Verwaltungsrecht

Klagefrist bei behördlicher Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsandrohung, Rücküberstellung eines in Italien anerkannten Flüchtlings, Aufnahme- und Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Italien, Keine vulnerable Person allein aufgrund einer Diabetes-Erkrankung, Vereinbarkeit des EATRR mit dem „europäischen Asylsystem“, Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge nach EATRR ist allenfalls inländisches Vollstreckungshindernis, das im Verfahren einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht zu prüfen ist

Aktenzeichen  B 7 K 20.30066

Datum:
15.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6676
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AsylG § 35
AufenthG § 36 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7 S. 1
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4
VwGO § 80 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Über die Klage konnte ohne (weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 10.02.2022 bzw. mit Schriftsatz vom 14.03.2020 auf die Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
II. Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Dabei kann dahinstehen, ob der Eingang der Klage (27.01.2020) gegen den Bescheid vom 07.01.2020, der dem Klägerbevollmächtigten am 13.01.2020 zugestellt wurde, fristgerecht war, insbesondere ob in der vorliegenden Konstellation der behördlichen „Aussetzung der Vollziehung“ der Abschiebungsandrohung nach § 80 Abs. 4 VwGO ebenfalls gemäß § 35 i.V.m. § 36 Abs. 1 und 3 Satz 1 bzw. Satz 10 AsylG und § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG die einwöchige Klagefrist läuft (so beispielsweise VG Düsseldorf, GB v. 24.6.2020 – 22 K 7414/19.A – juris Rn. 28), da die Klage jedenfalls in der Sache keinen Erfolg hat. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf Italien festzustellen (dazu 1.). Die Abschiebungsandrohung (dazu 2.) und die Entscheidung des Bundesamts zum Einreise- und Aufenthaltsverbot (dazu 3.) sind ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
1. Vorliegend hat das Bundesamt ohne Rechtsfehler entschieden, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens nicht vorliegen. Das Bundesamt hat sich bei seiner Prüfung im Bescheid vom 07.01.2020 von zutreffenden rechtlichen Maßstäben leiten lassen. Auch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Da die „Unzulässigkeitsentscheidung“ mit Bescheid vom 03.06.2015 bestandskräftig ist (vgl. zur bereits gegebenen „Rechtswidrigkeit“ der Unzulässigkeitsentscheidung, wenn anerkannt Schutzberechtigten im Drittstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh droht: EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540.17 – juris; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297-17 – juris; BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35.19 – juris; BVerwG, U.v. 21.4.2020 – 1 C 4.19 – juris), ist vorliegend im Rahmen der streitgegenständlichen (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsverbote zu prüfen, ob der Kläger als anerkannter Schutzberechtigter aufgrund der Lebensverhältnisse in Italien ernsthaften Gefahren, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK darstellen, ausgesetzt sein wird.
Ob für eine in einem anderen Mitgliedstaat als schutzberechtigt anerkannte Person bei der Rückkehr eine Situation besteht, in welcher der Schutzbereich des Art. 4 GRCh bzw. des Art. 3 EMRK in einem generell nicht mehr zumutbaren Ausmaß beeinträchtigt wird, ist unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2020 – 21 ZB 19.32508 – juris). Dabei geht der Europäische Gerichtshof von folgenden Maßstäben aus (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 – juris; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 – juris; siehe hierzu auch BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35.19 – juris; SächsOVG, U.v. 15.6.2020 – 5 A 382.18 – juris), die auf den wortlautidentischen Art. 3 EMRK übertragen werden (Art. 52 Abs. 3 GRCh) können (vgl. VG Ansbach, U.v. 12.7.2021 – AN 14 K 17.50543 – juris):
Im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gelte die Vermutung, dass die Behandlung der Antragsteller und Schutzberechtigten in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK stehe. Dies gelte insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU, in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylsystems der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck komme. Allerdings könne nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass ein ernsthaftes Risiko bestehe, dass Antragsteller oder Schutzberechtigte bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar sei.
Art. 4 GRCh – aus Art. 3 EMRK ergebe sich gemäß Art. 52 Abs. 3 GRCh kein anderer Maßstab – sei dahin auszulegen, dass das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits internationalen Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet sei, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Hierbei sei es gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffende Person einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine solche Behandlung zu erfahren.
Diese Schwachstellen fielen nur dann unter Art. 4 GRCh, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle sei daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Dass etwa die Formen familiärer Solidarität, die Angehörige des internationalen Schutz gewährenden Mitgliedstaats in Anspruch nehmen, um den Mängeln des Sozialsystems dieses Mitgliedstaats zu begegnen, bei den Personen, denen in diesem Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden ist, im Allgemeinen fehlen, sei keine ausreichende Grundlage für die Feststellung, dass sich eine Person im Fall ihrer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Situation extremer materieller Not befände.
Unter Berücksichtigung der Bedeutung, die der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens für das gemeinsame europäische Asylsystem habe, könnten Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der RL 2011/95/EU, die nicht zu einer Verletzung von Art. 4 GRCh führen, die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, ihre durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU eingeräumte Befugnis auszuüben. Der Umstand, dass Personen in dem Mitgliedstaat, der ihnen internationalen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, könne nur dann zu der Feststellung führen, dass die Person dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich diese Person aufgrund ihrer besonderen Verletzbarkeit unabhängig von ihrem Willen und ihrer persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände. Jedenfalls könne der bloße Umstand, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der neue Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als in dem bereits internationalen Schutz gewährenden Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung zu erfahren.
