Verwaltungsrecht

Landesdisziplinarrecht, Einbehaltung der Bezüge, Höhe des Kürzungssatzes, Aufhebung der Disziplinarverfügung, Ermessen

Aktenzeichen  16a DS 22.110

Datum:
8.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4447
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 39 Abs. 2
BayDG Art. 61 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Setzt die Disziplinarbehörde die Höhe des Einbehaltungssatzes nach Art. 39 Abs. 2 BayDG fest, bleiben Einnahmen und Zahlungsverpflichtungen einer mit dem Beamten in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebenden Person unberücksichtigt (im Anschluss an den Beschluss des Senats vom 2. Juli 2019 – 16a DS 19.1040).
2. Das Alimentationsprinzip beschränkt die erforderliche Gesamtbetrachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich auf die Berücksichtigung von Einnahmen und Zahlungsverpflichtungen der Kernfamilie (Ehepartner, Kinder) des Beamten. Die sozialrechtlichen Vorschriften über die Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3, 3a SGB II) können nicht entsprechend angewendet werden.

Verfahrensgang

AN 13b DS 21.1769 2021-12-21 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Dezember 2021 wird aufgehoben. Die Verfügung des Polizeipräsidiums M. vom 14. September 2021 wird ausgesetzt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe

Der mit Verfügung des Polizeipräsidiums M. (Disziplinarbehörde) vom 11. Juni 2021 vorläufig des Dienstes enthobene Antragsteller wendet sich gegen die mit weiterer Verfügung vom 14. September 2021 ausgesprochene hälftige Einbehaltung seiner Dienstbezüge.
Umstritten ist ausschließlich die Frage, ob das dem Antragsteller bei einem Einbehaltungssatz von 50% verbleibende Einkommen noch den nach der Rechtsprechung einzuhaltenden Mindestabstand von 15% zum sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau aufweist. Der Antragsgegner hat seiner Berechnung nicht nur das Nettoeinkommen des Antragstellers (2.657,61 Euro) zugrunde gelegt, sondern auch ein (geschätztes) Nettoeinkommen (2.000 Euro) seiner Lebensgefährtin H.; von der Summe beider Beträge wurden monatliche Ausgaben der „Bedarfsgemeinschaft gesamt: 2.047,27 Euro“ (Antragsteller: 1.651,20 Euro/ Fr. H.: 396,07 Euro) abgezogen.
Das Verwaltungsgericht lehnte mit dem angefochtenen Beschluss vom 21. Dezember 2021 den Antrag auf Aussetzung der Einbehaltung der Dienstbezüge ab. Es folgte damit der Auffassung des Antragsgegners, dass für die Betrachtung der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers und damit die Festsetzung des Einbehaltungssatzes auch die finanziellen Verhältnisse seiner Lebensgefährtin einzubeziehen seien, weil beide seit 25. März 2019 in gemeinsamer Wohnung zusammenlebten und daher eine Bedarfsgemeinschaft bildeten. Dem formalistischen Ansatz, wonach das Beamtenbesoldungsrecht bei der Gewährung familienbezogener Leistungen an eine Ehe/Lebenspartnerschaft anknüpfe, sei im Hinblick darauf, dass die Höhe sozialrechtlicher Ansprüche und damit das Grundsicherungsniveau maßgeblich vom Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft beeinflusst würden, nicht zu folgen. Außerdem sei davon auszugehen, dass der Antragsteller die Kosten für die gemeinsam genutzte Mietwohnung (monatlich 520 Euro) nicht allein trage.
Mit seiner Beschwerde bestreitet der Antragsteller insbesondere die Anwendbarkeit der sozialrechtlichen Bestimmungen über die Bedarfsgemeinschaft. Auch bei der Frage nach der Höhe der einzubehaltenden Bezüge handele es sich um eine solche des Alimentationsrechts. Einkommen einer dritten Person könnte im Falle gesetzlicher Unterhaltsansprüche einbezogen werden, soweit diese Person hinsichtlich der Alimentation eine Gemeinschaft mit dem Beamten bilde. Die Rechtsprechung, nach der die Höhe des dem Beamten zu belassenden Einkommens 115% des Grundsicherungsniveaus nicht unterschreiten dürfe, beziehe sich nur auf den verfassungsrechtlich geforderten Abstand zwischen Sozialhilfe und der vom Dienstherrn geschuldeten Alimentation. Die Anwendung anderweitiger sozialrechtlicher Regelungen sei damit nicht verbunden. Ermessensfehlerhaft sei auch, dass die Disziplinarbehörde keinen Versuch unternommen habe, die Einkommensverhältnisse von Frau H. bei ihr selbst zu ermitteln.
