Verwaltungsrecht

Nigeria, Asylfolgeverfahren, keine relevante Änderung der Sach- und Rechtslage, Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die Feststellung von Abschiebungsverboten (verneint), keine andere Beurteilung durch Corona-Pandemie

Aktenzeichen  Au 9 K 21.30426

Datum:
14.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21337
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylG § 71
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 Asylgesetz – AsylG) konnte über die Klage der Kläger verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2021 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung form- und fristgerecht geladen worden.
Die Klage hat keinen Erfolg. Die Klage ist mit dem zuletzt gestellten Antrag auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 22. Februar 2021 und auf Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bzw. auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG zwar zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 22. Februar 2021 (Gz.: *) ist in seiner Nr. 1 rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat den Folgeantrag der Kläger zu Recht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abgelehnt. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. So liegt es hier. Die Kläger haben auf ihren Folgeantrag vom 26. Oktober 2020 hin keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Ein Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG führt nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Erforderlich sind mithin eine begünstigende Änderung der Sach- und Rechtslage, begünstigende neue Beweismittel oder Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 580 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine die Kläger begünstigende Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG ist nicht nur anzunehmen, wenn im Ergebnis eine günstigere Sachentscheidung zu treffen wäre; es genügt, wenn eine solche möglich erscheint. Dazu ist ein schlüssiger Sachvortrag ausreichend, der nicht vor vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung oder Flüchtlingseigenschaft zu verhelfen. Gleichsam muss das neue Beweismittel geeignet sein, eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung herbeizuführen, das dieser substantiiert darzulegen hat (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 71 AsylG Rn. 27; BVerwG, U.v. 21.4.1982 – 8 C 75/80 – juris Rn. 11).
Zudem müssen die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Absätze 2 und 3 des § 51 VwVfG erfüllt sein. Deshalb muss die Klägerseite ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein, den Wiederaufgreifensgrund bereits im früheren Verfahren geltend zu machen und der Folgeantrag muss binnen drei Monaten ab Kenntnis vom Wiederaufgreifensgrund gestellt werden.
Mit dem Bundesamt, dessen Ausführungen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG) geht das Gericht davon aus, dass die Kläger die vorgenannten Anforderungen nicht erfüllt haben. Das Gericht sieht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung ab, weil es den diesbezüglichen Feststellungen des angefochtenen Bescheids des Bundesamts folgt, die auch unter Berücksichtigung des maßgeblichen Zeitpunktes der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) zutreffen.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Sachvortrag, die Kläger seien bei einer Rückkehr nach Nigeria als christliche Glaubensangehörige einer Verfolgung durch Muslime ausgesetzt, bereits im Ansatz her völlig ungeeignet ist, zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu führen. Eine eventuelle Verfolgung der Kläger aus religiösen Gründen wurde bereits in dem durchgeführten Asylerstverfahren der Kläger hinreichend berücksichtigt. Insoweit handelt es sich bereits nicht um eine neue Sachlage, die geeignet wäre, ein günstigeres Ergebnis für die Kläger zu begründen. Über dies weist der Vortrag der Kläger keinerlei Individualität auf. Es handelt sich lediglich um einen Allgemeinplatz, den die Kläger bereits in den vorausgegangenen Asylverfahren geltend gemacht habe. Auf die darüber hinaus geltend gemachte Erkrankung des Klägers zu 3 ist im Rahmen der Folgeantragsprüfung aus § 71 Abs. 1 AsylG unbeachtlich. Hierauf hat die Beklagte im Bescheid vom 22. Februar 2021 zutreffend hingewiesen. Die Kläger besitzen deshalb keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG) bzw. auf Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG). Auf die Ausführungen des erkennenden Gerichts in den Urteilen vom 10. Dezember 2018 (Verfahren Az.: Au 7 K 17.32671 und Au 7 K 17.32676) wird insoweit umfassen Bezug genommen.
Auch in Bezug auf die erhobene Verpflichtungsklage auf abweichende Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG bleibt die Klage ohne Erfolg. Auch insoweit bestehen die rechtskräftig getroffenen Feststellungen aus den verwaltungsgerichtlichen Urteilen vom 10. Dezember 2018 unverändert fort. Dies gilt auch in Bezug auf die für den Kläger zu 3 vorgelegten ärztlichen Befundberichten aus den Jahren 2019 und 2020. Mit dem Bundesamt ist das Gericht der Auffassung, dass es sich bei den vorgetragenen Erkrankungen des Klägers zu 3 keinesfalls um eine relevante Erkrankung im Sine des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor, bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dass dies vorliegend der Fall ist, ist für das Gericht nicht erkennbar. Der Kläger zu 3 hat in der Bundesrepublik Deutschland bereits mehrere Operationen durchführen lassen. Die bei ihm vorliegende Darmverschlingung (Sigmavolvulus) und die damit verbundene Darmverengung (Stenose) sind nach den vorgelegten Arztberichten beseitigt worden. Ein zwischenzeitlich erforderlicher künstlicher Darmausgang (Anus praeter) wurde ebenfalls zurückverlagert. Den ärztlichen Unterlagen ist nicht zu entnehmen, dass beim Kläger kein dauerhafter schwerwiegender oder lebensbedrohlicher Schaden zurückgeblieben ist. Bei dieser Sachlage ist nicht davon auszugehen, dass bei einer Rückkehr der Familie nach Nigeria unmittelbar ein lebensbedrohlicher Zustand für den Kläger zu 3 entstehen würde. Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte. Soweit die Arztberichte ausführen, dass es später beim Kläger zu 3 erneut zu einer Darmverwachsung bis hin zu einem Darmverschluss kommen könne, so ist dies im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bloße Spekulation. Sollte dies tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt eintreffen, so ist der Kläger auf die Inanspruchnahme des nigerianischen Gesundheitssystems zu verweisen. Ein Abschiebungsverbot lässt sich aufgrund dieser bloßen hypothetischen Entwicklung nicht begründen.