Im Rahmen der vorliegend zu treffenden Prognoseentscheidung ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, d.h. es muss insoweit eine ausreichend reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommen kann und ob dem ein anerkannt Schutzberechtigter in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war. Zwar sind derartige individuelle Erfahrungen in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob im maßgeblichen Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung systemische Mängel im Zielland der Abschiebung vorliegen. Hierbei ist aber auch zu beachten, dass persönliche Erlebnisse Betroffener durch neuere Entwicklungen in dem betreffenden Staat überholt sein können. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK oder Art. 4 GRCh zuwiderlaufenden Behandlung muss daher aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein. Erforderlich ist danach die konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung. Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die für eine Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht als die dagegensprechenden Tatsachen haben (vgl. auch OVG Koblenz, B.v. 17.3.2020 – 7 A 10903.18 – juris).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe droht dem Kläger bei einer Rückkehr nach Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung. Die auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhende Vermutung, dass die Behandlung des Klägers in Italien in Einklang mit Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh steht, ist nicht widerlegt. Es ist nicht anzunehmen, dass er unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine Situation extremer materieller Not geraten wird, die es ihm nicht erlaubt, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, und die seine Gesundheit massiv beeinträchtigt oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetzt.
aa) Die Lage für nach Italien zurückkehrende anerkannte Flüchtlinge stellt sich derzeit wie folgt dar:
(1) Anerkannte Flüchtlinge bzw. Schutzberechtigte können in Italien für einen Zeitraum von sechs Monaten in einem sog. SAI-Zentrum (vorher SIPROIMI-Zentren) untergebracht werden, sofern es dort freie Plätze gibt und die Person nicht bereits zuvor in einem System der Zweitaufnahme untergebracht war. Dieses Unterbringungssystem besteht derzeit aus 760 kleineren, dezentralisierten Projekten und ist primär für die Unterbringung für bereits anerkannte Schutzberechtigte und unbegleitete Minderjährige vorgesehen (Aida, Country Report: Italy, 31.12.2020, S. 180 f.) Im Januar 2021 gab es in SAI-Zentren 30.049 Unterkunftsplätze, von denen zum 31. Dezember 2020 25.574 belegt waren (vgl. hierzu Aida, Country Report: Italy, 31.12.2020, S. 182 u. 180).
Auch Rückkehrern mit einem abgelaufenen Aufenthaltstitel – wie im Fall des hiesigen Klägers – kann dabei eine Unterkunft in einem SAI-Zentrum zugeteilt werden. Jeder Fall eines internationalen Schutztitelinhabers, der sich in einen anderen EU-Staat begeben hatte und dort nochmal Asyl beantragt hat und in der Folge nach Italien rücküberstellt wird, wird vom sog. „Servizio Centrale“ geprüft. Bei der Prüfung durch den Servizio Centrale ist es nicht unbedingt nötig, im Besitz eines gültigen Aufenthaltspapiers zu sein. Wichtig ist vielmehr, dass das Aufenthaltspapier ohne rechtliche Probleme verlängerbar ist. Rückkehrerinnen und Rückkehrer können dabei auch bereits im Vorfeld vor ihrer Rückkehr nach Italien einen Antrag beim Servizio Centrale stellen (vgl. hierzu VG Berlin, U.v. 19.5.2021 – 28 K 84.18 A – juris Rn. 29; ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 7 f; VG Würzburg, U.v. 5.10.2021 – W 4 K 20.30192 – juris Rn.39).
Die gesetzlich vorgesehene Aufenthaltsdauer von sechs Monaten in einem SAI-Zentrum kann dabei um sechs weitere Monate verlängert werden, beispielsweise um Integrationsmaßnahmen abzuschließen oder wenn besondere Umstände, wie z.B. gesundheitliche Probleme, vorliegen. Gleiches gilt für vulnerable Personen, zu denen unter anderem unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, schwangere Frauen, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel sowie Menschen mit ernsthaften Krankheiten oder psychischen Störungen zählen. Bei schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen kann der Aufenthalt im SAI-Zentrum sogar ein zweites Mal um sechs Monate verlängert werden (vgl. hierzu Aida, Country Report: Italy, 31.12.2020, S. 182). In den SAI-Zentren stehen anerkannten Schutzberechtigten spezielle Integrationsmaßnahmen zur Verfügung, bestehend aus Sprachtraining, Vermittlung von Grundkenntnissen zu Rechten und Pflichten, die in der Verfassung der Italienischen Republik verankert sind, Orientierung bezüglich wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen sowie Orientierung bezüglich der Arbeitsvermittlung (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 12, Aida, Country Report: Italy, 31.12.2020, S. 183).
Die Möglichkeit über ein SAI-Zentrum Unterstützung zu erhalten hängt dabei vor allem davon ab, ob und in welchem Umfang ein Schutzberechtigter bereits Leistungen der Sekundärunterbringung in Anspruch genommen hat. Das Recht auf Unterbringung in einem SAI-Zentrum besteht insbesondere dann nicht mehr, wenn einer Person bereits dort untergebracht war oder aber wenn eine Person die ihr vom Servizio-Centrale zugewiesene Unterkunft trotz entsprechender Zuteilung nicht genutzt hat und ihr daher der entsprechende Anspruch entzogen wurde (vgl. hierzu SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 56; zu den Entzugsgründen im Einzelnen vgl. Aida, Country Report: Italy, 31.12.2020, S. 183).
Neben den staatlich finanzierten SAI-Projekten gibt es für anerkannte Schutzberechtigte auch die Möglichkeit eine Sozialwohnung zu beantragen. Ein solcher Antrag ist direkt in der jeweiligen Stadt bzw. Gemeinde zu stellen, wobei die Zugangsvoraussetzungen unterschiedlich geregelt sind. Dabei hat jede Provinz in Italien ein Netzwerk von Sozialdiensten (ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 9).
Anerkannte Flüchtlinge und Schutzberechtigte haben dabei das selbe Recht auf Zugang zu sozialen Wohnraum wie italienische Staatsbürger (vgl. hierzu Aida, Country Report: Italy, 31.12.2020, S. 183 f; ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 9 f.). In einigen Regionen Italiens erfordert der Zugang zu Sozialwohnungen jedoch einen Mindestaufenthalt im Land, wie z.B. in der Region Friaul – Venezien, wo der Zugang zu Sozialwohnungen auf Personen beschränkt ist, die nachweislich und ununterbrochen fünf Jahre in der Region gewohnt haben. Darüber hinaus ist die Warteliste für derartige Sozialwohnungen vielerorts lang, in Rom beispielsweise beträgt die entsprechende Wartezeit rund sieben Jahre. Zudem muss regelmäßig nachgewiesen werden, dass bereits ein Wohnsitz in der Gemeinde besteht, in der eine Sozialwohnung beantragt wird. Das bedeutet in der Praxis, dass es Personen mit internationalem Schutzstatus regelmäßig sehr schwer fällt, Zugang zu öffentlichem Wohnraum bzw. Sozialwohnungen zu erhalten (vgl. hierzu ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 9 f.).
