Verwaltungsrecht

Nachbesserung der Auswahlerwägungen durch Widerspruchsbehörde

Aktenzeichen  M 5 K 17.3384

Datum:
19.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 153544
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
GVG § 21 f.

 

Leitsatz

1 Die Widerspruchsbehörde kann eine Auswahlentscheidung nicht materiell nachbessern, sondern nur bereits im Auswahlvermerk angelegte Erwägungen näher darlegen. Notwendig ist hierfür aber eine Beteiligung desjenigen, der persönlich für die Auswahlentscheidung zuständig war und die wesentlichen Auswahlerwägungen vorgenommen hat. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Stehen die Ämter der Bewerber in einem Auswahlverfahren nicht in einer Beförderungshierarchie zueinander und gehören unterschiedlichen Staatsgewalten (Exekutive – Judikative) an, kann aus einem Vergleich der Beurteilungsergebnisse nicht auf die höhere Leistungsfähigkeit eines Beamten für die ausgeschriebene Stelle geschlossen werden (BayVGH BeckRS 2017, 110489). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, über die Bewerbung des Klägers für die Stelle „…“ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat vom … September 2016 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom … Juni 2017 werden aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die getroffene Auswahlentscheidung in Form des Bescheids des Beklagten vom … September 2016 und des Widerspruchsbescheids vom … Juni 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Beklagte ist verpflichtet, über die Besetzung der Stelle des … des Finanzgerichts München unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 S. 2 Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
Gegenstand der Klage sind die Negativmitteilung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat vom 19. September 2016, der Verwaltungsaktqualität zukommt (NdsOVG, B.v. 8.6.2011 – 5 ME 91/11 – NVwZ 2011, 891, juris Rn. 12; HessVGH, B.v. 23.8.2011 – 1 B 1284/11 – NVwZ-RR 2012, 151, juris Rn. 3 – jeweils unter Berufung auf BVerwG, U.v. 25.8.1988 – 2 C 62.85 – BVerwGE 80, 127; von Roetteken, ZBR 2011, 73/74; a.A. OVG LSA, B.v. 15.9.2014 – 1 M 76/14 – juris Rn. 11; Schnellenbach, Konkurrenzen im öffentlichen Dienst, 1. Auflage 2015, Anhang 6 Rn. 1, 7; insoweit unklar: BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16.09 – BVerwGE 138, 102) sowie dessen Widerspruchsbescheid vom … Juni 2017.
1. Dem klagenden Bewerber kommt grundsätzlich kein Rechtsanspruch auf Übertragung der streitgegenständlichen Stelle zu. Ein solcher lässt sich nach herrschender Rechtsprechung nicht aus der Fürsorgepflicht ableiten, die sich auf das vom Beamten bekleidete Amt beschränkt und somit amtsbezogen ist. Der Kläger hat allerdings einen Bewerbungsverfahrensanspruch, d.h. einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr den Dienstposten unter Berücksichtigung des in Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG), Art. 94 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung für den Freistaat Bayern (BV), § 9 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) und Art. 16 Abs. 1 des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der Bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz – LlbG) normierten Leistungsgrundsatzes vergibt und seine Auswahlentscheidung nur auf Gesichtspunkte stützt, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen (vgl. BVerfG, B.v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746 und vom B.v. 2.10.2007 – 2 BvR 2457/04 – NVwZ 2008, 194).
Anhand dieser Vorgaben hat der Dienstherr unter mehreren Bewerbern den am besten Geeigneten ausfindig zu machen. Diese Vorgaben dienen zwar vornehmlich dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung von Beamtenstellen, berücksichtigen aber zugleich das berechtigte Interesse eines Beamten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Ein Bewerber hat daher Anspruch auf rechtsfehlerfreie Anwendung (BVerwG, U. v. 25.8.1988 – 2 C 28/85 – juris; BayVGH, B.v. 25.5.2011 – 3 CE 11.605 – BayVBl 2011, 565; VG München, B.v. 24.10.2012 – M 5 E 12.2637 – juris). Aus der Verletzung dieses Anspruchs folgt zwar regelmäßig nicht ein Anspruch auf Beförderung oder auf Vergabe des begehrten Dienstpostens. Der unterlegene Bewerber kann aber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, B. v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746).
