Klägers zuständigen Ausländerbehörde, der Kläger sei nach wie vor in der Unterkunft nicht aufhältig, beziehe keine Leistungen und habe auch die Bescheinigung über seine Aufenthaltsgestattung nicht verlängern lassen, sowie mit Schreiben vom 12. März 2018, der Kläger sei nicht in der Unterkunft wohnhaft, sein Zimmer sei mittlerweile mit anderen Personen belegt, die letzte Auszahlung von Sozialleistungen an ihn sei für November 2017 am 26. Oktober 2017 erfolgt, ist der Einzelrichter der Überzeugung, dass der Kläger jedenfalls seit Zustellung der schriftlichen Aufforderung vom 2. Februar 2018 mindestens bis zum 2. März 2018 nicht mehr unter der von ihm angegebenen Adresse in der Gemeinschaftsunterkunft gewohnt hat.
Da er nach § 53 Abs. 1 AsylG zum Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet ist, sich tatsächlich aber dort nicht mehr aufhielt, das ihm zugewiesene Zimmer daher sogar anderweitig belegt wurde, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger die Adresse der Gemeinschaftsunterkunft nur pro forma benutzte. Erst recht mit Blick darauf, dass er wegen des generellen Arbeitsverbots für Asylbewerber nach § 61 AsylG ohne Inanspruchnahme der staatlichen Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz seinen Lebensunterhalt von Gesetzes wegen nicht anderweitig sicherstellen kann, aber seit Ende November 2017 durchgängig keine Sozialleistungen mehr bezogen hat.
Soweit der Kläger einräumte, vom Flaschensammeln gelebt und bei Freunden tageweise übernachtet zu haben, erklärt dies nicht, weshalb er in der Unterkunft durchgängig nicht mehr angetroffen werden konnte und selbst seine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung nicht mehr verlängern ließ, die ihm zum Ausweis bei etwaigen Kontrollen doch dienlich gewesen wäre. Wäre der Kläger zu Unrecht von der Unterkunftsleitung abgemeldet worden, hätte er sich an diese bzw. die Ausländerbehörde wenden können und müssen zwecks Korrektur der Entscheidung. Soweit sein Bevollmächtigter schriftlich seine Wiederanmeldung dort beantragte, der Kläger aber nicht persönlich vorstellig wurde, um ein Zimmer auch tatsächlich (wieder) zu beziehen, nicht einmal selbst Kontakt mit der Unterkunftsleistung oder der Ausländerbehörde aufnahm, war für diese nicht erkennbar, dass der Kläger dort auch tatsächlich wieder wohnen wollte.
Die Zeugeneinvernahme der Unterkunftsleiterin bestätigte vielmehr, dass sich der Kläger im zuletzt relevanten Zweitraum vom 2. Februar 2018 mindestens bis zum 2. März 2018 nicht in der Unterkunft aufgehalten hat. Diese Aussage ist vollauf glaubwürdig, weil sie die Leitung der Unterkunft zum 1. Februar 2018 übernommen hat und nach ihren Angaben auch (werk-)täglich dort anzutreffen ist, also zur Überzeugung des Einzelrichters einen Überblick über die tatsächlich dort aufhältigen Personen hat.
b) Der Kläger hat auch nicht die abweichende Adresse, unter der er sich tatsächlich im zuletzt relevanten Zeitraum vom 2. Februar 2018 mindestens bis zum 2. März 2018 aufhielt, innerhalb der ab dem 2. Februar 2018 laufenden Frist mitgeteilt.
Zwar hat sein Bevollmächtigter zunächst mitgeteilt, der Kläger sei nicht untergetaucht, habe seine persönlichen Gegenstände nach wie vor in der Einrichtung und habe regelmäßig seine Post abgeholt, auch wenn er sich anderenorts aufgehalten habe. Zustellungen an den Kläger könnten über seinen Bevollmächtigten erfolgen. Dieser habe die Ausländerbehörde mit Schreiben vom 3. Januar 2018 um Wiederanmeldung des Klägers und Wiederaufnahme der Leistungsgewährung gebeten. Später teilte der Bevollmächtigte mit, ihm sei eine andere Anschrift des Klägers als die mitgeteilte nicht bekannt. Zustellungen an den Kläger könnten über seinen Bevollmächtigten erfolgen, da er mit ihm im Email-Kontakt stehe und bisher erforderliche Besprechungstermine wahrgenommen habe.
Damit ist der Kläger seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Nach § 82 Abs. 1 VwGO gehört zu den für eine Klage notwendigen Angaben bei natürlichen Personen die Angabe der Wohnungsanschrift. Eine natürliche Person wird daher im Rechtsverkehr durch Namen und Wohnanschrift individualisiert, insbesondere wenn die Person – wie hier der Kläger als Asylbewerber nach § 10 AsylG – zur Mitteilung eines Wohnungswechsels verpflichtet (vgl. BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24.97 – juris Rn. 28; SächsOVG, B.v. 7.6.2017 – 5 A 363/16.A – juris Rn. 3) und sein Aufenthalt nach § 56 Abs. 1 AsylG noch dazu auf den Bezirk der für ihn zuständigen Ausländerbehörde beschränkt ist, er sich also außerhalb gar nicht aufhalten darf. Wohnanschrift ist aber die Adresse, unter welcher die Person tatsächlich erreichbar ist. Die Angabe einer Adresse, über welche Zustellungen erfolgen können, genügt hierfür nicht (zum Postfach BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24.97 – juris Rn. 32 ff.), denn das Gericht hat ein öffentliches Interesse an der Kenntnis des tatsächlichen Aufenthalts eines Klägers, insbesondere auch für Vollstreckungen (BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24.97 – juris Rn. 38).
Weder die Bestellung eines Bevollmächtigten, an den an den Kläger gerichtete Zustellungen adressiert werden können, noch die Erreichbarkeit des Klägers für seinen Bevollmächtigten per Email stehen der Angabe der Wohnanschrift des tatsächlichen Wohnorts gleich, da der Kläger weder an der Adresse seines Bevollmächtigten noch unter einer Emailadresse wohnt. Auch die Aufforderung seines Bevollmächtigten, den Kläger wieder an seiner Wohnanschrift anzumelden, ohne dass dieser sich dort aufhielt bzw. aufzuhalten gewillt war, genügt nicht als Mitwirkung, weil eine solche Anmeldung nur pro forma wäre.
3. Nachdem sich die Feststellungsklage als unbegründet erweist und im Gegenteil deklaratorisch der Eintritt der Rücknahmefiktion festzustellen ist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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