Verwaltungsrecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Asylbewerberunterkunft

Aktenzeichen  9 ZB 17.1984

Datum:
4.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15280
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BauNVO § 3, § 15
BayBO Art. 62

 

Leitsatz

1 Das allgemeine Bauplanungsrecht ist im Allgemeinen nicht in der Lage, soziale Konflikte zu lösen, gewährleistet insbesondere keinen Milieuschutz und es haben nur solche Störungen eine bodenrechtliche Relevanz, die typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung eines Vorhabens auftreten. Anderen Gefahren kann im jeweiligen Einzelfall mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts begegnet werden. (Rn. 9) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Der Beweisantrag ist förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen. (Rn. 19) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

AN 9 K 16.1578 2017-07-21 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich mit ihrer Anfechtungsklage gegen die der Beigeladenen von der Beklagten erteilte bauaufsichtliche Genehmigung vom 11. Juni 2016 für die Nutzungsänderung einer ehemaligen Gaststätte in eine Asylbewerberunterkunft mit 43 Betten. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 21. Juli 2017 in der Sache ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Kläger.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Kläger berufen sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Ob solche Zweifel bestehen, beurteilt sich im Wesentlichen anhand dessen, was die Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Mit dem Vorbringen, „entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts liegt ein reines Wohngebiet gem. § 3 BauNVO vor“, legen die Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils dar. Das Verwaltungsgericht hat es dahinstehen lassen, „ob sich die nähere Umgebung als allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO darstellt oder ob sie als reines Wohngebiet nach § 3 BauNVO zu werten ist“ (vgl. UA S. 13).
b) Mit der Kritik der Kläger an der Bewertung des Verwaltungsgerichts, wonach die gegenständliche Asylbewerberunterkunft bei Annahme eines reinen Wohngebiets im Ausnahmeweg nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO und § 31 Abs. 1 BauGB zuzulassen sei, werden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung dargelegt.
Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf die Betriebsbeschreibung „Wohnraum für Asylsuchende“ ausgeführt, dass das Ausnahmeermessen im Hinblick auf die weitgehend autarke Wohnnutzung der Bewohner der Asylbewerberunterkunft auf Null reduziert sei und sich die Nutzung als Asylbewerberunterkunft mit der umgebenden Wohnbebauung deshalb als verträglich erweise (vgl. UA S. 13 f.). Diese Bewertung folgt dem in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz, dass die Unterbringung von Asylbewerbern zu den Nutzungen gehört, die dem Wohnen ähnlich, mit ihm verträglich und deshalb am ehesten Wohngebieten zuzuordnen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.1998 – 4 C 16.97 – BVerwGE 108, 190 = juris Rn. 37; VGH BW, B.v. 6.10.2015 – 3 S 1695/15 – NVwZ 2015, 1781 = juris Rn. 12 ff., 16; Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 3. Auflage 2014, § 3 Rn. 43; Vietmeier in Bönker/Bischopnik, BauNVO, 1. Auflage 2014, § 3 Rn. 65 ff., jeweils m.w.N.). Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander; die Kläger gehen vielmehr zu Unrecht davon aus, das Verwaltungsgericht habe nicht ausgeführt, aus welchen Gründen eine Ermessenreduzierung auf Null vorliegen solle.