Der Dienstherr bestimmt primär im Rahmen seines organisatorischen Ermessens, welche Eignungsvoraussetzungen (Anforderungsprofil) der zukünftige Stelleninhaber erfüllen muss (BVerwG B.v. 25.10.2011 – 2 VR 4.11 – juris Rn. 27 ff.; BayVGH B.v. 18.6.2012 – 3 CE 12.675 – juris Rn. 76 ff.; B.v. 28.5.2015 – 3 CE 15.727 – juris Rn. 29). Soweit der Stellenbesetzung kein besonderes Anforderungsprofil zu Grunde liegt, sind Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung von Bewerbern um eine Beförderungsstelle in erster Linie auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen zu stützen. Denn sie bilden den gegenwärtigen bzw. zeitnah zurückliegenden Stand ab und können somit am besten als Grundlage für die Prognose dafür dienen, welcher der Konkurrenten die Anforderungen der zu besetzenden Stelle voraussichtlich am besten erfüllen wird (BVerwG, B.v. 27.9.2011 – 2 VR … 11 – NVwZ-RR 2012, 71; vgl. zum Ganzen auch BayVGH, B.v. 18.6.2012 – 3 CE 12.675 – juris; VG München, B.v. 26.10.2012 – M 5 E 12.3882 – juris; B.v. 24.10.2012 – M 5 E 12.2637 – juris).
2. Die Auswahlentscheidung, die im Anhang zum Schreiben des Finanzministers vom … August 2016 enthalten ist, entspricht nicht den dargestellten rechtlichen Maßstäben, auch nicht unter Berücksichtigung des Widerspruchsbescheids vom … Juni 2017.
a) Die mit Widerspruchsbescheid vom … Juni 2017 ergänzten Erwägungen, die die Auswahlentscheidung weiter begründen sollen, können die Auswahlentscheidung nicht ergänzen. Sie gehen im Sinn eines unzulässigen Nachschiebens von Gründen über die ursprünglichen Auswahlerwägungen hinaus und sind daher nicht als Abrundung und Vertiefung der Argumentation zulässig. Denn die im Widerspruchsbescheid enthaltenen Gründe sind nicht von der Person mitgetragen worden, die die ursprünglichen für die Auswahl maßgeblichen Erwägungen getroffen hat. Zwar trifft es zu, dass das Finanzministerium nach § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO, § 54 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 BeamtStG als oberste Dienstbehörde für den Erlass des Widerspruchsbescheids zuständig ist. Als Besonderheit von Stellenbesetzungsverfahren ist allerdings zu beachten, dass die wesentlichen Auswahlerwägungen bereits im Rahmen der Auswahlentscheidung schriftlich niederzulegen sind und nicht nachgeholt werden können. Die getroffenen Auswahlerwägungen können zwar später – auch im gerichtlichen Verfahren – ergänzt, aber nicht um neue maßgebliche Entscheidungskriterien erweitert werden (BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 3 CE 15.2012 – juris Rn. 30). Die Widerspruchsbehörde kann eine Auswahlentscheidung aus diesem Grund nicht materiell nachbessern, sondern nur bereits im Auswahlvermerk angelegte Erwägungen näher darlegen (BayVGH, B.v. 21.1.2005 – 3 CE 04.2899 – juris Rn. 28). Notwendig ist hierfür allerdings eine Beteiligung desjenigen, der persönlich für die Auswahlentscheidung zuständig war und die wesentlichen Auswahlerwägungen vorgenommen hat. Denn nur dann können diese Erwägungen noch als Teil des unmittelbaren Stellenbesetzungsverfahrens angesehen werden. Die Befugnis zur Ergänzung von Auswahlerwägungen hat nur die Person, die persönlich für die Auswahlentscheidung zuständig war. Der Finanzminister hat den Auswahlvorschlag mit Schreiben vom … August 2016 an den Ministerpräsidenten … verantwortlich getragen und sich hierzu die im Anhang zu diesem Schreiben für den Auswahlvorschlag maßgeblichen Gründe zu Eigen gemacht. Entsprechend muss eine Ergänzung der Auswahlgründe auch durch den Minister erfolgen. Die materiell-rechtliche Kompetenz zur Ergänzung der Auswahlgründe ist auch im Rahmen des Erlasses des Widerspruchsbescheids zu beachten (so ausdrücklich: BayVGH, B.v. 6.11.2007 – 3 CE 07.2163 – juris Rn. 36).