Neben dem staatlichen Unterbringungssystem bieten auch karitative Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen und einzelne Kirchen Unterkünfte und Schlaftmöglichkeiten an, auf die sich Rückkehrer zumindest für eine Übergangszeit verweisen lassen müssen (vgl. VG Bremen, U.v. 30.11.2021 – 6 K 3133/17 – juris m.w.N.). Nicht selten leben Menschen mit internationalem Schutzstatus jedenfalls vorübergehend auch in Notunterkünften, die lediglich einen Platz zum Schlafen anbieten und die nicht speziell für Flüchtlinge gewidmet sind, sondern auch italienischen Staatsbürgern in Notsituationen offenstehen (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 11.11.2020, S. 23). Des Weiteren gibt es in ganz Italien informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylbewerber und Schutzberechtigte. Die Personen, die dort unter prekären Umständen leben, werden von Nichtregierungsorganisationen wie Sant‘Egidio und MEDU unterstützt. Für die Erfüllung der Grundbedürfnisse gelten – gerade bei nichtvulnerablen Personen – nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. So kann der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten „informellen Siedlung“ zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweise Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris).
Letztlich können verfügbare Wohnungen und Unterkunftsmöglichkeiten auf diversen frei zugänglichen Onlineplattformen – auch bereits vom Ausland aus – eruiert werden (vgl. VG Gießen, U.v. 15.9.2021 – 8 K 1520/19.GI.A – juris).
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Angaben besteht für anerkannte Schutzberechtigte in Italien zwar eine gewisse Gefahr der (vorübergehenden) Obdachlosigkeit (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 12 f.). Es liegen jedoch keine Erkenntnismittel vor, wonach tatsächlich ein größerer Teil der anerkannten Schutzberechtigten obdachlos ist. Vielmehr ist ein im Verhältnis zu ihrer Gesamtzahl ein eher kleiner Teil der Migranten tatsächlich obdachlos bzw. lebt in besetzten Häusern. Nach Schätzungen der MÈDECINS SANS FRONTIÈRES (= Ärzte ohne Grenzen) gibt es in Italien ungefähr 10.000 obdachlose Menschen (MSF, „OUT of sight“ – Second edition, Stand: 8.2.2018), unter denen sich auch anerkannte Schutzberechtigte befinden. Dass anerkannt Schutzberechtigte damit regelhaft bzw. systematisch der Obdachlosigkeit anheimfallen würden, lässt sich den aktuellen Erkenntnismitteln somit gerade nicht entnehmen, selbst wenn es auch unter diesen immer wieder zu Obdachlosigkeit kommen kann (vgl. hierzu BFA, Länderinformationsblatt – Italien, Stand: 26.2.2019, S. 25 sowie zum Ganzen auch VG Würzburg, U.v. 5.10.2021 – W 4 K 20.30192 – juris).
(2) Anerkannte Schutzberechtigte haben Zugang zum italienischen Arbeitsmarkt bzw. zu einer Berufsausübung wie italienische Staatsangehörige. Das italienische Asylsystem geht dabei davon aus, dass anerkannte Schutzberechtigte durch eigene Arbeit ihren Lebensunterhalt selbst besorgen. Besondere Bedeutung für die Integration von anerkannten Flüchtlingen bzw. subsidiär Schutzberechtigten in den Arbeitsmarkt kommt dabei den örtlichen Arbeitsämtern sowie den SAI-Zentren zu. Anerkannte Personen können sich bei den örtlichen Arbeitsämtern anmelden und werden nach einer entsprechenden Registrierung über Stellenangebote informiert (ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 10). Anerkannte Schutzberechtigte haben somit rein rechtlich den gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt wie italienische Staatsangehörige. Die Situation für Arbeitssuchende stellt sich in Italien aufgrund der hohen Arbeitslosenzahl generell als schwierig dar. Allerdings erweist sich der italienische Arbeitsmarkt auf regionaler Ebene als sehr heterogen, mit stark industrialisierten Regionen im Norden und solchen im Süden, in denen Tätigkeiten in der Landwirtschaft und im Tourismus überwiegen. Die Erwerbsmöglichkeiten und Arbeitslosenquoten schwanken damit auch regional stark (vgl. auch OVG Koblenz, U.v. 15.12.2020 – 7 A 11038.18 – juris). Weitere tatsächliche Zugangshindernisse zum Arbeitsmarkt stellen häufig fehlende Sprachkenntnisse und eine fehlende Berufsqualifikation bzw. die fehlende Anerkennung von solchen Qualifikationen dar (vgl. ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 10). Nicht selten finden Schutzberechtigte nur Arbeit auf dem „informellen Arbeitsmarkt“, wo sie häufig ausgebeutet werden (vgl. hierzu etwa SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 13). Unabhängig von der insbesondere im Vergleich zur Bundesrepublik schwierigeren Arbeitsmarktsituation in Italien, die sich durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie zunächst deutlich verschlechtert hat, ging die Erwerbslosenquote in Italien zuletzt allerdings wieder zurück und liegt damit aktuell sogar unter den Arbeitslosenquoten in den Jahren 2019 und früher, als die Arbeitslosigkeit in Italien durchgängig (und teilweise deutlich) über 10,0 Prozent lag (vgl. VG Würzburg, U.v. 5.10.2021 – W 4 K 20.30192 – juris m.w.N.). Für Januar 2022 wir die Erwerbslosenquote in Italien beispielsweise mit 8,8% angegeben (vgl. https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/EU ArbeitsmarktMonat.html). Die Wirtschaft Italiens ist im Jahr 2021 wieder gewachsen, und dies voraussichtlich sogar stärker als zunächst prognostiziert (die Wachstumsprognose für Italien lag bei 5,8 Prozent; vgl. hierzu etwa VG Würzburg, U.v. 5.10.2021 – W 4 K 20.30192 – juris mit Verweis auf Wirtschaftswoche, Italienische Regierung hält 2021 stärkstes Wirtschaftswachstum seit Jahrzehnten für möglich, 5.9.2021). Die wirtschaftliche Lage in Italien stellt sich damit derzeit durchaus als robust dar (vgl. z.B. Augsburger Allgemeine: Warum