Verwaltungsrecht

Nachweis pädophiler Neigung als Grund für Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe

Aktenzeichen  3 B 17.538

Datum:
9.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34560
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 10 S. 1, § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
LlbG Art. 12 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Lassen sich im Rechtsstreit um die Bewährung eines Probebeamten gesicherte Feststellungen zu dessen gesundheitlicherVerfassung nicht treffen, geht dies zu Lasten des Dienstherrn. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass ein Lehrer Nachhilfeunterricht erteilt, dass er ein außerordentliches pädagogisches Engagement im Sportbereich zeigt, dass er Jugendmannschaften trainiert und ein Gespräch mit Eltern sucht, um einem Schüler eine Teilnahme an einem Handballturnier zu ermöglichen, all das vermag bei verständiger Würdigung keinen Rückschluss auf eine pädophile Neigung des Lehrers zu rechtfertigen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gleichwohl ist ein auch als Trainer für einen Sportverein tätiger Lehrer stets verpflichtet, körperliche Distanz zu den ihm anvertrauten Kindern zu wahren und verfängliche Situationen zu vermeiden. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
4. In einer Aussage-gegen-Aussage-Situation ist die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 10.5125 2012-03-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. März 2012 und der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 16. September 2010 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 17. August 2011 und unter Berücksichtigung der vom Beklagten zu Protokoll gegebenen Ergänzungen in der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2012 werden aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Entlassungsbescheid vom 16. September 2010 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 17. August 2011 und der weiteren Ergänzung vom 27. März 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die Entlassung des Klägers aus dem Beamtenverhältnis auf Probe ist § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG. Danach kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn er sich in der Probezeit nicht bewährt hat. Der Entlassungstatbestand steht im Zusammenhang mit § 10 Satz 1 BeamtStG, wonach in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nur berufen werden darf, wer sich in der Probezeit hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bewährt hat. Steht die fehlende Bewährung fest, ist der Beamte zu entlassen (Art. 12 Abs. 5 LlbG). Die Beurteilung, ob sich der Beamte auf Probe bewährt hat, besteht in der prognostischen Einschätzung, ob er den Anforderungen, die mit der Wahrnehmung der Ämter seiner Laufbahn verbunden sind, voraussichtlich gerecht wird. Mangelnde Bewährung liegt bereits dann vor, wenn begründete Zweifel bestehen, dass der Beamte diese Anforderungen erfüllen kann (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 13.12.2018 – 3 ZB 16.935 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Die Nichtbewährung ist als Tatbestandsmerkmal Voraussetzung für die Entlassung. Es handelt sich nicht um eine reine Subsumtion des Tatbestands unter eine gesetzliche Vorschrift, sondern um einen Akt wertender Erkenntnis, der dem Dienstherrn vorbehalten ist (OVG Saarl, B.v. 6.3.2019 – 1 B 309/18 – juris Rn. 12; Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: August 2019, § 23 BeamtStG Rn. 169). Die Gerichte sind an die von den Behörden getroffenen Feststellungen und Wertungen nicht gebunden, sondern haben den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Die gerichtliche Kontrolle stößt jedoch an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung, wenn der gesetzliche Tatbestand Bewertungen oder Prognosen voraussetzt, die der Einschätzungsprärogative des Dienstherrn obliegen (Baßlsperger a.a.O. Rn. 169).
2. Der Beklagte hat die streitige Entlassung damit begründet, dass bei dem Kläger mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit (60%) eine sexuelle Präferenzstörung in Form einer Pädophilie vorliege (vgl. Ergänzungsbescheid vom 17.8.2011 und Sitzungsprotokoll vom 27.3.2012). Valide Anhaltspunkte für eine solche Präferenzstörung bestehen ausweislich des im Berufungsverfahren eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens vom 2. Dezember 2015 jedoch nicht, sodass der Beklagte seiner Entscheidung einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat (2.1). Der Senat konnte auch nicht die erforderliche Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass der Kläger im Juni und Juli 2005 an einem ihm anvertrauten Jungen sexuelle Handlungen vorgenommen hat (2.2). Ob andere Umstände den Schluss der mangelnden Bewährung des Klägers in der Probezeit rechtfertigen, obliegt der Einschätzungsprärogative des Dienstherrn, die dieser insoweit nicht betätigt hat (2.3).