Da die Auswahlentscheidung der Staatsregierung auf Grundlage des Vorschlags des Bayerischen Staatsministers der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat getroffen wird, ist dieser persönlich für die Auswahlentscheidung zuständig gewesen, sodass auch die Entscheidung im Widerspruchsverfahren von diesem mit getragen sein muss. Anhand des in den vorgelegten Akten des Widerspruchsverfahrens enthaltenen internen Vermerks vom … Mai 2017 lässt sich erkennen, dass der Staatsminister zwar das weitere Vorgehen – in Form eines Festhaltens an der Auswahlentscheidung und des Erlasses eines Widerspruchsbescheids – im Grundsatz gebilligt hat, nicht aber, dass er sich den Widerspruchsbescheid selbst und die darin enthaltenen Erwägungen ebenfalls zu eigen gemacht hat. Das wird auch nicht aus dem Entwurf des Widerspruchsbescheids ersichtlich. Aus diesem ergibt sich zwar, dass der Bescheid von einem Bediensteten des Staatsministeriums unterschrieben wurde, nicht aber, dass er dem Minister vor Auslauf zur Kenntnis gebracht worden ist.
Die Auswahlerwägungen, die vom Staatsminister getragen wurden, können daher nur durch diesen ergänzt werden, bzw. nur mit solchen Gründen, die er ausdrücklich gebilligt hat. Ansonsten sind die im Widerspruchsbescheid enthaltenen Ausführungen nicht mehr Teil des unmittelbaren Stellenbesetzungsverfahrens. Daran ändert sich im Ergebnis auch nichts, wenn man – wie der Beklagte – die Zuständigkeit für die Auswahlentscheidung nicht beim Staatsminister sieht, sondern bei der Staatsregierung, da diese ebenfalls nicht beim Erlass des Widerspruchsbescheides beteiligt wurde.
b) Auch inhaltlich genügt die Auswahlentscheidung nicht den rechtlichen Anforderungen. Das gilt selbst unter Berücksichtigung der Ausführungen im Widerspruchsbescheid, die wie dargestellt über eine zulässige Ergänzung der Auswahlgesichtspunkte hinausgehen.
Die dort enthaltenen Ausführungen, dass die Beurteilungen der Bewerber vergleichbar seien und dem Beigeladenen ein Leistungsvorsprung zukomme, da er im statushöheren Amt in seiner Anlassbeurteilung das selbe Gesamtergebnis wie der Kläger erzielt habe, sind rechtlich nicht tragfähig. Denn aufgrund des Umstands, dass die innegehabten Ämter der beiden Bewerber nicht in einer Beförderungshierarchie zueinander stehen und Ämter in unterschiedlichen Staatsgewalten betreffen (Exekutive – Judikative), kann aus einem Vergleich der Beurteilungsergebnisse nicht auf die höhere Leistungsfähigkeit des ausgewählten Beamten für die Stelle eines … geschlossen werden (BayVGH, B.v. 24.4.2017 – 3 CE 17.434 – BayVBl 2017, 816, juris Rn. 46 ff.; BVerfG, B.v. 17.2.2017 – 2 BvR 1558/16 – NVwZ 2017, 1133, juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 24.4.2017 – 3 CE 17.434 – BayVBl 2017, 816, juris Rn. 47). Die im Widerspruchsbescheid angegebenen Gründe, weshalb der Beigeladene als leistungsstärker anzusehen sein soll, halten einer rechtlichen Kontrolle nicht stand.
