Verwaltungsrecht

Maßstab für die Ausweisung eines Staatsangehörigen der Schweiz

Aktenzeichen  10 ZB 18.2494

Datum:
1.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3424
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4
AufenthG § 53
FZA Art. 14, Art. 16 Abs. 2 S.3
StGB § 64, § 67d Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1 Der bloße Verweis auf die allgemeinen Auslegungsregeln der Wiener Vertragsrechtskonvention genügt nicht zur Darlegung ernstlicher Zweifel an der umfassend begründeten Rechtsauffassung, dass die Freizügigkeitsrichtlinie und die Daueraufenthaltsrichtlinie auf die Ausweisung von Staatsbürgern der Schweiz keine Anwendung finden. (Rn. 3 – 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Strafgerichtliche Entscheidungen über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung sind für die Prognose der Wiederholungsgefahr im Rahmen einer Ausweisungsentscheidung zwar grundsätzlich von Bedeutung. Auch vor dem Hintergrund, dass dem Strafrecht und dem Ausländerrecht unterschiedliche Gesetzeszwecke zugrunde liegen, kann von der strafrichterlichen Prognose aber bei Vorliegen überzeugender Gründe abgewichen werden. (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 Das Verwaltungsgericht hat bei der gerichtlichen Überprüfung von spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (Bestätigung von BayVGH BeckRS 2017, 133203). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 27 K 16.2297 2018-06-07 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen seine Ausweisung mit Bescheid der Beklagten vom 20. April 2016 weiter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die geltend gemachten Zweifel bezüglich des vom Verwaltungsgericht herangezogenen rechtlichen Rahmens für die Überprüfung der Ausweisungsentscheidung führen nicht zur Zulassung der Berufung. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung an §§ 53 ff. AufenthG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz (FZA, ABl. EG Nr. L 114 S. 6 ff.) zu messen ist, es sich bei Art. 5 Abs. des Anhangs I um eine statische Verweisung handelt und die Freizügigkeitsrichtlinie (2004/38/EG) und die Daueraufenthaltsrichtlinie (2003/109/EG) daher auf die Ausweisung von Staatsbürgern der Schweiz keine Anwendung finden.
Es hat seine Rechtsauffassung umfassend unter Heranziehung allgemeiner Auslegungsregeln anhand des Wortlauts der Bestimmungen, des historischen Willens des Gesetzgebers, der gegenwärtigen Rechtsauffassung der Vertragsparteien, Sinn und Zweck und systematischer Erwägungen begründet (UA S. 14-19) und ist dabei ausführlich auf die einschlägigen Bestimmungen des Abkommens, hierzu ergangene Rechtsprechung und die diesbezügliche Kommentarliteratur eingegangen. Das Zulassungsvorbringen beschränkt sich dem gegenüber auf den Verweis auf die allgemeinen Auslegungsregeln der Wiener Vertragsrechtskonvention. Insbesondere geht der Kläger nicht auf die Argumentation des Verwaltungsgerichts ein, wonach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 FZA die zu berücksichtigende Rechtsprechung zum Freizügigkeitsrechts einfriert, der Gemischte Ausschuss von der in Art. 16 Abs. 2 Satz 3 FZA vorgesehenen Dynamisierungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht und die Schweiz im Jahr 2011 ausdrücklich auf Verhandlungen zur Übernahme der Freizügigkeitsrichtlinie verzichtet hat. Damit genügt sein Vorbringen bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Denn für den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils erfordern diese eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht die entscheidungstragende Rechtsfrage unrichtig entschieden hat (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 10 ZB 17.1343 – juris Rn. 4 m.w.N.). Dem wird der Kläger nicht gerecht, weil er lediglich seine Auffassung zur dynamischen Verweisung darstellt, ohne sich mit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts substantiiert auseinanderzusetzen.
