Verwaltungsrecht

Mitgliedschaft, Chancengleichheit, Eingliederung, Landtag, Organstreitverfahren, Verletzung, Gesellschaft, Feststellung, Rechtsextremismus, Haushaltsplan, Antragsteller, Antragsbefugnis, Verein, Arbeit, Bayerische Verfassung, Gleichheit der Wahl

Aktenzeichen  Vf. 97-IVa-20

Datum:
11.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21921
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Der Organstreit dient als kontradiktorische Parteistreitigkeit maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihrer Teile in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns; Art. 64 BV eröffnet nicht die Möglichkeit einer objektiven Beanstandungsklage.
2. Die Antragsteller können sich für ihre Antragsbefugnis nicht auf die Verletzung von Rechten des Bayerischen Landtags berufen. Das bayerische Verfassungsrecht sieht im Organstreitverfahren die Möglichkeit einer Prozessstandschaft nicht vor.
3. Da die Bayerische Verfassung weder wertneutral ist noch sein will und von dem Willen getragen ist, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung des Staates – unter Einsatz der Mittel der wehrhaften Demokratie – erhalten bleiben muss, kann in einer Öffentlichkeitsarbeit des Landtags, die dieses Ziel fördern will, kein Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht liegen.
4. Es ist nicht ersichtlich, wie durch die Unterstützung einer Vereinigung, die sich für unabänderliche Grundwerte der Bayerischen Verfassung wie das Demokra-tieprinzip und die Menschenwürde einsetzt, denen alle Verfassungsorgane ver-pflichtet und die als solche jeder parteipolitischen Disposition entzogen sind, das freie Mandat von Abgeordneten (Art. 13 Abs. 2 BV) oder Oppositionsrechte (Art. 16 a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV) verletzt werden könnten.

Tenor

Der Antrag wird abgewiesen

Gründe

I.
1. Die Antragstellerin zu 1, die Fraktion Alternative für Deutschland im Bayeri schen Landtag (AfD-Fraktion), sowie die Antragsteller zu 2 und 3, zwei dieser Fraktion angehörende Abgeordnete, wenden sich dagegen, dass die vormalige Präsidentin des Bayerischen Landtags im Jahr 2009 den Bayerischen Landtag aus ihrer Sicht unzulässig als Mitglied der Vereinigung „Bayerisches Bündnis für Toleranz“ angemeldet hat, halten diese Mitgliedschaft für nichtig und sehen es als Pflicht der (jetzigen) Präsidentin des Bayerischen Landtags (Antragsgegnerin) an, diese Mitgliedschaft für nichtig zu erklären bzw. hilfsweise zu kündigen.
2. Das „Bayerische Bündnis für Toleranz“ wurde im Jahr 2005 von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, der Römisch-Katholischen Kirche, Erzbistum München und Freising, dem Deutschen Gewerkschaftsbund Landesbezirk Bayern, dem Bayerischen Staatsministerium des Innern und der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern gegründet und ist mittlerweile laut Eigendarstellung der größte Zusammenschluss gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Bayern. Die Institution tritt demnach für Toleranz sowie den Schutz von Demokratie und Menschenwürde ein und fördert diese Werte. Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus, die den Einzelnen, die Gesellschaft und den Staat bedrohten, setze das Bayerische Bündnis für Toleranz durch diese Werte etwas Positives entgegen. Die Mitgliedsorganisationen des Bayerischen Bündnisses für Toleranz bekämpften rechtsextreme, antisemitische und rassistische Einstellungen, Haltungen und Handlungen, nicht aber die Menschen, die hinter diesem Gedankengut und diesen Aktivitäten stünden (vgl. www.bayerischesbuendnisfuertoleranz.de/buendnisfuertoleranz/ziele/ Stand: 21.7.2021).
Zu den aktuell 79 Mitgliedern des Bündnisses gehören neben dem Bayerischen Landtag überwiegend Anstalten, Stiftungen und Körperschaften des öffentlichen Rechts aus Politik, Wirtschaft, Bildung und anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen. Seitens der Staatsregierung gehören dem Bündnis etwa das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, das Staatsministerium für Arbeit, Familie und Soziales und das Staatsministerium für Unterricht und Kultus an. Die genaue Mitgliederliste ist auf der Homepage des Bayerischen Bündnisses für Toleranz veröffentlicht (www.bayerischesbuendnisfuertoleranz.de/buendnisfuertoleranz/mitglieder/).
Im Jahr 2009 hat die frühere Präsidentin des Bayerischen Landtags die Mitgliedschaft des Landtags im Bayerischen Bündnis für Toleranz veranlasst. Hierfür wurden im Rahmen des Haushaltsplans (Einzelplan 01 des Landtags) jeweils Haushaltsmittel für die „Öffentlichkeitsarbeit des Landtags“ bereitgestellt. Zur Unterstützung der Arbeit des Bündnisses hat der Landtag seit 2009 jährlich Mitgliedsbeiträge geleistet, zunächst in Höhe von 10.000 €, dann von 20.000 € und schließlich im Kalenderjahr 2020 in Höhe von 25.000 €.
