Verwaltungsrecht

Mangels grundsätzlicher Bedeutung erfolgloser Berufungszulassungsantrag eines Asylbewerbers aus Sierra Leone

Aktenzeichen  9 ZB 18.31792

Datum:
8.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20071
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4. S. 4

 

Leitsatz

1 Im Asylverfahren ist der Asylbewerber “Zeuge in eigener Sache”, sodass es auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person entscheidend ankommt (vgl. BVerwG BeckRS 2002, 22086). Damit korrespondiert zugleich seine sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG, § 86 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VwGO Mitwirkungspflicht, nach der es ihm obliegt, die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Ergebnisse, in sich stimmig zu schildern (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 45305). (Rn. 8) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Es ist ausschließlich Sache des Tatrichters, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (vgl. BVerwG BeckRS 2005, 26351). Auch in schwierigen Fällen ist der Tatrichter daher berechtigt und verpflichtet, den Beweiswert einer Aussage selbst zu würdigen. (Rn. 9) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Frage, ob bei der Schilderung des Verfolgungsschicksals durch einen Asylbewerber geringere Anforderungen an deren Stimmigkeit zu stellen sind, wenn die verfolgungsbegründenden Ereignisse längere zeit zurückliegen, entzieht sich einer grundsätzlichen Klärung. (Rn. 10) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Der sich aus § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO ergebende Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung gilt trotz eines gewissen Wertungsrahmens nicht unbegrenzt (vgl. BVerwG BeckRS 2018, 15210). Diesbezüglich kann ein Verfahrensverstoß dann vorliegen, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG BeckRS 2014, 50226). (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

