Verwaltungsrecht

Klage unzulässig, Klagefrist nicht gewahrt, Beweiskraft der Postzustellungsurkunde

Aktenzeichen  M 10 K 20.3771

Datum:
22.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22098
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 74 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.   
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

1. Die vom Kläger erhobene Klage ist im Wesentlichen als Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten zu 2 vom 16. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten zu 1 vom 13. Juli 2020 zu verstehen.
Die so verstandene Klage ist bereits unzulässig, da die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht gewahrt worden ist. Die einmonatige Klagefrist beginnt mit der Zustellung des Widerspruchsbescheids. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers kommt es für den Fristbeginn nicht auf den Zeitpunkt der Kenntnis vom Widerspruchsbescheid an.
Im vorliegenden Fall wurde der Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2020 dem Kläger am 17. Juli 2020 zugestellt. Dies wird durch die in der Akte befindliche Postzustellungsurkunde gemäß § 173 VwGO, §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 Zivilprozessordnung (ZPO) bewiesen. Eine Postzustellungsurkunde ist eine öffentliche Urkunde mit der sich aus § 418 Abs. 1 ZPO ergebenden vollen Beweiskraft.
Diese Beweiskraft hat der Kläger vorliegend nicht zur Überzeugung des Gerichts erschüttert. Der Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen gemäß § 418 Abs. 2 ZPO erfordert den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine objektive Falschbeurkundung belegt. Notwendig ist der volle Beweis des Gegenteils in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr niedergelegten Tatsachen ausgeschlossen ist (BVerfG, B.v. 20.2.2002 – 2 BvR 2017/01 – NJW-RR 2002, 1008; BGH, U.v. 10.11.2005 – 3 ZR 104/05 – NJW 2006, 150).
Hierfür hat der Kläger nichts vorgetragen. Der Kläger hat lediglich behauptet, dass der Postzusteller nicht vorrangig versucht habe, den Widerspruchsbescheid dem Kläger unmittelbar auszuhändigen. Die Ersatzzustellung durch Niederlegung im Briefkasten sei daher unwirksam. Dies hat der Kläger jedoch weder glaubhaft begründet noch bewiesen. Er hat letztlich zugegeben, dass er nicht aus eigener Beobachtung festgestellt haben kann, dass der Postzusteller am fraglichen Tag nicht an der Haustür geklingelt habe. Denn er hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, sich am 17. Juli 2020 den ganzen Tag – mit Ausnahme eines kurzen Zeitraums, zu dem der Briefträger üblicherweise bereits da war – nicht an seiner Wohnadresse aufgehalten zu haben. Der Kläger hat lediglich behauptet, er könne anhand eines Protokolls seiner Telefonanlage, die auch aufzeichne, wenn jemand an der Haustür klingle, nachweisen, dass an diesem Tag niemand geklingelt habe. Abgesehen von der Frage, welcher Beweiswert einem derartigen Protokoll zukommen würde, hat der Kläger dieses Protokoll dem Gericht jedenfalls nicht vorgelegt.
Die Klagefrist begann damit aufgrund der am 17. Juli 2020 erfolgten Zustellung des Widerspruchsbescheids am 18. Juli 2020 zu laufen (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) und endete am 17. August 2020, einem Montag (§ 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB).
Die Klageerhebung per Fax am 18. August 2020 erfolgte daher verspätet. Der Kläger hat auch nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass er die Klageschrift im Original bereits am 17. August 2020 in den Hausbriefkasten des Verwaltungsgerichts München eingeworfen habe. In der Akte befindet sich keine Originalklageschrift, sondern lediglich das Fax vom 18. August 2020. Der Kläger kann den Einwurf in den Hausbriefkasten des Gerichts am 17. August 2020 auch nicht nachweisen. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich aus dem Umstand, dass die Klageschrift bereits am 17. August 2020 verfasst worden ist, nichts herleiten. Gegen die Behauptung des Klägers, die Originalklageschrift am 17. August 2020 in den Briefkasten des Gerichts geworfen zu haben, spricht vielmehr, dass der übrige Vortrag des Klägers sowie die Umstände in sich stimmig sind: Der Kläger übermittelte die Klageschrift „zur sicheren Fristwahrung per Fax“ (vgl. die Formulierung in der Klageschrift), was bereits nicht für eine zeitlich vorgehende Übermittlung der Originalklageschrift spricht. Zudem ging der Kläger nach seinem Vortrag im Schriftsatz vom 21. Juli 2021 davon aus, dass die Klagefrist erst mit seiner Kenntniserlangung vom Bescheid am 18. Juli 2020 zu laufen begonnen hatte. Dies als zutreffend unterstellt, wäre die Frist tatsächlich erst am 18. August 2020 abgelaufen und damit das „zur Fristwahrung“ übersandte Fax vom 18. August 2020 fristgerecht.
Der Kläger hat, anders als er im Schriftsatz vom 21. Juli 2021 vermutet, auch nicht unmittelbar gegen den Ausgangsbescheid der Beklagten zu 2 vom 16. Januar 2019 Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben.
Gründe für die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO sind demgemäß weder substantiiert vorgetragen bzw. glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich.
2. Die Klage gegen die Kostenrechnung des Beklagten zu 1 vom 13. Juli 2020 hat keinen Erfolg. Unabhängig von diesbezüglichen Zulässigkeitsfragen ist die Kostenrechnung jedenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Erhebung einer Widerspruchsgebühr resultiert aus der bestandskräftigen Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2020, dass der Widerspruchsführer die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat. Da vorliegend lediglich die Mindestgebühr nach Art. 9 Abs. 1 Satz 6 Kostengesetz sowie die Auslagen für die Postzustellungsurkunde angesetzt worden sind, sind Rechtsfehler nicht ersichtlich. Sie sind auch vom Kläger nicht gerügt worden. Im Übrigen wird insoweit auf die Ausführungen des Beklagten zu 1 im Schriftsatz vom 2. Oktober 2020 Bezug genommen.
3. Soweit sich der Kläger darüber hinaus gegen eine Zwangsvollstreckung in Form der Kontopfändung wendet, hat diese Klage bereits deshalb keinen Erfolg, da nicht klar ist, gegen welche Kontopfändung sich der Kläger richtet. Trotz Aufforderung des Gerichts mit Schreiben vom 16. November 2020 hat der Kläger seinen Vortrag insoweit nicht präzisiert. Die Behauptung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er sei über Monate nicht an die dafür notwendigen Unterlagen herangekommen, erklärt jedenfalls nicht schlüssig, dass der Kläger bereits seit 16. November 2020 durchgehend keinen Zugriff auf seine Unterlagen hatte. Dies ergibt sich auch nicht aus den zahlreichen Schreiben des Klägers, mit denen er um eine Fristverlängerung im Hinblick auf die Beantwortung des gerichtlichen Schreibens vom 16. November 2020 gebeten hat. Vielmehr hat der Kläger in diesen zunächst mehrfach krankheitsbedingt um Fristverlängerung gebeten. Angesichts dessen ist dem Kläger auf seinen diesbezüglichen Antrag in der mündlichen Verhandlung auch keine Schriftsatzfrist eingeräumt worden. Der Kläger hatte seit November 2020 ausreichend Zeit, jedenfalls ohne Vorlage von Unterlagen vorzutragen, gegen welche Kontopfändung er sich richtet. Auch dem mit Schriftsatz vom 21. Juli 2021 begehrten diesbezüglichen Auskunftsersuchen gegenüber der Beklagten zu 2 ist nicht nachzugeben. Es ist Aufgabe des Klägers, die im Klagewege geltend gemachten Anträge klarzustellen und zu konkretisieren.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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