Italiens Wirtschaft ein überraschendes Comeback feiert, vom 6.11.2021; Süddeutsche Zeitung: Wirtschaftswachstum in Europa: „So etwas gibt es nur einmal im Leben“, vom 11.11.2021; Süddeutsche Zeitung: Italien – Die Methode Draghi, vom 6.1.2022: Das Comeback Italiens), was freilich auch positive Effekte für die Situation auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringt (vgl. hierzu auch VG Bayreuth, U.v. 28.1.2022 – B 7 K 21.30265). Zwischen 2020 und 2024 sind dem italienischen Wirtschaftssystem über 2,5 Mio. der gegenwärtig Beschäftigten zu ersetzen (vgl. auch OVG Koblenz, U.v. 15.12.2020 – 7 A 11038.18 – juris). Insbesondere im Handwerk und im Hotel- und Gaststättengewerbe fehlt es an Arbeitskräften. So fehlten im Hotel- und Gaststättengewerbe zuletzt 50.000 Arbeitskräfte (vgl. hierzu etwa VG Würzburg, U.v. 5.10.2021 – W 4 K 20.30192 – juris mit Verweis auf Reuters, Harder to attract staff than visitors at Italy`s tourist hotspots, 29.6.2021; Südtirol-News, Handwerk in Südtirol: Zwischen Tradition und Digitalisierung, 8.4.2021). Auch im Handwerk besteht jedenfalls regional ein erheblicher Bedarf an entsprechenden Fachkräften und Lehrlingen (vgl. hierzu etwa VG Würzburg, U.v. 5.10.2021 – W 4 K 20.30192 – juris mit Verweis auf Eures, Arbeitsmarktinformationen zu Italien nach Regionen, Stand: 11/2020; Nachrichten für Südtirol, Handwerk in Südtirol: Zwischen Tradition und Digitalisierung, 8.4.2021, www.stol.it/artikel/wirtschaft/handwerk-in-suedtirol-zwischen-tradition-und-digitalisierung). Für ungelernte Arbeiterinnen und Arbeiter bleiben zudem in den Bereichen Hausarbeit, Reinigungsgewerbe und insbesondere Landwirtschaft, in dem die Corona-Pandemie sogar zeitweise eine stark erhöhte Nachfrage zur Folge hatte, weil die sonst regelmäßig nach Italien reisenden Saisonarbeiter in Folge der eingeschränkten Mobilität in Europa ausgeblieben sind, auch weiterhin Arbeitsmöglichkeiten (vgl. hierzu VG Würzburg, U.v. 5.10.2021 – W 4 K 20.30192 – juris; Eures, Kurzer Überblick über den Arbeitsmarkt in Italien, Stand: 11/2020). Auch wenn gerade im Bereich der italienischen Landwirtschaft eine nicht unerhebliche Quote an illegal Beschäftigten anzutreffen sein dürfte (vgl. hierzu etwa SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 13), so liegen doch keine Erkenntnismittel vor, dass in diesem Bereich auch nur überwiegend allein eine illegale Beschäftigung möglich wäre (vgl. zum Ganzen auch VGH Mannheim, B.v. 8.11.2021 – A 4 S 2850.21 – juris Rn. 12 ff.).
(3) Anerkannte Schutzberechtigte haben in Italien zwar keinen Anspruch auf staatliche Sozialhilfe, die mit der in Deutschland gewährten Sozialhilfe vergleichbar wäre (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 8/2016, S. 52). Einen solchen Anspruch haben aber auch italienische Staatsangehörige nicht. Das italienische Sozialsystem ist insgesamt sehr schwach ausgebildet, was daran liegt, dass es auf die in Italien traditionell starken Familienstrukturen aufsetzt und daher insbesondere keinerlei Nothilfen garantiert (vgl. hierzu BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Italien, 11.11.2020, S. 24 f.). Gleichwohl gibt es seit März 2019 eine Art Grundeinkommen, ein sog. Bürgergeld. Voraussetzung für dessen Bezug ist jedoch, dass man mindestens die letzten zehn Jahre in Italien gewohnt hat, so dass anerkannt Schutzberechtigte diese Voraussetzungen in aller Regel nicht erfüllen (vgl. hierzu ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020 S. 11; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Italien, 11.11.2020, S. 24). Weiterhin gibt es in Italien einzelne, in den Zuständigkeitsbereich der Regionen oder Kommunen fallende Fürsorgeleistungen, die hinsichtlich ihrer Voraussetzungen, des Empfängerkreises und der Leistungshöhe jedoch stark variieren (Raphaelswerk, 6/2020, S. 14 f.; ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020 S. 11 f.).
(4) Hinsichtlich der medizinischen Versorgung haben Anerkannte in Italien die gleichen Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger, sobald sie beim Nationalen Gesundheitsdienst registriert sind. Die Registrierung gilt für die Dauer der Aufenthaltsberechtigung und erlischt auch nicht in der Verlängerungsphase. Für die Registrierung ist dabei eine gültige Aufenthaltserlaubnis oder ein Nachweis, dass die Verlängerung bzw. Ausstellung angefordert wurde, ein Wohnnachweis oder bei Nichtvorhandensein eine Erklärung zum aktuellen Wohnort sowie eine Steuernummer notwendig (ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 11). Zwar bestehen für anerkannte Flüchtlinge ohne Aufenthaltsbewilligung und Wohnsitzmeldung Probleme beim Erhalt der Gesundheitskarte, welche umfassende medizinische Leistungen wie kostenlose Arztbesuche und kostenlose Aufenthalte in Krankenhäusern gewährleistet. Im Falle der Zuweisung in eine Zweitaufnahmeeinrichtung bestünde jedoch ein Wohnsitz, so dass die Beantragung der Gesundheitskarte möglich wäre. Im Falle einer Nichtzuweisung könnten zunächst die Adressen von Hilfsorganisationen angegeben werden, welche jedoch nicht von allen Behörden akzeptiert werden. Es gibt jedoch verschiedene Organisationen, welche beim Zugang zur medizinischen Versorgung behilflich sind. Nach der neueren Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst auch bereits auf Basis des sog. „domicilio“ garantiert, der üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 11.11.2020, S. 20). Unabhängig davon besteht auch für anerkannte Schutzberechtigte bis zur Registrierung im Gesundheitssystem ein Zugang zu medizinischen Basisleistungen und insbesondere zu einer medizinischen Notfallversorgung in öffentlichen Krankenhäusern (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 11.11.2020, S. 19 u. S. 20).