2.1 Der Beklagte hat seiner Entscheidung einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt. Der Senat folgt den nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. L., der ausgehend von den Diagnoseschlüsseln der ICD-10 (herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation) und der DMS-5 (herausgegeben von der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft) beim Kläger eine sexuelle Präferenzstörung in Form der Pädophilie verneint hat. In Bezug auf die ICD-Kriterien lägen bereits die allgemeinen Kriterien für die Störung der Sexualpräferenz (F 65) nicht vor. Der Kläger verspüre keine intensiven sexuellen Impulse und berichte auch nicht von wiederholt auftretenden sexuellen Fantasien, die sich auf ungewöhnliche Gegenstände oder Aktivitäten beziehen. Die beim Kläger gegebene verminderte sexuelle Appetenz könne nicht als Störung der Sexualpräferenz angesehen werden. Die Kriterien des DSM 5 seien ebenfalls nicht erfüllt. Der Kläger habe seinen Angaben nach nie sexuelle Fantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen gehabt, die sexuelle Handlungen mit einem präpubertären Kind oder Kindern (in der Regel 13 Jahre oder jünger) beinhalten.
Der gerichtliche Sachverständige kommt daher zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass sich anhand beider Klassifikationssysteme die Diagnose der Pädophilie beim Kläger nicht stellen lässt (vgl. Bl. 29 und 33 des psychiatrischen Gutachtens vom 4.12.2015).
Die Besonderheit im vorliegenden Fall besteht darin, dass sich gerade im Bereich sexueller Präferenzstörungen insbesondere dann diagnostische Probleme ergeben, wenn sich die fragliche Präferenz nicht bereits in entsprechenden Handlungen geäußert hat. Insoweit hat der gerichtliche Sachverständige darauf hingewiesen, dass der hier entscheidende Bereich der sexuellen Wünsche und Fantasien keiner direkten Beobachtung zugänglich sei und er sich auf die Angaben des Klägers verlassen müsse. Gleichwohl folgt der Senat den gutachterlichen Ausführungen, zumal auch der Beklagte mit seinen Parteigutachten keine gesicherten Feststellungen hinsichtlich einer sexuellen Präferenzstörung in Form der Pädophilie treffen konnte. Lassen sich aber gesicherte Feststellungen zur gesundheitlichen Verfassung des Probebeamten nicht treffen, geht dies zu Lasten des Dienstherrn (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16.12 – juris Rn. 29).
Der Sachverständige des Freistaats Bayern, Prof. O., hat zwar zur Kenntnis genommen, dass der Kläger in den Anamnesegesprächen angegeben hat, bisher „keine sexuell orientierte Partnerschaft“ gehabt zu haben und sich in seiner Fantasie nicht mit Sexualität zu beschäftigen („Nein, da bin ich eher uninteressiert. Das ist für mich absolut nebensächlich, mir fehlt auch gar nichts“.). Letztlich wenig überzeugend formuliert er in seinem forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 19. Mai 2011 die These, dass hinter der vorgegebenen Asexualität des Klägers das subjektive Erleben einer pädophilen Neigung seit der Pubertät eine Rolle spiele und sich der Kläger diese Neigung nicht eingestehen wolle. Belege hierfür lässt der Sachverständige missen.
