Verwaltungsrecht

Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache

Aktenzeichen  9 B 17.31674

Datum:
11.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 491
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 75 S. 1, § 92 Abs. 3, § 125 Abs. 1, § 161 Abs. 2 S. 1, § 173
ZPO § 269 Abs. 3 S. 1 Hs. 2

 

Leitsatz

1 Grundsätzlich fehlt Klagen auf Erlass eines Bescheids das Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine gebundene Rechtsentscheidung zu treffen ist, der kein Ermessens-, Beurteilungs- oder Bewertungsspielraum innewohnt (BVerwG BeckRS 1997, 31222046). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dies gilt nicht für Untätigkeitsklagen im Asylverfahren, weil sich die für das Asylverfahren in der für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Verfahrensrichtlinie enthaltenen speziellen Verfahrensgarantien nur dann vollständig sicherstellen lassen, wenn die Prüfung des Asylbegehrens beim Bundesamt erfolgt und nicht (erstmals) durch das Gericht durchgeführt wird (BayVGH BeckRS 2017, 113698). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 16.30622 2017-06-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. Juni 2017 (Az. M 21 K 16.30622) ist wirkungslos geworden.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Zwei Jahre nach Stellung eines Asylantrags erhob der Kläger bei dem Verwaltungsgericht M* … eine Untätigkeitsklage und beantragte die Verpflichtung der Beklagten, das Asylverfahren fortzuführen und über seine Anträge zu entscheiden. Mit Urteil vom 27. Juni 2017 wurde die Klage vom Verwaltungsgericht als unzulässig abgewiesen. Für eine auf eine reine Verbescheidung durch das Bundesamt gerichtete Untätigkeitsklage bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Auf Antrag des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17. November 2017 die Berufung zugelassen. Mit Bescheid vom 23. November 2017 entschied das Bundesamt über den Asylantrag des Klägers. Daraufhin erklärten die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
II.
Das Verfahren ist gem. § 125 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 3 VwGO analog durch Beschluss einzustellen und gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO analog auszusprechen, dass das erstinstanzliche Urteil vom 27. Juni 2017 wirkungslos geworden ist.
Über die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil die Berufung bis zur Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag voraussichtlich begründet gewesen wäre. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts dürfte die auf Verpflichtung des Bundesamts zur Entscheidung über den Asylantrag gerichtete Klage gem. § 75 VwGO als Untätigkeitsklage wohl zulässig und begründet gewesen sein. Gem. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO dürfte sich der Kläger zulässigerweise darauf beschränkt haben, nur die Verpflichtung des Bundesamts zur Entscheidung über seinen Asylantrag zu beantragen.
Zwar ist es in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass Klagen auf Erlass eines Bescheids grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn eine gebundene Rechtsentscheidung zu treffen ist, der kein Ermessens-, Beurteilungs- oder Bewertungsspielraum innewohnt (vgl. BVerwG, B.v. 28.4.1997 – 6 B 6.97 – juris Rn. 28). Dies folgt aus der Verpflichtung des Tatsachengerichts, grundsätzlich den Sachverhalt in dem zur Sachentscheidung erforderlichen Umfang aufzuklären und selbst über den Klageantrag zu entscheiden.
Von diesem Grundsatz dürfte jedoch bei Untätigkeitsklagen im Asylverfahren eine Ausnahme zu machen sein, weil sich die für das Asylverfahren in der für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Verfahrensrichtlinie [Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326 S. 13) – Asylverfahrensrichtlinie a.F. – bzw. Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 S. 60) – Asylverfahrensrichtlinie n.F. -] enthaltenen speziellen Verfahrensgarantien wohl nur dann vollständig sicherstellen lassen dürften, wenn die Prüfung des Asylbegehrens beim Bundesamt erfolgt und nicht (erstmals) durch das Gericht durchgeführt wird (vgl. dazu BayVGH, B.v. 23.3.2017 – 13a B 16.30951 – juris Rn. 17 ff m.w.N.; zum Ganzen auch: Polzin, DVBl 2017, 551 ff).
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 80 AsylG).


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