Verwaltungsrecht

Niederlassungserlaubnis

Aktenzeichen  10 ZB 17.2359

Datum:
19.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4347
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1, § 88, § 124a Abs. 4 S. 1, § 152 Abs. 1, § 155 Abs. 3, § 173 S. 1
ZPO § 78b

 

Leitsatz

1 Unverschuldet ist ein Fristversäumnis nur dann, wenn der Betreffende aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage ist, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, oder er einen Anspruch auf Beiordnung eines Notanwalts nach § 78b ZPO in Verbindung mit § 173 S. 1 VwGO hat. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Beantragt ein Rechtsmittelführer vor dem Ablauf der Frist für den Zulassungsantrag die Beiordnung eines Rechtsanwalts, kommt grundsätzlich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Frist des § 124a Abs. 4 S. 1 VwGO in Betracht, wenn vor Ablauf der Rechtsmittelfrist ein substantiierter Antrag nach § 78b ZPO gestellt worden und diesem Antrag stattzugegeben ist. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des § 78b ZPO ist, dass der Antragsteller bei der Suche nach einem Rechtsanwalt zumutbare Anstrengungen unternimmt und seine diesbezüglichen Bemühungen dem Gericht innerhalb der einmonatigen Rechtsmittelfrist nachweist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 17.728 2017-10-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf Beiordnung eines Notanwalts wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens.

Gründe

Die gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Januar 2018 eingelegte „sofortige Beschwerde“ ist nach § 88 VwGO als Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist für einen Antrag auf Zulassung der Berufung und Beiordnung eines Notanwalts zu verstehen. Mit dem verfahrensgegenständlichen Beschluss vom 8. Januar 2018 hat der Senat den Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt, weil die Zulassung der Berufung nicht durch einen Rechtsanwalt beantragt worden ist und auch der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts nicht innerhalb der Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt worden ist.
Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO zu gewähren, weil er nicht unverschuldet an deren Einhaltung gehindert war (§ 60 Abs. 1 VwGO). Bereits aus der Rechtsbehelfsbelehrung:des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 12. Oktober 2017 ergibt sich, dass für den Antrag auf Zulassung der Berufung Anwaltszwang besteht.
Unverschuldet ist die Fristversäumnis nur dann, wenn der Betreffende aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage ist, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, oder er einen Anspruch auf Beiordnung eines Notanwalts nach § 78b ZPO in Verbindung mit § 173 Satz 1 VwGO hat. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Rechtsmittelführer die betreffenden Anträge noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist stellt. Beantragt der Rechtsmittelführer vor dem Ablauf der Frist für den Zulassungsantrag die Beiordnung eines Rechtsanwalts, kommt grundsätzlich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO in Betracht, wenn vor Ablauf der Rechtsmittelfrist ein substantiierter Antrag nach § 78b ZPO gestellt worden und diesem Antrag stattzugegeben ist (BeckOK ZPO/Piekenbrock § 78b Rn. 8; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 45 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Der Antrag vom 22. Dezember 2017 auf Beiordnung eines Notanwalts nach § 78 ZPO ist erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen und ist auch nicht hinreichend substantiiert. Zudem ist die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtlos.
Das vollständige Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Oktober 2017 ist dem Kläger ausweislich der bei der Gerichtsakte befindlichen Postzustellungsurkunde am 22. November 2017 zugestellt worden. Die Frist für die Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung endete daher nach § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 und 2 ZPO sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit dem Ablauf des 22. Dezember 2017. Das Schreiben des Klägers, mit dem er erstmals sinngemäß die Beiordnung eines Notanwalts beantragt hat, ging erst am 28. Dezember 2017 beim Verwaltungsgerichtshof ein, so dass bereits aus diesem Grund eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausscheidet.
Auch fehlt es an den Voraussetzungen des § 78b ZPO in Verbindung mit § 173 Satz 1 VwGO für die Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Die Vorschrift des § 78b ZPO dient als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips der Sicherung gleicher Chancen bei der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung und soll verhindern, dass einer Partei im Anwaltsprozess der Rechtsschutz entzogen wird, weil sie keinen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt findet (Weth in Musielak, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 78b Rn. 1). Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung ist zunächst, dass der Antragsteller bei der Suche nach einem Rechtsanwalt zumutbare Anstrengungen unternimmt (OVG NRW, B. v. 18.2.2015 – 6 A 2174/14 – juris). Was zumutbar ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BVerwG, B.v. 28.3.2017 – 2 B 4.17 – juris Rn. 9). Seine diesbezüglichen Bemühungen hat der Kläger dem Gericht nachzuweisen (vgl. Zöllner/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 78b Rn. 45). Der Rechtsschutzsuchende muss dafür innerhalb der einmonatigen Rechtsmittelfrist substantiiert darlegen und glaubhaft machen, dass er rechtzeitig alles ihm Zumutbare getan hat, um sich vertreten zu lassen. Dazu gehört, dass er eine angemessene Zahl von Rechtsanwälten vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht hat (vgl. BVerwG, a.a.O.). Dieser Darlegungspflicht hat der Kläger nicht genügt. Im Schreiben vom 22. Dezember 2017 bringt er vor, dass er für sein erstes Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (10 C 15.1129) lange nach einem Anwalt gesucht habe. Auch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht im Mai 2017 habe er keinen Anwalt gefunden. Diese Bemühungen des Klägers betreffen jedoch die Vertretung in anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren und nicht im maßgeblichen Zulassungsverfahren. Soweit er im Schreiben vom 30. Januar 2018 nochmals die einzelnen von ihm mit seiner Vertretung beauftragten Rechtsanwälte anführt, erfolgt dies ebenfalls nach Ablauf der Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Im Übrigen hat der Kläger das Mandatsverhältnis mit Frau Rechtsanwältin W. selbst beendet.
Unabhängig davon erscheint die Rechtsverfolgung des Klägers ohnehin aussichtslos. Aussichtslosigkeit im Sinne von § 78b Abs. 1 ZPO besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (BVerwG, a.a.O.) Für die Fallkonstellation eines beabsichtigten Antrags auf Zulassung der Berufung bedeutet dies, dass das Berufungsgericht nach Lage der Akten prüft, ob ein Berufungszulassungsgrund ernsthaft in Betracht kommt (OVG RhPf, B. v. 28.9.2017 – 6 A 11431/17 – juris Rn. 11). Anhaltspunkte hierfür liegen nicht vor und ergeben sich auch nicht aus den Schreiben des Klägers. Sein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ist rechtskräftig abgelehnt (Urteil vom 19. Mai 2016). Seinen erneuten Antrag hat das Verwaltungsgericht als Antrag auf Wiederaufgreifen des abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens gewertet und die diesbezügliche Klage abgewiesen, weil Gründe für ein Wiederaufgreifen nicht vorlägen und der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder Daueraufenthaltserlaubnis-EU habe (Urteil vom 12. Oktober 2017). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils oder sonstige Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 3 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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