bb) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Aufnahmebedingungen in Italien und der persönlichen Umstände des Klägers ist nicht davon auszugehen, dass dieser im Falle seiner Rückkehr nach Italien dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
(1) Vorauszuschicken ist, dass der Kläger als arbeitsfähige Person nicht vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängig ist und er aufgrund seiner Rechte als anerkannter Schutzberechtigter seine Situation durch persönliche Entscheidungen wie die Suche nach einer Erwerbstätigkeit selbst beeinflussen kann. Er gehört insbesondere nicht zur Gruppe der vulnerablen Personen im Sinne des Art. 21 der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen) sowie des Art. 20 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie. Danach gelten als schutzbedürftige Personen: Minderjährige, unbegleiteten Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Der Kläger leidet zwar unter einer Diabetes-Erkrankung, die wohl nicht einfach einzustellen ist und die mehrmals täglich eine konsequente Einnahme von Medikamenten erfordert. Soweit er aber seinen Blutzuckerspiegel entsprechend kontrolliert und seine Medikamente einnimmt, ist sein Zustand nach eigenen Angaben stabil. Ihm ist es sogar möglich, einer Vollzeittätigkeit in der Gastronomie nachzugehen und ein weitgehend normales Leben zu führen (vgl. hierzu ausführlich sogleich unter (2)), so dass eine schwere körperliche Erkrankung im vorstehenden Sinne einer Vulnerabilität nicht ersichtlich ist, insbesondere sich auch den (knappen) ärztlichen Attesten nicht entnehmen lässt.
(2) Dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinerlei Erwerbsmöglichkeiten mehr finden und der Kläger dementsprechend unabhängig von seinem Willen verelenden wird, ist prognostisch nicht zu erwarten. Der Kläger lebte bereits von 2005 bis 2011 knapp fünf Jahre in Italien. Es handelt sich mithin für den Kläger nicht um ein völlig unbekanntes Land. Die dortigen Gepflogenheiten sind ihm bekannt, wobei sich die Situation für anerkannte Flüchtlinge nach den Erkenntnismitteln in den letzten zehn Jahren verbessert hat. Im Übrigen war es dem Kläger auch während seines früheren Aufenthalts in Italien möglich, dort gewissen Erwerbstätigkeiten nachzugehen. In der mündlichen Verhandlung erklärte er zwar dem Gericht, dies seien keine vernünftigen und nachhaltigen Beschäftigungsmöglichkeiten gewesen. Gleichwohl hat das „Erwerbseinkommen“ des Klägers offensichtlich ausgereicht, um das essentielle Existenzminimum in Italien über mehrere Jahre zu sichern. Soweit der Klägerbevollmächtigte mit der Gegenvorstellung unter Verweis auf die seitens des Gerichts verwendeten Quellen (erneut) behauptet, der Kläger werde in Italien auf absehbare Zeit keinen Broterwerb finden, bleibt schon offen, auf welche Quellen er sich genau stützt. Im Übrigen berücksichtigt das Gericht bei der hier gebotenen Einzelfallbetrachtung auch die aktuellen Entwicklungen, insbesondere aufgrund der Corona-Pandemie (siehe vorstehend unter aa) (2)), so dass der Vortag der mangelnden Aktualität der Quellen zurückzuweisen ist. Im Zusammenhang mit den Erwerbsmöglichkeiten des Klägers in Italien verkennt das Gericht auch nicht, dass die Diabetes-Erkrankung des Klägers erst nach seiner Ausreise aus Italien in Deutschland im Jahr 2012 diagnostiziert worden ist. Gleichwohl – auch wenn es sich um eine wohl nicht einfach einzustellende Diabetes-Erkrankung handelt – ist der Kläger jedenfalls offensichtlich voll, zumindest aber in ausreichendem Umfang erwerbsfähig, um seine elementarsten Grundbedürfnisse zu sichern. Während des in Deutschland laufenden Asylverfahrens hat der Kläger wiederholt Anträge auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis gestellt. Nach Angaben in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im Jahr 2014 bereits eine Arbeitserlaubnis erhalten und auch tatsächlich gearbeitet. Seit ca. sechs Monaten geht der Kläger in Deutschland erneut einer Erwerbstätigkeit in einem Restaurant nach. Seit drei Monaten übt er diesen „Job“ als Vollzeittätigkeit (5 Mal die Woche je acht Stunden) aus. Dabei kommt es offensichtlich durch seine Diabetes-Erkrankung zu keinerlei gravierenden gesundheitlichen oder sonstigen Einschränkungen bei den Arbeitsabläufen. Der Kläger erklärte dem Gericht in der mündlichen Verhandlung, er kontrolliere während der Arbeit immer seinen Blutzuckerspiegel und nehme gegebenenfalls seine Medikamente ein. Warum dies bei anderen vergleichbaren Tätigkeiten – auch in Italien – nicht möglich sei, ist weder dargelegt, noch anderweitig ersichtlich. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit im Restaurant bzw. als Küchenhilfe durchaus auch mit körperlichen Anstrengungen verbunden ist, die der Kläger jedoch trotz seiner Diabetes-Erkrankung leisten kann. Wie sich aus den vorstehenden Erkenntnismitteln ergibt, besteht gerade im Gastronomie- und Hotelbereich sowie im Landwirtschaftssektor – trotz der Corona-Krise bzw. aufgrund des „Personalverlustes“ durch die Corona-Pandemie – vermehrt Bedarf an Arbeitskräften. Da der Kläger über Erfahrungen in der Gastronomie verfügt, kommt dies ihm bei der „Jobsuche“ sicherlich zugute. Hinzu kommt, dass der Kläger zeitlich und örtlich im Hinblick auf eine Arbeitsstelle flexibel ist, da ihn insbesondere keine Kinder oder sonstige Familienangehörige nach Italien begleiten, die an besondere Zeiten bzw. an besondere Bedürfnisse gebunden sind. Im Übrigen ist von Schutzberechtigten wie dem Kläger auch zu erwarten, dass sie sich in ganz Italien um eine Arbeitsstelle, ggf. auch im Niedriglohnsektor, bemühen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich durch die Corona-Pandemie die Erwerbsmöglichkeiten für Schutzberechtigte in Italien weiterhin nachhaltig verschlechtern. Im Gegenteil, es lässt sich den vorliegenden Erkenntnismitteln entnehmen, dass in einigen Sektoren, insbesondere in Bereichen, in denen auch ungelernte Schutzberechtigte tätig werden können, vermehrt Arbeitskräfte benötigt werden. Da der Kläger sicherlich noch einige „Basics“ der italienischen Sprache beherrscht und zudem seit über zehn Jahren in Deutschland lebt, ist auch zu erwarten, dass Erwerbsmöglichkeiten für Ungelernte mit Kenntnissen der deutschen bzw. italienischen Sprache leichter offenstehen als für Flüchtlinge, die sich überhaupt nicht in diesen Sprachen verständigen können.
