Verwaltungsrecht

Musiker bilden in Afghanistan keine besondere soziale Gruppe

Aktenzeichen  W 1 K 16.30899

Datum:
18.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
VwVfG VwVfG § 37 Abs. 3 S. 1, § 46
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Ein Bundesamtsbescheid unterliegt dem Schriftformerfordernis des § 37 Abs. 3 S. 1 VwVfG, sodass er die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten muss; eine fehlende Unterschrift führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist nichts dafür ersichtlich, dass Musiker in Afghanistan eine deutlich abgegrenzte Identität hätten und von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet würden, wie dies eine besondere soziale Gruppe nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG voraussetzt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Anschlagswahrscheinlichkeit für die Zentralregion, zu der die Provinz Kapisa gehört, lag damit im Jahr 2016 bei deutlich unter 1:800 und damit weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG BeckRS 2012, 45614). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), war insgesamt abzuweisen. Die im Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage ist weder zulässig noch begründet; der angegriffene Bescheid des Bundesamts vom 22. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auch die hilfsweise gestellten Verpflichtungsanträge sind unbegründet, da dem Kläger die darin geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
1. Der Hauptantrag auf Aufhebung des Bundesamtsbescheides vom 22. Juli 2016 ist bereits unzulässig.
Eine isolierte Anfechtungsklage ist vorliegend bereits nicht statthaft, zumindest aber mangelt es an einem Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BayVGH, U.v. 4.8.1989 – 22 B 88.2557 – juris). Der Kläger hat – indem er den ursprünglich gestellten Verpflichtungsantrag zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat – klar zum Ausdruck gebracht, dass er an dem Begehren nach Flüchtlingsanerkennung, subsidiärem Schutz bzw. nationalen Abschiebungsverboten weiterhin festhält. Allein zu diesem Zweck hält sich der Kläger derzeit in der Bundesrepublik Deutschland auf. Das hier auf der Hand liegende Ziel des Klägers, das Asylverfahren durch eine isolierte Anfechtung des Bundesamtsbescheides in die Länge zu ziehen, vermag jedenfalls kein Rechtsschutzbedürfnis zu begründen; anderweitige nachvollziehbare Gründe für die Erhebung einer isolierten Anfechtungsklage wurden durch die Klägerseite weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich. Verpflichtungsbegehren (hier in Bezug auf §§ 3,4 AsylG, § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG), wie sie vorliegend zumindest hilfsweise geltend gemacht werden, können nur dann Erfolg haben, wenn dem Kläger ein sein Klagebegehren deckender, nach zwingendem Recht zu beurteilender Anspruch zusteht. Die ablehnende behördliche Entscheidung hingegen ist im engeren Sinne nicht Gegenstand des Verfahrens (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.1980 – 9 C 801/80 – juris; BayVGH, B.v. 9.11.2006 – 1 ZB 06.30986 – juris). Dies gilt auch für eine Klage gegen die Abschiebungsandrohung, da diese nach § 34 AsylG in untrennbarer Verbindung mit den erhobenen Verpflichtungsbegehren steht und sich zwingend aus der diesbezüglichen Entscheidung ergibt.
2. Selbst wenn man jedoch entgegen vorstehender Ausführungen die erhobene Anfechtungsklage für zulässig erachten wollte, so wäre diese zumindest unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist.
Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere sind die Formvorschriften eingehalten worden. Der Kläger hat demgegenüber geltend gemacht, dass der angegriffene Bundesamtsbescheid mangels Unterschrift unwirksam sei. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AsylG ergeht die Entscheidung des Bundesamtes schriftlich. Zu dem Schriftformerfordernis lässt sich dem insoweit anwendbaren § 37 Abs. 3 Satz 1 VwVfG entnehmen, dass ein schriftlicher Verwaltungsakt die erlassende Behörde erkennen lassen muss sowie die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten muss. Diese Vorgaben wurden vorliegend eingehalten, da der streitgegenständliche Bescheid eindeutig das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als erlassende Behörde erkennen lässt und darüber hinaus die gedruckte Namenswiedergabe des vom Behördenleiter beauftragten J. enthält. Weitere Zusätze wie ein Beglaubigungsvermerk oder ein Dienstsiegel sind nach dem Gesetzeswortlaut nicht erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2011 – 6 CS 11.234 – juris; OVG NRW, B.v. 22.5.2014 – 1 A 2414/12 – juris). Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem dem Kläger zugestellten Bescheid um keine abschließende für den Kläger bestimmte Entscheidung, sondern lediglich um einen Entwurf handeln könnte, liegen in keiner Weise vor. Vielmehr wurde die Unterschrift offensichtlich lediglich versehentlich vergessen, was sich auch daraus ergibt, dass mit dem Bescheid auch das übliche Begleitschreiben an den Kläger sowie das Informationsschreiben an die zuständige Ausländerbehörde ausgelaufen sind. Nach Sinn und Zweck des Schriftformerfordernisses lässt sich für den Empfänger anhand der Namenswiedergabe nachvollziehbar erkennen, wer verantwortlicher Urheber der getroffenen Entscheidung ist. Unabhängig von vorstehenden Ausführungen bliebe der geltend gemachte formelle Fehler auch folgenlos, weil er die Entscheidung des Bundesamtes über das Begehren des Klägers in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat (§ 46 VwVfG). Denn das mit dem klägerischen Begehren verfolgte Ziel ist auf jeweils gebundene Entscheidungen gerichtet; von einer Nichtigkeit ist entsprechend obiger Ausführungen ebenfalls nicht auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2006 – 1 ZB 06.30986 – juris). Der Sachverhalt, der dem vom Kläger benannten Urteil des VG Wiesbaden 22. März 2013 zu Grunde lag, ist bereits nicht mit dem vorliegenden vergleichbar, sodass die dortigen Ausführungen für das vorliegende Verfahren unbehelflich sind.
Weitere formelle Rechtsfehler wurden weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich.
3. Die Unbegründetheit der erhobenen Anfechtungsklage ergibt sich schließlich daraus, dass der angegriffene Bundesamtsbescheid auch materiell rechtmäßig ist, da die geltend gemachten Ansprüche nach §§ 3, 4 AsylG, § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Recht abgelehnt wurden (vgl. hierzu eingehend unter II.) und aufgrund dessen eine Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 AsylG zu ergehen hatte.
Nach alledem bleibt die erhobene Anfechtungsklage ohne Erfolg.
II.
Die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage ist zwar zulässig, jedoch ebenfalls vollumfänglich unbegründet.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der ab 6. August 2016 geltenden, durch Art. 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939 ff.) geschaffenen Fassung anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
a) Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheitert vorliegend bereits am Vorliegen von Verfolgungsgründen nach § 3b AsylG. Der Kläger trägt insoweit vor, dass er von den Taliban verfolgt worden sei, weil er Musik gemacht habe.
Der Kläger gehört als Musiker keiner besonderen sozialen Gruppe nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG an. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass Musiker in Afghanistan eine deutlich abgegrenzte Identität hätten und von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet würden, wie § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG voraussetzt. Auch handelt es sich hierbei nicht um ein angeborenes Merkmal oder ein gemeinsamer Hintergrund, der nicht verändert werden kann bzw. gleichfalls nicht um ein Merkmal, welches so bedeutsam für die persönliche Identität ist, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, hierauf zu verzichten. Es ist dem – ansonsten leistungsfähigen – Kläger vielmehr ohne Weiteres zuzumuten, die bislang ausgeübte Tätigkeit eines Musikers zugunsten eines anderen Berufs aufzugeben, da das Flüchtlingsrecht erkennbar nicht dahingehend Schutz vermitteln soll, bestimmte Berufe weiterhin wahrnehmen zu können. Auch aus den UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 ergibt sich nichts anderes. Die Tatsache, dass Personengruppen in diesem Bericht genannt werden, führt keineswegs dazu, dass diese zwangsläufig als besondere soziale Gruppe anzusehen wären; dem UNHCR kommt vielmehr nicht die Kompetenz zu, derartige Gruppen zu definieren bzw. anderweitig hierzu Vorgaben zu machen. Darüber hinaus wird dort (S. 50) ausgeführt, dass abhängig von den Umständen des Einzelfalls für Journalisten und andere in der Medienbranche tätige Personen, welche kritisch über von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren als sensibel betrachtete Themen berichten, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann. Da der Kläger vorliegend jedoch im Rahmen seiner Tätigkeit als Musiker in keiner Weise kritisch zu den Taliban bzw. anderen aufständischen Gruppen Stellung bezogen hat, sondern auf Hochzeiten die Anwesenden mit seiner Musik unterhalten hat, kommt auch aus diesem Grunde die Bejahung des Merkmals der besonderen sozialen Gruppe nicht in Betracht. Dies gilt vor dem Hintergrund der getätigten Ausführungen in gleicher Weise auch für das Merkmal der politischen Überzeugung nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 AsylG, und zwar auch im Hinblick auf eine dem Kläger durch die Taliban nur zugeschriebene politische Überzeugung, § 3b Abs. 2 AsylG. Hierfür ist vorliegend konkret nichts ersichtlich.
