Verwaltungsrecht

Nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis wegen Wegfalls der familiären Lebensgemeinschaft – Verkürzung der Befristung

Aktenzeichen  M 25 K 15.4886

Datum:
28.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4689
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwZVG Art. 15 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
AufenthG § 7 Abs. 2, § 28 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ist der Behörde der Aufenthaltsort einer Person aus in ihrer Sphäre liegenden Gründen schuldhaft unbekannt, leidet eine gleichwohl erfolgte öffentliche Zustellung an einem nicht heilbaren Zustellungsfehler.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Allein das formale Band der Ehe ist für die Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft nicht ausreichend; erforderlich ist der nachweislich betätigte Wille beider Ehepartner, mit dem jeweils anderen Ehepartner als Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am … Februar 2018 entschieden werden, obwohl für die Klägerin niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beteiligten sind form- und fristgerecht geladen worden.
Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
I.
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden, da für die Klägerin die Klagefrist aus § 74 Abs. 1 S. 1 iVm S. 2 VwGO nie angelaufen ist. Die Beklagte ist unzutreffend vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG für eine öffentliche Zustellung des Bescheids ausgegangen. Danach ist eine öffentliche Zustellung möglich, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist. Der Aufenthaltsort der Klägerin war zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses aber nicht unbekannt, sondern die Klägerin war bereits seit … Juli 2015 mit einer Adresse gemeldet, wie sich aus den Melderegistereinträgen ergibt. Die Beklagte hat selbst eingeräumt, dass es bei ihr aufgrund einer Umstellung des Meldeprogramms zu Unregelmäßigkeiten und Fehlbedienungen gekommen sein könnte. Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG erfasst aber nicht Fälle, in denen der Aufenthaltsort der erlassende Behörde aus in ihrer Sphäre liegenden Gründen schuldhaft unbekannt bleibt. Sind die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG nicht erfüllt und wird dennoch öffentlich zugestellt, liegt ein nicht heilbarer Zustellungsfehler vor und wird ein gleichwohl öffentlich zugestellter Verwaltungsakt erst wirksam, wenn der Adressat oder sein Bevollmächtigter tatsächlich Kenntnis von dem Bescheid erhalten (vgl. zum gleichlautenden § 10 VwZG Engelhardt/App/Schlatmann, 10. A, § 10 VwZG Rn. 19). Diese Kenntnisnahme erfolgte vorliegend im Rahmen der Akteneinsicht des damaligen Bevollmächtigten der Klägerin am 30. Oktober 2015. Die nur wenige Tage später am … November 2015 erhobene Klage erfolgte daher rechtzeitig, unabhängig davon, ob man auf solche Konstellationen ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntniserlangung die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO, die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO – ggf. in entsprechender Anwendung – oder die durch Verwirkung gezogene Grenze zulässigen Rechtschutzes zu Grunde legt.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom … August 2015 ist rechtmäßig ergangen und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Nach Art. 7 Abs. 2 S. 1 AufenthG ist eine Aufenthaltserlaubnis zu befristen. Dies ist auch vorliegend geschehen, da die am … September 2014 der Klägerin erteilte Aufenthaltserlaubnis ursprünglich bis zum … März 2017 befristet war. Gemäß Art. 7 Abs. 2 S. 2 AufenthG kann aber eine Frist auch nachträglich verkürzt werden, wenn eine für die Erteilung wesentliche Voraussetzung entfallen ist.
Der Klägerin wurde am … September 2014 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt. Grundvoraussetzung hierfür ist insbesondere das Herbeiführen bzw. Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft, § 27 Abs. 1 AufenthG. Es steht aber zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) fest, dass eine solche familiäre Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem damaligen Ehemann zum für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses (hierzu Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 12. A., § 7 AufenthG, Rn. 72) nicht mehr bestand. Zwar ist eine gemeinsame Ehewohnung nur regelmäßig, aber nicht zwingend Voraussetzung für die Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft. Zumindest ist aber eine derartige räumliche Nähe der Wohnungen erforderlich, dass die familiäre Kommunikation, die auch von beiden gewollt ist, tatsächlich möglich und auch praktiziert wird. Sie endet jedenfalls mit der auf Dauer angelegten Trennung der Ehegatten. Auch das ggf. noch bestehende formale Band der Ehe reicht für sich allein nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zu entfalten. Erst der bei beiden Ehepartnern bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus. Maßgeblich ist der nachweislich betätigte Wille beider Ehepartner, mit dem jeweils anderen Ehepartner als wesentlicher Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen (BVerwG v. 22.5.2013 – 1 B 25/12 – juris Rn. 4; BayVGH v. 27.10.2017 – 10 ZB 16.1074; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 12. A., § 27, Rn. 46 ff.).
Dies zu Grunde gelegt, fehlte es bei Erlass des angegriffenen Bescheids an einer bestehenden familiären Lebensgemeinschaft. Die Klägerin ist am … Juni 2015 endgültig aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und ist soweit ersichtlich nur einmal im August 2015 zurückgekehrt, um ihre Sachen aus der Wohnung abzuholen. Dass damals die endgültige Trennung erfolgte, wird auch von der Klägerin nicht bestritten und ergibt sich überzeugend auch aus der Aussage des geschiedenen Ehemanns der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Dieser hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, er habe die Klägerin am … Juni 2015 nach Marokko geschickt und ihr gesagt, dass die Beziehung beendet sei. Die Voraussetzungen für eine Verkürzung der Geltungsdauer der erteilten Aufenthaltserlaubnis lagen demnach vor. Der Bescheid lässt auch keinen einer gerichtlichen Nachprüfung unterliegenden Ermessensfehler erkennen (§ 114 S. 1 VwGO).
Ob daneben ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus anderen Vorschriften besteht, ist für die gegen eine Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage unerheblich (BVerwG v. 9.6.2009 – 1 C 11.08). Die Ausführungen der Klageseite zu einem möglichen Anspruch aus Art. 31 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gehen daher ins Leere. Weder hat die Klägerin eine hierauf gestützte Aufenthaltserlaubnis vor Erlass des Bescheids beantragt noch wurde mit dem angegriffenen Bescheid – ausweislich des Tenors – über eine solche Aufenthaltserlaubnis entschieden, wie die Vetreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nochmals ausdrücklich betont hat. Die hierauf bezogenen Ausführungen im Bescheid sind unnötig, im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach Maßgabe der vorstehend zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber auch ohne Relevanz.
III.
Die Klage war deshalb abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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