Verwaltungsrecht

Nichtigkeitsklage

Aktenzeichen  L 7 AS 901/18

Datum:
21.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53842
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 55

 

Leitsatz

Eine Nichtigkeitsklage gegen Bewilligungsbescheide nach dem SGB II ist regelmäßig unzulässig.

Verfahrensgang

S 37 AS 2468/16 2018-05-18 SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Mai 2018 – S 37 AS 2468/16 – wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143,144, 151 SGG) ist unbegründet.
Streitgegenstand der Untätigkeitsklage vom 19.10.2016 (S 37 AS 2468/16) ist der Antrag des Klägers vom 11.3.2016 auf Verbescheidung seines geltend gemachten Anspruchs auf Übernahme der Kosten für die Übersendung der Kontoauszüge nach § 88 Abs. 1 SGG.
Streitgegenstand der Klage S 37 AS 2897/16 ist gemäß § 95 SGG der Bescheid vom 22.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.1.2017, mit dem die Kostenübernahme von 3,35 € abgelehnt wurde.
Streitgegenstand der Klage S 37 AS 2949/16 ist gemäß § 95 SGG der Bewilligungsbescheid vom 22.11.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.1.2017 betreffend den Bewilligungszeitraum vom 1.1.2017 bis 31.12.2017. Streitgegenständlich sind gemäß § 96 SGG kraft Gesetzes ferner der Änderungsbescheid vom 24.2.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2017 betreffend den Zeitraum ab 1.5.2017 und der Änderungsbescheid vom 4.8.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.9.2017 betreffend September 2017, welche jeweils den Bewilligungsbescheid vom 22.11.2017 abgeändert haben.
Streitgegenstand der Klage S 37 AS 245/17 ist der Widerspruchsbescheid vom 17.1.2017 und der der Klage S 37 AS 354/17 der Widerspruchsbescheid vom 18.1.2017. Der Kläger hat diese beiden Klagen nicht für erledigt erklärt. Sie sind beide allein wegen anderweitiger Rechtshängigkeit im Verfahren S 37 AS 2949/16 bzw. S 37 AS 2897/16 unzulässig. Die Berufung ist insoweit unbegründet.
Die im Schreiben vom 27.2.2019 und 13.3.2019 formulierten Anträge sind auslegungsbedürftig. Das Gericht ist gemäß § 123 SGG nicht an die Fassung der Anträge gebunden. Bei der Auslegung der Anträge ist in entsprechender Anwendung § 133 BGB der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am Wortlaut zu haften. Maßgebend ist, wie die Erklärung nach den Gesamtumständen zu verstehen ist. Nach dem Meistbegünstigungsprinzip wird der Kläger im Zweifel den Antrag stellen wollen, der ihm am besten zum Ziel verhilft (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 12. Auflage 2017, vor § 60 Rn 11a, § 123 Rn 3).
Nachdem der Kläger im Schreiben vom 27.2.2019 und 13.3.2019 explizit seine Anträge formuliert hat, sind diese als abschließend zu werten. Damit liegt eine Berufungsbeschränkung vor. Der Kläger verfolgt die Untätigkeitsklage nicht mehr weiter. Er hat außerdem klargestellt, dass er nicht wegen der Leistungshöhe klagt. Dies umfasst nach Auffassung des Senats auch die ursprünglich begehrte Erstattung der Portokosten. Im Ergebnis verfolgt der Kläger zumindest im Berufungsverfahren keine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. Antrag Ziffer I Buchstabe iii).
Mit seinem Antrag Ziffer I Buchstabe i verfolgt der Kläger das Ziel, wörtlich die Rechtsklarheit und die Rechtssicherheit bzgl. der formal nichtigen Bescheide herzustellen, da diese auf dem formal nichtigen SGB II beruhen würden. Unter Berücksichtigung des vom Kläger Gewolltem ist dieser Antrag in entsprechender Anwendung des § 133 BGB und unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes als eine Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG in Bezug auf sämtliche streitgegenständlichen Bescheide zu sehen (hier: Bewilligungsbescheid vom 22.11.2016 in der Fassung des Bescheides vom 26.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.1.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24.2.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2017 und in der Fassung des Änderungsbescheides vom 4.8.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.9.2017 betreffend den Zeitraum vom 1.1.2017 bis 31.12.2017 sowie Ablehnungsbescheid vom 22.11.2016 und Widerspruchsbescheid vom 18.1.2017).