Insbesondere fehlt eine Auseinandersetzung damit, dass der Beigeladene zwar über Führungserfahrung verfügen mag, sich diese allerdings nicht auf den richterlichen Bereich erstreckt. Das stellt sich beim Kläger, der selbst bereits seit vielen Jahren als Richter tätig ist und als … auch entsprechende Verwaltungs- und Führungserfahrung gesammelt hat, anders dar als bei dem Beigeladenen. Mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit unterscheidet sich die Art von Führungsverhalten grundlegend von dem bei weisungsabhängigen Mitarbeitern. Das zeigt sich bereits daran, dass die Geschäftsverteilung von einem unabhängigen Gremium, dem Präsidium (§ 21 e des Gerichtsverfassungsgesetzes/GVG), erstellt wird, in dem der Präsident zwar den Vorsitz führt, aber anders als ein Behördenleiter insoweit nicht allein die Organisationshoheit innehat. Auch etwa die Erstellung der dienstlichen Beurteilungen für Richter, bei der die Unabhängigkeit zu beachten ist, stellt an den Beurteiler andere Anforderungen als die Beurteilung von Beamten (Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: November 2017, Art. 63 LlbG Rn. 3 f.). Die Besonderheiten der Führung eines Gerichts sind beim Vergleich der beiden in ihren Ämtern jeweils mit dem besten Prädikat beurteilten Konkurrenten zu erörtern. Das ist vorliegend jedoch nicht erfolgt.
Widersprüchlich und nicht nachvollziehbar erscheint die Würdigung des Beklagten, dass – „mit Blick auf das Aufgaben- und Tätigkeitsprofil des … als ‚Leitungsfunktion‘“ – „die durch Aufsichts-, Führungs- und Organisationsaufgaben geprägte, mit Besoldungsgruppe … bewertete ‚Verwaltungsfunktion‘ [des Beigeladenen] gegenüber der schwerpunktmäßig durch die spruchrichterlich geprägte, mit Besoldungsgruppe … mit AZ bewertete Funktion des … des Finanzgerichts […] als höherwertig anzusehen“ sein soll. Das greift zu kurz. Denn im Widerspruchsbescheid hat keinerlei Auseinandersetzung mit der Frage stattgefunden, ob und mit welchem Umfang der Kläger aufgrund seiner bisherigen Aufgabenwahrnehmung bereits in die Gerichtsorganisation eingebunden gewesen ist. Nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung ist im Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts festgehalten, welche originären Verwaltungszuständigkeiten dem Kläger als … des Gerichts zukommen. Der Beklagte hat es bereits unterlassen, anhand des Geschäftsverteilungsplans zu ermitteln, dass der Kläger als … des Finanzgerichts originäre Verwaltungsaufgaben wahrnimmt und um welche es sich hierbei konkret handelt. Gewürdigt wird zudem in keiner Weise, dass der … als Vertreter des … im Vertretungsfall in dessen Aufgaben eintritt und insofern auch originär dessen Verwaltungsaufgaben übernimmt. Der Beklagte hat daher bereits den Sachverhalt nicht umfassend ermittelt und wesentliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen. Denn dem Kläger kommt neben seiner spruchrichterlichen Erfahrung auch im Hinblick auf die Leitungsfunktion am Gericht und die Ausübung von gerichtlichen Verwaltungsaufgaben umfangreiche Erfahrung zu. Welches spezifisch höhere Gewicht der Erfahrung des Beigeladenen bei der Leitung einer Behörde gegenüber der Erfahrung des Klägers bei der Leitung eines Gerichts als … zukommen soll, ist nicht konkret und nachvollziehbar dargelegt. Die Unterschiede bei der Leitung einer Behörde mit weisungsabhängigen Mitarbeitern im Vergleich zur Leitung eines Gerichts mit z.T. weisungsabhängigen Mitarbeitern, aber auch im Wesentlichen unabhängigen Angehörigen im Richteramt werden nicht erörtert und bewertet.
