Verwaltungsrecht

Leistungen, Bescheid, Asylverfahren, Anfechtungsklage, Verwaltungsakt, Unterkunft, Versorgung, Asyl, Ausreise, Schutzstatus, Griechenland, Einreise, Anordnungsanspruch, Migration, aufschiebende Wirkung, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Antrag auf Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  S 4 AY 93/21 ER

Datum:
30.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25598
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. S., B-Straße, B-Stadt, wird abgewiesen.

Gründe

I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner Anspruch auf vorläufig höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum vom 22.07.2021 bis 31.12.2021 hat. Umstritten ist eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG.
Die Antragstellerin wurde mit Zuweisungsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 22.04.2021 ab dem 11.05.2021 dem Landkreis Main-Spessart zugewiesen. Die am 09.01.1993 geborenen Antragstellerin ist verheiratet und lebt zusammen mit ihrem Ehemann sowie ihren 2017 und 2019 geborenen Kindern in der ihnen zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft in A-Stadt. Die Antragstellerin ist syrische Staatsangehörige und über Griechenland am 07.03.2021 in das Bundesgebiet eingereist. Am 24.03.2021 hat sie Antrag auf Asyl gestellt. Die Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erfolgte, soweit ersichtlich, noch nicht.
Der Antragstellerin wurde am 24.03.2021 der Aufenthalt in Deutschland nach § 55 Asylgesetz (AsylG) zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet. Die Aufenthaltsgestattung ist weiterhin gültig. Das BAMF hat noch nicht über den Asylantrag entschieden.
Die Antragstellerin beantragte am 18.06.2021 die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG. Mit Bescheid vom 17.06.2021 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit vom 10.06.2021 bis zum 30.06.2021 Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in Höhe von 97,59 Euro. Für ihre beiden Kinder wurden Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in Höhe von jeweils 64,81 Euro gewährt.
Nach Mitteilung der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken vom 06.05.2021 wurde der Antragstellerin in Griechenland am 30.03.2020 internationaler Schutz zuerkannt, der bis zum 29.03.2023 fortbesteht.
Nach der Anhörung mit Schreiben vom 15.06.2021 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 24.06.2021 für den Zeitraum vom 01.07.2021 bis zum 31.12.2021 Leistungen für Unterkunft einschließlich Heizung als Sachleistung sowie Leistungen für Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege in Höhe von 163 Euro monatlich. Den beiden Kindern der Antragstellerin wurden weiterhin Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in Höhe von jeweils 247,00 Euro monatlich bewilligt. Inhaber einer Aufenthaltsgestattung, denen bereits von einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union internationale Schutz gewährt worden sei, welcher fortbestehe, hätten lediglich Anspruch auf Leistungen für Unterkunft, Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege, sowie der in § 4 AsylbLG geregelten Krankenhilfe. Die Antragstellerin gehöre zu dem in § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG aufgeführten Personenkreis. Die Antragstellerin verfüge über einen internationalen Schutzstatus, der ihr am 30.03.2020 in Griechenland gewährt worden sei und der noch bis zum 29.03.2023 fortbestehe. Der Bedarf an Kleidung könne über Sachleistungen durch die Kleiderkammer in Lohr gedeckt werden. Auf Antrag werde eine entsprechende Bestätigung für die Kleiderkammer ausgestellt.
Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtige der Antragstellerin am 22.07.2021 Widerspruch, über den noch nicht entschieden wurde.
Ebenfalls am 22.07.2021 stellte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin beim Sozialgericht Würzburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin für die Zeit vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021 ungekürzte Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) zu bewilligen.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin trägt vor, die Antragstellerin habe Anspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2). Die Regelung des § 1a AsylbLG sei verfassungswidrig, da sie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletze. Die Leistungshöhe betrage nur ca. 50 Prozent der der Antragstellerin nach §§ 3, 3a AsylbLG zustehenden Leistungen (310 Euro). Darüber hinaus lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG nicht vor. Eine Anspruchseinschränkung sei – unter Verweis auf das Bayerische Landessozialgericht (Bay. LSG, Beschluss vom 17.09.2018, L 8 AY 13/18 B) – nur zulässig, wenn dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei. Die Antragstellerin habe zum Zeitpunkt ihrer Einreise keine Kenntnis von ihrem Aufenthaltsrecht in Griechenland gehabt, da dieses erst nach der Asylantragstellung erteilt worden sei. Außerdem drohe in Griechenland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 3 EMRK (unter Verweis auf OVG NRW, Urteil vom 21. Januar 2021,11 A 1564/20.A).
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24.06.2021 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig für den Zeitraum vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021, längstens aber bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner meint, die Antragstellerin unterfalle dem in § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG aufgeführten Personenkreis. Die Antragstellerin habe am 30.03.2020 in Griechenland den internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen, der noch bis zum 29.03.2023 fortbestehe. Für die Anwendung des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG sei kein weiteres pflichtwidriges Verhalten erforderlich. Durch den internationalen Schutzstatus sei es der Antragstellerin bis zum 29.03.2023 jederzeit möglich, nach Griechenland einzureisen. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Anwendung der Rechtsvorschrift des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG bestünden nicht. Die Norm lasse Behörden keinen Entscheidungsspielraum. Die Tatbestandsvoraussetzungen, welche der Rechtsnorm des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG zu entnehmen seien, seien im vorliegenden Fall vollständig erfüllt. Die Leistungen seien daher einzuschränken. Der Antragstellerin drohe durch die gewährten Leistungen keine Obdachlosigkeit. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Kleidung sowie eine ausreichende Gesundheitsversorgung sei sichergestellt. Es bestehe für die Antragstellerin weiterhin die Möglichkeit, sich mit lebensnotwendigen Dingen zu versorgen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des ergänzenden Vortrages der Beteiligten wird auf die Akte des Gerichts und die beigezogene Akte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig, aber nicht begründet.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren zwei Rechtsschutzbegehren verfolgt. Zum einen beantragt die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 22.07.2021 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24.06.2021. Dieser Antrag ist zulässig, aber unbegründet (im Folgenden unter Ziffer 1). Zum anderen beantragt die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) für den Zeitraum vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021 verpflichtet werden soll. Auch dieser Antrag ist zulässig, aber unbegründet (im Folgenden unter Ziffer 2).
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 22.07.2021 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24.06.2021 ist zulässig, aber unbegründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der vorliegenden Fallgestaltung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise in den Fällen anordnen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Vorliegend hat der Widerspruch des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 22.07.2021 nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG keine aufschiebende Wirkung. Denn gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit dem eine Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG festgestellt wird, keine aufschiebende Wirkung.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 22.07.2021 gegen den Bescheid vom 24.06.2021 ist nicht nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG anzuordnen.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn ein überwiegendes Interesse des Antragstellers als durch den Verwaltungsakt Belasteten am Nichtvollzug gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss dabei eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 12c m.w.N.), da in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG, und damit auch im Falle des hier einschlägigen § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG dem Gesetz ein Regel-Ausnahmeverhältnis zu Ungunsten des Suspensiveffektes zu entnehmen ist, weil der Gesetzgeber zunächst einmal die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet hat.
Den Erfolgsaussichten der Hauptsache kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet. Ist die Hauptsache aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten offen, ist eine allgemeine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei die Aussichten des Hauptsacheverfahrens mit mitberücksichtigt werden können (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 12f). In die Abwägung sind insbesondere die Folgen einzubeziehen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung nicht erginge, die Klage aber später Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 12f); Krodel: Der sozialgerichtliche einstweilige Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 456).
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen, denn die Aussichten für das Hauptsacheverfahren gegen den angefochtenen Bescheid des Antragsgegners vom 24.06.2021 sind wenig erfolgversprechend.
Nach summarischer Prüfung bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 24.06.2021.
Der Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere ist von einer ordnungsgemäßen Anhörung (§ 28 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG) des Antragstellerins auszugehen. Vor Erlass des Bescheides vom 24.06.2021 wurde der Antragstellerin mit Schreiben des Antragsgegners vom 15.06.2021 die Möglichkeit gegeben, bis zum 23.06.2021 von ihrem Anhörungsrecht Gebrauch zu machen. Die Antragstellerin hat von ihrem Recht keinen Gebrauch gemacht.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz für die – wie hier – Fälle des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zulasten des Suspensiveffektes vorsieht. Der Gesetzgeber hat die sofortige Wirkung zunächst einmal angeordnet und damit dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell den Vorrang gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen eingeräumt. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 12c) und ist in der Regel nur dann gerechtfertigt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (Bay. LSG, Beschluss vom 20.12.2012, L 7 AS 862/12 B ER).
Das Gericht hat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 24.06.2021. Denn die Antragstellerin unterfällt der auf ihn anwendbaren Leistungseinschränkung gemäß § 1a Abs. 1 AsylbLG.
Gemäß § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, 1a oder 5 AsylbLG, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat, der die Verordnung (EU) Nr. 604/ 2013 anwendet, zuständig ist, nur Leistungen entsprechend Abs. 1, d.h. Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege. Nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG gilt dies entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 1a AsylbLG, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1 internationaler Schutz gewährt worden ist, wenn der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbesteht.
Das Gericht geht davon aus, dass das Asylverfahren der Antragstellerin noch nicht abgeschlossen ist und die Antragstellerin weiterhin im Besitz einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG ist. Sie ist damit leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG. Außerdem wurde der Antragstellerin in Griechenland, einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, am 30.03.2020 internationaler Schutz zuerkannt, der bis zum 29.03.2023 fortbesteht. Die Antragstellerin hatte auch zum Zeitpunkt ihrer Einreise Kenntnis von ihrem Aufenthaltsrecht in Griechenland, da dieses – entgegen dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin – der Antragstellerin nicht erst nach der Asylantragstellung (am 24.03.2021) erteilt wurde.