Verwaltungsrecht

Nachträgliche Befristung der Geltungsdauer einer eheabhängigen Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  Au 6 K 17.1167

Datum:
28.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10212
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 3 Abs. 1
GG Art. 6
AufenthG § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1, § 31

 

Leitsatz

1 Es steht im Ermessen der Ausländerbehörde, ob sie von der Möglichkeit der Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis Gebrauch macht. Zuständig ist grundsätzlich die Ausländerbehörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; allerdings kann die bisher zuständige Behörde trotz Wohnsitzwechsels das Verfahren fortführen, wenn dies der einfachen und zweckmäßigen Durchführung dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Trotz des formellen Bestehens einer Ehe ist die eheliche Lebensgemeinschaft beendet, wenn die Eheleute sich endgültig getrennt haben, also in der Regel, wenn sie die häusliche Gemeinschaft aufgegeben haben. Damit ist eine wesentliche Voraussetzung für die zweckgebunden erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 27 Abs. 1 AufenthG entfallen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Das Vertrauen auf den Fortbestand der Aufenthaltserlaubnis ist bei Fortfall einer der wesentlichen Erteilungsvoraussetzungen grundsätzlich nicht geschützt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4 Ein besonderer Härtefall, der ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft als unzumutbar erscheinen lässt, ist erst bei schwersten Eingriffen in die persönliche Freiheit und die körperliche Integrität des Ehepartners anzunehmen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Klägerin verhandelt und entschieden werden, da sie in der Ladung darauf hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft ist nicht rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1. Rechtsgrundlage für die in Nr. 1 des angegriffenen Bescheides verfügte Verkürzung der Geltungsdauer der – zunächst bis 21. September 2017 erteilten –Aufenthaltserlaubnis der Klägerin auf den 17. Juli 2017 ist § 7 Abs. 2 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Dieser Zeitpunkt ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich (vgl. BVerwG, U.v. 22.5.2013 – 1 B 25/12 – BayVBl 2014, 56 Ls. 2).
§ 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG regelt, dass die Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung des beabsichtigten Aufenthaltszwecks zu befristen ist. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die Frist auch nachträglich verkürzt werden, wenn eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen ist. Demnach steht es im Ermessen der Ausländerbehörde, ob sie von der Möglichkeit der Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis Gebrauch macht. Für die Rechtmäßigkeit der damit verbundenen Ermessensentscheidung ist es unerheblich, ob ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage besteht (sog. Trennungsprinzip, vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – BVerwGE 134, 124; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AufenthG, § 7 Rn. 54; Maor in Kluth/Heusch, Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 1.2.2018, AufenthG, § 7 Rn. 17).
a) Gegen die formelle Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Verkürzung bestehen – insbesondere auch hinsichtlich der Zuständigkeit der Ausländerbehörde – keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Für die Ermittlung der örtlich zuständigen Behörde ist vorliegend zunächst festzustellen, welches Bundesland die Verbandskompetenz zur Sachentscheidung besitzt. Diese Frage ist – wenn keine speziellen koordinierten landesrechtlichen Kompetenzregelungen vorliegen – durch entsprechende Anwendung der mit § 3 VwVfG übereinstimmenden Regelungen über die örtliche Zuständigkeit in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder zu beantworten (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 5/11 – BVerwGE 142, 195). Führen die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, wie das beim Vollzug des Aufenthaltsgesetzes der Fall ist, so regeln sie gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich die Einrichtung der Behörden, d.h. den Ländern in ihrer Gesamtheit obliegt die Bestimmung der Verbandskompetenz und dem einzelnen Bundesland im Rahmen seiner Kompetenz die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit. Fehlen – wie hier – spezielle koordinierte landesrechtliche Zuweisungsregelungen zur Verwaltungskompetenz, ergibt sich ein aufeinander abgestimmtes System im Wege der entsprechenden Anwendung der zur örtlichen Zuständigkeit getroffenen Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder, die insoweit inhaltsgleich sind und mit § 3 VwVfG übereinstimmen. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a VwVfG – und dem insoweit wortlautidentischen Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a BayVwVfG – ist damit für die Entscheidung über die nachträgliche Verkürzung, die die Klägerin als natürliche Person betrifft, grundsätzlich die Behörde zuständig, in deren Bezirk sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies ist zwar vorliegend nach dem Umzug der Klägerin nach der Anhörung zur beabsichtigten nachträglichen Verkürzung der Befristung der Aufenthaltsdauer, demnach nach Einleitung und vor Abschluss des laufenden Verwaltungsverfahrens (s. Bl. 102 der Behördenakte), nach Baden-Württemberg die dortige zuständige Ausländerbehörde. Diese stimmte jedoch mit Schreiben vom 11. September 2017 (Bl. 122 der Behördenakte) der Fortführung des laufenden gegenständlichen Verfahrens durch die Ausländerbehörde der Beklagten zu (vgl. § 3 Abs. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für Baden-Württemberg und die insoweit wortlautidentischen Regelungen in Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG bzw. § 3 Abs. 3 VwVfG). Danach kann die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Es war nicht erforderlich, dass die Zustimmung noch vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides erfolgte; denn eine solche Zustimmung ist gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m Abs. 2 BayVwVfG auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren möglich (vgl. BayVGH B.v. 22.2.2012 – 10 ZB 11.969 – juris Rn. 19 m.w.N.). Gründe dafür, dass die Fortführung des Verfahrens durch die Ausländerbehörde des Beklagten nicht der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens diente und die Interessen der Klägerin nicht gewahrt wurden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Allein die theoretische Möglichkeit, dass die nunmehr zuständige Behörde die Verkürzung nicht verfügt hätte, genügt insoweit nicht, eine Rechtsverletzung der Klägerin zu begründen.
b) Die streitgegenständliche Verkürzung ist auch materiell rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sind vorliegend gegeben. Für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft, die aufenthaltsrechtlichen Schutz nach Art. 6 GG genießt, kommt es auf den nachweisbar betätigten Willen beider Eheleute an, ein gemeinsames Leben zu führen. Bei der im jeweiligen Einzelfall vorzunehmenden Bewertung, ob eine aufenthaltsrechtlich beachtliche tatsächliche Lebensgemeinschaft vorliegt oder lediglich eine Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, verbietet sich eine schematisierende Betrachtung (BVerwG, B.v. 22.05.2013 – 1 B 25.12 – BayVBl 2014, 56, Ls. 1). Eine eheliche Lebensgemeinschaft, die sich nach außen im Regelfall in einer gemeinsamen Lebensführung, also in dem erkennbaren Bemühen dokumentiert, die alltäglichen Dinge des Lebens miteinander in organisatorischer, emotionaler und geistiger Verbundenheit zu bewältigen, dreht sich im Idealfall um einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt und wird daher regelmäßig in einer von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Wohnung gelebt (HessVGH, B.v. 9.8.2004 – 9 TG 1179/04 – FamRZ 2005, 982). Eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht indes nicht mehr, wenn die persönlichen Beziehungen erkennbar und ohne Aussicht auf Versöhnung beendet werden (Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 27 AufenthG Rn. 23). Vorliegend bestand die eheliche Lebensgemeinschaft der Klägerin jedenfalls seit 20. Juni 2017 nicht mehr, da sie seit diesem Zeitpunkt auf Dauer von ihrem Ehemann getrennt lebt. Dies ist hier auch seitens der Klägerin nicht bestritten worden; sie teilte vielmehr sowohl der Ausländerbehörde – unter Vorlage einer Meldebestätigung (Bl. 102 der Behördenakte beinhaltet E. als alleinige Wohnung) – als auch im Rahmen der Klagebegründung mit, dass sie seit diesem Zeitpunkt bei ihrem Sohn lebe und umgezogen sei. Trotz des formellen Bestehens einer Ehe ist die eheliche Lebensgemeinschaft beendet, wenn sich die Eheleute endgültig getrennt haben; die tatsächliche Trennung besteht in der Regel in der Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2007 – 24 CS 07.2053 – juris); dies ist vorliegend erfolgt. Damit ist eine wesentliche Voraussetzung für die zum Zweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 27 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entfallen.