Die Annahme der Kläger, dass die Nutzung des Vorhabensgrundstücks als Asylunterkunft zu einer Wesensänderung des betroffenen reinen Wohngebiets führen würde, weil mit der Nutzung des Gebäudes als Asylunterkunft ein allgemeines Wohngebiet entstehen würde bzw. auch bei der Ausnahmeerteilung der Grundsatz der Wahrung des Gebietscharakters gelte, lässt deshalb die zu fordernde substanzielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil vermissen. Die von der erstinstanzlichen Entscheidung abweichende Auffassung der Kläger wird im Übrigen weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht näher erläutert. Das allgemein gehaltene Vorbringen, es sei durchaus möglich, dass eine Ausnahmegenehmigung nicht zulässig sei bzw. über die Zulassung von Ausnahmen dürfe nicht frei disponiert werden, weil der Grundsatz der Wahrung des Gebietscharakters gelte, kann die substanzielle Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts ebenso wenig ersetzen wie ein Beweisantrag oder die Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 63; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124a Rn. 100; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 124a Rn. 206 ff., jeweils m.w.N.).
c) Das Vorbringen der Kläger zu dem ihrer Ansicht nach anzunehmenden Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme lässt keine ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils aufkommen.
aa) Soweit die Kläger sozial andere Strukturen in einer Asylunterkunft, soziale Spannungen, ein erhöhtes Aggressionspotenzial der Bewohner einer Asylunterkunft und die Gefährdung der sozial stabilen Bewohnerstruktur im reinen Wohngebiet geltend machen, setzen sie sich nicht hinreichend mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinander. Danach ist das allgemeine Bauplanungsrecht im Allgemeinen nicht in der Lage, soziale Konflikte zu lösen, gewährleistet insbesondere keinen Milieuschutz (vgl. UA S. 15) und haben nur solche Störungen eine bodenrechtliche Relevanz, die typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung eines Vorhabens auftreten (vgl. UA S. 14 f.). Anderen Gefahren könne im jeweiligen Einzelfall mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts begegnet werden (vgl. UA S. 14).
Sollte mit dem klägerischen Vorbringen zum städtebaulichen Belang des § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB nicht lediglich die Befürchtung eines etwaigen – städtebaulich nicht relevanten – individuellen Fehlverhaltens gemeint sein, sondern zum Ausdruck gebracht werden, die Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft würden üblicherweise „ein erhöhtes Aggressionspotenzial“ aufweisen, bedürfte es für eine derartige Vermutung belastbarer Anhaltspunkte, die nicht im Ansatz dargelegt werden. Die bloße Behauptung, die Bewohner einer Einrichtung könnten zu einem bestimmten Fehlverhalten neigen, genügt für die Annahme der bodenrechtlichen Relevanz nicht (vgl. BVerwG – U.v. 6.12.2011 – 4 BN 20.11 – BauR 2012, 621 = juris Rn. 5).
bb) Soweit sich die Kläger auf eine aus den behaupteten sozialen Spannungen folgende Wertminderung ihres Eigentums berufen, ergeben sich aus ihrem Vorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
Ein Abwehranspruch kann nur gegeben sein, wenn die Wertminderung die Folge einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks ist (BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364 = juris Rn. 73 m.w.N.). Daran fehlt es offenkundig, insbesondere weil das allgemeine Bauplanungsrecht den vonseiten der Kläger erstrebten Milieuschutz weder gewährleisten kann noch gewährleisten soll (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.1996 a.a.O. juris Rn. 72).
cc) Der geltend gemachte Widerspruch zur Eigenart eines reinen Wohngebiets liegt aufgrund der Wohnartigkeit der zugelassenen Nutzung nicht vor (s. vorstehend Nr. 1 Buchst. b).
dd) Die Ausführungen der Kläger in der Zulassungsbegründung zum (städtebaulichen) Denkmalschutz setzen sich nicht mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinander, dass – erstens – die denkmalschutzrechtlichen gesetzlichen Anforderungen dem Eigentümer allenfalls insoweit Drittschutz vermitteln, als dessen Denkmal erheblich beeinträchtigt wird und – zweitens – nicht erkennbar ist, inwieweit die gegenständliche Nutzungsänderung, die in ihrer Ausführung lediglich Baumaßnahmen im Innern umfassen, das Baudenkmal der Kläger erheblich beeinträchtigen können.
ee) Mit dem auf § 1 Abs. 6 Nr. 13 BauGB gestützten Vorbringen, „schließlich ist die mangelnde Infrastruktur eines reinen Wohngebiets dem Wohl der Asylsuchenden nicht förderlich“, machen die Kläger kein drittschützendes Abwehrrecht geltend.