Der Antragsteller beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Dezember 2021 die Einbehaltung der Dienstbezüge des Antragstellers auszusetzen.
Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss und beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
1. Nach Art. 61 Abs. 2 BayDG ist die Einbehaltung der Bezüge „ganz oder zum Teil auszusetzen“, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Das Gericht kann eine von Anfang an rechtsfehlerbehaftete Anordnung des Einbehalts von Bezügen mit Wirkung ex tunc aufheben (BayVGH, B.v. 29.3.2019 – 16a DS 19.435 – Rn. 13; B.v. 7.11.2007 – 16a CD 07.2007 – juris Rn. 18; zu § 92 BDO BVerwG, B.v. 22.5.2000 – 1 DB 8.00 – juris Rn. 28; VG Magdeburg, B.v. 9.7.2018 – 15 B 9/18 – juris Rn. 24; a.A. Conrad in Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: Aug. 2021, Art. 61 Rn. 7; Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Aufl. 2017, § 63 Rn. 17; wohl auch: Findeisen, Bayerisches Disziplinargesetz, Stand: Nov. 2020, Art. 61 Anm. 2.2). Nicht angegriffen hat der Antragsteller die schon mit Schreiben vom 11. Juni 2021 ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung. Es geht ihm ausschließlich darum, den Einbehalt der Bezüge abzuwehren.
Anders als etwa § 63 Abs. 2 BDG eröffnet Art. 61 Abs. 2 BayDG dem Verwaltungsgericht ausdrücklich die Möglichkeit, bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit die Einbehaltung von Bezügen auch nur zum Teil auszusetzen. Das Gericht hat mithin „nicht nur die Rechtmäßigkeit der Einbehaltung selbst, sondern auch die Höhe des Einbehaltungssatzes“ zu überprüfen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Staatsregierung zur Neuordnung des Bayerischen Disziplinarrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 11.10.2005 zu Art. 61 BayDG, LT-Drs. 15/4076 S.47; BayVGH, B.v. 6.11.2007 – 16a CD 07.2007 – juris Rn. 21). Die Ermessensentscheidung, die nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt, ist insbesondere dahingehend zu überprüfen, ob die Disziplinarbehörde der ihr obliegenden Verpflichtung Rechnung getragen hat, ihr Ermessen zweckgerecht und unter Wahrung der bestehenden Grenzen auszuüben (BVerwG, B.v. 22.5.2000 – 1 DB 8.00 – juris Rn. 15).
Im vorliegenden Fall hat die Disziplinarbehörde das durch Art. 39 Abs. 2 Satz 1 BayDG eröffnete Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Nach dieser Vorschrift kann die Disziplinarbehörde – wie hier nach der vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers geschehen – den Einbehalt von „bis zu 50 v.H. der monatlichen Dienstbezüge“ anordnen. Die Ermessensfehlerhaftigkeit der streitgegenständlichen Festsetzung des Einbehalts folgt hier daraus, dass sich der Antragsgegner nicht am Grundsatz der angemessenen Alimentation des Antragstellers orientiert hat, sondern zu Unrecht die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Lebensgefährtin mit einbezogen hat.
