Verwaltungsrecht

Kostenentscheidung nach Erledigung eines Asylverfahrens

Aktenzeichen  M 22 K 20.30751

Datum:
17.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14025
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 75 S. 1, § 92 Abs. 3, § 161 Abs. 2, Abs. 3
RVG § 30 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Bei Vorliegen eines zureichenden Grundes für die Nichtbescheidung i.S.d. § 75 S. 1 VwGO entfällt die Anwendbarkeit des § 161 Abs. 3 VwGO, wenn die Klagepartei den Grund kannte oder kennen musste und daher nicht mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist die Untätigkeitsklage nicht auf eine sachliche Entscheidung gerichtet, sondern beschränkt den Klageantrag allein auf die Fortsetzung des Asylverfahrens, kann der Regelstreitwert herabgesetzt werden.  (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2) und 3) zu tragen. Die Klägerin zu 1) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt die Klägerin zu 1) zu 1/3, die Beklagte selbst zu 2/3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Gegenstandswert wird für die Klägerin zu 1) auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Klagepartei hat am 18. Mai 2020 hinsichtlich der Kläger zu 2) und 3) und am 15. Juni 2020 hinsichtlich der Klägerin zu 1) die Hauptsache für erledigt erklärt. Die Gegenpartei hat durch allgemeine Prozesserklärung der Erledigung zugestimmt. Das Verfahren ist daher in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
Hinsichtlich der Klägerin zu 1) folgt die Kostenentscheidung aus § 161 Abs. 2 VwGO. Trotz Erhebung einer Klage mit dem Ziel, die Beklagte zu verpflichten, über einen Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft der Kläger zu entscheiden, ist § 161 Abs. 3 VwGO hinsichtlich der Klägerin zu 1) nicht anwendbar. Nach § 161 Abs. 3 VwGO fallen in den Fällen des § 75 VwGO die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Dies setzt das Vorliegen einer zulässigen Untätigkeitsklage im Sinn des § 75 VwGO voraus (Schoch/Schneider/Bier/Clausing, 37. EL Juli 2019, VwGO § 161 Rn. 39). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Mangels Rechtsschutzbedürfnis war die Klage bereits bei ihrer Erhebung unzulässig. Es existierte bei Klageerhebung kein Antrag im Sinn des § 75 VwGO, über den noch nicht entschieden worden wäre. Die Klägerin zu 1) hatte am 12. Juni 2018 einen Asylantrag gestellt, über den mit Bescheid vom 8. Januar 2019 entschieden worden ist. Dieses Verfahren ist seit dem 29. Januar 2019 bestandskräftig abgeschlossen. Ein weiterer Asylantrag wurde von der Klägerin zu 1) vor Klageerhebung nicht gestellt.
Es war damit hinsichtlich der Klägerin zu 1) gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es im vorliegenden Fall, die außergerichtlichen Kosten wie entschieden der Klägerin zu 1) aufzuerlegen, da ihre Klage voraussichtlich erfolglos geblieben wäre. Wie bereits dargelegt, war die Klage mangels Vorliegens eines Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig.
Hinsichtlich der Kläger zu 2) und 3) folgt die Kostenentscheidung aus § 161 Abs. 3 VwGO. Nach § 161 Abs. 3 VwGO fallen in den Fällen des § 75 VwGO die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Diese Voraussetzungen sind für die Kläger zu 2) und 3) gegeben. Die Kläger zu 2) und 3), die im Juni 2018 einen Asylantrag gestellt hatten, durften mit einer Bescheidung vor Klageerhebung im März 2020 rechnen. Zwar brachte die Beklagte im Verfahren vor, dass über die Anträge der Kläger zu 2) und 3) auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 26 Abs. 2 AsylG aufgrund eines laufenden Verfahrens zur Prüfung des Widerrufs der Anerkennung des stammberechtigten Vaters noch nicht entschieden werden konnte, dies ändert vorliegend jedoch nichts an der Anwendbarkeit des § 161 Abs. 3 VwGO. Selbst bei Vorliegen eines zureichenden Grundes für die Nichtbescheidung i.S.d. § 75 S. 1 VwGO entfällt die Anwendbarkeit des § 161 Abs. 3 VwGO nämlich nur dann, wenn die Klagepartei den Grund kannte oder kennen musste und daher nicht mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (BVerwG, B. v. 23.7.1991 – 3 C 56/90, NVwZ 1991, 1180; Schoch/Schneider/Bier/Clausing, 37. EL Juli 2019, VwGO § 161 Rn. 42).
Im vorliegenden Einzelfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger zu 2) und 3) wussten oder hätten wissen müssen, aus welchem Grund über ihre Anträge bis zur Klageerhebung nicht entschieden wurde. Insbesondere erinnerten die Kläger zu 2) und 3) mit anwaltlichen Schreiben vom 6. Februar 2019, 7. März 2019, 15. Oktober 2019 und 26. November 2019 an ihre Antragstellung und baten um baldige Verbescheidung. Laut Aktenlage blieben diese Schreiben ohne Reaktion durch die Beklagte, die es in der Hand gehabt hätte, auf die Prüfung des Widerrufs der Anerkennung des stammberechtigten Vaters als Grund der Nichtbescheidung hinzuweisen. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger zu 2) und 3) ohne Hinweis durch die Beklagte von diesem Umstand hätten Kenntnis haben müssen und folglich nicht mit einer Bescheidung hätten rechnen dürfen. Es kann daher im Ergebnis dahinstehen, ob die Prüfung des Widerrufs der Anerkennung des stammberechtigten Vaters im vorliegenden Fall einen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung i.S.d. § 75 S. 1 VwGO darstellte.
Die von § 30 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) abweichende Festsetzung des Gegenstandswerts für die Klägerin zu 1) beruht auf § 30 Abs. 2 RVG. Danach kann ein höherer oder niedrigerer Wert festgesetzt werden, wenn der nach § 30 Abs. 1 RVG bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Das Gericht erachtete hier den Regelgegenstandswert nach § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG in Höhe von 5.000,00 EUR für unbillig, weil beantragtes Ziel des Klageverfahrens (Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO) nur die Fortsetzung des Asylverfahrens war. Ein derartiges Klagebegehren ist weder von der Bedeutung für den Kläger noch vom Aufwand für den Klägerbevollmächtigten vergleichbar mit einer beantragten (Sach-) Entscheidung durch das Gericht. Das vorliegende Verfahren zielt nur auf eine Fortsetzung des Asylverfahrens ab, während eine Verpflichtung des Bundesamts zur Sachentscheidung über einen materiellen (Asyl-) Anspruch von der Bedeutung für den jeweiligen Kläger deutlich weiter geht. Sonach war zur Überzeugung des Gerichts eine Halbierung des Regelgegenstandwerts geboten.
Für die Klägerinnen zu 2) und 3) hat es beim Gegenstandswert nach § 30 Abs. 1 Satz 2 RVG für weitere Beteiligte (jeweils 1.000 EUR) sein Bewenden.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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