b) Unabhängig davon ist der Kläger nicht vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist. Er hat insoweit keine individuelle Bedrohung seiner Person glaubhaft machen können. Zwar geht das Gericht aufgrund der beim Bundesamt vorgelegten Videoaufnahmen, die den Kläger als Sänger und Keyboardspieler auf Hochzeiten zeigen, davon aus, dass der Kläger in Afghanistan als Musiker tätig war. Darüber hinaus nimmt das Gericht diesem jedoch nicht ab, dass die Taliban ihn bereits ins Visier genommen hätten und sie hinter ihm her gewesen seien, wovor er von Freunden und Bekannten gewarnt worden sei und was er auch selbst bemerkt habe. Dieser Vortrag vor dem Bundesamt bleibt in jeder Hinsicht vollkommen vage und unsubstantiiert; der Kläger hat insoweit keinerlei einzelne Ereignisse, Umstände und Zeitpunkte genannt und beschrieben, die diesen Vortrag belegen und glaubhaft machen könnten. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass sich die benannte Verfolgung in seinem Heimatland nicht real zugetragen hat. So hat es der Kläger auf Frage des Anhörenden vor dem Bundesamt, woran er selbst gemerkt habe, dass die Taliban hinter ihm her seien, nicht vermocht, dies in irgendeiner Weise näher zu erläutern. Er hat sich diesbezüglich dann wiederum nur auf seine Freunde bezogen, die ihm dies erzählt hätten, dass die Taliban so etwas nicht mögen. Auch hierbei handelt es sich lediglich um Allgemeinplätze und nicht um den nachvollziehbaren Vortrag von tatsächlich Erlebtem.
Soweit der Kläger als Anlage zum Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 10. April 2017 weitergehend ausgeführt hat, dass er wegen seiner Musik mehrfach bedroht, geschlagen und schriftlich mit dem Tod bedroht worden sei und er diesen Vortrag in der mündlichen Verhandlung mit anderen Worten im Kern wiederholt hat, so kann dem Kläger auch dieses Vorbringen nicht geglaubt werden, da es sich insoweit um eine erhebliche und nicht nachvollziehbar begründete Steigerung in seinem Fluchtvorbringen handelt. Auf Vorhalt des Gerichts, warum der Kläger zu seiner persönlichen Bedrohung und körperlichen Misshandlung vor dem Bundesamt nichts berichtet habe, erklärte er, dass er das Gleiche bereits beim Bundesamt gesagt habe; eventuell sei es aber so gewesen, dass der Dolmetscher es vergessen habe zu übersetzen. Dieser Erklärungsversuch ist allerdings abwegig, nachdem der Kläger nach seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben hat, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe, was er auf dem Kontrollbogen auch unterschriftlich bestätigt hat. Zudem wurde ihm die verfasste Niederschrift auch rückübersetzt, wobei ihm eine Nichtübersetzung dieses Kernpunktes seiner Fluchtgründe durch den Dolmetscher zwingend hätte auffallen müssen. Schließlich und am gewichtigsten erscheint darüber hinaus, dass der Kläger vor dem Bundesamt auf die explizite Frage, ob ihm irgendwann einmal konkret etwas von diesen Leuten zugefügt worden sei, dies mit einem klaren Nein beantwortet hat. Das Gericht ist vor diesem Hintergrund der Überzeugung, dass es sich bei den Weiterungen in der mündlichen Verhandlung bzw. dem erwähnten schriftsätzlichen Vortrag um rein asyltaktisches Vorbringen handelt, um nach der Ablehnung seines Begehrens durch das Bundesamt seinem Vortrag mehr Gewicht zu verleihen. Überdies ist auch das gesteigerte Vorbringen letztlich unsubstantiiert und detailarm und kann dem Kläger auch aus diesem Grunde nicht geglaubt werden.