(3) In Bezug auf die Unterbringungssituation in Italien liegt aus Sicht des Gerichts zum Zeitpunkt der Entscheidung ebenfalls keine Situation vor, die zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh führt. Es steht insbesondere keineswegs fest, dass der Kläger – wie es sein Bevollmächtigter formuliert (vgl. Bl. 190 der GA) -, „zumindest für die ersten paar Monate in der Gosse landen wird“. Die Tatsache, dass der Kläger in Italien erwerbsfähig ist, wird ihm die – wenn auch für eine Übergangszeit möglicherweise schwierige – Suche nach einer Unterkunft erleichtern. Zugute kommt ihm ferner, dass er gegenwärtig in Deutschland in Vollzeit erwerbstätig ist und – selbst wenn er nur den „Mindestlohn“ beziehen sollte bzw. er nicht allzu viel ansparen kann – er damit nicht völlig mittellos nach Italien zurückkehren wird, was gerade in der Übergangszeit eine enorme Erleichterung darstellt, insbesondere kann er eine gewisse finanzielle Sicherheit gegenüber Wohnungsgebern bieten. Weiterhin kann die Rückkehr nach Italien, insbesondere die Suche nach einer Unterkunft in Italien bereits von Deutschland aus „angeleiert“ werden. Daneben lebt seine „Lebensgefährtin“ bzw. kirchlich angetraute „Ehefrau“ ebenfalls in Deutschland. Selbst falls diese als (abgelehnte) Asylbewerberin nur „Sozialleistungen“ beziehen sollte, kann jedenfalls von dieser Seite eine – wenn auch geringfügige – Unterstützung erfolgen, zumal sich der Kläger mit seiner „Frau“ gegenwärtig auch eine eigene Wohnung leisten kann. Dadurch, dass der Kläger nicht völlig mittellos nach Italien zurückkehren wird, durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für seinen Lebensunterhalt sorgen kann und zudem örtlich flexibel ist, sieht das Gericht – unter Berücksichtigung der vorstehenden Erkenntnislage – kein „real risk“ dafür, dass dieser mehrere Monate „in der Gosse“ landen wird.*Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Unterbringung für in Italien anerkannte Schutzberechtigte nicht mit einem bürgerlichen Leben vergleichbar sein muss, sondern sich (nur) an den dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde genügenden Mindestanforderungen zu orientieren hat (vgl. BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris sowie U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris). Im Übrigen besteht für den Kläger aufgrund seiner „gesundheitlichen Beeinträchtigung“ eine größere Wahrscheinlichkeit erneut bzw. länger in einem SAI-Zentrum unterzukommen. Soweit der Klägerbevollmächtige mit der Gegenvorstellung vom 04.03.2022 ausführt, in den auch vom Gericht verwendeten Quellen werde ein Zeitraum von 6 Monaten als minimale Wartezeit für eine Aufnahme in das staatliche Unterbringungssystem angeben (S. 2), bleibt schon offen, auf welche vom Gericht verwendete Quelle bzw. Fundstelle sich die Klägerseite bezieht. In diesem Zusammenhang ist auch der Einwand der Gegenvorstellung zurückzuweisen, die vom Gericht im Beweisbeschluss verwendeten Quellen seien nicht hinreichend konkretisiert und nicht aktuell. Dem Beweisbeschluss liegen im wesentlichen aktuelle Erkenntnisse aus den Jahren 2020 und 2021 zugrunde, die auch von anderen Gerichten aktuell verwendet und bestätigt werden. Es ist nicht substantiiert dargetan, dass eine Auskunft von ASGI andere und bessere Erkenntnisse für dieses Verfahren bringen würde. Im Zusammenhang mit den Unterkunftsmöglichkeiten in Italien verkennt das Gericht nicht, dass der Kläger aufgrund seiner Diabetes-Erkrankung stärker auf ein „sauberes und kontinuierliches Umfeld“ angewiesen ist als ein völlig gesunder Rückkehrer. Ein solches Umfeld kann er aber auch in einer Notunterkunft oder bei einer karitativen Einrichtung für die Übergangszeit erhalten, falls er nicht sofort oder zeitnah Zugang zum staatlichen Unterbringungssystem oder einer privaten Unterkunftsmöglichkeit bekommt. Soweit vorgetragen wird, die Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft und in besetzten Häusern sei wegen fehlender Kapazitäten ausgeschlossen, wird dies auch in der Gegenvorstellung nicht untermauert. Diesbezüglich verweist die Klägerseite wieder pauschal auf die vom Gericht bezeichneten Auskünfte. Selbst wenn mit der Gegenvorstellung nur noch behauptet wird, die Unterbringung an diesen Orten sei „mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ ausgeschlossen, fehlt des dem Vortrag an der notwendigen Substanz. Auch bezüglich des Vortrags, der Kläger werde sich in entsprechenden Notunterkünften mit Corona infizieren bzw. es werde zur Entgleisung seines Blutzuckerspiegels kommen, ist für das Gericht eine derartige Kausalität nicht ersichtlich, wenngleich nicht verkannt wird, dass insoweit ein „Einzelzimmer“ oder gar eine eigene Wohnung derartige Gefahren noch weiter minimieren könnten. Daran ändert auch die „Präzisierung“ in der Gegenvorstellung, dass die behaupteten Folgen „mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit“ eintreten werden, nichts. Es ist für den Kläger weder unmöglich noch unzumutbar, in entsprechenden Einrichtungen zu leben. Insbesondere kann der Vortrag, dass (sämtliche) Einrichtungen in diesem Sinne für den Kläger nicht geeignet wären, so vom Gericht nicht geteilt werden. Insoweit ist zwar den Ausführungen in der Gegenvorstellung beizupflichten, dass in „Notunterbringungen“ teilweise mäßige und verbesserungsbedürftige hygienische Bedingungen herrschen. Diese Unterkünfte sind aber in der Regel geeignet, zumindest die essentiellen Bedürfnisse zu befriedigen. Im Übrigen ist es eine bloße Behauptung, dass solche Zustände durchwegs und überall bestehen. Weiterhin lebt der Kläger auch in Deutschland nicht sozial und gesellschaftlich isoliert. Er geht sogar einer Erwerbstätigkeit in der Gastronomie nach. Selbst wenn er keinen direkten Kontakt mit Gästen hat, herrscht in diesem Bereich ein durchaus erhöhtes