Verwaltungsrecht

Nigeria, Bedrohung durch Geheimgesellschaft, Ogboni (unglaubhaft), Interne Fluchtalternative, Abschiebungsverbote verneint

Aktenzeichen  M 9 K 17.40385 1810

Datum:
18.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51648
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
2. Die Klage ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, § 3 AsylG, des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2, 3 AufenthG auf 30 Monate bestehen keine Bedenken. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG). Lediglich ergänzend gilt Folgendes:
a. Es besteht kein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will und kein Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 bis 4 AsylG vorliegt.
Weiter Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- und Schutzakteuren und der sog. inländischen Fluchtalternative regeln die §§ 3a bis e AsylG. Dabei gilt für die Verfolgungsprognose der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; entscheidend ist, ob aus Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, U.v. 01.06.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 07.02.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37). Der Vorverfolgte wird dabei privilegiert durch die – durch stichhaltige Gründe widerlegbare – Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird (BVerwG; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 23).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Dabei kommt es auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und schlüssige Angaben ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen zu den Umständen machen, die für die von ihm befürchtete Gefahr der Verfolgung bzw. einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung maßgeblich sind. Der Antragsteller hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ergibt, dass bei verständiger Würdigung die Gefahr der Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens besteht und es ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren; es müssen kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben gemacht werden (vgl. Art. 4 der RL 2011/95/EU sowie BVerfG, B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris).
Gemessen an diesen Kriterien liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Falle des Klägers nicht vor. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG droht, denn das Gericht erachtet nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und unter dem Eindruck, den es von dem Kläger erlangen konnte die Einlassung des Klägers vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung betreffend den Grund für seine Flucht für nicht glaubhaft. Die Angaben des Klägers sind in wesentlichen Punkten widersprüchlich, unschlüssig und vage. Der Kläger antwortete auf die Nachfragen des Gerichts meist ausweichend und extrem oberflächlich. Die Antworten kamen zumeist zögerlich und blieben im Unkonkreten. Unabhängig davon sind die Ausführungen des Klägers von erheblichen Widersprüchen geprägt. Bereits vor dem Bundesamt hatte er auf Nachfrage ausgeführt, dass er von der Geheimgesellschaft weder geschlagen noch gejagt worden war. In der mündlichen Verhandlung am 18. August 2021 führte der Kläger jedoch ohne weitere Begründung aus, dass ihn die Verfolger zweimal umbringen wollten. Auf weitere Nachfrage des Gerichts, wie genau eine physische Bedrohung erfolgt sei erklärte der Kläger, dass ihn die Verfolger bedroht hätten, jedes Mal wenn sie zu seinem Vater nach Hause gekommen seien. Dann hätten sie zu ihm gesagt, dass er der Gesellschaft beitreten solle. Er könne nicht weglaufen und sie würden ihn überall finden. Wenig später erklärte der Kläger jedoch, dass die erstmalige Bedrohung ihm gegenüber nach der Beerdigung seines Vaters im Februar 2010 erfolgt sei. Die Ausführungen des Klägers betreffend die Bedrohungslage in seinem Heimatland waren vollkommen unstrukturiert, in sich widersprüchlich, nicht nachvollziehbar und konfus. Auch auf mehrmalige Nachfrage des Gerichts konnte der Kläger keine stringente Abfolge der Ereignisse in seinem Heimatland, die ihn zur Flucht bewogen haben, vorbringen. Aus diesen Gründen hält das Gericht den Vortrag des Klägers vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung betreffend die Gründe seiner Flucht für nicht glaubhaft. Aufgrund der aufgezeigten Widersprüche sowie der unschlüssigen Ausführungen betreffend die Bedrohungslage in der mündlichen Verhandlung am 18. August 2021 ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Nigeria Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG erlitten hat.