1.1 Die Anordnungsbehörde hat sich bei der Festsetzung des Einbehaltungssatzes am Grundsatz der angemessenen Alimentation eines Beamten und der Fürsorge ihm gegenüber zu orientieren. Denn die Alimentations- und Fürsorgepflicht gilt für die Dauer des förmlichen Disziplinarverfahrens fort; die verbleibende Alimentation muss einen hinreichenden Abstand zum sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau einhalten (BayVGH, B.v. 2.7.2019 – 16a DS 19.1040 – juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 3.3.2010 -16a DA 10.146 – juris Rn. 24). Zur Ermittlung der Höhe des Einbehaltungssatzes hat die Anordnungsbehörde im Rahmen einer Gesamtbetrachtung den laufenden Einkünften der Familie – einschließlich des Einkommens des Ehepartners und des zufließenden Kindergeldes – den Gesamtbedarf der Familie gegenüberzustellen (BayVGH, B.v. 30.11.2010 – 16a DS 09.3252 – juris Rn. 76; B.v. 3.3.2010 – 16a DA 10.146 – a.a.O.; B.v. 6.11.2007 – 16a CD 07.2007 – juris Rn. 23 m. umfangreichen Nachweisen). Dabei müssen die konkreten Umstände des Einzelfalles, unter denen der Beamte seinen Haushalt führt und seine Einnahmen in Form der ihm zustehenden Dienstbezüge verwendet, Berücksichtigung finden. Es muss deshalb nachvollziehbar zunächst von den Verbindlichkeiten des Beamten ausgegangen und erst dann bestimmt werden, ob eine Einbehaltungsanordnung möglich und in welchem Umfang sie gegebenenfalls gerechtfertigt ist (BVerwG, B.v. 6.2.1995 – 1 D 44.94 – juris Rn. 7 zu § 92 BDO). Der Dienstherr ist dabei nicht berechtigt, dem Beamten die Möglichkeit zur Tilgung seiner Schulden zu nehmen (BVerwG, B.v. 4.8.1982 – 1 DB 14.82 – juris Rn. 16 f. zu § 92 BDO); er darf ihn nicht der Notwendigkeit preisgeben, seinen ihm gesetzlich obliegenden oder vertraglich eingegangenen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen zu können (zu allem BVerwG, B.v. 6.2.1995 a.a.O. juris Rn. 7)
1.2 Gemessen daran fehlt es hier an einer zutreffenden Ermittlung der anrechenbaren Einnahmen des Antragstellers. In ermessensfehlerhafter Weise hat ihm nämlich die Disziplinarbehörde Einkünfte der mit ihm in gemeinsamer Wohnung zusammenlebenden Lebensgefährtin angerechnet und sich insoweit auf die sozialrechtlichen Grundsätze der Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 c, Abs. 3a Nr. 1 SGB II) berufen. Gegen eine Übernahme der Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft spricht bereits, dass es bei der Ermittlung des Einkommens – wie auch der des Gesamtbedarfs – nur auf die Einnahmen der gegenüber dem Beamten unterhaltsberechtigten Familienmitglieder, insbesondere also des Ehepartners ankommt (vgl. Urban/Wittkowski, a.a.O., § 38 Rn. 43; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Nov. 2021, § 38 BDG Anm. 2.1.3 Rn. 38), und nicht sonstiger Personen. Entscheidend ist insoweit, dass die aus Art. 33 Abs. 5 GG abgeleitete Alimentationspflicht des Dienstherrn nur den Beamten und seine Familie – verstanden als Kleinfamilie – umfasst und daher entsprechend für die Berechnung des Familieneinkommens maßgeblich ist (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.1967 – 2 BvL 3/62 – juris Rn. 33, 34; BVerwG, B.v. 4.8.1982 – 2 B 101.81 – juris Rn. 6; OVG LSA, B.v. 23.11. 2015 – 10 M 8/15 – juris Rn. 9-11; VG Magdeburg, B.v. 17.9.2015 – 8 B 10/15 – juris Rn. 9). Der Umstand, dass der Beamte in nichtehelicher Lebensgemeinschaft wohnt, bleibt auf seine Alimentation ohne Einfluss, denn gegenseitige Unterhaltsansprüche, deren Erfüllung dann auch bei der Berechnung des Kürzungssatzes berücksichtigt werden müssten, bestehen grundsätzlich nicht. Die Unterscheidung zwischen ehelicher und nichtehelicher Lebensgemeinschaft ist vor dem Hintergrund des Alimentationsgrundsatzes gerade nicht rein formaler Natur, wie das Verwaltungsgericht meint.