Ebenfalls ist nicht näher erläutert, inwiefern die vom Beigeladenen laut seiner Anlassbeurteilung erworbenen Kompetenzen in der Verwaltung die Kompetenzen des Klägers als Richter aufgrund dessen langjähriger Erfahrung als Senatsvorsitzender, insbesondere im Bereich der Verhandlungsführung übertreffen. Auch das ist in Anbetracht dessen, dass der … des Finanzgerichts neben Verwaltungsaufgaben zugleich auch den Vorsitz eines Senats innehat (§ 21 f Abs. 1 GVG i.V.m. § 4 der Finanzgerichtsordnung/FGO), ein wesentlicher Gesichtspunkt, der bei der Auswahlentscheidung Berücksichtigung finden muss. Es wird im Widerspruchsbescheid lediglich dargestellt, dass der Beigeladene trotz fehlender richterlicher Vorerfahrung aufgrund seiner früheren dienstlichen Tätigkeiten in der Lage sei, auch den Anforderungen der Position des … gerecht zu werden. Wenn der Dienstherr die Besetzung der Stelle eines … durch einen Verwaltungsbeamten beabsichtigt, der noch nie als Richter tätig war, muss eine konkrete und nachvollziehbare Darlegung erfolgen, dass der ausgewählte Bewerber die auf ihn zukommenden Aufgaben als Senatsvorsitzender wie auch als … als leistungsstärkster Kandidat entsprechend erfüllen wird. Eine solche vergleichende Betrachtung der Leistungsfähigkeit des Klägers mit der des Beigeladenen hinsichtlich des von den Konkurrenten angestrebten Amtes des … des Finanzgerichts ist in der Auswahlentscheidung weder in der Anlage zum Schreiben des Staatsministers vom … August 2016 noch im Widerspruchsbescheid vom … Juni 2017 in der erforderlichen Weise erfolgt. Inwiefern das aufgrund des beruflichen Werdegangs vorhandene Defizit des Beigeladenen an richterlicher Tätigkeit im Konkurrenzverhältnis zum Kläger zu bewerten ist, dazu enthält der Widerspruchsbescheid keine Ausführung. Die Werdegänge der beiden Bewerber werden lediglich nacheinander skizziert, eine Auseinandersetzung in Form einer vergleichenden Betrachtung und Herausarbeitung, dass der ausgewählte Beamte – trotz dieses Defizits – der leistungsstärkere und besser geeignete Kandidat sein soll, erfolgt hingegen nicht.
Die Erwägungen des Widerspruchsbescheids, die sich im Kern dahin zusammenfassen lassen, dass sich das Amt des … beim Landesamt für Steuern durch deutlich höhere Anforderungen im Bereich der Führungs-, Organisationserfahrung und Verwaltungserfahrung auszeichnet gegenüber der Funktion des … des Finanzgerichts, die schwerpunktmäßig durch die spruchrichterliche Tätigkeit geprägt ist, genügen dem nicht. Wie dargelegt, leidet der Vergleich bereits daran, dass der angenommene Schwerpunkt der Prägung des Amtes des … in spruchrichterlicher Tätigkeit rechtlich mangelhaft ermittelt wurde. Auch die richterliche Funktion des … des Finanzgerichts als Vorsitzender eines Senats (zum „…“, der eben nicht nur administrative „Führungskraft“ ist, als bewusstes Leitbild des Gerichtsverfassungsgesetzes: Kissel, GVG, 8. Auflage 2015, § 59 Rn. 8) wird im Widerspruchsbescheid beim Vergleich der Kandidaten anhand ihrer Beurteilungen nicht bewertet. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass in der Finanzgerichtsbarkeit keine Berufungsinstanz eingerichtet ist.
Auch die Ausführungen zu § 10 Abs. 2 Satz 2 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) im Widerspruchsbescheid genügen dem nicht. Soweit dem Beigeladenen entsprechende Fachkenntnisse, Urteilsvermögen, Verhandlungsgeschick und Entscheidungsstärke aufgrund seiner bisherigen Tätigkeiten als Beamter in der Finanzverwaltung bescheinigt werden, bezieht sich das auf die Anrechnung von mehr als zwei Jahren Tätigkeit in der Verwaltung auf die vom Grundsatz her erforderliche Vordienstzeit von drei Jahren im richterlichen Dienst vor einer Berufung in das Richterverhältnis auf Lebenszeit (§ 10 Abs. 2 Satz 1 DRiG). Es fehlt insoweit der Kern der Auswahlentscheidung, eine vergleichende Auseinandersetzung mit der entsprechenden Leistungsfähigkeit des Klägers.