Dem Senat erscheinen die von Prof. O. angeführten Argumente für das Vorliegen einer Pädophilie beim Kläger sämtlich recht konstruiert. Der Wechsel des Studienfachs hatte einen sachlichen Hintergrund (endgültiges Nichtbestehen des Vordiploms). Den anschließenden Wechsel auf ein Lehramtsstudium als solchen bereits als Hinweis auf eine pädophile Orientierung zu werten, erscheint ausgesprochen spekulativ und ist empirisch nicht abgesichert. Hinsichtlich der weiteren Indizien, die der Sachverständige des Beklagten zur Begründung der von ihm angenommenen überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Pädophilie aufgezählt hat, macht sich der Senat die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen (vgl. Bl. 31 f. des psychiatrischen Gutachtens vom 4.12.2015) zu eigen, die auch aus der Laiensphäre ohne weiteres nachvollziehbar sind. Weder der Umstand, dass der Kläger Nachhilfeunterricht erteilt, noch dass er ein „außerordentliches pädagogisches Engagement im Sportbereich“ gezeigt hat, vermag bei verständiger Würdigung den Rückschluss auf eine pädophile Neigung des Klägers zu rechtfertigen. Angesichts der Vielzahl nicht-pädophiler Jugendtrainer ist es wohl kaum als Indiz für eine pädophile Orientierung zu werten, dass jemand auch Jugendmannschaften trainiert. Wieso ein Gespräch mit Eltern, um einem Schüler eine Teilnahme an einem Handballturnier zu ermöglichen, als ein für einen Lehrer „außergewöhnliches Engagement“ anzusehen ist, mit dem sich der Kläger „in unnatürlicher Weise mit dem betroffenen Kind … auseinandergesetzt hat und sich weit über seine Verantwortung als Trainer bzw. Lehrer in die Erlebniswelt des betroffenen Kindes hineinversetzte“, erschließt sich dem Senat nicht. Der Kläger war selbst seit seiner Jugend dem Handball sehr zugetan, hat aktiv gespielt und verschiedene Mannschaften trainiert, u.a. auch die Schulmannschaft. Von daher mag er durchaus auch ein eigenes Interesse daran gehabt haben, Schüler für diesen Sport zu gewinnen, was aber für sein Interesse an dem Sport und nicht für eine Pädophilie sprechen würde. Eine „unnatürliche“ Verhaltensweise vermag der Senat nicht ansatzweise zu erkennen.
Auch aus dem Ergebnis des Affinity-Testverfahrens (ein aufmerksamkeitsbasiertes Verfahren zur Einschätzung der sexuellen Orientierung und pädosexueller Interessen, vgl. Bl. 244 der VGH-Akte) lassen sich keine Anhaltspunkte für eine sexuelle Präferenzstörung des Klägers ableiten. Ausweislich des testpsychologischen Zusatzgutachtens der Diplompsychologin D. vom 27. Mai 2011 zeigte der Kläger bei dem indirekten Verfahren die längsten Betrachtungszeiten für Bilder von erwachsenen Frauen und Männern, worauf lediglich in sehr kurzem Abstand Jugendliche beiderlei Geschlechts folgten. Zusammenfassend wird festgestellt, dass die Ergebnisse für eine bisexuelle Orientierung mit einer Präferenz für Erwachsene und Jugendliche sprechen. Dies könne zwar ein Hinweis darauf sein, dass beim Kläger zumindest eine hebephile (sexuelle Präferenz für pubertierende Jungen und Mädchen) Nebenströmung vorliege. Es sei aber auch nicht ungewöhnlich, dass hetero- und homosexuelle Männer auch sexuelles Interesse für ältere Jugendliche zeigten. Da der Kläger selbst hierzu jedoch nur verneinende Angaben gemacht habe, könne dies nicht abschließend beurteilt werden. Eine pädophile Neigung habe aus testpsychologischer Sicht nicht bestätigt werden können (vgl. Bl. 12 des testpsychologischen Zusatzgutachtens vom 27.5.2011).
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass valide Anhaltspunkte für eine sexuelle Präferenzstörung in Form der Pädophilie im Falle des Klägers nicht gegeben sind. Die Nichterweislichkeit geht zu Lasten des Dienstherrn (s.o.).