Die getroffene Ermessensentscheidung des Beklagten ist im gerichtlichen Verfahren nicht zu beanstanden. Die gerichtliche Prüfungsdichte bemisst sich nach der Regelung des § 114 VwGO, was im Wesentlichen zur Folge hat, dass die Entscheidung lediglich daraufhin zu überprüfen ist, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, ob in diese Ermessensentscheidung alle maßgeblichen und keine unzulässigen Erwägungen Eingang gefunden haben und ob einzelne Belange entgegen ihrer objektiven Wertigkeit in die Abwägung eingestellt worden sind.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe erweist sich die Ermessensentscheidung des Beklagten als ermessensfehlerfrei und angemessen. Das Vertrauen auf den Fortbestand einer Aufenthaltserlaubnis ist bei einem Fortfall einer wesentlichen Voraussetzung (grundsätzlich) nicht geschützt (vgl. Dienelt in Renner/Bergmann/ Dienelt, Ausländerrecht, AufenthG, § 7 Rn. 61). Im Rahmen der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer war (lediglich) das Interesse der Klägerin, bis zum Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Beendigung eines materiell rechtswidrig gewordenen Aufenthalts gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – BVerwGE 134, 124). Enge persönliche, insbesondere verwandtschaftliche Bindungen, sind gemäß Art. 8 EMRK insoweit zu berücksichtigen, wenn sie den Aufenthalt des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland gerade in der Zeit bis zum Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis erfordern, z.B. weil Unterstützungsleistungen durch ihn oder für ihn nötig sind (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, AufenthG, § 7 Rn. 59). Der Beklagte hat im angefochtenen Bescheid eine umfassende Abwägung vorgenommen und dargelegt, dass auch keine schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen überwiegenden Belange der Klägerin vorliegen. Diese hat seit ihrer erstmaligen Einreise in die Bundesrepublik am 17. September 2016 keine Beschäftigung ausgeübt; sie besitzt im Übrigen nach den zutreffenden Darlegungen des Beklagten auch kein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei. Zu den öffentlichen Interessen zählt auch das Interesse an der Einhaltung des Aufenthaltsrechts, um dem Hineinwachsen in einen vom Gesetz verwehrten Daueraufenthalt vorzubeugen. Ein Ermessensfehler liegt auch nicht im Hinblick auf den nunmehr geltend gemachten Aufenthalt des (inzwischen volljährigen) Sohnes der Klägerin im Bundesgebiet vor. Die ergänzende Erwägung des Beklagten (§ 114 Satz 2 VwGO), es sei nicht dargelegt, dass der Sohn der Klägerin auf deren Unterstützung angewiesen sei, ist vorliegend nicht zu beanstanden. Zunächst bestand bereits keine familiäre Lebensgemeinschaft, da der (am 10.8.1999 geborene) Sohn der Klägerin im Zeitpunkt deren Zuzugs weiterhin in der Türkei lebte (s. Bl. 64 der Behördenakte) und die Klägerin nach ihren Darlegungen erst seit 20. Juni 2017 mit ihrem Sohn, demnach wenige Wochen vor dessen Volljährigkeit, in E. lebt. Der Aufenthalt der Klägerin ist insbesondere nicht nach der Wertung des Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK erforderlich, da Unterstützungsleistungen durch oder für die Klägerin hinsichtlich des Sohnes weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Besondere Gründe für die Notwendigkeit eines weiteren, zeitlich beschränkten Verbleibs der Klägerin in Deutschland bis zum 21. September 2017, dem Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere reicht allein der Umstand, dass das Scheidungsverfahren möglicherweise noch anhängig ist, hierfür nicht aus (vgl. dazu BayVGH, B.v. 21.6.2010 – 10 ZB 09.2959 – juris).
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine von der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft unabhängige Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG. Maßgeblich ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Ein entsprechender Antrag auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis ist in der vorgenannten Stellungnahme der Klägerin vom 10. Juli 2017 gegenüber dem Landratsamt im Rahmen der Anhörung zu sehen (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – BVerwGE 134, 124/129).
a) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neuerteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren im Bundesgebiet bestanden hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Klägerin hat zwar am 22. April 2015 mit ihrem Ehemann die Ehe geschlossen, reiste jedoch erstmal am 17. September 2016 in das Bundesgebiet ein. Jedenfalls am 20. Juni 2017 zog sie aus der gemeinsamen Ehewohnung aus (s.o. Nr. 1 a). Damit ist die erforderliche dreijährige Ehebestandszeit im Bundesgebiet nicht erfüllt.
b) Ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ergibt sich auch nicht aus § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Von der Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ist gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ab-zusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. Eine besondere Härte liegt nach § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist; dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist (§ 31 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz AufenthG). Bei dem Begriff der besonderen Härte handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren, unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. Tewocht in Kluth/Heusch, Beck´scher Online Kommentar, AuslR, AufenthG, § 31 Rn. 19; VG München, U.v. 21.2.2013 – M 12 K 12.4701 – juris Rn. 33).