Die Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG ist jedoch unzulässig. Es fehlt ein berechtigtes Interesse an einer solchen Feststellung. Dabei ist die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage zu Gestaltungsklagen zu berücksichtigen. Ist eine solche Gestaltungsklage zulässig, kann regelmäßig nicht stattdessen eine Feststellungsklage erhoben werden. Zwar gelten diese Grundsätze nicht uneingeschränkt. Jedoch muss in diesem Fall über ein normales Rechtsschutzinteresse hinaus noch ein zusätzliches berechtigtes Interesse des Klägers gerade an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit der Verwaltungsakte bzw. Rechtswidrigkeit bestehen, wie z.B. wegen möglicher Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. BSG vom 12.10.2016, B 4 AS 37/15 R, Rn 23 ff m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte sämtliche Bewilligungs- und Änderungsbescheide formell- und materiell-rechtlich als wirksam betrachtet und sie zugunsten des Klägers tatsächlich laufend vollzieht. An der Beseitigung der Bewilligungsbescheide kann daher ein Leistungsberechtigter unter Beachtung eines objektiven Maßstabes kein berechtigtes Interesse haben. Auch die vermeintlich fehlende Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gebietet nach objektiven Maßstäben keine derartige Feststellung. In Bezug auf die Ablehnung der Übernahme der Portokosten ist die Nichtigkeitsfeststellungsklage gegenüber der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, deren Erhebung bzw. Weiterverfolgung der Kläger jedoch ausdrücklich ablehnt, subsidiär und daher ebenfalls unzulässig.
Auch soweit der Antrag nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz hilfsweise als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Bescheide nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG auszulegen ist, besteht kein berechtigtes Interesse an einer solchen Feststellung. Zum einen ist die Feststellungsklage wiederum subsidiär gegenüber der Anfechtungs- und Leistungsklage. Zum anderen ist ein berechtigtes Interesse nicht gegeben. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nach § 42 SGB X eine Aufhebung eines Verwaltungsaktes allein wegen Verfahrens- oder Formfehler nicht zulässig ist, wenn offensichtlich in der Sache keine andere Entscheidung möglich ist. So liegen die Verhältnisse hier. Höhere Leistungsansprüche macht der Kläger ausdrücklich nicht geltend und sind auch anderweitig nicht ersichtlich. Die Unbeachtlichkeit möglicher Verfahrens- und Formfehler kann daher nicht durch die Erhebung einer Feststellungsklage umgangen werden.
Da die (Nichtigkeits-)Feststellungsklage unzulässig ist, bedarf die Begründetheit dieser Klage keiner weiteren Prüfung, ob die Bescheide formell rechtswidrig sind, und auch keiner Inzidentprüfung des SGB II auf seine Verfassungsmäßigkeit.
Soweit der Kläger geltend macht, das Urteil des Sozialgerichts sei verfahrensfehlerhaft, verstoße gegen Art. 101 und 103 GG und sei daher aufzuheben (vgl. Antrag Ziffer I Buchstabe ii), ist diesem Antrag nicht stattzugeben. Denn im vorliegenden Fall ist keine andere Sachentscheidung möglich. Die mögliche Verfahrensfehlerhaftigkeit des Urteils ist in der Berufungsinstanz im Ergebnis nicht entscheidungserheblich. Das erstinstanzliche Urteil ist daher im Ergebnis nicht aufzuheben.
Auch dem Antrag auf Vorlage der Rechtssache an das BVerfG nach Art. 100 GG bzw. an den EuGH nach Art. 267 AEUV (vgl. Antrag Ziffer I Buchstabe iv und Antrag aus Schreiben vom 13.3.2019) war nicht stattzugeben, da die Frage ob eine Diskriminierung wegen der Abstammung des Klägers erfolgt ist, vorliegend nicht entscheidungserheblich ist. Die erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage bzw. Feststellungsklage bleibt ungeachtet eines solchen Verstoßes unzulässig, die Berufung mithin unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.


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