3. Am 31. Juli 2019 stellte der Antragsteller zu 2 eine schriftliche Anfrage zur Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags im Bayerischen Bündnis für Toleranz an die Staatsregierung, welche das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration im Einvernehmen mit der Staatskanzlei, dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus und dem Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales am 23. September 2019 beantwortete (vgl. LT-Drs. 18/3727 vom 8. November 2019). Hinsichtlich der Fragen zur Mitgliedschaft des Landtags als Legislativorgan erklärte sich die Staatsregierung als Exekutivorgan für nicht zuständig.
Mit Schreiben vom 14. Mai 2020 beantragte der Antragsteller zu 2 die Aufnahme des Tagesordnungspunkts „Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags im Bayerischen Bündnis für Toleranz“ auf die Tagesordnung der Ältestenratssitzung vom 27. Mai 2020. In der Sitzung wurden von der Antragsgegnerin seine diesbezüglichen Fragen beantwortet und insbesondere klargestellt, dass der Landtag als Legislativorgan Mitglied im „Bayerischen Bündnis für Toleranz“ sei.
II.
Mit Schriftsatz vom 2. November 2020 beantragen die Antragsteller, gegenüber der Antragsgegnerin festzustellen, dass
1.die gewesene Landtagspräsidentin den Landtag verfassungswidrig zur Mitgliedschaft in dem „Bayerischen Bündnis für Toleranz“ eingetragen hat,
2.die Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags in dem „Bayerischen Bündnis für Toleranz“ nichtig ist,
3.der Landtagspräsidentin die Pflicht obliegt, die Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags in dem „Bayerischen Bündnis für Toleranz“ für nichtig zu erklären, hilfsweise zu kündigen.
1. Die Antragsbefugnis ergebe sich hinsichtlich der Antragstellerin zu 1 aus ihrem Recht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1, Art. 21 GG und aus dem freien Mandat; hinsichtlich des Landtags (prozessstandschaftlich) aus der Verletzung der Neutralitätspflicht, des Sachlichkeitsgebots, der organschaftlichen Treuepflicht u. a., insbesondere der Verletzung seiner grundsätzlichen Entscheidungsrechte, der Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes und der organschaftlichen Unabhängigkeit des Landtags seitens der Antragsgegnerin durch bewusstes Unterlassen ihrer Verpflichtung zur Behebung eines verfassungswidrigen Zustands; hinsichtlich der Antragsteller zu 2 und 3 ergebe sich die Antragsbefugnis aus der Verletzung ihres freien Mandats.
2. Die Mitgliedschaft des Landtags im verfahrensgegenständlichen Verein sei verfassungsmäßig unzulässig, weshalb sie für nichtig zu erklären und ggf. aufzuheben sei.
a) Dies gelte schon in formaler Hinsicht, da die Begründung einer derartigen Mitgliedschaft nicht von der Vertretungsbefugnis der Parlamentspräsidentin gemäß Art. 21 BV umfasst sei, und zwar weder hinsichtlich ihrer staatsrechtlichen (Art. 21 Abs. 1 BV) noch hinsichtlich ihrer verwaltungsrechtlichen Befugnisse (Art. 21 Abs. 2 BV). Zwar könne man prüfen, ob es sich hier nicht um eine Annex-Kompetenz ihrer statusrechtlichen Befugnisse unter Berufung auf die Natur der Sache handle, insbesondere wenn es als Teil der Öffentlichkeitsarbeit angesehen würde, dass die Landtagspräsidentin berechtigt sei, sich als Verfassungsorgan für Verfassungswerte auszusprechen. Allerdings sei ein Landtagspräsident nicht der Bundeskanzler und der Abschluss einer Vereinbarung mit (quasi) privatrechtlichen Organisationen im Rahmen eines „zivilgesellschaftlichen“ Bündnisses gehe über die Befugnisse eines Landtagspräsidenten hinaus. Unter die verwaltungsrechtliche Kompetenz nach Art. 21 Abs. 2 BV falle der Beitritt ebenfalls nicht, insbesondere da dieser erkennbar für das Funktionieren der Landtagsverwaltung weder erforderlich noch üblich sei.
b) Auch in materieller Hinsicht sei die Mitgliedschaft in dem Bündnis verfassungswidrig, da sie das Neutralitätsgebot des Staatsorgans Bayerischer Landtag verletze. In rechtsstaatlicher Hinsicht bestehe insoweit zunächst das Gebot der NichtIdentifikation des Staates mit religiösen und weltanschaulichpolitischen Positionen. Der Staat sei „Staat aller seiner Bürger“, woraus insbesondere eine Pflicht zur religiösen und konfessionellen Neutralität folge. In demokratischer Hinsicht solle das Neutralitätsgebot vor allem die Chancengleichheit aller Parteien schützen, was insbesondere Grenzen setze bei der Einflussnahme auf die „politische Meinungsbildung des Volks“, die vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt erfolgen müsse. Insoweit verbiete sich jede Propaganda zugunsten der den Staat tragenden Parteien einerseits bzw. jede gegen die politische Opposition gerichtete Propaganda. Es bestehe eine generelle Neutralitätspflicht gegenüber allen parteipolitischen Strömungen und Überzeugungen. Zwar gehöre es auch zum Aufgabenbereich der Staatsorgane, die Verfassung zu schützen und dementsprechend vor verfassungsfeindlichen Tendenzen zu warnen. Auch wenn sich das Bayerische Bündnis für Toleranz offiziell gegen derartige Bestrebungen richte, gehe die Mitgliedschaft eines Verfassungsorgans in einem zivilgesellschaftlichen Bündnis weit über die staatlich legitime Informationspolitik hinaus, zumal es sich hier um eine „Bekämpfungsvereinigung“ handle, die gegen den Ausgang freier Parlamentswahlen wegen deren unerwünschter Richtungen und Ergebnisse gerichtet sei; eine derartige Mitgliedschaft entspreche einer staatsorganschaftlichen Eingliederung in eine politische Lobbygruppe, die zudem – was besonders eklatant sei – durch den Landeshaushalt erheblich finanziert werde.
