Verwaltungsrecht

mangelnde Glaubhaftmachung des Verfolgungsschicksals

Aktenzeichen  15 ZB 20.32307

Datum:
3.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36142
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3d, § 3e, § 78 Abs. 3, Abs. 4
VwGO § 57 Abs. 2, § 60, § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3, § 154 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
ZPO § 222 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Bei Einreichung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht kurz vor Fristablauf kann der Rechtsmittelführer nicht darauf vertrauen, dass das unzuständige Gericht den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes eines fairen Verfahrens fristwahrend an das zuständige Empfangsgericht weiterleitet.  (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer kumulativen Mehrfachbegründung muss hinsichtlich jedes Begründungsstranges ein Zulassungsgrund dargelegt sein und vorliegen, um dem Antrag auf Zulassung der Berufung zum Erfolg zu verhelfen.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 11 K 20.30965 2020-09-17 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger – nach eigenen Angaben ein jordanischer Staatsangehöriger – trägt u.a. vor, er habe in seinem Heimatland aufgrund einer Liebesbeziehung seines Sohnes (zu diesem vgl. den Beschluss des Senats vom heutigen Tag im Verfahren 15 ZB 20.32306) mit einer verheirateten Frau eines bestimmten jordanischen Familienclans Blutrache zu befürchten. Er wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12. Mai 2020, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, ihm die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Jordanien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 17. September 2020 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12. Mai 2020 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft bzw. hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt, ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Es spricht Vieles dafür, dass der Antrag auf Zulassung der Berufung wegen Versäumung der Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 VwGO unzulässig ist.
Die Zulassung der Berufung ist nach der genannten Regelung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils des Verwaltungsgerichts zu beantragen. Da das angegriffene Urteil vom 17. September 2020 laut Empfangsbekenntnis dem Bevollmächtigten der Klägerseite am 21. Oktober 2020 zugestellt wurde, lief die Monatsfrist für die Stellung des Antrags in Anwendung von § 57 Abs. 2 VwGO i.V. mit § 222 Abs. 2 ZPO am Montag, den 23. November 2020, 24:00 Uhr ab. Der auf den 21. Oktober 2020 datierte Antrag ging zwar in elektronischer Form am 23. November 2020 (22:47 Uhr) beim Verwaltungsgerichtshof ein. Gemäß § 78 Abs. 4 Satz 2 AsylG ist der Antrag aber bei dem Verwaltungsgericht (also beim „Iudex a quo“) zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 13.9.2018 – 13a ZB 18.30117 – juris Rn. 3). Hierauf wurde auch in der (auch im Übrigen ordnungsgemäßen) Rechtsbehelfsbelehrung: im Urteil vom 17. September 2020 hingewiesen. Beim Verwaltungsgericht als richtigem Antragsadressaten (wie er auch im Adressfeld des Antragsschreibens genannt ist) ging der Antrag aber erst am 24. November 2020 (Folgetag) ein, nachdem ihn der Verwaltungsgerichtshof elektronisch an dieses weitergeleitet hatte.
Die Einreichung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht wahrt nicht die Fristen im Rechtsmittelverfahren. Das unzuständige Gericht ist in diesem Fall nicht verpflichtet, die Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten auf seine Unzuständigkeit hinzuweisen. Jedoch hat es jedenfalls dann, wenn es bereits mit der Sache befasst war, gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Einen hinreichenden zeitlichen Abstand zwischen der Einlegung des Rechtsmittels und dem Ablauf der Rechtsmittelfrist vorausgesetzt, darf die Partei nicht nur auf die Weiterleitung des Schriftsatzes, sondern auch darauf vertrauen, dass dieser noch fristgerecht beim zuständigen Gericht eingeht (vgl. BVerwG, B.v. 30.1.2018 – 9 B 20.17 – NJW 2018, 1272 = juris Rn. 6 m.w.N., u.a. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Im vorliegenden Fall ist der Schriftsatz zur Nachtzeit und lediglich etwas mehr als eine Stunde vor Fristablauf beim Verwaltungsgerichtshof elektronisch eingegangen. Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, dass der Schriftsatz so frühzeitig einging, dass unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes eines fairen Verfahrens die fristwahrende Weiterleitung an das Verwaltungsgericht als zuständiges Empfangsgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres erwartet werden konnte, sodass auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 60 VwGO ausscheiden dürfte (vgl. BVerwG, B.v. 30.1.2018 a.a.O. juris Rn. 8; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 42 m.w.N.).
2. Die Frage der fristgemäßen Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung kann vorliegend dahingestellt bleiben, weil der Antrag jedenfalls deshalb abzulehnen ist, weil die von der Klägerseite geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht vorliegen bzw. nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden sind.
a) Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 2 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
Der von der Klägerseite behauptete Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33299 – juris Rn. 9 m.w.N.; B.v. 2.10.2020 – 15 ZB 20.31851 – juris Rn. 3).