c) Der Kläger hat auch bei seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch die Taliban zu befürchten. Zwar handelt es sich bei der Tätigkeit als Musiker um eine solche, die bei den Taliban Missfallen hervorrufen kann, und ganz vereinzelt existieren Berichte über Anschläge im Zusammenhang mit Musikdarbietungen. Der Kläger ist jedoch entsprechend obiger Ausführungen bislang eindeutig nicht in das Visier der Taliban geraten. Für die Zukunft ist es dem Kläger zumutbar, von dem Beruf des Musikers Abstand zu nehmen und seinen Lebensunterhalt auf andere Weise zu verdienen, was er in seiner Kindheit sowie im Iran nach eigenen Ausführungen zusätzlich auch bereits getan hat. Es ist nicht ersichtlich, dass der körperlich gesunde Kläger in Zukunft nicht auch einer anderweitigen Tätigkeit nachgehen könnte. Auch steht nicht zu befürchten, dass der Kläger wegen seiner früheren Musikauftritte nach seiner Rückkehr verfolgt würde, da die Taliban dies – wenn sie ein gesteigertes Interesse daran gehabt hätten – bereits zum damaligen Zeitpunkt getan hätten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger sein Heimatland bereits vor nunmehr rund fünf Jahren verlassen hat, sodass auch diese lange Zeitspanne gegen eine Verfolgung aufgrund der damaligen Musikertätigkeit spricht. Auch hat der Kläger nichts dahingehend vorgetragen, dass er nach seiner Ausreise von den Taliban gesucht worden sei und diese zu diesem Zweck bei seiner Familie vorstellig geworden seien. Vielmehr lebt die Familie des Klägers weiterhin unbehelligt im Herkunftsort des Klägers.
Selbst wenn man jedoch entgegen obiger Ausführungen von einer Vorverfolgung entsprechend dem Vortrag des Klägers ausginge, so könnte er unter Berücksichtigung dessen ohne Verfolgungsfurcht nach Afghanistan zurückkehren, da die Taliban dem Kläger nur für den Fall gedroht haben, dass er weiterhin Musik macht. Demzufolge hat er nichts zu befürchten, wenn er seinen Beruf entsprechend obiger Ausführungen wechselt.
Eine Gefährdung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ergibt sich für den Kläger auch nicht aufgrund einer Verwestlichung, welche aufgrund der Musikertätigkeit auf den Kläger zutreffe. Diese Einschätzung vermag das Gericht bereits deshalb nicht zu teilen, da der Kläger bereits in seinem Heimatland als Musiker gearbeitet hat und er auf Hochzeiten die dort übliche Musik gespielt hat; hierin kann nichts spezifisch Verwestlichtes gesehen werden. Auch diesbezüglich ist zu wiederholen, dass es dem Kläger zuzumuten ist, nach Rückkehr in sein Heimatland einen anderen Beruf zu ergreifen.
2. a) Der Kläger hat weiterhin keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihm ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Diesbezüglich kann vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen werden. Die Gefahr eines diesbezüglichen ernsthaften Schadens ist nicht ersichtlich.
b) Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz Kapisa. In der Zentralregion, zu der die Provinz Kapisa gehört, wurden im Jahre 2016 2.348 Zivilpersonen getötet oder verletzt (vgl. UNAMA, Annual Report 2016 Afghanistan, Februar 2017, S. 11). Die Anschlagswahrscheinlichkeit für die Zentralregion lag damit im Jahr 2016 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Damit ist derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind darüber hinaus nicht erkennbar. Auch insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
3. a) Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die obigen Ausführungen zu den §§ 3, 4 AsylG vollinhaltlich verwiesen. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die vorliegend eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Dem Kläger droht auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st.Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris; B.v. 27.07.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17 m.w.N..; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris).