Infektionsrisiko mit dem Coronavirus oder anderen Infektionskrankheiten, die sich wiederum negativ auf die bestehende Diabeteserkrankung auswirken können. Dies nimmt der Kläger jedoch auch in Deutschland in Kauf. Daneben ist er vollständig gegen das Coronavirus geimpft und könnte ohne weiteres eine vierte Impfung erhalten, so dass die Wahrscheinlichkeit eines schwereren Verlaufes zusätzlich minimiert wird. Soweit der Klägerbevollmächtigte – unter Verweis auf ein Urteil des VG Stuttgart vom 28.10.2021 (A 19 K 5686.18) – ausführt, der Kläger könne bei den Wohnverhältnissen in Italien sein Insulin nicht hinreichend kühlen und nicht „halbwegs gesund bleiben“, ist darauf hinzuweisen, dass nach allgemein zugänglichen Quellen (vgl. z.B. https://www.presseportal.de/pm/52678/1467226; https://www.medical-tribune.de/medizin-und -forschung/artikel/insulin-haelt-sich-auch-ohne-kuehlung-bis-zu-vier-wochen/; https://www. msf.ch/de/neueste-beitraege/pressemitteilung/neue-erkenntnisse-lagerung-von-insulin-auch-bei-raumtemperatur) – was auch jedem Diabetiker ausdrücklich empfohlen wird – es nicht notwendig und sogar kontraproduktiv ist, angebrochenes Insulin im Kühlschrank aufzubewahren. Dementsprechend können angebrochene Insulinampullen bzw. Insulinstifte bis zu vier Wochen ungekühlt verwendet werden. Lediglich verschlossene und nicht angebrochene Insulinvorräte sind nach den fachlichen Vorgaben gekühlt aufzubewahren. Daraus folgt, dass der Kläger, selbst wenn er über keine Kühlmöglichkeiten in Italien verfügen sollte, dennoch in der Lage sein wird, sich entsprechend mit geeignetem Insulin zu versorgen und seinen Blutzuckerspiegel stabil zu halten. Die Tatsache, dass angebrochenes Insulin mehrere Wochen ungekühlt haltbar ist, ermöglicht es dem Kläger auch, dieses bei sich mitzuführen, um gegebenenfalls am Arbeitsplatz „nachzuspritzen“. Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass der Kläger größere nicht angebrochene Insulinvorräte gekühlt bei sich aufbewahren muss. Es ist möglich und zumutbar, das in Italien verfügbare Insulin (siehe dazu zugleich unter (4)) erst bei Bedarf von den zuständigen Stellen entgegenzunehmen und zeitnah anzubrechen, so dass es insoweit nicht mehr gekühlt gelagert werden muss. Um „Versorgungslücken“ bei sich zu Ende neigenden Ampullen oder Pens zu vermeiden, können auch zwei oder mehrere Ampullen oder Pens zeitlich versetzt angebrochen und parallel verwendet werden, so dass auch ohne Kühlmöglichkeit eine ausreichende und wirksame Insulinversorgung für den Kläger möglich ist. Letztlich ist es auch nicht unmöglich, dass sich der Kläger selbst bei „suboptimalen“ Wohnverhältnissen gesund ernähren kann, zumal er erwerbsfähig ist und auch gegenwärtig ein gewisses finanzielles Polster aufbauen kann. Damit kann er sich auch den Umständen entsprechend gesund ernähren, da gesunde Ernährung nicht zwangsläufig kostenintensiver sein muss.
(4) Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung besteht eine starke unionsrechtliche Vermutung, dass die dem Kläger gebotene Versorgung angemessen sein wird. Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse und der Vortrag seines Bevollmächtigten – auch im Rahmen der Gegenvorstellung – widerlegen diese Vermutung nicht. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass seine Medikamente (Insulin, Metformin und Empagliflozin – nähere Angaben zu den Medikamenten bzw. zur Medikation erhalten die Atteste nicht) bzw. die Messinstrumente in Italien nicht verfügbar sind (vgl. auch VG München, B.v. 14.2.2017 – M 9 S 16.50800 – juris Rn. 19; VG München, B.v. 26.7.2021 – M 25 S 21.2472 – juris Rn. 38). Ferner besteht kein „real risk“, dass der Kläger persönlich keinen Zugang zu diesen Medikamenten/Instrumenten erhält. Nach der Auskunftslage ist die Einschreibung beim nationalen Gesundheitsdienst bereits auf Basis des sog. „domicilio“ garantiert (s.o.). Aufgrund der vorstehenden Erwägungen spricht einiges dafür, dass der Kläger zeitnah über einen „Wohnsitz“ verfügen kann und insbesondere notwendige Vorbereitungshandlungen/ Unterstützungen für die Registrierung beim Nationalen Gesundheitsdienst auch schon von Deutschland aus treffen bzw. ausloten kann. Im Übrigen haben anerkannte Schutzberechtigte bis zur Registrierung im Gesundheitssystem jedenfalls Zugang zu medizinischen Basisleistungen und insbesondere zu einer medizinischen Notfallversorgung, so dass weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich ist, dass der Kläger – insbesondere in einer größeren Stadt – die für ihn lebensnotwendigen Diabetesmedikamente nicht erhalten würde und insbesondere bei einer akuten und notfallmäßig behandlungsbedürftigen Entgleisung seines Blutzuckerspiegels dort keine entsprechende Notfallversorgung erhalten würde. Insoweit ist auch nicht substantiiert dargelegt, dass der Kläger zwingend alle drei Monate zu einer fachärztlichen Kontrolle muss, zumal der Kläger auch gegenwärtig seit längerem mit der gleichen „Einstellung“ lebt. Selbst wenn er in der Anfangszeit nur Zugang zu Notfallleistungen und Basisleistungen – wie den notwenigen Medikamenten – haben sollte, besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, für eine akute Lebensgefahr beim Kläger. Soweit die Überlastung des Gesundheitssystems und die fehlende Aktualität der Quellen im Hinblick auf die Omikron-Welle im Rahmen der Gegenvorstellung angeführt wird, ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Omikron-Welle in Italien schwerere Verläufe als in Deutschland zur Folge hätte. Auch in Deutschland bestehen derzeit, insbesondere im Hinblick auf die große Zahl an infiziertem Personal im Gesundheitssektor, gewisse Einschränkungen. Dies führt aber jedenfalls nicht dazu, dass akute Notfälle abgewiesen und nicht behandelt werden. Dass dies in Italien anders sein soll, ist nicht annähernd glaubhaft gemacht.