Im Rahmen der eigenständigen Beweisaufnahme des Senats ergaben sich keine konkreten Anhaltspunkte für ein gezieltes, möglicherweise pädophil motiviertes Suchen des Klägers nach Nähe zu Kindern bzw. Jugendlichen. Eine erneute psychiatrische Sachverständigenbegutachtung war daher nicht veranlasst.
2.2 Der Senat hat nicht die erforderliche Überzeugungsgewissheit gewinnen können, dass der Kläger im Juni und Juli 2005 an dem damals 12-jährigen Jungen, dem Zeugen P. B., sexuelle Handlungen vorgenommen hat.
Bei den Aufenthalten in den Trainingslagern im Jahr 2005,
W. (24.6. – 26.6.),
P. (8.7 – 10.7.) und 28 Stuttgart (22.7. – 24.7.), 29 übernachtete der Kläger mit den Zeugen P. B. und C. K. (damals 12 Jahre) in einer trapezförmigen Schlafkabine (1,20 m bzw. 1,80 m x 2,15 m) eines 9-Mann-Zelts, das noch zwei weitere Schlafkabinen und einen Eingangsbereich hatte. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 2005 (Trainingslager W.) übernachtete ein weiterer Jugendlicher – der Zeuge J. H. (damals 11 Jahre) – zusammen mit dem Kläger und den Zeugen in der Schlafkabine. Wer in der Mitte schlief, konnte der Senat nicht aufklären. Es gibt hierzu widersprüchliche Aussagen. Während der Kläger angab, jeweils am Rand bzw. außen geschlafen zu haben, weil man dort mehr Ruhe habe (vgl. Bl. 71 der VGH-Akte), berichtete der Zeuge P. B., der Kläger habe stets in der Mitte geschlafen (vgl. Bl. 106, 113, 116, 294, 519 der Strafakte Bd. I und Bl. 75 der VGH-Akte), wohingegen sich der Zeuge C. K. dahin einließ, er habe in Stuttgart in der Mitte geschlafen (Bl. 60, 155, 405 der Strafakte Bd. I). Jeder habe mal in der Mitte gelegen (Bl. 154 der Strafakte I).
Der Kläger bestreitet, die sexuellen Handlungen vorgenommen zu haben. In dieser Aussage-gegen-Aussage-Situation ist die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen (Ott in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn.100 ff. m.w.N.). Der Senat kann nicht mit der erforderlichen Überzeugungsgewissheit feststellen, dass es während der Übernachtungen in den Trainingslagern zu sexuellen Übergriffen durch den Kläger gekommen ist.
Der Zeuge P. B. hat das Kerngeschehen (das Berühren der Genitalien) nicht widerspruchsfrei geschildert, was gegen ein tatsächliches Erleben spricht. Der Zeuge hat keine verlässliche Erinnerung im Hinblick auf das zentrale Tatgeschehen (2.2.1). Er hat zwar einige Rahmendetails stets identisch geschildert. In einer Schlüsselszene des Rahmengeschehens ist seine Aussage jedoch nicht homogen und höchstwahrscheinlich erfunden (2.2.2). Keiner der anderen Zeugen konnte den Vorfall bzw. ein verändertes Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Zeugen P. B. bestätigen (2.2.3). Der persönliche Eindruck des Zeugen P. B. in der mündlichen Verhandlung spricht für eine erfundene Aussage (2.2.4).