c) Letztlich stelle eine solche Mitgliedschaft eine unzulässige „Flucht in das Privatrecht“ dar. Es solle im Weg der Grundrechtsausübung durch Private etwas erreicht werden, was dem Staat aufgrund verfassungsrechtlicher Beschränkung verwehrt sei. Im Gegensatz zum Staat, der in seinem Handeln dem Sachlichkeitsgebot dergestalt unterliege, dass sich amtliches Handeln „am Gebot eines rationalen und sachlichen Diskurses ausrichten und auf eine lenkende Einflussnahme auf den Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung verzichten“ müsse, könne dies von einem privaten politischen Verein im Meinungskampf nicht verlangt werden. Daher bestehe die Möglichkeit der Umgehung der staatlichen Beschränkung durch eine sich auf die Meinungsfreiheit berufende private Organisation, ohne dass im Einzelfall nachweisbar wäre, inwieweit die Agitation eines solchen privaten politischen Vereins auf staatliche Veranlassung zurückzuführen sei. Gerade der Rechtsextremismus-Begriff sei für den Staat kein hinreichend bestimmtes Rechtskriterium, da es sich hierbei um eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung handle. Ihre Beantwortung stehe in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit strafrechtlicher Bedeutung (vgl. § 145 a StGB), welche in rechtsstaatlicher Distanz aus sich heraus bestimmbar seien, nicht hinreichend erlaubten (BVerfG vom 8.12.2010 – 1 BvR 1106/08 – juris Rn. 20).
d) Mit der Begründung einer Mitgliedschaft des Landtags in einem politischen Verein wie hier habe die gewesene Parlamentspräsidentin unzulässig in die Gleichheit des Mandats und das Verbot der Einmischung eingegriffen. Als verbotener Eingriff sei von der Rechtsprechung eine „Abmachung über die Ausübung des Mandats“ anerkannt, die hier vorliege. Die Mitgliedschaft des Landtags in dem Verein ergebe nur einen Sinn, wenn damit deutlich gemacht werde, dass der Landtag im Sinn dieses Vereins handle. Die Mitgliedschaft begründe daher mittelbar einen moralischen und gesellschaftspolitischen Druck auf den einzelnen Abgeordneten und die Organteile des Landtags. Da der Verein der Pflege von Demokratie und Toleranz dienen wolle, könne hier nicht das Argument herangezogen werden, dass es sich um eine „wertneutrale“ Mitgliedschaft handle. Die Mitgliedschaft in diesem Verein sei ähnlich zu beurteilen wie eine in der CSU oder der katholischen Kirche – beides zweifellos demokratische und tolerante Organisationen – und würde die Abgeordneten unzulässig vereinnahmen. Zugleich finde damit eine Inpflichtnahme aller Abgeordneten des Landtags dergestalt statt, dass jedem, der sich gegen diese Mitgliedschaft ausspreche, in der Folge „Demokratiefeindlichkeit und Intoleranz“ vorgeworfen würde, wodurch er Gefahr laufe, in den Verdacht der politischen Illoyalität gegenüber „demokratischen Werten“ zu kommen. Im Ergebnis habe der einzelne Abgeordnete damit nur die Möglichkeit, sich der Agenda des Vereins zu fügen oder normativ als Demokratiegegner zu gelten, was eine mit einem demokratischfreiheitlichen Verfassungsgefüge schlicht unvereinbare Vereinnahmung sei.
e) Mit ihrer eigenwilligen Entscheidung, den Landtag als Organ zur Mitgliedschaft in einem Verein einzutragen, habe die gewesene Landtagspräsidentin auch gegen ihre Treuepflicht gegenüber dem Parlament und seinen Organen verstoßen; Gleiches gelte hinsichtlich der amtierenden Landtagspräsidentin, weil diese es bewusst unterlasse, diesen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen.
III.
1. Die Präsidentin des Bayerischen Landtags hält die gestellten Einzelanträge für unzulässig und unbegründet und beantragt, den Antrag (insgesamt) abzuweisen.