(5) Der vorstehenden Einschätzung des Gerichts, dass dem Kläger in Italien keine Verelendung droht, steht schließlich auch nicht der Umstand entgegen, dass der Aufenthaltstitel des Klägers mittlerweile abgelaufen ist. Denn nach Stellen eines entsprechenden Verlängerungsantrags bekommt der Kläger eine Bestätigung (sog. „cedolino“), die in allen Fällen, in denen eine Aufenthaltserlaubnis benötigt wird, vorgezeigt werden kann und allgemein akzeptiert wird (vgl. hierzu ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 5). Den für die Verlängerung des Aufenthaltstitels erforderlichen Wohnsitz kann der Kläger auch mit einer sog. Erklärung der Gastfreundschaft, die auch von Privatpersonen oder NGOs ausgestellt werden kann, nachweisen (vgl. ACCORD, 18.9.2020, S. 5).
cc) Im Ergebnis steht dem Kläger – auch unter Berücksichtigung der mit der Gegenvorstellung vom 04.03.2022 vorgetragenen Punkte (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 17.10.2021 – 23 ZB 19.33385 – juris) – nach der vorstehenden Würdigung der Verhältnisse im konkreten Fall des Klägers kein Anspruch Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu.
b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gem. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vor. Unter Verweis auf die vorstehenden Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegt beim Kläger – trotz der Diabetes-Erkrankung – keine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG vor. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger in Italien nicht über die notwendige Medikation verfügen kann. Bei Zugriff auf seine Medikamente in Italien und bei der gebotenen Kontrolle des Blutzuckerspiegels auch in Italien ist nicht zu erwarten, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers in Italien alsbald wesentlich verschlechtern wird.
2. Die unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids verfügte Abschiebungsandrohung mit der gesetzten Wochenfrist ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Gem. § 35 AsylG ist im Fall der vorliegenden Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Abschiebung in den Drittstaat anzudrohen, der dem Kläger bereits Schutz gewährt hat. Dabei beträgt gem. § 36 Abs. 1 AsylG die zu setzende Ausreisefrist eine Woche.
b) Weiterhin steht der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auch das Europäische Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16.10.1980 nicht entgegen. Insoweit ist nach Auffassung des hiesigen Einzelrichters bereits mehr als fraglich, ob in Anbetracht des – zumindest formalrechtlich – „ausgefeilten“ europäischen Asylsystems mit unionsrechtlich geprägten „Zuständigkeiten“ und dem (Anwendungs-)Vorrang des Gemeinschaftsrechts, ein bloßes völkerrechtliches Übereinkommen aus den 1980er Jahren, das lediglich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat, einer aus einem Asylverfahren herrührenden Rückführung in den Drittstaat entgegenstehen kann (vgl. hierzu VG München, U.v. 28.10.2019 – M 8 K 19.32759 – juris Rn. 26; offengelassen: BayVGH, B.v. 3.12.2019 – 10 ZB 19.34074 – juris Rn. 6). Im Übrigen hält es das Gericht für fragwürdig, ob aus Art. 2 i.V.m. Art. 4 des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge auch inhaltlich die rechtliche Unmöglichkeit einer Rücküberstellung nach Italien folgt. Ausweislich der Präambel wird mit dem Übereinkommen beabsichtigt, die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen die Verantwortung für die Ausstellung eines Reisepasses von einer Vertragspartei auf die andere übergeht. Auch gem. Art. 5 Abs. 1 des Übereinkommens führt das Vorliegen von dessen Voraussetzungen (nur) dazu, dass die Verantwortung des Erststaates (hier Italien) für die Verlängerung oder Erneuerung des Reiseausweises des Flüchtlings erlischt und der Zweitstaat (hier Deutschland) für die Ausstellung eines neuen Reiseausweises für den Flüchtling verantwortlich ist (vgl. hierzu aber auch BVerwG, EuGH-Vorlage vom 27.6.2017 – 1 C 26.16 – juris Rn. 34 a.E.).
Vorliegend bedarf es jedoch keiner vertieften Auseinandersetzung mit den vorstehend angerissenen Bedenken der Anwendbarkeit bzw. der inhaltlichen Reichweite des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge im Hinblick auf den Erlass einer Abschiebungsandrohung in einen Drittstaat, da im vorliegenden Asylverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland die Frage der rechtlichen (Un-) Möglichkeit einer Abschiebung wegen Übergangs der Verantwortung für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge nach Art. 2 des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge auf die Bundesrepublik Deutschland nicht zu prüfen ist. Prüfungsgegenstand im hiesigen Asylverfahren sind nämlich nur zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (vgl. § 35 i.V.m. § 31 Abs. 3 Satz 1 und § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG). Ob aber – wenn zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote wie hier nicht gegeben sind – der Verantwortungsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland als Zweitstaat im Sinne des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge zur Folge hat, dass die Abschiebung rechtlich unmöglich ist, ist allenfalls ein inlandbezogenes Abschiebungshindernis, welches nicht Gegenstand des vorliegenden Asylrechtsstreits ist (BayVGH, B.v. 3.12.2019 – 10 ZB 19.34074 – juris Rn. 6; OVG Lüneburg, B.v. 2.8.2018 – 8 ME 42.18 – juris Rn. 25). Insoweit teilt das erkennende Gericht nicht die Auffassung des Klägerbevollmächtigten, dass die Einschlägigkeit des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis darstellt. Der erkennende Einzelrichter teilt auch nicht die vom Klägerbevollmächtigten zitierten Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 02.12.2019 (6 K 1553/16.GI.A), wonach sich eine Abschiebungsandrohung bei Unzulässigkeit des in Deutschland gestellten Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG deswegen als rechtswidrig erweisen soll, weil die Zuständigkeit für den Kläger gem. des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16.10.1980 auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist (vgl. UA S. 7 bis 9; Bl. 89 bis 91 der GA). Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, dass die einem Asylbewerber in Deutschland erteilte Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG bzw. eine ausgestellte Duldung keine stillschweigende Billigung eines dauerhaften Aufenthalts in Deutschland beinhaltet (OVG Koblenz, B.v. 25.9.2018 – 7 B 11097.18 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 2.8.2018 – 8 ME 42.18 – juris).
3. Bedenken gegen die Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids (Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots und Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung) sind weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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