2.2.1 In seiner im Juni 2006 auf Bitte seiner Eltern verfassten schriftlichen Äußerung berichtete der Zeuge P. B. von drei Übergriffen und ordnete diese jeweils einem der Trainingslager zu (vgl. Bl. 8 der Strafakte Bd. I). Gegenüber dem Ermittlungsrichter gab er am 28. September 2006 hingegen an, in W. zweimal (Nacht von 24. auf den 25.6.2006 und Nacht vom 25. auf den 26.6.2005), in P1. zweimal (Nacht vom 8. auf den 9.7.2005) und in Stuttgart einmal (Nacht vom 23. auf den 24.7.2005), insgesamt also fünfmal unter der Unterhose vom Kläger an Glied und Hoden berührt worden zu sein (vgl. Bl. 106 ff. der Strafakte Bd. I). Im Rahmen der Exploration bei der Dipl.-Psych. H. (Sachverständige), die im Strafverfahren ein aussagepsychologische Gutachten zu verfassen hatte, gab er an, in W. nur einmal berührt worden zu sein (vgl. Bl. 287 u. 318 der Strafakte Bd. I). Diese Angaben wiederholte er im Strafverfahren (vgl. Bl. 519 f. der Strafakte Bd. I). Dem Senat berichtete er im Rahmen seiner Zeugenvernehmung am 24. Juli 2019 von „mehreren (3 oder 4) Nächten“ (Bl. 77 der VGH-Akte).
Die unterschiedliche Anzahl der Übergriffe (zwischen 3 bis 5) mag für sich alleine noch nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen P. B. zu sprechen. Gegen ein reales Erleben spricht jedoch, dass der Zeuge hinsichtlich der Einzelheiten der Übergriffe unterschiedliche Angaben gemacht hat. War beim Ermittlungsrichter noch davon die Rede, dass ihn der Kläger stets unter Schlafhose und Unterhose gegriffen und im Genitalbereich berührt haben soll (vgl. Bl. 106 f., 114 und 116 der Strafakte Bd. I), berichtete er der Sachverständigen davon, dass er im Trainingslager P. in der Nacht Jeans und Boxershorts anbehalten hatte und ihn der Kläger zwar unter die Jeans gegriffen habe, die Berührung aber über den Boxershorts erfolgt sei (Bl. 289 der Strafakte Bd. I). In der Berufungsverhandlung vor dem Senat konnte sich der Zeuge P. B. an ein einmaliges Berühren über den Boxershorts erinnern (Bl. 77 der VGH-Akte)
Damit liegt bei der Schilderung von Handlungen, die für den Zeugen das Kerngeschehen bilden (Berühren der Genitalien) keine Konstanz vor, was für eine erfundene Aussage spricht.
2.2.2 In seinen Aussagen und Zeugenvernehmungen berichtete der Zeuge P. B. von zwei Randgeschehnissen stets gleich, was für deren Richtigkeit spricht. Zum einen, dass er in P1. in der Nacht vom 8. auf den 9. Juli 2005 das Zelt verlassen hatte, weil ihm übel war (vgl. Bl. 114 beim Ermittlungsrichter, Bl. 290 bei der Sachverständigen und Bl. 485 im Strafverfahren jeweils im Strafakt Bd. I; Bl. 74 der VGH-Akte), zum anderen, dass er in Stuttgart am ersten Abend nur einen Salat zu sich genommen hatte (vgl. Bl. 8 und 116 der Strafakte Bd. I). Beides wurde vom Zeugen C. K. bestätigt (vgl. Bl. 407 f. der Strafakte Bd. I).
Der Zeuge P. B. hat jedoch die Umstände der Nacht in P1., als er das Zelt verlassen habe, nachdem ihm der Kläger an die Genitalien gefasst habe, in unterschiedlicher Weise geschildert. Gegenüber dem Ermittlungsrichter gab er an, dass ihn der Kläger gesucht habe. Er habe, um sein Verlassen des Zeltes zu erklären, gesagt, ihm sei gerade von seiner Mutter mit SMS mitgeteilt worden, dass ein Onkel gestorben sei (vgl. Bl. 114 der Strafakte Bd. I). Das wiederholte er auch gegenüber der Sachverständigen (vgl. Bl. 291 der Strafakte Bd. I). In der Berufungsverhandlung am 24. Juli 2019 hingegen war davon die Rede, dass ihn der Kläger angerufen und er das Gespräch nicht angenommen habe. Er habe ihm eine SMS mit dem Inhalt geschickt, dass er weggelaufen sei (Bl. 77 der VGH-Akte).