M 30 K 17.39280 2018-06-06 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2017 – 9 ZB 15.30129 – juris Rn. 4 m.w.N.). Dem genügt das Zulassungsvorbringen nicht.
Die Frage, „ist es rechtmäßig, insbesondere ist es verhältnismäßig, dieselben Anforderungen an die Glaubhaftigkeit des Vorbringens eines Asylbewerbers (Gesuch auf Anerkennung als Asylberechtigter, Gesuch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Gesuch auf Gewährung von subsidiärem Schutz sowie Gesuch auf Feststellung von Abschiebungsverboten), der bereits über einen längeren Zeitraum, nämlich mehrere Jahre, in einem anderen Land als in dem Heimatland gelebt hat, zu stellen, wie an die Glaubhaftigkeit des Vorbringens eines Asylbewerbers, der ohne längeren Zwischenaufenthalt direkt aus seinem Heimatland geflohen ist?“, ist weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig.
1. Die Frage ist nicht klärungsfähig, weil das Verwaltungsgericht nicht davon ausgegangen ist, dass an die Glaubhaftigkeit des Vorbringens eines Asylbewerbers, der längere Zeit außerhalb eines Heimatlands gelebt hat, dieselben Anforderungen zu stellen sind wie an das Vorbringen eines Asylbewerbers, der direkt aus seinem Heimatland geflohen ist. Das Verwaltungsgericht hat seine Überzeugungsbildung auch nicht lediglich mit den offen zu Tage tretenden Widersprüchen in den Jahresangaben oder einer nur ungenauen Darstellung begründet, sondern auch mit der Reihenfolge „bedeutsamer“ bzw. „zeitlich markanter“ Ereignisse (vgl. UA S. 8 „selbst unterstellt, die Ehefrau sei mit den Jahreszahlen durcheinander gekommen“) und weiterem widersprüchlichem, nicht nachvollziehbarem Vorbringen, das sich nicht lediglich mit „Erinnerungslücken“ erklären lässt.
2. Die Frage ist auch nicht klärungsbedürftig, weil sie nicht über die einzelfallbezogene Anwendung von bereits grundsätzlich Geklärtem hinausgeht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124 Rn. 38).
Dem Kläger geht es um die Bewertung der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens durch das Verwaltungsgericht. Glaubhaftigkeit ist eine Eigenschaft der Aussage als solcher, sie meint deren Plausibilität, Widerspruchsfreiheit, innere Stimmigkeit usw. (vgl. Dawin in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 108 Rn. 22).
Es ist geklärt, dass es im Asylverfahren stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – juris Rn. 5). Denn der Asylbewerber ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es deshalb entscheidend an (vgl. BVerwG, B.v. 10.5.2002 – 1 B 392.01 – DVBl 2002, 1213 = juris Rn. 5 m.w.N.). Damit korrespondiert die sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO ergebende Mitwirkungspflicht des Asylbewerbers, dem es obliegt, die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse in sich stimmig zu schildern (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – DVBl 1984, 1005 = juris Rn. 11 m.w.N.).
Weiter ist geklärt, dass es ausschließlich Sache des Tatrichters ist, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2). Auch in schwierigen Fällen ist der Tatrichter daher berechtigt und verpflichtet, den Beweiswert einer Aussage selbst zu würdigen. Die Tatsacheninstanzen haben in eigener Verantwortung festzustellen, ob der Asylbewerber und etwa gehörte Zeugen glaubwürdig und ihre Darlegungen glaubhaft sind (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.2001 – 1 B 118.01 – juris Rn. 3). Deshalb umfasst die freie Beweiswürdigung auch die Beurteilung des Erinnerungsvermögens des sein Verfolgungsschicksal schildernden Asylbewerbers und folglich die Glaubhaftigkeit seiner Angaben (vgl. BVerwG, B.v. 1.6.2012 – 2 B 123.11 – juris Rn 17 m.w.N. zur Zeugenaussage).
Die der Sache nach vom Kläger aufgeworfene Frage, ob bei der Schilderung des Verfolgungsschicksals geringere Anforderungen an deren Stimmigkeit zu stellen sind, wenn die verfolgungsbegründenden Ereignisse eine längere Zeit zurückliegen, entzieht sich demgegenüber einer grundsätzlichen Klärung. Denn selbst wenn angenommen wird, dass das Erinnerungsvermögen mit zunehmendem Zeitablauf regelmäßig abnimmt, lässt sich nicht verallgemeinernd beantworten, inwieweit der Zeitablauf eine verlässliche Erinnerung des jeweiligen Asylbewerbers an bestimmte Tatsachen, selbst ausgeführte Handlungen oder erlebte Ereignisse mindert. Dies ist vielmehr eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.
3. Der Kläger wendet sich danach im Gewand einer Grundsatzrüge gegen die tatrichterliche Würdigung im Einzelfall. Damit wird aber kein in § 78 Abs. 3 AsylG genannter Zulassungsgrund dargetan (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2018 – 9 ZB 18.31509 – juris Rn. 9 m.w.N.). Insbesondere kommt kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör in Betracht (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Verwaltungsgericht hat die Verfolgungsgeschichte des Klägers zur Kenntnis genommen, ist nach umfassender Würdigung seiner Angaben, der von ihm in Bezug genommenen Angaben seiner Ehefrau und deren Aussageverhalten sowie der weiteren Erkenntnis- und Beweismittel aber zu dem Ergebnis gekommen, dass die Angaben zum persönlichen Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft sind; es hat dies auch im Einzelnen und nachvollziehbar begründet (vgl. BVerwG, B.v. 13.9.2017 – 1 B 118.17 – juris Rn. 4).
Davon abgesehen ist der sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebende Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung trotz eines gewissen Wertungsrahmens zwar nicht unbegrenzt (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85 u.a. – BVerfGE 83, 216 = juris Rn. 42; BVerwG, B.v. 2.7.2018 – 1 B 38.18 – juris Rn. 5 m.w.N.). So kann ein Verfahrensverstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – NVwZ-RR 2014, 660 = juris Rn. 22 m.w.N.). Insoweit bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts hiergegen verstoßen würde. Wie bereits ausgeführt wurde, hat das Verwaltungsgericht nicht lediglich auf Ungenauigkeiten des Vorbringens des Klägers und seiner Ehefrau abgestellt, die angesichts eines länger zurückliegenden Zeitraums auftreten können, sondern unauflösliche Widersprüche im geschilderten Geschehen – auch in der „Kerngeschichte“ – aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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