Es ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden, dass Rückschlüsse für die erfolgreiche Wahrnehmung eines Richteramtes unter anderem aus der erfolgreichen Wahrnehmung von herausgehobenen Aufgaben in einem Ministerium gezogen werden (vgl. OVG NRW, B.v. 15.4.2014 – 1 B 29/14 – DRiZ 2015, 334, juris Rn. 25 ff.). Gerade wenn ein Bewerber Präsident eines Gerichts werden soll, der noch nie in der Gerichtsbarkeit tätig war, muss jedoch in besonderer Weise begründet werden, warum Tätigkeiten in der Verwaltung der richterlichen Tätigkeit als vergleichbar angesehen werden. In einer Konstellation wie der vorliegenden ist beim Vergleich des Klägers mit dem Beigeladenen mit Blick auf dessen gänzlich fehlende Richtererfahrung eine entsprechende Auseinandersetzung erforderlich. Das ist etwa in dem im Widerspruchsbescheid zitierten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Mai 2015 (3 CE 15.727, juris Rn. 40) erfolgt. Dabei ist auch zu betonen, dass der dortige Bewerber aus der Ministerialbürokratie über eigene richterliche Erfahrung wie auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Revisionsinstanz und am Bundesverfassungsgericht verfügte und ihm im Rahmen einer Kandidatur als Bundesrichter vom Präsidialrat die Eignung als Richter in der Revisionsinstanz zuerkannt worden war. Insofern unterscheidet sich die dortige Sachlage vom vorliegenden Sachverhalt.
c) Auch kann das Argument nicht durchgreifen, dass die durch ressortfremde Tätigkeit erworbene Verwendungsbreite des Beigeladenen einen Leistungsvorsprung bestätige. Insoweit handelt es sich um ein unzulässiges Nachschieben von Gründen im Widerspruchsbescheid, die über die der ursprünglichen Auswahlentscheidung zugrunde liegenden Erwägungen hinausgehen. Denn die maßgeblichen Auswahlerwägungen sind grundsätzlich vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens schriftlich niederzulegen. Sie können im Rahmen des Widerspruchsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens allenfalls vertieft werden. Ein Nachschieben ist hingegen unzulässig, da hierdurch der gerichtliche Rechtschutz des Betroffenen unzumutbar erschwert wäre (BVerfG B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07 – ZBR 2008, 169; BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 3 CE 15.2012 – juris Rn. 30; B.v. 6.11.2007 – 3 CE 07.2163 – juris Rn. 36).
Die maßgeblichen Auswahlgesichtspunkte sind im Anhang zum Schreiben des Staatsministers vom … August 2016 an den Bayerischen Ministerpräsidenten … dargelegt. Dabei wird – ausführlicher als beim Kläger – auch der berufliche Werdegang des Beigeladenen dargestellt. Es wird allerdings nicht in Form einer vergleichenden Betrachtung herausgearbeitet, dass der Beigeladene gerade im Gegensatz zu den Konkurrenten eine größere Verwendungsbreite vorweisen kann und dadurch als der besser geeignete Bewerber erscheint. Dieser Gesichtspunkt wird nicht als entscheidendes Differenzierungskriterium zugunsten des Beigeladenen im Vergleich zum Kläger angegeben. Wenn dieser Umstand im Widerspruchsbescheid erstmals als Differenzierungsmerkmal herausgearbeitet wird, das für den Beigeladenen einen Leistungsvorsprung begründen soll, so geht das über die ursprünglichen Auswahlerwägungen hinaus und stellt ein unzulässiges Nachschieben von Gründen dar.
Auf die übrigen von den Beteiligten aufgeworfenen Rechtsfragen kommt es für die Entscheidung nicht an.
3. Der Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er keinen Antrag gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
4. Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124 Rn. 36 ff.), da keine über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfragen aufgeworfen werden. Mit der vorliegenden Entscheidung wird auch nicht von der Rechtsprechung eines höherrangigen Gerichts abgewichen.


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