Die einzelnen Anträge seien unzulässig, da die von den Antragstellern verfolgten Begehren je keinen zulässigen Gegenstand eines Organstreitverfahrens darstellten. Das kontradiktorische Organstreitverfahren diene nicht der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns, sondern nur der Feststellung, ob eine beanstandete Maßnahme gegen verfassungsmäßige Rechte verstoße; im Organstreitverfahren erfolge keine Verpflichtung eines Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten. Darüber hinaus hätten die Antragsteller nicht schlüssig dargelegt, inwieweit die langjährige und ununterbrochene Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags im „Bayerischen Bündnis für Toleranz“ sie in ihren eigenen, verfassungsmäßigen Rechten verletzen solle. Auch werde verkannt, dass die Bayerische Verfassung keine Prozessstandschaft eines Organteils für „sein“ Organ kenne, mithin die Geltendmachung einer Prozessstandschaft als Oppositionsfraktion für den Bayerischen Landtag ausgeschlossen sei. Soweit es um die Fragestellung gehe, ob die Landtagspräsidentin ihre Befugnisse überschritten habe und über eine Mitgliedschaft allein der Landtag entscheiden müsse, hätte diese Frage durch Stellung eines entsprechenden Parlamentsantrags dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt werden können, bevor gerichtlicher Rechtsschutz in Anspruch genommen werde.
Die Mitgliedschaft des Landtags im Bayerischen Bündnis für Toleranz und die Zahlung eines jährlichen Mitgliedsbeitrags an dieses Bündnis erfolgten im Rahmen der der Landtagspräsidentin durch die Bayerische Verfassung und die Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse. Gemäß Art. 21 Abs. 2 BV sei es eigene verfassungsmäßige Aufgabe der Landtagspräsidentin, über die Einnahmen und Ausgaben des Hauses zu verfügen und damit letztlich den Verwaltungshaushalt des Landtags zu vollziehen, wobei sie an das Haushaltsgesetz und die allgemeinen gesetzlichen Vorgaben gebunden sei. § 11 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags (BayLTGeschO) lege fest, dass die Präsidentin die Geschäfte des Landtags führe, wozu auch ihre Befugnis zur Ausführung des Haushaltsplans des Parlaments in eigenverantwortlicher Disposition nach dem Haushaltsgesetz gehöre. Demzufolge sei es grundsätzlich eigene und nicht abstimmungsbedürftige Aufgabe der Landtagspräsidentin, den Verwaltungshaushalt des Landtags nach dem Haushaltsplan des Parlaments zu vollziehen und auszuführen, soweit die Verfügungen mit dem Haushaltsgesetz im Einklang stünden.
Im System der repräsentativen Demokratie sei die Vertretungs- bzw. Repräsentationsfunktion als zentrale Funktion des Parlaments anzusehen. Daneben bestehe als weitere zentrale und elementare Funktion des Parlaments dessen Öffentlichkeitsfunktion, und zwar auch im Sinn des Kontakts zum repräsentierten Volk bzw. konkret zu den Bürgerinnen und Bürgern. Dies erfordere heutzutage ein aktives Tätigwerden im Sinn einer parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit und ein aktives Informieren der Öffentlichkeit. Für eine stetige Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sei es unverzichtbar, dass der Landtag nicht nur im Rahmen der täglichen Parlamentsarbeit die Verfassungswerte achte, sondern sich als Verfassungsorgan auch öffentlich für deren Erhaltung und Schutz engagiere und dieses Engagement öffentlich kommuniziert werde. Die Öffentlichkeitsarbeit gehöre per se zu den Aufgaben der Landtagspräsidentin, die das Parlament als Akteurin in der offenen Gesellschaft vertrete. Um dieser zentralen Aufgabe des Parlaments in angemessener Weise gerecht werden zu können, würden im Haushaltsplan des Landtags jährlich Haushaltsmittel für die „Öffentlichkeitsarbeit des Landtags“ unter der Haushaltsstelle Kapitel 0101, Titel 53121 bereitgestellt.
Bei der – grundsätzlich jederzeit beendbaren – Mitgliedschaft im Bayerischen Bündnis für Toleranz und der Zahlung des Mitgliedsbeitrags, über die jährlich neu entschieden werde, handle es sich um gezielte Öffentlichkeitsarbeit des Landtags zur Förderung der von ihm vertretenen demokratischen Ziele und Wertvorstellungen. Das Bayerische Bündnis für Toleranz setze sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Bayern sowie für den Schutz von Toleranz, Demokratie und Menschenwürde ein. Für diese teilweise sogar verfassungsrechtlich geschützten Werte stehe auch der Landtag und fördere diese auf vielfältige Weise, etwa durch Verleihung der Bayerischen Verfassungsmedaille und weitere Projekte zum Wert der Demokratie. Die Förderung von demokratischen Zielen und Werten durch den Landtag stehe entgegen der Darstellung der Antragsteller nicht im Widerspruch zur staatlichen Neutralitätsverpflichtung. Die Mitgliedschaft im Bündnis diene u. a. der Verhinderung verfassungsfeindlicher Tendenzen und damit letztlich der Förderung der Demokratie, einem der unabänderbaren Grundpfeiler der Bayerischen Verfassung, der jeder parteipolitischen Disposition entzogen sei.
Vor diesem Hintergrund sei nicht erkennbar, dass die Landtagspräsidentin verfassungsmäßige Rechte der Antragsteller verletze. Denn eine Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags in einem an Verfassungswerten orientierten, überparteilich und weltanschaulich neutralen Bündnis führe weder zu einer Verzerrung des politischen Wettbewerbs noch zu politischer Unterstützung oder Benachteiligung einzelner Teilnehmer desselben, da alle Parteien den demokratischen Grundwerten in gleicher Weise verpflichtet seien. Woher die Antragsteller die Erkenntnis gewönnen, es handle sich bei einer Vereinigung, die sich der Förderung demokratischer Grundwerte verschrieben habe, um eine „Bekämpfungsvereinigung“, die sich gegen den Ausgang freier Parlamentswahlen richte, erschließe sich nicht.