Die von der Klägerseite als grundsätzlich angesehene Frage,
„ob eine Familie als soziale Gruppe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anzusehen ist“,
rechtfertigt nach den vorgenannten Maßstäben keine Berufungszulassung gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
aa) Die gestellte Frage dürfte in dieser allgemeinen Formulierung schon von vornherein keiner grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zugänglich sein, weil die Antwort auf sie von einer Vielzahl von Einzelumständen und Faktoren abhängig ist, sie deshalb nicht hinreichend konkret gefasst ist und sich in dieser Allgemeinheit somit in einem Berufungsverfahren in entscheidungserheblicher Weise nicht stellen würde (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2019 – 15 ZB 19.31245 – juris Rn. 6 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 2.9.2010 – 9 B 12.10 – juris Rn. 9 ff.). Sie dürfte in dieser allgemeinen Fassung von vornherein nicht losgelöst von den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalls beantwortet werden können (vgl. BayVGH, B.v. 10. Juli 2019 – 8 ZB 19.32052 – juris Rn. 8). Dies bedarf vorliegend keiner Klärung.
bb) Es fehlt jedenfalls es an einer hinreichend substantiierten Darlegung, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte.
Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen (UA Seite 9) u.a. ausgeführt, dass die von der Klägerseite vorgetragenen Verfolgungshandlungen des Clans „… …“ an kein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal i.S. von § 3 Abs. 1, § 3b Abs. 1 AsylG anknüpften. Eine Verfolgung des Klägers aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe lasse sich dem Klägervortrag nicht entnehmen. Insbesondere – so das Verwaltungsgericht weiter – handele es sich bei dem Kläger und dessen Familie nicht um eine soziale Gruppe i.S. von § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AsylG, da sie keine deutlich abgegrenzte Identität aufwiesen. Es liege in einer von Blutrache bzw. von Familienkonflikten betroffenen Gruppe kein angeborenes oder unveränderbares Merkmal. Die Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe beruhe auf einer willkürlichen Zuschreibung durch die jeweilige Gegenpartei eines Konflikts, die selbst entscheide, wie weit sie den Kreis derjenigen ziehe, welche sie als in den Konflikt aufgrund von Verwandtschaft involviert ansehe. Zudem unterliege diese Betroffenheit auch Veränderungen. Es fehle dem Personenkreis der von solchen Betroffenen auch an einer hinreichend deutlich abgegrenzten Identität. Zudem werde ein solcher Personenkreis – schon wegen der Relativität eines solchen Konflikts – von der umgebenden Gesellschaft nicht als andersartig angesehen.
Mit diesen Argumenten hat sich die Klägerseite in der Antragsbegründung nicht substantiiert auseinandergesetzt. Dort wurde lediglich darauf abgestellt, dass eine abschließende gesetzliche Definition der sozialen Gruppe in den einschlägigen Regelungen des AsylG fehle und dass die gestellte Frage, „ob eine Familie als soziale Gruppe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anzusehen ist“, höchstrichterlich noch nicht geklärt sei und deshalb im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedürfe. Mit dieser Argumentation, die weder auf die einzelnen Erwägungen des Erstgerichts eingeht, noch sich mit der ergangenen Rechtsprechung zum Begriff der „sozialen Gruppe“ i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG befasst, vermag die Antragsbegründung die Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG aber nicht zu erfüllen.
cc) Schließlich fehlt es auch deshalb an einer Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage, weil das Verwaltungsgericht daneben – und sogar in erster Linie – darauf abgestellt hat, dass das Vorbringen der Klägerseite nicht den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung des Verfolgungsschicksals genügt. Dem Kläger sei es nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass sein Vorbringen hinsichtlich der Bedrohung durch einen jordanischen Familienclan wegen einer Beziehung seines Sohnes zu einer Angehörigen dieses Stammes der Wahrheit entspreche. Sein Vortrag sei zu unbestimmt und vage gewesen, um mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung ausgehen zu können (vgl. im Einzelnen UA Seiten 8 f.). Bei einer sogenannten kumulativen Mehrfachbegründung muss jedoch hinsichtlich jedes Begründungsstranges ein Zulassungsgrund dargelegt sein und vorliegen, um dem Antrag auf Zulassung der Berufung zum Erfolg zu verhelfen (BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 20 ZB 17.30683 – juris Rn. 7; B.v. 10.7.2019 – 8 ZB 19.32052 – juris Rn. 9; B.v. 2.8.2019 – 15 ZB 19.32569 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 18.6.2020 – 15 ZB 20.30954 – juris Rn. 33). Letzteres ist jedoch hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht nicht bejahten Glaubhaftigkeit des Verfolgungsvortrags nicht der Fall, vgl. im Folgenden unter b). Zudem hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung u.a. ergänzend auch auf die Schutzgewährung seitens des jordanischen Staates (§ 3d AsylG, vgl. UA Seite 10) sowie auf inländische Fluchtalternativen gem. § 3e AsylG (UA Seite 12) gestützt, wozu sich die Antragsbegründung nicht ausgelassen hat.