Auch die Ausführungen des Klägers zu den behaupteten unzutreffenden Feststellungen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt führen nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
Das Verwaltungsgericht hat dargelegt, dass es trotz der mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer beim Landgericht M. I vom 4. April 2018 erfolgten Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr ausgehe. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte seien nicht an die Aussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer gebunden. Es bedürfe aber einer Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen werde. Die indizielle Wirkung der Entscheidung, den Vollzug der Unterbringung vorzeitig zur Bewährung auszusetzen, sei maßgeblich herabgemindert. Das der Aussetzungsentscheidung zugrunde liegende Gutachten vom 2. Februar 2018 gehe nicht von einer uneingeschränkt positiven Sozialprognose für den Kläger aus. Es sehe Bedingungen zur Suchtmittelkarenz und zur therapeutischen Weiterbehandlung vor. In der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 27. März 2018 werde auf die Alkoholkarenz verzichtet, ohne sich insoweit mit dem Gutachten auseinanderzusetzen. Zudem erwiesen sich die Annahmen des Gutachtens zu einem gut strukturierten sozialen Empfangsraum in Form eines Arbeitsplatzes und einer Wohnmöglichkeit bei der Lebensgefährtin nicht als tragfähig. Schließlich sei in dem Gutachten nicht erwähnt, dass der Kläger Schulden in Höhe von 142.024, 33 Euro gegenüber der Staatskasse habe. Auch sei zu berücksichtigen, dass eine Führungsaufsicht von 5 Jahren gegenüber dem Kläger und damit die Höchstfrist festgesetzt worden und die maximale Dauer der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelaufen gewesen sei.
Der Kläger bringt dagegen vor, das Verwaltungsgericht sei bei seiner Beschäftigung, seinem Mietverhältnis, bei der Berufstätigkeit seiner Lebensgefährtin und seinen Schulden von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen. Daher habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass die Ermessensausübung der Beklagten fehlerhaft und der Bescheid aufzuheben gewesen sei.
Damit zieht er jedoch die Feststellung des Verwaltungsgerichts, vom Kläger gehe weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten aus, die ein Grundinteresse der Gemeinschaft berühren, nicht ernsthaft in Zweifel. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.11.2018 – 10 ZB 18.1710 – juris Rn. 9 m.w.N.) legt das Verwaltungsgericht dar, dass strafgerichtliche Entscheidungen über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung für die Prognose der Wiederholungsgefahr zwar grundsätzlich von Bedeutung seien. Auch vor dem Hintergrund, dass dem Strafrecht und dem Ausländerrecht unterschiedliche Gesetzeszwecke zugrunde lägen, könne von der sachkundigen strafrichterlichen Prognose bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur bei Vorliegen überzeugender Gründe abgewichen werden. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgten und deshalb unterschiedlichen Regeln unterlägen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB gehe es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden müsse oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden könne. Demgegenüber gehe es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden müsse. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung beziehe sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern habe einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es gehe hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen werde, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 10 ZB 18.1413 – juris Rn. 14 ff.).
Strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen, durch die – wie vorliegend – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen positiver Prognose (vorläufig) beendet wird, haben eine der Strafrestaussetzungsentscheidung vergleichbare Bedeutung. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat nicht das Ziel, Gefahren für die öffentliche Sicherheit längerfristig zu unterbinden. Für eine Anordnung dieser Maßregel genügt die hinreichend konkrete Aussicht (ein vertretbares Risiko ist einzugehen, vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 67d Rn. 11), dass durch sie der Verurteilte über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt wird (§ 64 Satz 2 StGB), wobei „eine erhebliche Zeit“ in der Regel bereits ab einem Jahr angenommen werden kann (Schöch in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2008, § 64 Rn. 136). Eine langfristige Bewahrung vor dem Rückfall kann bereits deshalb nicht Ziel einer Unterbringung sein, weil dann entsprechend lange Unterbringungszeiten erforderlich wären. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als freiheitsentziehende Maßnahme darf jedoch nach § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich (vorbehaltlich des Satzes 3 der Bestimmung) zwei Jahre nicht übersteigen, muss in jedem Fall verhältnismäßig sein (§ 62 StGB) und insoweit umso strengeren Voraussetzungen genügen, je länger die Unterbringung dauert (BVerfG, B.v. 19.11.2012 – 2 BvR 193/12 – StV 2014,148 ff.). Die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB, „wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen“, ist somit bereits dann vorzunehmen, wenn für eine – im Vergleich zum ausländerrechtlichen Prognosehorizont – relativ kurze Zeitspanne die konkrete Aussicht (unter Eingehung eines vertretbaren Risikos) auf das Unterbleiben rechtswidriger Taten besteht. Nichts anderes gilt für die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB, „wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“, denn auch bei dieser strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung sowie bei der Erstellung eines Prognosegutachtens hierfür sind die begrenzte Zielsetzung der Unterbringung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 21).
Mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung entfällt damit ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr nicht zwangsläufig. Das Verwaltungsgericht hat auf den Kläger bezogen eine Reihe von Faktoren aufgeführt, weshalb trotz des Gutachtens vom 2. Februar 2018, der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 27. März 2018 und dem darauf beruhenden Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 4. April 2018 zur Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ausländerrechtlich eine positive Gefahrenprognose beim Kläger noch nicht gerechtfertigt ist. Die in der Begründung des Zulassungsantrags dagegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass die beträchtlichen Schulden des Klägers in dem Gutachten und der Stellungnahme zur Sozialprognose nicht erwähnt werden. Die Schulden gegenüber der Staatskasse bestehen nach wie vor. Der Kläger hat zwar Einwände gegen die Höhe der Gerichtskosten erhoben, eine Stundung oder ein Erlass sind bislang aber nicht erfolgt. Mit der Anmietung einer eigenen Wohnung verstößt der Kläger jedenfalls gegen die Weisung nach § 68b Abs. 2 StGB in Nr. 6 b) des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 4. April 2018. Zudem war gerade das Zusammenleben mit der langjährigen Partnerin, die keinen Suchtmittelmissbrauch betreibt, ein wesentlicher Faktor für die positive Prognose über den unterstützenden sozialen Empfangsraum, der jedenfalls deutlich an Gewicht verliert, wenn der Kläger nunmehr zeitweise bei seiner Tochter oder in der eigenen Wohnung lebt. Zutreffend weist das Verwaltungsgericht auch darauf hin, dass der erhebliche Alkoholkonsum, den der Kläger nach seinen eigenen Angaben mit 20 Jahren begonnen (1986) und bis zu seiner Inhaftierung im Jahr 2013 ununterbrochen fortgesetzt habe (bis zur Einreise nach Deutschland im Jahr 2003 sechs Halbe Bier und eine halbe Flasche Wodka, danach vier bis sechs Halbe Bier am Tag), im Beschluss vom 4. April 2018 zur Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung vollkommen ausgeblendet wird, obwohl das Gutachten vom 2. Februar 2018 noch diesbezügliche Weisungen enthielt. Dies ist insofern problematisch, weil der Drogenkonsum und der übermäßige Alkoholgenuss beim Kläger in engem Zusammenhang standen. Zudem darf bei der Gefahrenprognose nicht außer Betracht bleiben, dass die Aussetzung der Maßregel zur Bewährung mit einer fünfjährigen Führungsaufsicht unter diversen strafbewehrten Weisungen verbunden ist. Insofern steht der Kläger unter einem strafbewehrten Legalbewährungsdruck und muss sich zudem einer ambulanten Suchttherapie und Blutkontrollen zur Überprüfung eines etwaigen Betäubungsmittelkonsums stellen (BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2336 – juris Rn. 35). Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. B.v. 2.1.2019 – 10 ZB 18.1638 – juris Rn. 6, B.v. 14.6.2018 – 10 ZB 18.794 – juris Rn. 6; B.v. 20.10.2017 – 10 ZB 17.993 – juris Rn. 6, B.v. 20.3.2018 – 10 ZB 17.2512 – Rn. 5) davon aus, dass von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange der Betroffene nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Daran fehlt es hier, weil der Kläger zum einen noch unter dem Druck der Führungsaufsicht steht und zum anderen noch kein auseichend langer Zeitraum außerhalb des Maßregelvollzugs verstrichen ist, um beurteilen zu können, ob er tatsächlich den erforderlichen Einstellungswandel vollzogen hat. Insoweit fehlt es auch an einem hinreichend substantiierten Vorbringen im Zulassungsverfahren. Demgegenüber kommt der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Kläger werde seine Tätigkeit bei dem Gartenbaubetrieb wegen der Entfernung und seiner anderweitigen beruflichen Pläne nicht fortsetzen und damit ein (weiterer) Faktor der günstigen Sozialprognose entfallen, keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Es liegen anderweitig hinreichend gewichtige rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte vor, die die Indizwirkung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts München I für die ausländerrechtliche Prognose zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr entkräften.