b. Selbst wenn man eine Bedrohungslage durch die Geheimgesellschaft Ogboni als wahr unterstellt, wäre er zumutbar darauf zu verweisen, Schutz in einer anderen Region Nigerias zu suchen (§ 3e AsylG). Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, Repressionen Dritter durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020 – Lagebericht – S. 17). Mit einer Fläche von 925.000 qkm ist Nigeria fast dreimal so groß wie Deutschland. Nach Art. 41 der Verfassung der Bundesrepublik Nigeria von 1999 steht es jedem Nigerianer frei, sich überall in Nigeria niederzulassen. Zu beachten ist darüber hinaus auch, dass in Nigeria faktisch kein Meldewesen und auch kein landesweites Fahndungssystem vorhanden ist (vgl. Lagebericht vom 5. Dezember 2020, S. 27), weshalb es umso unwahrscheinlicher ist, dass der Kläger an einem anderen Ort in Nigeria außerhalb seiner Heimatregion gefunden werden könnte. Dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria abseits seines Heimatortes – landesweit – von seinen angeblichen Verfolgern gesucht und aufgespürt würde, hält das Gericht für abwegig, zumal die angeblichen Vorfälle mittlerweile fast sechs Jahre zurückliegen. Die innerstaatliche Relokationsmöglichkeit besteht insbesondere auch in Fällen, in denen sich Personen vor einer Verfolgung durch Geheimgesellschaften fürchten, weil diese nicht in der Lage sind, eine Person in ganz Nigeria aufzuspüren (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblat der Staatendokumentation Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 20.05.2020, S. 38; vgl. dazu auch VG München, U.v. 28.9.2018 – 9 K 17.39609 – BeckRS 2018, 26503 Rn. 27). Als gesundem und erwerbsfähigen Mann kann vom Kläger vernünftigerweise auch erwartet werden, dass er sich an einem solchen für ihn ungefährlichen Ort in Nigeria niederlässt, den er über die internationalen wie regionalen Flughäfen sicher auf dem Luftweg erreichen kann. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria schlecht ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 16.1.2020, S. 21 und vom 5.12.2020, S. 23). Die Arbeitslosigkeit (mind. 23%, bei Menschen bis 35 Jahren mind. 35%) ist hoch. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen ca. 70% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum bzw. 45 Prozent leben in extremer Armut (weniger als 1,90 USD/Tag). Dieser große Teil der Bevölkerung lebt im Wesentlichen als Bauer, Landarbeiter oder Tagelöhner, vom informellen Handel sowie (Subsistenz) Landwirtschaft. Viele Menschen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem oder zu Wasser und Strom. Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige. Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl – BFA – Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 20.5.2020, Nr. 20). Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht. Das Ausweichen in einen anderen Landesteil kann mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. erweiterten Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der nigerianischen Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 5. Dezember 2020, S. 17). Hinzu kommen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die negativen direkten und indirekten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die vom Rohölexport abhängige Volkswirtschaft Nigerias. Auch die verfügten Beschränkungen des öffentlichen Lebens in Nigeria und den Nachbarländern können sich unter anderem auf die Arbeits- und Wohnungssuche, die Lebensmittelversorgung und somit die Existenzsicherung in Nigeria auswirken (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Länderinformation COVID- 19-Pandemie – Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand 06/2020; BFA, Republik Österreich – Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19, aktuelle Lage, vom 10. Juni 2020; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Nigeria vom 23. November 2020; EASO Special Report – Asylum Trends and COVID-19, vom 11. Juni 2020; OVG Münster, U.v. 18.5.2021 – 19 A 4604/19.A – juris m.w.N.).
Das Gericht geht auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnismittel dennoch nicht davon aus, dass durch die schwierigen Lebensbedingungen in Nigeria generell die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK zu prognostizieren ist. Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie verschlechtert, besteht für Rückkehrer in Nigeria nach wie vor die Möglichkeit, z.B. in einer der zahlreichen Millionen- und Großstädte Nigerias mit einer unüberschaubaren Vielzahl an (wenn auch schlecht bezahlten) Erwerbsmöglichkeiten und einem Netz an karitativen Hilfsangeboten ökonomisch eigenständig zu leben und auch ohne Hilfe Dritter zu überleben. Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird (vgl. a. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA – Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 20.5.2020, Nr. 20).
Der Kläger ist jung, ledig und erwerbsfähig. Er hat in Nigeria eine für nigerianische Verhältnisse überdurchschnittliche Ausbildung genossen, ist nach eigenen Angaben in die Grund- und weiterführende Schule gegangen und hat Polytechnik studiert. Er hat in Nigeria auf der Farm seiner Mutter gearbeitet und sich hierdurch seine Flucht finanziert. Auch in Libyen hat er nach eigenen Angaben gearbeitet und geputzt, um seine weitere Flucht zu finanzieren. In Deutschland hat der Kläger bis zu seiner Inhaftierung als Küchenhelfer gearbeitet. Der Kläger hat durch seine vielseitigen Betätigungen in unterschiedlichsten Lebenssituationen Tatkraft bewiesen. Er hat sich bis nach Europa durchgeschlagen und weiterhin über seine (Schul-) bildung in Nigeria hinaus Fertigkeiten ausgebaut. Er hat mit Blick auf die bisherige Lebensgeschichte und seinen Werdegang bewiesen, sich in neue Situationen einfinden zu können und sich zurechtzufinden. Es ist davon auszugehen, dass es ihm trotz der Schwierigkeiten, mit denen sich der ganz überwiegende Teil der nigerianischen Bevölkerung im Hinblick auf die Existenzsicherung konfrontiert sieht, eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen kann.
Aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln kann nach dem teilweisen Aufheben der vorübergehenden und nicht landesweit gleich strikten Ausgangsbeschränkungen auch kein hinreichend tragfähiger Anhaltspunkt dafür hergeleitet werden, dass sich infolge der COVID-19-Pandemie Wirtschaft und Versorgungslage der Bevölkerung in Nigeria trotz internationaler humanitärer Hilfe, trotz Gegensteuerns des nigerianischen Staates und trotz lokaler Hilfsbereitschaft infolge der Pandemie derart verschlechtert hätten, dass es dem Kläger nicht (mehr) gelingen könnte, das Existenzminimum zu sichern, oder dass eine derartige Verschlechterung unmittelbar bevorstünde (vgl. EASO Special Report – Asylum Trends and COVID-19, vom 11. Juni 2020, S. 15; BFA, Republik Österreich – Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19, aktuelle Lage vom 10. Juni 2020 S. 8 f.; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Nigeria vom 23. November 2020; OVG Münster, U.v. 18.5.2021 – 19 A 4604/19.A – juris m.w.N.). Im Übrigen kann beim Kläger im Falle einer freiwilligen Rückkehr neben der Hilfe durch private oder kirchliche Hilfsorganisationen auch die Inanspruchnahme von nationalen und europäischen Start- und Rückkehrhilfen (vgl. REAG/GARP) sowie von Reintegrationsprogrammen (vgl. ERRIN, Starthilfeplus u.a.) in Betracht kommen. Diese können als Unterstützung dienen, um die finanzielle Situation in Nigeria zu verbessern und um Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu überbrücken (vgl. gemeinsames Informationsangebot des Bundesamts sowie der Internationalen Organisation für Migration (IOM) https://www.returningfromgermany.de/de/countries/nigeria).
c. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG besteht für den Kläger ebenfalls nicht.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei neben der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) sowie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Dabei muss die Art der Behandlung oder Bestrafung eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
Gemessen daran hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Der Kläger hat weder vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung Umstände schlüssig vorgetragen, die einen Anspruch nach § 4 Abs. 1 AsylG begründen könnten. Der Vortrag des Klägers betreffend die angebliche Bedrohungslage ist nicht glaubhaft (s.o.). Anhaltspunkte für die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) oder eine drohende Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) liegen nicht vor. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) sind nicht gegeben. Denn in Nigeria liegt gegenwärtig kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor (vgl. VG München, U.v. 2.2.2018 – M 9 K 17.39325 – juris Rn. 29). Zwar bestehen in Nigeria mit den Angriffen und den Auseinandersetzungen mit der Gruppierung „Boko Haram“ im Nordosten, den Auseinandersetzungen zwischen Hirten und Bauern im „Middle Belt“, dem „Biafra-Konflikt“ im Südosten und den Spannungen im Niger-Delta verschiedene Konfliktherde. Es gibt in Nigeria jedoch keine klassischen Bürgerkriegsgebiete (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020, S. 17). Das Ausmaß der vorbezeichneten – regional begrenzten – Konflikte ist in Intensität und Dauerhaftigkeit nicht mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen vergleichbar.
Unabhängig davon gilt die inländische Fluchtalternative auch hinsichtlich des subsidiären Schutzes, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG (s.o.).
d. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigeria liegen ebenfalls nicht vor. Dies gilt zunächst für den individuellen Vortrag des Klägers, welcher in den wesentlichen Punkten unsubstantiiert und unschlüssig ist und den das Gericht für nicht glaubhaft erachtet (s.o.). Zudem könnte er der von ihm befürchteten Gefährdung jedenfalls mit dem Ausweichen auf eine der größeren Städte des Landes abseits seines bisherigen Aufenthaltsortes begegnen (s.o.).
Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger im Hinblick auf die allgemeine Situation in Nigeria oder aufgrund besonderer individueller Umstände eine Gefährdung im Sinne der § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG drohen sollte. Dabei verkennt das Gericht die schwierige wirtschaftliche und soziale Lage in Nigeria nicht. Dafür, dass der Kläger im Hinblick auf die Lebensbedingungen in Nigeria bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, wie es für die ausnahmsweise Annahme von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich wäre, ist allerdings nichts erkennbar. Im Falle des Klägers ist auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK unter dem allgemeinen Gesichtspunkt schwieriger humanitärer Bedingungen im Herkunftsland gegeben. Ein außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe gegen eine Abschiebung entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind, liegt nicht vor. Wie bereits in Zusammenhang mit den Ausführungen zur Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative dargelegt, ist der Kläger zur Überzeugung des Gerichts dazu in der Lage, ggf. auch ohne familiäre Unterstützung mindestens sein Existenzminimum zu sichern (s.o.).
An dieser Einschätzung ändert auch die Lage aufgrund der Covid-19-Pandemie nichts. Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich, dass im Hinblick auf den Kläger ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen oder angesichts der Versorgungslage bestehen könnte. Insbesondere kann die allgemeine Befürchtung, im Falle einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus oder im Falle einer sonstigen Erkrankung aufgrund der zusätzlichen Belastung des Gesundheitssystems durch die Covid-19-Pandemie in Nigeria keine adäquate medizinische Behandlung zu erhalten, bereits angesichts des Gefahren- und Prognosemaßstabes der § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen. Unabhängig davon sind Umstände, die ein gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot rechtfertigten könnten weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
e. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig.
f. Anhaltspunkte dafür, dass die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG, die zugleich als Anordnung dieses Verbotes zu verstehen ist (BVerwG, B. v. 13.7.2017 – 1 VR 3/17 – NVwZ 2017, 1531 Rn. 72; U.v. 25.7.2017 – 1 C 10.17 – NVwZ-RR 2017, 887 Rn. 23; U.v. 21.8.2018 – 1 C 21/17 – NVwZ 2019, 483 Rn. 25) nicht rechtmäßig sein könnte, liegen ebenfalls nicht vor.
3. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
4. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung.


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