Anderes gilt zwar im Recht der Grundsicherung (§ 7 Abs. 2, 3, 3a SGB II). Dort hat der Hilfeempfänger seine wirtschaftliche Bedürftigkeit nachzuweisen und muss dazu auch die Situation des mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personenkreises offenlegen. Zu Recht weist die Beschwerde also darauf hin, dass der Bezug von Grundsicherung Hilfebedürftigkeit (§ 9 Abs. 2 SGB II) voraussetzt und ihr damit – anders als der beamtenrechtlichen Besoldung – die Funktion einer gegenüber anderen Einnahmequellen subsidiären Hilfe zukommt. Allerdings verbieten gerade diese fundamental unterschiedlichen Prinzipien eine entsprechende Heranziehung des sozialrechtlichen Begriffs der Bedarfsgemeinschaft für die hier vorliegende besoldungssrechtliche Problemstellung. Wäre anderes gewollt, hätte das Bayerische Disziplinargesetz eine eigenständige Regelung treffen oder zumindest auf die entsprechenden Bestimmungen des SGB II verweisen müssen. Dementsprechend liegt – soweit ersichtlich – weder Rechtsprechung noch Literatur vor, die eine Einbeziehung von regulären Einkommen nichtehelicher Lebensgefährten in die Gesamtberechnung bejaht und zu diesem Zweck auf die sozialrechtliche Bedarfsgemeinschaft zurückgreifen will (a.A. nur VG München, B.v. 3.5.2021 – M 19L DA 21.1378 – nicht veröffentl. Rn. 19: Bedarfsgemeinschaft mit Verlobter; offenbar sogar die Einbeziehung von Einkünften einer Ehefrau ablehnend: SächsOVG, B.v. 2.12.2013 a.a.O. Rn. 10).
Soweit das Verwaltungsgericht ausführte, dass „das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft…das sozialrechtliche Grundsicherungsniveau maßgeblich beeinflusst“ (BA S. 9), spricht dies nicht für die Übertragung der Vorschriften über die Bedarfsgemeinschaft auf den Grundsatz der angemessenen (gekürzten) Alimentation eines Beamten. Denn die Rechtsprechung nimmt die Regelbedarfsstufen der Grundsicherung (§ 28 SGB XII) ausschließlich deshalb in den Blick, um die Einhaltung der Alimentationsverpflichtung des Dienstherrn in Fällen der vorliegenden Art (rechnerisch) dahingehend überprüfen zu können, ob die dem Beamten und seiner (Kern-)Familie nach der Einbehaltungsanordnung „für den Lebensunterhalt verbleibenden Einkünfte einen Mindestabstand zum sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau von 15% aufweisen“ (BayVGH, B.v. 2.7.2019 – 16a DS 19.1040 – juris Rn. 16). Das so definierte besoldungssrechtliche Abstandsgebot steht allenfalls in mittelbarem Zusammenhang mit der sozialrechtlich definierten Hilfebedürftigkeit im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft. Es dient lediglich der Bildung einer „Untergrenze“ zur Sicherstellung einer amtsangemessenen Alimentation des Beamten und seiner Kernfamilie (Ehegatte und Kinder), ohne damit weitergehende sozialrechtliche Bestimmungen zu übernehmen.
Damit ist im Übrigen nicht ausgeschlossen, dem Beamten regelmäßig zufließende Zuwendungen durch Dritte, also auch solche durch den nichtehelichen Lebensgefährten, auf der Einnahmeseite zu berücksichtigen (SächsOVG, B.v. 2.12.2013 – D 6 B 147/12 – juris Rn. 10). Hier ist für derartige Zuwendungen von H. an den Antragsteller jedoch nichts ersichtlich. Die bloße Behauptung im angefochtenen Beschluss (BA S. 10), es sei davon „auszugehen, dass derartige Zuwendungen von Seiten der Lebensgefährtin des Antragstellers als Ausgleich…für die gemeinsam bewohnte Mietwohnung“ erfolgten, wird von diesem bestritten und durch die vorgelegten Akten nicht bestätigt. Außerdem würde auch eine derartige Zuwendung keine Bedarfsgemeinschaft begründen, vielmehr wäre der Geldfluss allenfalls im Rahmen der Gesamtberechnung auf der Einnahmeseite des Antragstellers zu berücksichtigen.