An der Sache vorbei geht der Einwand des Klägers, aufgrund der fehlerhaften Ermittlung des Sachverhalts sei die Ermessensentscheidung der Beklagten fehlerhaft, das Verwaltungsgericht hätte sich der Einschätzung der Strafvollstreckungskammer hinsichtlich der Gefährdungsprognose auch im Ausweisungsrecht anschließen müssen. Denn bei dieser Prognoseentscheidung handelt es sich um keine Ermessensentscheidung. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht nach ständiger Rechtsprechung des Senats (z.B. B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 6 f.; B.v. 3.5.2017 – 10 ZB 15.2310 – juris Rn. 14) bei der gerichtlichen Überprüfung von spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt.
Soweit der Kläger meint, dass die Beziehungen zur Lebensgefährtin und zur Tochter nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, auch wenn die Beklagte ihre „Ermessensentscheidung“ in der mündlichen Verhandlung ergänzt habe, genügt sein Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Bei der nach § 53 Abs. 1 AufenthG zu treffenden Ausweisungsentscheidung, handelt es sich um keine Ermessensentscheidung, sondern um eine gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 20 ff.) Der Kläger legt nicht substantiiert dar, aus welchen Gründen die zur Ausweisung führende Abwägungsentscheidung fehlerhaft sein sollte. Das Verwaltungsgericht führt aus, dass es von einer schützenswerten Beziehung zwischen dem Kläger und seiner erwachsenen Tochter ausgehe, dem Verhältnis von Eltern zu ihren erwachsenen Kindern aber in der Regel ein geringeres Gewicht beigemessen werde, da sie nicht auf den elterlichen Beistand angewiesen seien. Der Kläger habe hierzu nichts vorgetragen. An einem entsprechenden Vortrag fehlt es auch im Zulassungsverfahren. Die Beziehung zur Lebensgefährtin hat das Verwaltungsgericht trotz der spärlichen Kontakte in der Haft als gelebte Nähebeziehung gewertet, die bei der Abwägung zu berücksichtigen sei. Im Hinblick auf die bestehenden Bindungen in die Schweiz, die vom Kläger begangenen schwerwiegenden Straftaten und die noch bestehende Wiederholungsgefahr sowie die räumliche Nähe zur Schweiz geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Ausweisung trotz dieser Beziehung verhältnismäßig ist. Mit dieser Abwägungsentscheidung hat sich der Kläger im Zulassungsverfahren nicht ausreichend auseinandergesetzt.
Bezüglich des Einwands des Klägers, es bestehe schon keine Wiederholungsgefahr mehr, weil das Verwaltungsgericht das Abweichen von der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer von falschen Tatsachen abhängig gemacht habe, wird auf die Ausführungen oben verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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