b) Die Berufung ist auch nicht wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt nur vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 5.12.2019 – 15 ZB 19.34099 – juris Rn. 10 m.w.N.) oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 18.6.2020 – 15 ZB 20.30954 – juris Rn. 21).
Der klägerische Vortrag in der Antragsbegründung gibt nichts dafür her, dass diese Voraussetzungen vorliegen.
aa) Das gilt zum einen für den Einwand, das Erstgericht habe Beweisanträge der Klagepartei übergangen, indem es die Vernehmung angebotener Zeugen – Mitglieder der klägerischen Familie sowie drei weiterer, im erstinstanzlichen Verfahren schriftsätzlich (ohne Ladungsanschrift) benannter Zeugen – zum Verfolgungsvortrag pflichtwidrig unterlassen habe.
Die Ablehnung eines formell ordnungsgemäßen, prozessrechtlich beachtlichen Beweisantrags i.S.v. § 86 Abs. 2 VwGO verletzt die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet und willkürlich erfolgt (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2019 – 15 ZB 19.33171 – juris Rn. 15 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Fehlt es dagegen an einem förmlichen Beweisantrag, wird er also nur bedingt oder – wie vorliegend – schriftsätzlich gestellt, liegt lediglich eine Beweisanregung vor, also eine Anregung an das Gericht, den Sachverhalt nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO weiter zu erforschen (vgl. BVerwG, B.v. 19.8.2010 – 10 B 22.10 – juris Rn. 10 m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.4.2020 – 4 ZB 20.30870 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v 16.9.2020 – 6 ZB 20.31763 – juris Rn. 8).
Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet im Übrigen nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (BayVGH, B.v. 5.12.2019 – 15 ZB 19.34099 – juris Rn. 10 m.w.N.). Auch ein gerügter Aufklärungsmangel als solcher begründet – unabhängig davon, ob er berechtigt oder unberechtigt ist – grundsätzlich weder einen Gehörsverstoß, noch gehört er zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2020 – 15 ZB 20.30954 – juris Rn. 31 m.w.N.). Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) allenfalls ausnahmsweise dann verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 5.6.2019 – 15 ZB 19.32063 – juris Rn. 5 m.w.N.). Im vorliegenden Fall scheidet eine Berufungszulassung wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufgrund einer übergangenen schriftsätzlichen Beweisanregung jedenfalls deshalb aus, weil es dem im erstinstanzlichen Verfahren und insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertretenen Kläger offenstand, über seinen Bevollmächtigten einen förmlichen Beweisantrag in Bezug auf begehrte weitere Aufklärungsmaßnahmen (wie z.B. Zeugenvernehmungen) zu stellen, um sich selbst vor Gericht das rechtliche Gehör zu verschaffen (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2020 – 15 ZB 20.30194 – juris Rn. 18; B.v. 16.3.2020 – 15 ZB 20.293 – Rn. 12; B.v. 30.3.2020 – 15 ZB 20.30705 – juris Rn. 7; B.v. 18.6.2020 – 15 ZB 20.30954 – juris Rn. 31; SächsOVG, B.v. 7.2.2018 – 4 A 142/18.A – juris Rn. 6 m.w.N.). Hiervon hat er aber laut Protokoll des Verwaltungsgerichts über die öffentliche Einzelrichtersitzung am 16. September 2020 keinen Gebrauch gemacht.
bb) Anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Klägerseite in der Antragsbegründung vorbringen lässt, das Verwaltungsgericht hätte darauf hinweisen müssen, dass es den klägerischen Vortrag zur Bedrohung durch den Stamm … … als nicht ausreichend betrachte und es weiteren Vortrags bedürfe. Weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt, begründet das Recht auf rechtliches Gehör keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder seine (mögliche) Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen. Eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs konkretisierende gerichtliche Hinweispflicht – zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung – besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 23.1.2014 – 1 B 12.13 – juris Rn. 11 m.w.N.; BayVGH, B.v. 5.12.2019 – 15 ZB 19.34099 – juris Rn. 10 m.w.N.). Für eine unzulässige Überraschungsentscheidung in diesem Sinn wird in der Antragsbegründung nichts Relevantes aufgezeigt und ist auch sonst nichts ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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