Hier wird über eine Schlüsselszene unterschiedlich berichtet. Sollte es sich so zugetragen haben, wie behauptet, wäre der Junge nach dem sexuellen Übergriff in seiner Not in die Mitte der Rennbahn geflüchtet und musste sich dem ihm deutlich körperlich überlegenen Kläger erklären. In dieser extremen Situation sich eine Lüge auszudenken, ist ein einschneidendes Ereignis, sodass zu erwarten wäre, das es sich in die Erinnerung „brennt“. Im Übrigen ist die Einlassung des Zeugen P. B. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wenig plausibel. Woher sollte der Kläger wissen, wo er sich aufhält, wenn er ihm eine SMS mit dem Inhalt schreibt, er sei weggelaufen? Zu berücksichtigen ist auch, dass der Zeuge C. K. zwar bemerkte, dass der Zeuge P. B. in P1. in der Nacht das Zelt verlassen hatte, nicht aber bemerkte, dass der Kläger diesem gefolgt ist bzw. mit ihm telefoniert hat.
2.2.3 Keiner der Zeugen konnte den Vorfall bestätigen. Auch die Auswertung der Strafakten stützt die Aussagen des Zeugen P. B. nicht. Den Zeugen J. H. und C. K. war bei den Aufenthalten in den Trainingslagern eine Änderung im Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Zeugen P. B. nicht aufgefallen (Bl. 154, 183, 473 der Strafakte Bd. I, Bl. 80 der VGH-Akte). Auch dem im Strafverfahren vernommenen Trainer Alexander L. war weder am Kläger noch am Zeugen P. B. etwas aufgefallen (Bl. 173 der Strafakte I).
Der Senat hat im Rahmen seiner Überzeugungsbildung auch berücksichtigt, dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft im Berufungsverfahren vor dem Landgericht München I beantragt hatte, das Urteil des Amtsgerichts München hinsichtlich dreier Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern (betrifft die Trainingslager in P1. und Stuttgart) aufzuheben und den Kläger insoweit freizusprechen. Lediglich wegen der beiden Übergriffe in W. wurde eine Verurteilung beantragt (Bl. 693 f. des Strafverfahrens Bd. II). Das lässt sich zwanglos mit der Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vereinbaren, die Sachverständige habe den Zeugen als unglaubwürdig eingestuft.
2.2.4 Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck gewinnen, dass der Zeuge P. B. die Wahrheit sagt. Während die anderen Zeugen mit offenem Blick auf das Gericht aussagten, schaute der Zeuge P. B. die ganze Zeit auf den vor ihm stehenden Tisch und mied den Blickkontakt. Seine Einlassung, er habe sich wieder an die Vorfälle erinnert, als er vor einer Woche in Berlin bei regnerischem Wetter mit Freunden in einer Wohnung in Schlafsäcken übernachtet habe, blieb blass und wenig überzeugend. Auch dass er als freiberuflicher Sportlehrer beim Leisten von Hilfestellung Angst vor Beschuldigungen wegen unsittlicher Berührungen gehabt haben wollte, nimmt der Senat ihm nicht ab. Dass der Zeuge eingeräumt hat, dass sein Vater ihm lange Zeit nicht geglaubt hat, spricht für ihn, kann aber vor dem Hintergrund widersprüchlicher Aussagen zu Kerngeschehen bzw. Schlüsselszenen nicht für die Richtigkeit der Aussage gewertet werden. Das Niederschreiben der Vorwürfe, das seine Eltern von ihm verlangt hatten, nachdem sie von ihnen erfahren hatten, erinnerte der Zeuge nicht mehr (Bl. 75 – unten – der VGH-Akte) und verlegte das Geschehen in Widerspruch zu Bl. 4 der Strafakten auf die Anzeigeerstattung bei der Polizei (Bl. 78 der VGH-Akte).