aa) Eine besondere Härte i.S. des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG ist nicht gegeben. Von dieser Regelung sind nur ehebezogene Nachteile erfasst, also Beeinträchtigungen, die mit der ehelichen Lebensgemeinschaft oder ihrer Auflösung zumindest in mittelbarem Zusammenhang stehen, nicht aber sämtliche sonstigen, unabhängig davon bestehenden Rückkehrgefahren (s. dazu ausführlich BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – NVwZ 2009, 1432).
Derartige ehebezogene Nachteile hat die Klägerin bei einer Rückkehr in die Türkei nicht zu befürchten. Diese ergeben sich insbesondere nicht allein daraus, dass der Betroffene im Fall des Abbruchs des Aufenthalts einen Arbeitsplatz im Bundesgebiet verliert und dadurch ein Neubeginn im Heimatstaat erforderlich ist; denn dies trifft grundsätzlich alle Rückkehrer gleichermaßen und ist daher im Regelfall nicht geeignet, die Ausreisepflicht zu suspendieren (vgl. BayVGH B.v. 26.7.2010 – 10 ZB 10.75 – juris Rn. 15; B.v. 15.2.2010 – 19 CS 09.3105 – juris). Die Klägerin ist erst mit 45 Jahren erstmals in die Bundesrepublik eingereist, hat vorher nach Aktenlage in der Türkei gelebt und seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet keine Beschäftigung ausgeübt. Besondere ehebezogene Benachteiligungen sind bei einer Rückkehr in die Türkei nicht ersichtlich.
Die Klägerin hat den Großteil ihres Lebens in der Türkei verbracht und spricht ihre Heimatsprache. Anhaltspunkte dafür, dass sie den Lebensverhältnissen in ihrer Heimat in einer Weise entfremdet wäre, die eine Rückkehr unzumutbar machen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
bb) Der Klägerin war ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft auch nicht unzumutbar i.S. des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG.
(1) Durch § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG soll vermieden werden, dass der nachgezogene Ehegatte „auf Gedeih und Verderb“ zur Fortsetzung einer untragbaren Lebensgemeinschaft gezwungen wird, weil er sonst Gefahr läuft, sein akzessorisches Aufenthaltsrecht zu verlieren (vgl. BayVGH, B.v. 13.08.2009 – 10 ZB 09.1020 – juris; VG Regensburg, B.v. 12.12.2012 – RO 9 S 12.1679 – juris Rn. 26). Der Gesetzgeber hatte dabei besondere Umstände, die es dem Ehegatten unzumutbar machen, zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts an der ehelichen Lebensgemeinschaft festzuhalten, im Blick (vgl. BT-Drs. 14/2368 S. 4). Danach sollen solche Fälle beispielsweise vorliegen, wenn der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Misshandlungen durch den anderen Ehegatten die Lebensgemeinschaft aufgehoben hat oder der andere Ehegatte das in der Ehe lebende Kind sexuell missbraucht oder misshandelt hat. Der vorgenannte Halbsatz des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, welcher die häusliche Gewalt benennt, wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat eingeführt (vgl. Gesetz vom 23.6.2011, BGBl I S. 1266) und dient (nur) zur Klarstellung (vgl. Tewocht in Kluth/Heusch, Beck´scher Online Kommentar, AuslR, AufenthG, § 31 Rn. 21).