d) Die im Zulassungsvorbringen der Kläger geäußerten Zweifel am Vorliegen eines wirksamen und rechtmäßigen Brandschutzes setzen sich nicht substanziiert mit der entscheidungstragenden Annahme des Verwaltungsgerichts auseinander, dass eine Verletzung der bauordnungsrechtlichen Bestimmungen zum Brandschutz nach Vorlage des Brandschutznachweises durch den Prüfsachverständigen gemäß Art. 62 Abs. 3 Satz 3 BayBO nicht ersichtlich ist (vgl. Prüfbericht vom 15.6.2016 sowie Brandschutznachweise vom 18.2./6.6.2016). Die vonseiten der Kläger für ihre gegenteilige Bewertung in Bezug genommene denkmalrechtliche Stellungnahme vom 23. Februar 2016 ist überholt, weil die Brandschutznachweise für das Vorhaben inzwischen von einem sachkundigen Prüfingenieur für den Brandschutz bescheinigt wurden (vgl. Art. 62 Abs. 3, Abs. 4 Satz 2 BayBO). Im Übrigen verkennen die Kläger, dass mit der denkmalrechtlichen Stellungnahme vom 23. Februar 2016 die Flucht- bzw. Rettungswegsituation, die Raumabschlüsse zum Treppenhaus und die Treppe selbst beanstandet worden waren. Dem Belang funktionsfähiger Rettungswege, zu denen auch der Treppenraum und die Treppe zählen (vgl. Art. 31 ff. BayBO), kommt aber weder in abstandsflächenrechtlicher Hinsicht noch sonst eine nachbarschützende Wirkung zu. Auch die bauordnungsrechtlichen Vorschriften über innere Brandwände oder Trennwände schützen nur vor Brandgefahren innerhalb des betroffenen Gebäudes und dienen deshalb nicht dem Nachbarschutz (vgl. BayVGH, B.v. 19.7.2016 – 9 CS 15.336 – NVwZ-RR 2017, 87 = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 8.3.2018 – 15 CE 17.2599 – juris Rn. 58 ff., jeweils m.w.N.).
2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
Mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe gegen seine Aufklärungspflicht nach § 86 VwGO verstoßen, weil es kein Sachverständigengutachten zur Frage eingeholt habe, ob ein wirksamer Brandschutz vorliege, was sich aber aufgrund der Stellungnahme der Denkmalschutzbehörde aufgedrängt habe, wird kein Aufklärungsmangel dargetan.
Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Der Beweisantrag ist förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen. Daran fehlt es. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltschaftlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbarerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat. Das Beweisangebot der Kläger im Schriftsatz vom 23. September 2016 ist nur die Ankündigung eines Beweisantrages bzw. eine Beweisanregung, die die Folgen des § 86 Abs. 2 VwGO nicht auslöst (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Die Kläger legen auch nicht schlüssig dar, dass das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zur weiteren Aufklärung hätte sehen müssen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 75 m.w.N.). Auch im erstinstanzlichen Verfahren haben die Kläger lediglich auf die denkmalrechtliche Stellungnahme vom 23. Februar 2016 verwiesen. Dass insoweit keine nachbarschützenden Vorschriften des vorbeugenden Brandschutzes angesprochen sind, wurde bereits ausgeführt. Davon abgesehen setzen sich die Kläger in keiner Weise mit den Brandschutznachweisen vom 18. Februar/6. Juni 2016 auseinander, die mit Prüfbericht vom 15. Juni 2016 durch einen Prüfsachverständigen für Brandschutz bescheinigt wurden. Die brandschutzrechtlichen Anforderungen gelten danach als erfüllt (vgl. Art. 62 Abs. 4 Satz 2 BayBO). Vor diesem Hintergrund war und ist es den Klägern zuzumuten, sich mit den Brandschutznachweisen auseinanderzusetzen und greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für ihre Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Dem genügt das Vorbringen, „hinsichtlich des Brandschutzes ist aus Klägersicht ein genauerer Vortrag nicht möglich“, nicht.
Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht in Ansehung der bescheinigten Brandschutznachweise zu Recht davon abgesehen, ein Sachverständigengutachten zum Brandschutz einzuholen, weil für die gegenteilige Tatsachenbehauptung der Kläger trotz Beibringung von bescheinigten Brandschutznachweisen keine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 und § 159 Satz 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 und § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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