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG nach dem Wortlaut der Norm sind damit für das erkennende Gericht vollständig erfüllt. Der gewährte Leistungsumfang entspricht dem im Gesetz in § 1 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG geregelten Umfang. Unterkunft und Heizung werden durch die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft gewährleistet, was dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Sachleistungsprinzip des § 1a Abs. 1 Satz 4 AsylbLG entspricht. Der Bedarf an Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege wird in Form von Geldleistungen in Höhe von 163 Euro monatlich gewährt. Die Leistungen umfassen den Bedarf an physischem Existenzminimum.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die Leistungseinschränkungen nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG hat das erkennende Gericht nicht (so auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.05.2019, L 7 AY 1161/19 ER-B). Die durch den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vertretene Auffassung, § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG erfordere ein über die unterbliebene Ausreise hinausgehendes pflichtwidriges Verhalten der Antragstellerin, teilt das Gericht nicht. Eine solche Voraussetzung ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen. Auch nach Auffassung der Bundesregierung ist hinsichtlich der Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG über das Verweilen im Bundesgebiet hinaus kein weiteres pflichtwidriges Verhalten erforderlich (BT-Drucks. 19/20984, S. 8).
Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin verweist auf Rechtsprechung, nach der individuelle Umstände dazu führen könnten, dass eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach Art. 3 EMRK hinsichtlich Griechenlands vorliege. Gründe für das Vorliegen derartiger individueller Umstände für die Antragstellerin im hiesigen Verfahren wurden nicht vorgetragen.
Der Antragsgegner hat die Einschränkung der Leistungen auf die Zeit vom 01.07.2021 bis zum 31.12.2021 begrenzt und damit die 6-Monats-Vorgabe des § 14 Abs. 1 AsylbLG eingehalten.
Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung kommt das erkennende Gericht zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Leistungsträgers an der Vermeidung ungerechtfertigter Leistungen dasjenige der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs überwiegt. Denn das erkennende Gericht hat auf Grundlage des aktuellen Sach- und Streitstandes keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner gewährten einschränkenden Leistungen nach § 1a Abs. 4 Satz 2, Abs. 1 AsylbLG. Die Antragstellerin wird bei einem Zuwarten in der Hauptsache auch nicht vor vollendete Tatsachen gestellt, sondern erhält im Falle des Obsiegens eine Nachzahlung. Der Umfang der Einschränkung, der er aufgrund der Leistungseinschränkung unterliegt und die damit für ihn einhergehende drohende Rechtsverletzung ist nicht so gravierend, dass für ihn ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten ist. Die Unterbringung der Antragstellerin und seine Nahrungs- und Gesundheitsversorgung ist in ausreichendem Maße sichergestellt. Den beiden Kindern der Antragstellerin wurden weiterhin Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in Höhe von jeweils 247,00 Euro monatlich bewilligt.
2. Darüber hinaus ist auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) für die Zeit vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021 verpflichtet werden soll, zulässig, aber unbegründet.
Statthafter Rechtsbehelf ist insoweit der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, weil die Antragstellerin nicht die Sicherung einer bestehenden Rechtsposition, sondern die Erweiterung ihrer Rechtsposition in Form der Geltendmachung eines Leistungsanspruchs begehrt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das vom Antragsteller geltend gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d. h. die Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (Bundesverfassungsgericht – BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005,1 BvR 569/05). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss eine umfassende Interessenabwägung erfolgen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b, Rn. 29a). Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist zu bejahen, wenn dem Antragsteller unter Berücksichtigung auch der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b, Rn. 28).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der vorliegende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unbegründet, weil es der Antragstellerin nicht gelungen ist, einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG glaubhaft zu machen. Dem geltend gemachten Anspruch auf Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG steht im vorliegenden Fall bereits der Umstand entgegen, dass der Antragsgegner – wie oben ausgeführt – in sofort vollziehbarer Weise eine Einschränkung des Leistungsanspruchs der Antragstellerin nach § 1a Abs. 4 Satz 2, Abs. 1 AsylbLG vorgenommen hat. Als Rechtsfolge sieht § 1a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ausdrücklich vor, dass die betreffenden Leistungsberechtigten keinen Anspruch auf Leistungen unter anderem nach den §§ 3, 3a AsylbLG haben.
Aus den vorgenannten Gründen konnte der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz keinen Erfolg haben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
4. Das Gericht geht von einem Streitwert über 750 Euro aus.
Die Antragstellerin begehrt für den Zeitraum ab 22.07.2021 bis zum 31.12.2021, denn auf diesen Zeitraum begrenzt der Bescheid vom 24.06.2021 die Leistungseinschränkung, Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG der Regelbedarfsstufe 2. Nach dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin beträgt die Leistungshöhe der dem Antragstellerin nach §§ 3, 3a AsylbLG zustehenden Leistungen etwa 310 Euro pro Monat. Ausgehend von der Differenz zu den gewährten Leistungen in Höhe von 163 Euro und dem streitgegenständlichen Zeitraum übersteigt der Streitwert die maßgebliche Beschwerdesumme (vgl. §§ 172, 173 Abs. 2 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
III.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Angelegenheit aufgrund der obigen Ausführungen auch unter Zugrundelegung einer weiten Auslegung des § 114 ZPO keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO). Da die Entscheidungsreife von Eilantrag und Prozesskostenhilfeantrag zum selben Zeitpunkt vorlag, ist die Entscheidung gleichzeitig ergangen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 16).


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