Bei der Beurteilung, ob dem Ehepartner ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft zumutbar war oder nicht, bedarf es einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls. Schutzwürdige Belange des ausländischen Ehegatten sind dabei vor allem die persönliche Selbstbestimmung, die körperliche Integrität und die persönliche Freiheit. Die Beeinträchtigung dieser Belange muss objektiv betrachtet eine gewisse Intensität aufweisen und sich aus Sicht des betroffenen Ehegatten mit Blick auf das Erreichen der Drei-Jahres-Frist als unzumutbar darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 3.9.2014 – 10 AS 14.1838, 10 AS 14.1837 – NZFam 2014, 1113; B.v. 17.1.2014 – 10 ZB 13.1783 – juris Rn. 4; VG Augsburg, U.v. 23.7.2014 – Au 6 K 14.571 – juris). Die Störungen der ehelichen Lebensgemeinschaft müssen demnach das Ausmaß einer konkreten, über allgemeine Differenzen und Kränkungen in einer gestörten ehelichen Beziehung hinausgehenden psychischen Misshandlung erreicht haben. Gelegentliche Ehestreitigkeiten, Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten, grundlose Kritik und Kränkungen, die in einer Vielzahl von Fällen trennungsbegründend wirken, machen für sich genommen noch nicht das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2008 – 19 ZB 08.259 – juris Rn. 24). Ein besonderer Härtefall ist dabei nicht erst bei schwersten Eingriffen in die persönliche Freiheit des Ehepartners gegeben, eine Beschränkung nur auf „gravierende Misshandlungen“ lässt sich nicht rechtfertigen (vgl. VG Augsburg, U.v. 30.11.2011 – 6 K 11.1339 – juris Rn. 25). Ausreichend ist, wenn die Lage eines Ehegatten durch eine Situation der Angst vor physischer oder psychischer Gewalt geprägt ist und daher die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft als unzumutbar erscheint (vgl. VG München, U.v. 21.2.2013 – M 12 K 12.4701 – juris Rn. 33; Göbel-Zimmermann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 31 Rn.14). Der nachgezogene Ehegatte – hier die Klägerin – ist insoweit darlegungspflichtig (vgl. OVG NRW, B.v. 21.2.2007 – 18 B 690/06 – juris Rn. 8 m.w.N.; VG Augsburg, U.v. 28.6.2010 – Au 6 K 09.1233 – juris Rn. 26).
(2) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG erworben. Aus der Gesamtschau aller gegebenen Umstände ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts nicht, dass der Klägerin das Festhalten an der Ehe unzumutbar gewesen wäre.
Das Gericht ist der Überzeugung, dass eine besondere Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG nicht vorliegt. Ausgehend von den vorgenannten Maßgaben hat die Klägerin, die – wie ausgeführt – insoweit darlegungspflichtig ist, eine Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange im vorgenannten Sinne bereits nicht hinreichend dargelegt. Sie trug gegenüber der Ausländerbehörde mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 10. Juli 2017 vor, es liege Gewalt vor und verwies hierzu auf das Ermittlungsverfahren bei der Polizei … (Bl. 101 der Behördenakte); im Rahmen der Klagebegründung wurde insoweit lediglich auf das vorgenannte Schreiben vom 10. Juli 2017 verwiesen. Nach dem vorgelegten Schreiben der Polizeistation (Bl. 17 f. der Gerichtsakte) stellte die Klägerin (am 17.6.2017) gegen ihren Ehemann Strafantrag wegen Körperverletzung, dieser habe die Vorwürfe bestritten; zwei Zeuginnen hatten bestätigt, dass die Klägerin ohne äußerliche Einwirkung zusammengebrochen sei. Ausweislich der vorgenannten Abschlussverfügung vom 17. Oktober 2017 (Az. 237 Js 17572/17) wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann der Klägerin wegen Körperverletzung gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da ein Tatnachweis nicht mit der für eine Anklageerhebung notwendigen Wahrscheinlichkeit geführt werden konnte; an der Richtigkeit der Aussage der Geschädigten bestünden erhebliche Zweifel. Eine Befragung der Klägerin durch das Gericht konnte nicht erfolgen, da diese den Termin der mündlichen Verhandlung nicht wahrgenommen hat; eine Zeugeneinvernahme ihres Ehemannes erübrigte sich damit. Soweit die Klägerin Gewalt geltend macht bzw. auf Gewalttätigkeiten ihres Ehemannes verweist, blieb ihr Vortrag demnach unsubstantiiert. Bei dieser Sachlage konnte die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts nicht darlegen, dass ihr wegen der Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar geworden ist. Nach einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles war der Klägerin demnach ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar, eine besondere Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegt daher nicht vor.
3. Steht der Klägerin danach kein Anspruch auf Verlängerung oder Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Anschluss an die – nach Verkürzung der ursprünglichen Geltungsdauer – am 17. Juli 2017 abgelaufene Aufenthaltserlaubnis zu, ist auch die Androhung der Abschiebung in die Türkei, die an die Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheides anknüpft, rechtlich nicht zu beanstanden (§ 59 AufenthG).
4. Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).


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