Bei dem Aussageverhalten des Zeugen fiel stets auf, dass er über die sexuellen Übergriffe nur bruchstückhaft mit wenigen Details berichtete, während er immer wieder versuchte abzulenken und über das Turnier in Dänemark zu berichten (was er dann sehr detailreich und flüssig machte, vgl. das Explorationsgespräch mit der Sachverständigen, Bl. 261 der Strafakte I) und den Kläger dort als stark alkoholisiert beschrieb (vgl. Bl. 263 der Strafakte I).
Der Zeuge P. B. konnte dem Senat auch nicht plausibel machen, warum er nach der (behaupteten) ersten Übergriffigkeit des Klägers in W. ein weiteres Mal an einem Turnier in P1. teilnahm und trotz weiterer Vorwürfe nach Stuttgart und Dänemark mitfuhr und nach dem Sommer 2005 dem MTSV S. beitrat (vgl. Bl. 76 der VGH-Akte). Seine Einlassung, man schäme sich halt, überzeugt den Senat ebenso wenig, wie sein pauschaler Hinweis auf „Gruppenzwang“. Auch seine Erklärung, er habe das einfach ignoriert, weil der unbedingt Spielerfahrung habe sammeln wollen, erscheint vor der Gewichtigkeit der Vorwürfe wenig plausibel. Auch mit seiner Aussage „ja und fahr halt mit es wird bestimmt ganz lustig“ (Bl. 124 der Strafakte I) konnte der Zeuge keine nachvollziehbare Erklärung für die weitere Teilnahme an den Turnieren – trotz der angeblichen sexuellen Übergriffe – liefern.
2.3 Ob andere Umstände den Schluss der mangelnden Bewährung des Klägers in der Probezeit zulassen könnten, unterliegt nicht der Bewertung des Senats, solange der Dienstherr seine diesbezügliche Einschätzungsprärogative nicht betätigt hat. Ein Verstoß gegen das Gebot der angemessenen körperlichen Distanz ist nicht ausdrücklich geltend gemacht worden und liegt wohl auch nicht vor.
Der Senat geht aufgrund der Beweisaufnahme und der Auswertung sämtlicher vorliegenden Unterlagen, insbesondere der Akten des Strafverfahrens, davon aus, dass der Kläger mit zwei bzw. drei Jungen in einer beengten Schlafkabine übernachtet hat, ohne dass es hierbei zu (sexuellen) Übergriffen kam (s. 2.2). Im Rahmen dieser Übernachtungen im Juni und Juli 2005 kam es vor, dass die beiden anderen Schlafkabinen des 9-Mann-Zelts unbelegt blieben, weil die übrigen Spieler erst am nächsten Tag nachgekommen sind (vgl. Bl. 79 der VGH-Akte; Bl. 155 der Strafakte Bd. I). Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass es dem Kläger im Rahmen der – mehrtägigen – Veranstaltungen darauf angekommen wäre, mit einem oder mehreren Jungen in einem Zelt zu übernachten. Vielmehr konnte man sich aussuchen, in welchem Zelt man schläft (vgl. Bl. 154, 183 der Strafakte I; Bl. 76 der VGH-Akte).