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Die aktuelle Lage in Afghanistan und in der Hauptstadt Kabul stellen sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 19. Oktober 2016 (a.a.O. S. 21 ff.) aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt sei und trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2015 lediglich Rang 171 von 187 im Human Development Index belegt habe. Die afghanische Wirtschaft ringe in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 nicht nur mit der schwierigen Sicherheitslage, sondern auch mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90%. So seien ausländische Investitionen in der ersten Jahreshälfte 2015 bereits um 30% zurückgegangen, zumal sich die Rahmenbedingungen für Investoren in den vergangenen Jahren kaum verbessert hätten. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe durch die schwache Investitionstätigkeit geprägt. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum scheine kurzfristig nicht in Sicht. Rund 36% der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was für Rückkehrer naturgemäß verstärkt gelte. Dabei bestehe ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren wie z.B. Kabul und ländlichen Gebieten Afghanistans. Das rapide Bevölkerungswachstum stelle eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Zwischen den Jahren 2012 und 2015 werde das Bevölkerungswachstum auf rund 2,4% pro Jahr geschätzt, was in etwa einer Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb einer Generation gleichkomme. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben des afghanischen Statistikamtes sei die Arbeitslosenquote im Oktober 2015 auf 40% gestiegen. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Aufgrund kultureller Bedingungen seien die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familien- bzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage vom 30. September 2016, Seite 24 ff.) führt aus, Afghanistan bleibe weiterhin eines der ärmsten Länder weltweit. Die bereits sehr hohe Arbeitslosenrate sei seit dem Abzug der internationalen Streitkräfte Ende 2014 wegen des damit zusammenhängenden Nachfrageschwundes rasant angestiegen, das Wirtschaftswachstum betrage nur 1,5%. Die Analphabetenrate sei noch immer hoch und der Pool an Fachkräften bescheiden. Die Landwirtschaft beschäftige bis zu 80% der Bevölkerung, erziele jedoch nur etwa 25% des Bruttoinlandprodukts. Vor allem in Kabul gehöre wegen des dortigen großen Bevölkerungswachstums die Wohnraumknappheit zu den gravierendsten sozialen Problemen. Auch die Beschäftigungsmöglichkeiten hätten sich dort rapide verschlechtert. Nur 46% der afghanischen Bevölkerung verfüge über Zugang zu sauberem Trinkwasser und lediglich 7,5% zu einer adäquaten Abwasserentsorgung. Unter Verweis auf den UNHCR sähen sich Rückkehrende beim Wiederaufbau einer Lebensgrundlage in Afghanistan mit gravierenden Schwierigkeiten konfrontiert. Geschätzte 40% seien verletzlich und verfügten nur über eine unzureichende Existenzgrundlage sowie einen schlechten Zugang zu Lebensmitteln und Unterkunft. Außerdem erschwere die prekäre Sicherheitslage die Rückkehr. Gemäß UNHCR verließen viele Rückkehrende ihre Dörfer innerhalb von zwei Jahren erneut. Sie wichen dann in die Städte aus, insbesondere nach Kabul.
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger nicht alsbald nach seiner Rückkehr nach Afghanistan einer extremen Gefahr für Leib und Leben im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG ausgesetzt wäre. Es ist nämlich davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR – auf den die Schweizerische Flüchtlingshilfe hinsichtlich der Situation der Rückkehrenden Bezug nimmt -, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern – wie dem nach eigenen Angaben 21-jährigen Kläger – eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 9). An dieser Einschätzung des Gerichts ändert sich auch durch die Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 nichts. Der UNHCR weist zwar in seiner Stellungnahme darauf hin, dass sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert habe, was damit einher gehe, dass sich der Konflikt in Afghanistan im Laufe des Jahres 2016 weiter ausgebreitet habe und die Zahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um weitere 4% gestiegen sei. Die Zahl der intern Vertriebenen habe im Jahr 2016 auf Rekordniveau gelegen; zudem sei auch aus den Nachbarländern Pakistan und Iran eine große Zahl von Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten in den wichtigsten Städten der Provinzen und Distrikte in Afghanistan geführt habe. Dies gelte auch für die Stadt Kabul, wo nur begrenzte Möglichkeiten der Existenzsicherung, eine extrem angespannte Wohnraumsituation sowie mangelnder Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen bestehe, sodass die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers geprüft werden müsse. Abgesehen davon, dass vorliegend die Prüfung einer internen Schutzalternative nicht inmitten steht und der UNHCR für die beschriebene Einschätzung seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser auch gleichzeitig ausdrücklich an seinen Richtlinien von April 2016 fest, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt, wovon das Gericht bei dem hiesigen Kläger ausgeht.