Schließlich folgt aus dem hier gefundenen Ergebnis zugleich, dass der Beamte auch nicht die Einbeziehung bestehender Zahlungsverpflichtungen seiner (möglicherweise nicht einmal erwerbstätigen) Lebensgefährtin in die für die Kürzung der Bezüge maßgebliche Gesamtbetrachtung verlangen kann. Dies dürfte allerdings geboten sein, wollte man eine entsprechende Anwendung von § 7 Abs. 2, 3, 3a SGB II bejahen.
Angesichts dieses Ergebnisses kann dahinstehen, ob die vom Antragsgegner vorgenommene Schätzung der monatlichen Einkünfte der Lebensgefährtin, zu deren Höhe sich weder sie selbst noch der Antragsteller geäußert haben, realistisch ist, zumal der Antragsgegner keine Grundlagen für seine Annahme mitgeteilt hat. Schließlich brauchte auch der Frage, ob überhaupt Auskunftsansprüche der Anordnungsbehörde im Hinblick auf die Einkünfte einer nichtehelichen Lebensgefährtin des Beamten bestehen und gegen wen sie sich richten, nicht nachgegangen zu werden.
2. Die ermessensfehlerhafte Annahme einer Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Beamten und seiner nichtehelichen Lebensgefährtin führt zur Aufhebung der Einbehaltensanordnung. Die dem Senat grundsätzlich mögliche „teilweise“ Aussetzung (s. oben 1.) – etwa in Form der Herabsetzung des Vomhundertsatzes des Einbehalts – scheidet im vorliegenden Fall aus, weil das Abstandsgebot (BayVGH, B.v. 2.7.2019 – 16a DS 19.1040 – juris Rn. 16) in keinem Fall gewahrt wäre. Blendet man nämlich bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers die Einnahmen der Lebensgefährtin H. (in der geschätzten Höhe von 2.000 Euro) sowie ihre Ausgaben aus und legt nur die vom Antragsgegner in seiner Verfügung vom 14. September 2021 im Übrigen angenommenen Rechnungsgrößen zugrunde, ergibt sich Folgendes: dem derzeitigen Nettoeinkommen (2.657,61 Euro incl. 100 Euro Nebeneinkünfte) des Antragstellers stehen – vom Antragsgegner anerkannte – monatliche Ausgaben in Höhe von 1.651,20 Euro gegenüber, woraus sich vor Einbehalt ein Überschuss von etwa 1.000 Euro errechnet. Dieser Betrag entfiele vollständig bei einer hälftigen Kürzung der Bezüge (vgl. Verfügung v. 14.9.2021, S. 3 ff.: Nettoeinnahmen nach Kürzung 1.450,93 Euro + 100 Euro Nebeneinkünfte).
Selbst wenn man von einer regelmäßigen monatlichen Beteiligung der Lebensgefährtin an den Mietkosten des Antragstellers in hälftiger Höhe (520 Euro: 2 = 260 Euro) ausginge oder auch nur einen entsprechenden schuldrechtlichen Anspruch des Antragstellers auf der Einnahmenseite berücksichtigen wollte, würde der nach Einbehalt verbleibende Überschuss die Höhe der Regelbedarfsstufe 1 (ab 1.1.2022: 449 Euro, § 20 Abs. 1a SGB II, § 28 SGB XII i.V.m. Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2022 – BGBl 2021, S. 4674) nicht erreichen. Vor diesem Hintergrund kam nur die vollständige Aussetzung des Einbehalts im Wege der Aufhebung der ermessensfehlerhaften Anordnung in Betracht (BayVGH, B.v. 6.11.2007 – 16a CD 07.2007 – juris Rn. 22 f.).
Eine mögliche Neuberechnung des Kürzungssatzes nach erneuter Ermessensausübung unter Beachtung der Maßgaben dieses Beschlusses bleibt dem Antragsgegner vorbehalten. Die Verfügung ist mit rückwirkender Kraft auszusetzen, da der Beamte Anspruch auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung nicht erst im gegenwärtigen Zeitpunkt hat, sondern für den gesamten Zeitraum, in dem die Maßnahme seine Rechte beeinträchtigt (vgl. BVerwG, B.v. 3.4.2000 – 1 D 65.98 – juris Rn. 44).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, Art. 72 Abs. 4, Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 3 BayDG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO).


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