Der Kläger hat neben (erwachsenen) Freunden und Kollegen auch Mitglieder des Handballvereins, darunter Minderjährige, einige Male anlässlich von Geburtstags- und sonstigen Feiern zu sich nach Hause eingeladen, wobei es vorgekommen ist, dass Spieler im Alter von 16 und 19 Jahren in größeren Gruppen dort im Wohnzimmer übernachtet haben, während der Kläger im Schlafzimmer schlief. Anhaltspunkte dafür, dass jüngere Kinder bei dem Kläger übernachtet haben, haben sich im Rahmen der Beweisaufnahme und der Auswertung der Akten nicht ergeben. Der Zeuge C. K. konnte sich an Übernachtungen in der Wohnung des Klägers nicht erinnern, dies aber auch nicht ausschließen (vgl. Bl. 80 der VGH-Akte). Der jugendliche Spieler Moritz M. hat im Strafverfahren (vgl. Bl. 410 der Strafakte I) allein vom Hörensagen berichtet:
„Ich weiß nicht, wer auf der Feier bei ihm übernachtet hat. Ich kann nicht sagen, ob sie wirklich bei ihm übernachtet haben. Es wurde nur gesagt. Es sagte niemand, ich hab bei ihm übernachtet.“
Der Kläger hat eingeräumt, dass er während des Aufenthalts in Dänemark 2006 einmal gemeinsam mit Jugendlichen nach einem Spiel geduscht hat, weil der Andrang in den Duschen aufgrund der Teilnahme von 300 Mannschaften so groß war, dass ein getrenntes Duschen von Spielern und Betreuern nicht möglich war (Bl. 192 der VG-Akte).
Einen übermäßigen Alkoholkonsum des Klägers und eine damit verbundene Verletzung der Aufsichtspflicht konnte der Senat nicht feststellen (vgl. Bl. 80 der VGH-Akte; Bl. 411 und 532 der Strafakte I). Im Berufungsverfahren konnte sich der Zeuge P. B. nicht mehr darin erinnern, ob der Kläger an den Abenden Alkohol getrunken hatte (vgl. Bl. 76 der VGH-Akte).
Hier geht es um die Einschätzung, ob Verhaltensweisen, die in keinerlei Kontext zu sexuell motivierten Übergriffen stehen und bei denen die Gepflogenheiten des Vereinssports (zur damaligen Zeit) zu berücksichtigen sind, auf eine Nichtbewährung des Klägers in der Probezeit schließen lassen. Der Umgang zwischen Trainern und Spielern ist in der Regel kumpelhaft (z.B. Duzen des Trainers) und nicht mit einem klassischen Schüler-Lehrer-Verhältnis vergleichbar. Durch den Trainingsbetrieb und auch die Übernachtungen in Zeltlager unter teils beengten Umständen ist ein „Mehr“ an Nähe letztlich zwingend und hinzunehmen. Gleichwohl ist auch ein als Trainer für einen Sportverein tätiger Lehrer stets verpflichtet, körperliche Distanz zu den ihm anvertrauten Kindern zu wahren und verfängliche Situationen zu vermeiden (OVG Lüneburg, B.v. 9.7.2003 – 1 NDH M 1/03 – juris Rn. 24 u. 26). Aus Sicht des Senats spricht mehr dafür als dagegen, dass die Verhaltensweisen noch sozialadäquat waren. Insoweit hatte auch der Trainer Alexander L. im Strafverfahren angegeben, dass es passierte das Trainer und Spieler im gleichen Zelt schliefen (Bl. 441 der Strafakte I). Dies gilt insbesondere für die Übernachtungssituationen, in denen die Zelte voll besetzt waren, also keine Möglichkeit bestand, innerhalb des Zelts einen größeren Abstand zu wahren. Gleiches gilt für das einmalige Duschen in Dänemark 2006, das für sich genommen keine Rückschlüsse auf die Bewährung des Klägers zulässt.
Ob die gemeinsame Übernachtung in einer Schlafkabine trotz vorhandener Ausweichmöglichkeit und die Einladungen nach Hause – selbst der Kläger hat insoweit eingeräumt, dass dies „unklug“ gewesen sei – auf eine mangelnde Bewährung schließen lassen, obliegt als Akt wertender Erkenntnis zunächst dem Beklagten und nicht dem Senat. Diesbezüglich konnte der Senat keine verfänglichen Situationen feststellen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 BRRG nicht erfüllt sind.


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