IV.
Der Antrag ist unzulässig.
Nach Art. 64 BV, Art. 49 Abs. 1 VfGHG entscheidet der Verfassungsgerichtshof über Verfassungsstreitigkeiten zwischen den obersten Staatsorganen oder in der Verfassung mit eigenen Rechten ausgestatteten Teilen eines obersten Staatsorgans. Als Teile des Landtags sind sowohl einzelne Abgeordnete als auch Fraktionen grundsätzlich antragsberechtigt (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 19.7.1989 VerfGHE 42, 108/113 f.; vom 17.2.1998 VerfGHE 51, 34/39; vom 26.2.2019 NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 38). Die Verfassungsstreitigkeit (Organstreit) ist nur zulässig, wenn sie ein zwischen den Verfahrensbeteiligten bestehendes Rechtsverhältnis betrifft, das sich aus der Verfassung ableitet (VerfGHE 42, 108/114 m. w. N.; VerfGH vom 30.9.1994 VerfGHE 47, 194/198). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs kann ein Antragsteller die Überprüfung einer Maßnahme darüber hinaus nur insoweit begehren, als er durch sie in eigenen, durch die Verfassung geschützten Rechten verletzt zu sein behauptet (vgl. VerfGHE 51, 34/40 m. w. N.).
Die gegen die (derzeitige) Präsidentin des Bayerischen Landtags als Antragsgegnerin gerichteten Einzelanträge führen zu keiner Sachentscheidung im Organstreitverfahren, da sie in mehrfacher Hinsicht unzulässig sind.
1. Die von den Antragstellern verfolgten Begehren sind – abgesehen davon, dass der Antrag zu 2 sich schon nicht auf eine Maßnahme (ein Tun oder Unterlassen) bezieht – kein zulässiger Gegenstand eines Organstreits.
Ein solches Verfahren dient als kontradiktorische Parteistreitigkeit maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihrer Teile in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns; Art. 64 BV eröffnet nicht die Möglichkeit einer objektiven Beanstandungsklage. Demgemäß stellt der Verfassungsgerichtshof im Organstreit lediglich fest, ob die beanstandete Maßnahme gegen verfassungsmäßige Rechte verstößt (vgl. z. B. VerfGHE 51, 34; VerfGH vom 6.6.2011 VerfGHE 64, 70; vom 1.12.2020 – Vf. 90-IVa-20 – juris Rn. 18; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 64 Rn. 13; einschränkend für den Erlass einer Rechtsvorschrift betreffende Streitigkeiten Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 64 Rn. 21). Es obliegt sodann dem jeweiligen Verfassungsorgan selbst, einen festgestellten verfassungswidrigen Zustand zu beenden. Für eine objektive Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Maßnahme ist daher im Organstreit ebenso wenig Raum wie für eine über die Feststellung einer Verletzung der Rechte der Antragsteller hinausgehende Verpflichtung eines Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten (VerfGH vom 1.12.2020 – Vf. 90- IVa-20 – juris Rn. 18; vom 6.5.2021 – Vf. 37-IVa-21 – juris Rn. 16, 20 m. w. N.; vgl. auch BVerfG vom 22.7.2020 NVwZ 2020, 1422 Rn. 39; vom 2.3.2021 NVwZ 2021, 555 Rn. 57 zum bundesrechtlichen Organstreit, je m. w. N.).
Die einzelnen Anträge der Antragsteller sind demnach auf Rechtsfolgen gerichtet, die im Organstreitverfahren grundsätzlich nicht bewirkt werden können.
Mit dem Antrag auf Feststellung, dass die vormalige Landtagspräsidentin den Landtag verfassungswidrig zur Mitgliedschaft in dem „Bayerischen Bündnis für Toleranz“ eingetragen habe (Antrag zu 1), wird die Feststellung der objektiven Verfassungswidrigkeit einer Maßnahme der früheren Landtagspräsidentin begehrt, die im Organstreit nicht erfolgen kann. Die begehrte Feststellung der Nichtigkeit der Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags in dem „Bayerischen Bündnis für Toleranz“ (Antrag zu 2) betrifft schon ihrer Fassung nach weder ein Rechtsverhältnis von Organen noch eine verfassungsspezifische Fragestellung. Mit dem Antrag festzustellen, dass der Landtagspräsidentin die Pflicht obliege, die Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags in dem „Bayerischen Bündnis für Toleranz“ für nichtig zu erklären, hilfsweise zu kündigen (Antrag zu 3), soll die Landtagspräsidentin zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet werden, wofür im Organstreit kein Raum ist.
