Verwaltungsrecht

Nachträgliche zeitliche Beschränkung einer Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  Au 1 K 19.867

Datum:
11.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30391
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ARB Art. 6
EMRK Art. 8
AufenthG  § 7 Abs. 2 S. 2, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 2
AuslG § 19 Abs. 2 S. 1
VwGO § 67 Abs. 2 S. 1 u. Abs. 2 S. 2 Nr. 3 bis 7, § 154 Abs. 1, § 167
GKG § 52 Abs. 1
ZPO § 708 f.

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Stadt … ist in vollem Umfang rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Auch hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Die nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Ziffer 1 des Bescheids vom 6. Mai 2019 ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis ist § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Demnach kann die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis nachträglich verkürzt werden, wenn eine wesentliche Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entfallen ist.
1. Die dem Kläger am 4. September 2018 ausgestellte Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wurde zum Zwecke der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilt. Diese Lebensgemeinschaft wurde am 2. November 2018 beendet.
Für eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kommt es nicht auf das formalrechtliche Bestehen einer Ehe an, entscheidend ist vielmehr, dass die Eheleute eine eheliche Lebensgemeinschaft führen wollen (BayVGH, B.v. 18.01.2017 – 10 CS 16.2308 – juris Rn. 4). Bei der im jeweiligen Einzelfall vorzunehmenden Bewertung, ob eine aufenthaltsrechtlich beachtliche tatsächliche Lebensgemeinschaft vorliegt oder lediglich eine Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, verbietet sich eine schematisierende Betrachtung (BVerfG, B.v. 30.1.2002 – 2 BvR 231/00 – juris Rn. 22). Eine eheliche Lebensgemeinschaft, die sich nach außen im Regelfall in einer gemeinsamen Lebensführung, also in dem erkennbaren Bemühen dokumentiert, die alltäglichen Dinge des Lebens miteinander in organisatorischer, emotionaler und geistiger Verbundenheit zu bewältigen, dreht sich im Idealfall um einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt und wird daher regelmäßig in einer von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Wohnung gelebt (HessVGH, B.v. 9.8.2004 – 9 TG 1179/04 – juris Rn. 8).
Entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung wurde die eheliche Lebensgemeinschaft am 2. November 2018 beendet. Sowohl die Ehefrau des Klägers (Bl. 59 d. Behördenakte) als auch der Kläger selbst (Bl. 62 d. Behördenakte) gaben übereinstimmend die dauerhafte Trennung zu diesem Zeitpunkt an. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen zur Anzeige der Ehefrau wegen Vergewaltigung wurde die Wohnung des Klägers am 3. November 2018 aufgesucht (Bl. 59 d. Gerichtsakte). Hierbei wurde festgestellt, dass die komplette Kleidung des Klägers aus der Wohnung entfernt worden war. Zudem sprechen auch die seither konsequente räumliche Trennung zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau sowie die Einleitung und Durchführung eines Scheidungsverfahrens für eine endgültige Trennung. Letztlich ging die Klägerbevollmächtigte im Schriftsatz vom 11. Juni 2019 (Bl. 50 d. Gerichtsakte) selbst noch von einer Trennung am 2. November 2018 aus. Entgegenstehende Indizien sind dagegen nicht ersichtlich.
2. Die Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis ist auch verhältnismäßig und ermessensgerecht. Mängel sind insoweit nicht ersichtlich, sie wurden bislang auch nicht vorgetragen.
II.
Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (Ziffer 2 des Bescheids).
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis eines Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren im Bundesgebiet bestanden hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
1. Die dort normierten zeitlichen Voraussetzungen eines eigenständigen Aufenthalts rechts des Klägers sind nicht erfüllt. Hierzu müsste die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden haben. Dieses zeitliche Erfordernis ist nicht gegeben, da die Ehe zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau innerhalb des Bundesgebiets nur seit der Einreise des Klägers am 29. August 2018 bis zur Trennung am 2. November 2018, mithin nur rund 2 Monate, bestanden hat.
2. Es ist auch kein Fall der besonderen Härte gegeben, der nach § 31 Abs. 2 AufenthG ein Absehen von der dreijährigen Ehebestandszeit ermöglichen würde. Nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AufenthG liegt eine besondere Härte insbesondere dann vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht (Alternative 1) oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Gemeinschaft unzumutbar ist (Alternative 2); dies ist nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AufenthG insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist. Beide Alternativen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt.
a) Die drohende Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung schutzwürdiger Be lange wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 Alternative 1 AufenthG muss mit der Ehe oder ihrer Auflösung in Zusammenhang stehen. Nicht erfasst sind sämtliche sonstigen, unabhängig davon bestehenden Rückkehrgefahren (BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11.09 – juris Rn. 24ff.). Die zu erwartenden Nachteile und Schwierigkeiten müssen also über das hinausgehen, was Ausländer regelmäßig hinzunehmen haben, wenn sie Deutschland verlassen müssen (OVG Saarland, B.v. 24.2.2011 – 2 B 17/11 – juris Rn. 14).