Bei dem Kläger ist darüber hinaus individuell zu berücksichtigen, dass er zumindest vier Jahre lang in seinem Heimatland die Schule besucht hat und damit über einen Bildungsstand verfügt, mit dem er gegenüber den vielen Analphabeten in Afghanistan im Vorteil ist. Das Gericht legt hierbei die klägerischen Aussagen vor dem Bundesamt zu Grunde und hält die Aussage in der mündlichen Verhandlung im Zusammenhang mit der kalendarischen Einordnung seiner Musikerauftritte, dass er hierzu nicht in der Lage sei, da er keine Schule besucht habe und Analphabet sei, nicht für glaubhaft. Diese Aussage sollte offensichtlich dazu dienen, seine widersprüchlichen und verschleierten Altersangaben zu erklären. Auch aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen und Sprachkenntnisse befindet sich der Kläger in einer vergleichsweise guten Position. Der Kläger kann vorliegend darüber hinaus bereits auf Erfahrungen im Erwerbsleben – auch jenseits seiner Musikertätigkeit – zurückgreifen. So hat er angegeben, dass er bereits als Kind nach dem Tod seines Vaters in der Stadt Wasser verkauft habe. Im Iran habe er sodann neben seinen Musikauftritten auch in einem Steinbruch gearbeitet. Der Kläger hat angegeben, vor seiner Flucht nach Deutschland etwa vier Jahre im Iran verbracht zu haben. Dort hat er gelernt, auf sich allein gestellt zu sein, und hat bereits in jungen Jahren selbständig Überlebensstrategien entwickelt, auf die er bei einer Rückkehr nach Afghanistan zurückgreifen kann. Er ist zudem in Afghanistan aufgewachsen und nach eigenen Angaben aufgrund seiner Musikerauftritte auch immer wieder in andere Regionen des Landes gereist, sodass ihm auch die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse seines Heimatlandes gut bekannt und vertraut sind. Es ist nochmals anzumerken, dass es dem jungen und gesunden Kläger zuzumuten ist, jede sich bietende Arbeitsgelegenheit zu ergreifen, wenn er seine Musikertätigkeit aus Sicherheitsgründen nicht weiter fortführen sollte; er kann sich demgegenüber nicht allein auf seine bislang ausgeübte Tätigkeit als Musiker zurückziehen. Zudem ist es dem Kläger unter Berücksichtigung obiger Ausführungen auch möglich, in seinen Familienverband in die Provinz Kapisa zurückzukehren. Die Kernfamilie des Klägers hält sich dort neben vier Onkeln und zwei Tanten weiterhin am Herkunftsort auf, sodass der Kläger dort auch auf dieses soziale Netzwerk zurückgreifen kann. Des Weiteren geht das Gericht davon aus, dass der Kläger neben seiner eigenen Erwerbsfähigkeit auch auf die Unterstützung seiner Familie bauen könnte. Insbesondere sind hier die beiden Brüder des Klägers zu nennen, die im Iran arbeiten und bereits jetzt Geld nach Afghanistan schicken, wovon die Kernfamilie lebe. Denn es ist im Kulturkreis des Klägers absolut üblich, dass man sich in Notsituationen finanzielle Unterstützung leistet und es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies vorliegend nicht geschehen würde. Daneben sind die beiden in der Heimat verbliebenen Brüder des Klägers auch bereits etwa 16 oder 17 Jahre alt und können damit ebenfalls zum Familieneinkommen beitragen; zusätzlich hat der Kläger angegeben, dass seine Mutter in einer Wäscherei gearbeitet habe. In der Gesamtschau ist davon auszugehen, dass der Lebensunterhalt der Familie und insbesondere der des hiesigen Kläger zumindest ausreichend sichergestellt ist. Eine extreme Gefahr für Leib und Leben i.S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann der Kläger auch dadurch abwenden, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt. So können afghanische ausreisewillige Personen seit dem Jahr 2016 Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200 EUR und Starthilfen im Umfang von 500 EUR beinhalten. Darüber hinaus besteht seit Juni 2016 das Reintegrationsprogramm ERIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen z.B. Service bei Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei einer Geschäftsgründung. Die Unterstützung wird weitgehend als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei ca. 700 EUR (vgl. Auskunft des Bundesamts vom 12.8.2016 an das VG Ansbach; VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – AU 3 K 16.30949 – juris). Der Kläger könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem normal Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Afghanistan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen. Ebenfalls nicht entgegenstehend ist der Umstand, dass der Kläger längere Zeit in Europa verbracht hat. Vielmehr wirkt sich dies eher begünstigend auf seine Erwerbsperspektive in Afghanistan aus (vgl. auch OVG NRW, B.v. 20.7.2015 – 13 A 1531/15 A – juris). Eine Rückkehr nach Afghanistan scheitert nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris), der sich das Gericht anschließt, grundsätzlich auch nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht, was vorliegend der Fall ist. Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht auch nicht der Einschätzung von Frau Friederike Stahlmann, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt sein (vgl. Friederike Stahlmann, Überleben in Afghanis…, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff. (77 f.). Denn nach Überzeugung des Gerichts bieten die geschilderten persönlichen und familiären Ressourcen des Klägers ausreichende und realistische Möglichkeiten dafür, zumindest für den hiesigen Kläger ein Leben in Afghanistan zumutbar erscheinen zu lassen. Eine extreme Gefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nach alledem ausgeschlossen.
Schließlich bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.


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