2. Soweit man zugunsten der Antragsteller davon ausgeht, dass in den Anträgen zu 1 und 3 ein grundsätzlich statthaftes Begehren mit enthalten ist – im Antrag zu 1 das Begehren auf Feststellung, dass die Begründung der Mitgliedschaft im Bayerischen Bündnis für Toleranz im Jahr 2009 durch die vormalige Landtagspräsidentin verfassungsmäßige Rechte der Antragsteller verletzt habe, im Antrag zu 3 das Begehren auf Feststellung, dass das Unterlassen einer Beendigung der Mitgliedschaft durch die Antragsgegnerin verfassungsmäßige Rechte der Antragsteller verletze -, ist die Verfassungsstreitigkeit mangels Antragsbefugnis dennoch unzulässig.
a) Der Antrag zu 1 betrifft kein „zwischen den Beteiligten bestehendes Rechtsverhältnis, das sich aus der Verfassung ableitet“. Insoweit ist schon fraglich, ob sich die jetzige Landtagspräsidentin eine Maßnahme ihrer Vorgängerin im Amt aus dem Jahr 2009 zurechnen lassen müsste. Jedenfalls fehlt es an der erforderlichen schlüssigen Darlegung einer möglichen Verletzung eigener Rechte der Antragsteller schon deshalb, weil die Antragsteller damals noch nicht im Parlament vertreten und damit von der damaligen Maßnahme nicht betroffen waren. Die Antragstellerin zu 1 kann sich auch nicht erfolgreich auf die Verletzung von Rechten des Bayerischen Landtags berufen. Die Möglichkeit einer Prozessstandschaft sieht das bayerische Verfassungsrecht – anders als § 64 Abs. 1 BVerfGG (vgl. dazu etwa BVerfG vom 7.3.1953 BVerfGE 2, 143) – entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht vor (vgl. VerfGH vom 14.9.2020 – Vf. 70-IVa-20 – juris Rn. 10; vom 6.5.2021 – Vf. 37-IVa-21 – juris Rn. 24; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991, § 23 Rn. 46; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 64 Rn. 11; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 64 Rn. 8; Holzner, Verfassung des Freistaates Bayern, 2014, Art. 64 Rn. 14).
b) Hinsichtlich des Antrags zu 3 – ein grundsätzlich statthaftes Begehren insoweit unterstellt – fehlt sämtlichen Antragstellern ebenfalls die Antragsbefugnis. Sie haben nicht schlüssig dargetan, durch das beanstandete Unterlassen einer Beendigung der Mitgliedschaft des Landtags im Bayerischen Bündnis für Toleranz in eigenen, durch die Verfassung geschützten Rechten verletzt oder gefährdet zu sein.
aa) Die Antragstellerin zu 1 kann sich insoweit, wie eben ausgeführt, von vornherein nicht auf eine etwaige Verletzung von Rechten des Landtags stützen. Im Übrigen fehlte es mangels Stellung eines entsprechenden Parlamentsantrags zusätzlich an dem auch für den Organstreit erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (vgl. etwa BVerfG vom 18.12.1984 BVerfGE 68, 1/77; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 64 Rn. 11), soweit die Antragstellerin zu 1 – unter Berufung auf den Grundsatz der Diskontinuität – rügt, der Landtag müsse jeweils am Anfang einer Legislaturperiode neu über die Mitgliedschaft in dem Bündnis entscheiden.
Ebenso wenig kann sie sich auf Rechte der AfD als Partei (Art. 3 Abs. 1, Art. 21 GG) berufen, da als im Organstreit verfolgbare Rechte von Fraktionen nur solche aus dem innerparlamentarischen Bereich in Betracht kommen (VerfGH vom 1.12.2020 – Vf. 90-IVa-20 – juris Rn. 16; vgl. auch BVerfG vom 30.10.2018 BVerfGE 150, 163 Rn. 14 m. w. N.).
bb) Soweit sich die Antragsteller auf eine Verletzung ihres jeweiligen Rechts aus Art. 13 Abs. 2 BV (sog. freies Mandat) bzw. auf Oppositionsrechte durch die behauptete Verletzung der Pflicht der Antragsgegnerin zur Neutralität, Sachlichkeit und organschaftlichen Treue berufen, machen sie zwar eine Verletzung eigener Rechte geltend. Allerdings müsste die zur Nachprüfung gestellte Maßnahme rechtserheblich sein oder sich zumindest zu einem die Rechtsstellung der Antragsteller beeinträchtigenden, rechtserheblichen Verhalten verdichten können (VerfGH NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 46 m. w. N.). Dies müsste sich aus dem Sachvortrag ergeben (vgl. BVerfG vom 8.6.1982 BVerfGE 60, 374/380 f.; vom 17.9.2013 BVerfGE 134, 141 Rn. 161). Erforderlich, aber auch ausreichend wäre es, wenn die Verletzung eigener Rechte schlüssig dargelegt würde und nach dem Vortrag möglich erschiene (vgl. BVerfG vom 17.7.1995 BVerfGE 93, 195/203; vom 21.7.2000 BVerfGE 102, 224/232). Hieran fehlt es.