Soweit die Bevollmächtigte des Klägers angibt, dass eine Rückkehr in die Türkei für den Kläger sehr belastend sei, da die Vorfälle dort zur Kenntnis gelangt seien und zu einer Zersplitterung der miteinander bekannten bzw. verwandten Familien geführt hätten, handelt es sich hierbei um eine übliche Trennungsfolge. Diese mag für den Kläger zwar unangenehm sein, begründet jedoch keine erhebliche Beeinträchtigung seiner Belange. Darüber hinausgehende besondere Belastungen im Falle einer Rückkehr wurden nicht vorgetragen.
b) Es war dem Kläger auch nicht im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 Alter native 2 AufenthG unzumutbar, weiter an der ehelichen Gemeinschaft festzuhalten. Dies ist im Wesentlichen das Ergebnis der informatorischen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 11. August 2020.
aa) § 31 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AufenthG knüpft im Gegensatz zur Alterna tive 1 der Vorschrift nicht an drohende Gefahren an, sondern erfasst bereits eingetretene Beeinträchtigungen. Dies liegt insbesondere in Zwangssituationen vor, in welchen der Ehegatte gezwungen wird, Straftaten zu begehen bzw. zu dulden oder im Falle der physischen bzw. psychischen Misshandlung (BVerwG, B.v. 30.9.1998 – 1 B 92.98 – juris Rn. 5). Nicht unzumutbar sind dagegen gelegentliche Ehestreitigkeiten, Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten, grundlose Kritik und Kränkungen (BayVGH, B.v. 18.3.2008 – 19 ZB 08.259 – juris Rn. 24). Auch eher gewöhnliche Trennungsgründe – wie etwa die Untreue des Ehepartners – begründen keine besondere Härte. Vielmehr ist dies erst dann anzunehmen, wenn der Ehepartner Opfer von Übergriffen geworden ist, die zumindest zu nicht unerheblichen Beeinträchtigungen seiner Gesundheit, körperlichen oder psychischen Integrität oder Bewegungsfreiheit geführt haben. (Göbel-Zimmermann/Eichhorn, in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage 2016, Rn. 14).
Der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung an, sich am 2. November 2018 von seiner Frau getrennt zu haben. Zum Beginn seines Aufenthalts in Deutschland habe er noch kein Handy besessen, sodass er das Handy seiner Frau mitbenutzt habe. Dort habe er mehrere Mitteilungen gelesen und festgestellt, dass seine Ehefrau ihn betrügen würde. Daher habe er sie in der Folgezeit beobachtet. Ende Oktober, etwa eineinhalb Wochen vor der Trennung, habe seine Ehefrau ihm den Seitensprung schließlich gestanden, was er in der Folge der Familie seiner Frau mitgeteilt habe. Diese habe jedoch zu seiner Frau gehalten und ihn in seiner Ehre gekränkt. Bei einem klärenden Gespräch am 2. November 2018 sei die Lage dann eskaliert, sodass er nach gefahren sei. Von einer Anzeige durch seine Ehefrau habe er erst später durch seinen Anwalt erfahren, mit der Polizei habe er nie gesprochen.
bb) Damit fehlt es bereits an einer für die Trennung kausalen Handlung, welche die besondere Härte begründen könnte. Soweit der Kläger feststellen musste, dass seine Ehefrau ihn betrogen hat, liegt ein Fall der Untreue vor, welche alleinstehend die besondere Härte nicht zu begründen vermag. Hinzutretende Umstände, wie etwa körperliche oder seelische Misshandlungen durch seine Ehefrau, hat er nicht erlitten. Die mit der Bekanntgabe der Untreue einhergehende Kränkung der Ehre des Klägers durch die Familie der Ehefrau ist eine Folge dieser Handlung, welche regelmäßig hinzunehmen ist. Es ist in Trennungssituationen nicht unüblich, dass die Familie des jeweiligen Ehepartners an dessen Seite steht und für diesen Partei ergreift. Extreme Beleidigungen oder Schmähungen, welche über dieses Maß hinausgehen, hat der Kläger nicht vorgetragen.
Soweit die Bevollmächtigte des Klägers vorträgt, der immense Druck der Familie der Ehefrau am 2. November 2018 bzw. die Verfolgung des Klägers durch Angehörige dieser Familie würden die besondere Härte begründen, waren diese Handlung nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht kausal für seinen Trennungsentschluss. Der Kläger gab ausdrücklich an, sich wegen der Untreue seiner Ehefrau getrennt zu haben.
Ebenfalls nicht kausal für die Trennung war die Anzeige der Ehefrau bei der Polizei, das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren und der Versuch der vorläufigen Festnahme des Klägers in der Nacht vom 2. auf den 3. November 2018. Der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung hierzu an, dass er von der Anzeige wie dem gesamten strafrechtlichen Verfahren erst nach seiner Trennung in … erfahren habe.
III.
Auch die im Bescheid vom 6. Mai 2019 verfügte Abschiebungsandrohung (Ziffer 4) ist rechtmäßig. Der Kläger ist nach § 50 Abs. 1 und § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Die Abschiebung wurde nach § 59 Abs. 1 AufenthG schriftlich unter Bestimmung einer 30-tägigen Ausreisefrist angedroht. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist ist angemessen und nicht zu beanstanden.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegener Teil hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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