Für die übrigen Kläger wurde bereits keine wesentliche Änderung der Sachlage in Bezug auf das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG dargelegt. Dies gilt auch für den Kläger zu 6. Bei den für diesen geltend gemachten Sprachstörungen, die derzeit eine logopädische Behandlung erfordern, handelt es sich bereits um keine so schwerwiegende, lebensbedrohliche Erkrankung im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, die geeignet wäre, ein Abschiebungsverbot zu begründen.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der sich wohl auch in Afrika ausbreitenden Corona-Pandemie. Auch dieser Umstand ist nicht geeignet, zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu führen. Insoweit gilt es die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zu beachten. Danach sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige allgemeine Entscheidung hinsichtlich des Zielstaats Nigeria i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt derzeit nicht vor. Eine persönliche Betroffenheit von der Krankheit selbst haben die Kläger nicht aufgezeigt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Kläger gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wären. Davon kann nicht ausgegangen werden.
Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind überdies in Nigeria lediglich 167.000 Corona-Fälle bestätigt, wovon 163.000 Personen genesen sind und es lediglich zu 2.117 Todesfällen gekommen ist (Quelle: COVID-19 pandemic data, Wikipedia, Stand: 14.6.2021). Im Zeitraum zwischen dem 31. Mai und dem 13. Juni 2021 ist es in Nigeria insgesamt nur zu 751 neuerlichen Erkrankungsfällen gekommen. Demnach handelt es sich um eine lediglich abstrakte Gefährdung, der im Rahmen des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu begegnen ist. Dieser Umstand ist daher nicht geeignet, für die Kläger ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. Dies gilt auch in Bezug auf die vom Bevollmächtigten der Kläger geltend gemachten wirtschaftlichen Einschränkungen auch durch die Zahl von Rückkehrern aus anderen Ländern, zumal die Kläger bereits seit mehreren Jahren vollziehbar ausreisepflichtig sind.
Es gibt derzeit keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich Wirtschaft und Versorgungslage der Bevölkerung trotz internationaler humanitärer Hilfe und lokaler Hilfsbereitschaft infolge der Pandemie derart verschlechtern, dass die klägerische Familie nicht mehr in der Lage wäre, den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder (4) in Nigeria sicherzustellen. Der Internationale Währungsfonds gewährte Nigeria bereits im April 2020 Nothilfe in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar, um Wirtschaft und Währung in der Corona-Krise auch angesichts des Verfalls der Ölpreise zu stabilisieren („IWF gewährt Nigeria wegen Corona-Krise Milliardenhilfe“, www.spiegel.de, 28. April 2020). Selbst wenn bei einer Rückkehr der Kläger noch die aktuellen nächtlichen Ausgangssperren gelten sollten, fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass diese Maßnahmen dauerhaft auf unbestimmte Zeit gelten würden. Die als „Lockdown“ bzw. „Ausgangssperre“ bezeichneten Maßnahmen wurden außerdem soweit ersichtlich bisher lediglich in Lagos, Abuja und Kano verhängt, jedoch ab Anfang Mai 2020 bereits wieder gelockert. Die Maßnahmen sind in Lagos und Abuja Mitte Juni 2020 ausgelaufen. Für andere Orte im Süden Nigerias bzw. landesweit fehlt es an Angaben darüber, dass aktuell überhaupt ein „Lockdown“, „Ausgangssperren“ oder vergleichbare Maßnahmen jedenfalls landesweit verhängt worden wären. Auch sind seit dem 14. September 2020 auch wieder Inlandsflüge in Nigeria uneingeschränkt möglich.
Im Übrigen genügt nicht eine allgemeine Behauptung mit Hinweis auf die Corona-Pandemie, dass eine Gefahr bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen. Erforderlich ist, durch Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende etwa zu einer Risikogruppe gehört und in seinem speziellen Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, zu rechnen ist. Anzugeben ist dabei weiter, wie viele Personen im Zielland konkret infiziert sind, einen schweren Verlauf haben und gestorben sind, ob landesweit eine betreffende Gefahr besteht bzw. konkret an dem Ort, an dem der Betreffende zurückkehrt und welche Schutzmaßnahmen der Staat zur Eindämmung der Pandemie getroffen hat (OVG NW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris). An einem entsprechenden substantiierten Vorbringen der Kläger fehlt es. Durchgreifende Gründe für eine relevante Gefahr sind auch sonst nicht ersichtlich.
Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten tagesaktuellen Fallzahlen und des damit einhergehenden Ansteckungsrisikos besteht in Nigeria derzeit nach dem oben genannten Maßstab keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppen, denen die Kläger angehören. Sie müssen sich letztlich, wie hinsichtlich etwaiger anderer Erkrankungen, wie etwa Malaria, HIV, Masern, Cholera, Lassa-Fieber, Meningitis oder Tuberkulose, bei der die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung und eines schweren Verlaufs teilweise um ein Vielfaches höher liegt als bei dem „Coronavirus“ (vgl. zu Malaria OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4479/19.A – juris; VG Karlsruhe, U.v. 26.2.2020 – A 4 K 7158/18 – juris), im Bedarfsfalle auf die Möglichkeiten des – zugegebenermaßen mangelhaften – nigerianischen Gesundheits- und Sozialsystems (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020, Stand: September 2020, Ziffer V.1.3, S. 24 ff.) verweisen lassen.
Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen haben die Kläger die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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