(1) Gemäß Art. 13 Abs. 2 BV sind die Abgeordneten Vertreter des Volkes, nicht lediglich einer Partei; sie sind nur ihrem Gewissen verantwortlich und an Aufträge nicht gebunden. Diese Verfassungsnorm gibt jedem Abgeordneten das subjektive Recht, sein Mandat innerhalb der Schranken der Verfassung ungehindert auszuüben (sog. freies Mandat; vgl. VerfGH NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 54 m. w. N.). Zugleich ist hieraus das Prinzip der egalitären Repräsentation abzuleiten, das zur Folge hat, dass alle Mitglieder des Parlaments einander formal gleichgestellt sind (VerfGH vom 30.7.2018 BayVBl 2019, 158 Rn. 58). Denn sie repräsentieren in ihrer Gesamtheit als Volksvertretung im Sinn des Art. 4 BV die stimmberechtigten Bürger (VerfGH vom 26.3.2018 BayVBl 2018, 590 Rn. 112), wobei sich die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV geforderte Gleichheit der Wahl in der Gleichheit der gewählten Abgeordneten widerspiegelt (Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 13 Rn. 5; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 13 Rn. 10). Das daraus resultierende Recht auf Chancengleichheit bei der Parlamentsarbeit kann auch die Antragstellerin zu 1 als Zusammenschluss von Abgeordneten für sich in Anspruch nehmen. Wegen ihrer Zugehörigkeit zur parlamentarischen Opposition sind die dargestellten Rechte zudem in Art. 16 a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV begründet (VerfGH NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 58).
(2) Aus dem Grundsatz der chancengleichen Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung folgt die Verpflichtung der Staatsorgane, gegenüber den Abgeordneten und den Fraktionen auch im Hinblick auf die Parlamentsarbeit Neutralität zu wahren (vgl. zur Neutralitätspflicht im politischen Wettbewerb der Parteien VerfGH NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 73; BVerfG vom 27.2.2018 BVerfGE 148, 11 Rn. 44 ff.). Dies gilt insbesondere für die Antragsgegnerin, die zum einen als Präsidentin den Bayerischen Landtag, somit eines der obersten Staatsorgane, repräsentiert und der zum anderen in speziellen Bereichen (vgl. z. B. Art. 18 Abs. 2, Art. 44 Abs. 3 Satz 4 BV) eine eigenständige Organstellung zukommt (Schweiger in Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 20 Rn. 2, Art. 21 Rn. 2; Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 21 Rn. 1; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 21 Rn. 1). Im Rahmen dieser Tätigkeiten ist die Präsidentin zur parteipolitischen Neutralität und zur unparteilichen Amtsführung verpflichtet (vgl. VerfGH Nordrhein-Westfalen vom 25.10.2016 NVwZ-RR 2017, 217 Rn. 40; Bücker in Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 27 Rn. 11). Einseitig – zugunsten oder zulasten einzelner Abgeordneter oder Fraktionen – parteiergreifende Stellungnahmen oder sonstige Maßnahmen lassen sich auch mit der Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit nicht rechtfertigen. Durch die Geltung des Neutralitätsgebots darf allerdings die Wahrnehmung der Aufgaben als Parlamentspräsidentin nicht infrage gestellt werden (VerfGH vom 1.12.2020 – Vf. 90-IVa-20 – juris Rn. 22; BVerfGE 148, 11 Rn. 65).
(3) Nach diesen Maßgaben ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin durch das Unterlassen des Austritts aus dem Bayerischen Bündnis für Toleranz das Gebot der parteipolitischen Neutralität und der unparteilichen Amtsführung und damit Rechte der Antragsteller aus Art. 13 Abs. 2 BV bzw. Art. 16 a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV verletzt haben könnte.
Die Unterstützung des Bayerischen Bündnisses für Toleranz durch die Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags und die Zahlung eines jährlichen Mitgliedschaftsbeitrags erfolgt in Vollzug des vom Landtag in Ausübung seines Budgetrechts aus Art. 70 Abs. 2 und 3, Art. 73 BV für seine Öffentlichkeitsarbeit beschlossenen Haushalts (Einzelplan 01 des Bayerischen Landtags, Haushaltsstelle Kapitel 0101, Titel 53121). Das unterstützte Bündnis ist überparteilich. Es tritt für den Schutz von Demokratie (Art. 2, 4 BV) und Menschenwürde (Art. 100 BV) ein, also für in Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV umschriebene fundamentale und unabänderliche Verfassungsprinzipien (VerfGH vom 21.11.2016 VerfGHE 69, 290 Rn. 120), an die die Landesverfassungen auch nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG gebunden sind (vgl. VerfGH vom 3.12.2019 BayVBl 2020, 226 Rn. 237). Alle Verfassungsorgane haben den Auftrag, diese Grundprinzipien als Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu wahren und zu verteidigen (vgl. BVerfG vom 22.5.1975 BVerfGE 39, 334/349; vom 29.10.1975 BVerfGE 40, 287/292; vom 25.3.1981 BVerfGE 57, 1/8). Dies beinhaltet auch, aktiv für sie einzutreten (vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz vom 27.11.2007 NVwZ 2008, 897/898; ThürVerfGH vom 3.12.2014 – VerfGH 2/14 – juris Rn. 75).
