Verwaltungsrecht

Mangels eines revisibelen Verfahrensfehlers (Gehörsverstoß durch Überraschungsentscheidung) erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  20 ZB 18.31016

Datum:
20.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23743
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs, 2, § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

Eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsententscheidung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zugrunde gelegt hat, der dem Prozess eine so überraschende Wendung gegeben hat, dass auch ein sorgfältiger Prozessbeteiligter damit nicht rechnen musste, wobei das Gericht nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die von ihm beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen muss. (Rn. 2 – 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 17.33960 2018-03-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet, weil der geltend gemachte und dargelegte Zulassungsgrund eines revisibelen Verfahrensfehlers (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 VwGO) nicht vorliegt.
a) Der Kläger macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO durch eine Überraschungsentscheidung geltend. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verlangt zum einen, dass der Beteiligte Gelegenheit hat, das aus seiner Sicht für seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung Notwendige sowohl im Tatsächlichen als auch im Rechtlichen vorzutragen. Zum anderen hat das Gericht diesen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (Kraft in Eyermann, VwGO, § 138, Rn. 31 und 32 m.w.N.). Eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt deshalb vor, wenn das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zugrunde gelegt hat, der dem Prozess eine so überraschende Wendung gegeben hat, dass auch ein sorgfältiger Prozessbeteiligter damit nicht rechnen musste (Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 283 ff.) Allerdings muss das Gericht nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die von ihm beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen. Falls es jedoch eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage zu erkennen gegeben hat, muss es deutlich machen, wenn es hiervon wieder abweichen will (vgl. zum Ganzen Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 33 m.w.N.). Gemessen daran liegt keine Überraschungsentscheidung und damit kein Gehörsverstoß vor.
b) Der Kläger rügt zum einen, das Verwaltungsgericht habe ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag gestellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht habe zu rechnen brauchen. Denn das Verwaltungsgericht stütze seine Entscheidung wesentlich darauf, dass der Kläger widersprüchliche beziehungsweise unglaubwürdige Angaben gemacht habe, weshalb es ihm die angegebene Verfolgungsgeschichte nicht geglaubt habe. Darin kann jedoch keine Überraschungsentscheidung gesehen werden. Das Verwaltungsgericht war nicht verpflichtet, in der Verhandlung seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des vom Kläger vorgetragenen Sachverhalts zu äußern. Es hat den Kläger jedoch ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. März 2018 ausführlich angehört und ihm damit ausreichend Gelegenheit gegeben, den Sachverhalt aus seiner Sicht nochmals in überzeugender Weise darzulegen. Außerdem hat das Verwaltungsgericht zwar, wie der Kläger zutreffend feststellt, die verspätete Vorlage des Drohbriefes gerügt; es hat ihn aber dennoch dazu befragt und das Dokument in seinen Entscheidungsgründen inhaltlich gewürdigt (UA S. 5). Die (abschließende) Beurteilung der Glaubhaftigkeit des (gesamten) klägerischen Vortrags bleibt jedoch der abschließenden Beratung des Gerichtes nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung vorbehalten; ihr Ergebnis kann nicht in der mündlichen Verhandlung vorweggenommen und mit den Beteiligten erörtert werden. Im Übrigen musste der Kläger auch mit den vom Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit seines Vortrags (sinngemäß) angewendeten Maßstäben rechnen, da sie sich aus der ständigen asylrechtlichen Rechtsprechung ergeben (vgl. BVerfG, B.v. 19.7.1990 – 2 BvR 2005/89 – juris; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris; U.v. 30.10.1990 – 9 C 72.89 – juris; B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris).
Zum anderen rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht habe eine Gruppenverfolgung von Personen sunnitischer Religionszugehörigkeit im Irak überraschend verneint. Darin liegt jedoch keine Überraschungsentscheidung. Rechtliches Gehör ist zu den tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen zu gewähren, nicht jedoch zu deren voraussichtlicher Bewertung durch das Gericht (Berlit a.a.O., § 78 Rn. 341). Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger die Liste der Erkenntnismittel mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersendet und ihm damit Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern, gegebenenfalls eigene Erkenntnismittel vorzulegen und weitere Beweiserhebungen anzuregen oder zu beantragen. Ob sich daraus eine Gruppenverfolgung sunnitischer Religionszugehöriger ergibt, die zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Klägers hätte führen müssen, unterliegt jedoch der richterlichen Sachverhaltswürdigung und Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Diese ist aber ebenfalls der Schlussberatung des Gerichts vorbehalten.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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