Die vom Bayerischen Bündnis für Toleranz bekämpften Einstellungen, Haltungen oder Handlungen des Rassismus und des Antisemitismus verstoßen ebenso wie der vom Bündnis bekämpfte Rechtsextremismus (vgl. BVerfG vom 17.1.2017 BVerfGE 144, 20 Rn. 541, 597 f.) gegen das Prinzip der Menschenwürde, das das zentrale Element beziehungsweise den obersten Grundwert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt (VerfGH BayVBl 2020, 226 Rn. 237; BVerfGE 144, 20 Rn. 529, 538 ff.). Dies gilt insbesondere auch für den Rechtsextremismus, obwohl es für diesen Begriff keine einheitliche Definition gibt, da ihm kein homogenes ideologisches Konzept zugrunde liegt. Vielmehr treten innerhalb des Phänomenbereichs Rechtsextremismus nationalistische, antisemitische, rassistische und fremdenfeindliche Ideologieelemente in verschiedenen Ausprägungen auf. Dabei unterstellen Rechtsextremisten, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Nation über den tatsächlichen Wert eines Menschen entscheide (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, www.verfassungsschutz.de/DE/themen/rechtsextremismus/begriffunderscheinungsformen/begriffunderscheinungsformen_artikel.html Stand: 21.7.2021). Eine derartige Auffassung verstößt gegen die Garantie der Menschenwürde, die insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit der Menschen umfasst (BVerfGE 144, 20 Rn. 539), und ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar (vgl. ausführlich BayVGH vom 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn.15). Um eine Abgrenzung mit strafrechtlicher Bedeutung und daran etwa zu stellende Bestimmtheitsanforderungen (vgl. BVerfG vom 8.12.2010 – 1 BvR 1106/08 – juris Rn. 20) geht es hier entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht.
Soweit die Antragsteller die Mitgliedschaft des Landtags im Bayerischen Bündnis für Toleranz für unzulässig halten, weil dieses nicht wertneutral sei, ist hervorzuheben, dass die Bayerische Verfassung – ebenso wie das Grundgesetz – weder wertneutral ist noch sein will und von dem Willen getragen ist, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung des Staates – unter Einsatz der Mittel der wehrhaften Demokratie – erhalten bleiben muss (VerfGH vom 26.11.1964 VerfGHE 17, 94/97; vom 8.7.1965 VerfGHE 18, 59/70 m. w. N.; VerfGH BayVBl 2020, 226 Rn. 234 unter Hinweis auf BVerfGE 144, 20 Rn. 531; vgl. auch Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 15 Rn. 2; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 15 Rn. 1, 3). In einer Öffentlichkeitsarbeit, die dieses Ziel fördern will, kann daher kein Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht liegen.
Auch die Toleranz, für die das Bündnis eintritt und die Bestandteil seines Namens ist, stellt in Form des Toleranzgebots ein Verfassungsprinzip dar, auch wenn dieser Begriff in der Bayerischen Verfassung – wie auch im Grundgesetz – nicht ausdrücklich genannt ist; der Gehalt des Toleranzprinzips wird dabei aus verschiedenen Verfassungsartikeln abgeleitet (vgl. Schmitt Glaeser, NJW 1996, 873/876 f. m. w. N.). So hat etwa der Verfassungsgerichtshof Art. 107 Abs. 1 und Art. 136 Abs. 1 BV ein Toleranzgebot für den Staat bzw. Art. 117 BV eine Toleranzpflicht des einzelnen Bürgers dahingehend entnommen, andere religiöse oder weltanschauliche Einstellungen zu respektieren (VerfGH vom 1.8.1997 VerfGHE 50, 156/175; vgl. auch BVerfG vom 16.10.1979 BVerfGE 52, 223/246 zur Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG), wobei die Glaubens- und Gewissensfreiheit in Art. 107 Abs. 1 BV ebenso wie die Menschenwürde in Art. 100 BV vom Verfassungsgerichtshof als elementare Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung angesehen werden (VerfGH vom 30.6.1977 VerfGHE 30, 78/88 m. w. N.). Der Name des Bündnisses und sein Einsatz für Toleranz weisen demnach gerade auf seine religiöse und weltanschauliche Neutralität hin. Auch eine parteipolitische Ausrichtung des Bündnisses ist nicht ersichtlich. Der von den Antragstellern angestellte Vergleich mit einer Mitgliedschaft des Landtags in der CSU oder der katholischen Kirche geht ersichtlich fehl. Die jeweilige (gesellschafts) politische oder religiöse Ausrichtung einzelner Mitgliedsorganisationen kann nicht mit der Agenda des Bündnisses gleichgesetzt werden.
Dass nach alledem durch die Unterstützung einer Vereinigung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, sich für verfassungsrechtliche Grundwerte, insbesondere für das Demokratieprinzip und die Menschenwürde – also unabänderliche Grundwerte der Bayerischen Verfassung (Art. 2, 4, 100, 75 Abs. 1 Satz 2 BV), denen alle Verfassungsorgane verpflichtet und die als solche jeder parteipolitischen Disposition entzogen sind (vgl. VerfGH vom 1.12.2020 – Vf. 90-IVa-20 – juris Rn. 24) – einzusetzen, die Rechte der Antragsteller aus Art. 13 Abs. 2 BV bzw. Art. 16 a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV verletzt werden könnten, ist auf Grundlage ihres Vortrags nicht ersichtlich. Insbesondere erschließt sich nicht, inwieweit hierin eine „Abmachung über die Ausübung des Mandats“ liegen könnte.
V.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).


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