Verwaltungsrecht

Normenkontrolle einer kommunalen Grünanlagensatzung, nächtliches Betretungsverbot aus Lärmschutzgründen, Antragsbefugnis bei nachträglicher Widmungsbeschränkung, Organisations- und Gestaltungsermessen des Einrichtungsträgers, nachträgliche Beschränkung des zeitlichen Umfangs der Benutzung

Aktenzeichen  4 N 21.757

Datum:
1.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2004
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1
GO Art. 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5; Art. 57 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 2 Abs. 1; Art. 3 Abs. 1; Art. 8; Art. 28 Abs. 2

 

Leitsatz

Sachliche, persönliche, räumliche oder zeitliche Begrenzungen des Widmungszwecks bzw. Widmungsumfangs einer öffentlichen Einrichtung sind grundsätzlich nicht am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen.

Tenor

I. Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten des Verfahrens vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Der Normenkontrollantrag, über den aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.
1. Der am 12. März 2021 und damit nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO fristgerecht gestellte Antrag auf Unwirksamerklärung von § 1 Nr. 1 Buchst. b der Satzung vom 27. August 2020, mit der die Satzung für die Benutzung der öffentlichen Grünanlagen und Spielanlagen der Antragsgegnerin (Grünanlagensatzung – GrünanlS) vom 25. Juli 2019 geändert wurde, ist zulässig.
a) Die angegriffene Bestimmung, die § 3 GrünanlS um einen Absatz 7 ergänzt, ist im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V. m. Art. 5 Abs. 1 AGVwGO eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift.
§ 3 Abs. 7 GrünanlS ist auch noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung statthafter Gegenstand einer Normenkontrolle. Die Vorschrift ist zwar nach § 2 Abs. 2 der am 7. September 2020 im Amtsblatt bekanntgemachten Änderungssatzung mit Ablauf des 31. Oktober 2021 außer Kraft getreten; diesem Geltungsverlust steht nicht der Umstand entgegen, dass sich die Befristung aus der von der Antragsgegnerin zu Informationszwecken online gestellten Version der Satzung („Inhalte des Stadtrechts, 19.5.1“) zeitweilig nicht erkennen ließ. Auch Normen, die während eines Verfahrens nach § 47 VwGO außer Kraft treten, können aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 2.9.1983 – 4 N 1.83 – BVerwGE 68, 12/15; U.v. 17.5.2017 – 8 CN 1.16 – BVerwGE 159, 27 Rn. 13 m.w.N.) und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 13; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 47 Rn. 90; a. A. Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 71 f.) ausnahmsweise weiterhin Gegenstand einer Normenkontrolle sein, wenn an der Feststellung ihrer Unwirksamkeit ein berechtigtes Interesse besteht.
Diese Voraussetzung liegt hier vor, da sich die Antragstellerin auf eine Wiederholungsgefahr berufen kann. Voraussetzung für ein darauf gestütztes Feststellungsinteresse ist die konkret absehbare Möglichkeit, dass in naher Zukunft und unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleiche oder gleichartige Maßnahme des Antragsgegners zu erwarten ist (BVerwG, B.v. 14.6.2018 – 3 BN 1.17 – juris Rn. 19; U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 21 m.w.N.). Davon kann im vorliegenden Fall ausgegangen werden, da die aus der intensiven Nutzung der Grünanlagen für Freizeitzwecke folgende Lärmbelastung der Nachbarschaft, der mit dem nächtlichen Betretungsverbot vorrangig begegnet werden sollte, voraussichtlich auch während der nächsten Sommersaison fortbestehen wird. Dass sich die Freizeitaktivitäten der jungen Leute in den Nachtstunden nach einer Wiedereröffnung der Schankwirtschaften weitgehend in geschlossene Räume verlagern könnten, erscheint wenig wahrscheinlich. Es bestehen auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Mehrheit des Stadtrats der Antragsgegnerin sich mittlerweile für einen anderen Weg der Konfliktlösung entschieden hätte oder jedenfalls den bisherigen Versuch als gescheitert ansehen würde.
b) Die Antragstellerin ist auch gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Sie kann geltend machen, von der Satzungsänderung, mit der das Betreten der Grünanlagen G … und J … in den Monaten April bis Oktober in der Zeit von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr verboten wurde, möglicherweise in ihren Rechten verletzt zu sein.
aa) Der zeitweilige Ausschluss des Zugangs zu den städtischen Grünanlagen berührt allerdings nicht das Recht der Antragstellerin auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). Die von ihr dort während der Nachtstunden beabsichtigte Teilnahme an sog. Silent Discos (Tanzveranstaltungen mit Musikübertragung über Funkkopfhörer) fällt nicht in den Schutzbereich dieses Kommunikationsgrundrechts, weil darin kein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung gesehen werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 12.7.2001 – 1 BvQ 28/01 u.a. – BayVBl 2001, 687).
bb) In der nächtlichen Schließung der bislang ohne zeitliche Begrenzung dem Gemeingebrauch (Art. 21 Abs. 5 GO) als kommunale Einrichtungen (§ 1 Abs. 1 GrünanlS) für Zwecke der Erholung (§ 2 GrünanlS) gewidmeten Grünanlagen liegt auch kein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Da aus diesem Grundrecht ebenso wie aus Art. 21 GO kein Recht auf Schaffung einer öffentlichen Einrichtung folgt (vgl. BVerwG, U.v. 18.7.1969 – VII C 56.68 – BVerwGE 32, 333/337; BayVGH, B.v. 11.9.1981 – 4 CE 81 A – BayVBl 1982, 656; HessVGH, U.v. 10.4.2014 – 8 A 2421/11 – juris Rn. 36; Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2019, Kap. 13 Rn. 39; Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 927), können die bisherigen Benutzer auch nicht das unveränderte Fortbestehen einer solchen Einrichtung verlangen (BayVGH, B.v. 21.12.2012 – 4 ZB 11.2496 – BayVBl 2013, 636; Hölzl/Hien/Huber, GO, Stand April 2021, Art. 21 Erl. 4.3; Lange, a.a.O., Kap. 13 Rn. 40; Gern/Brüning, a.a.O., Rn. 945; Kümper, DÖV 2017, 179/182; Knierim, Belastende Benutzungsregelungen, 2021, S. 166, 169; vgl. BVerfG, B.v. 10.6.2009 – 1 BvR 198/08 – BayVBl 2009, 690/692).
cc) Gleichwohl ist ein Eingriff in eine geschützte Rechtsposition der Antragstellerin nicht von vornherein ausgeschlossen. Zwar greifen sachliche, persönliche, räumliche oder – wie hier – zeitliche Begrenzungen des Widmungszwecks bzw. Widmungsumfangs im Unterschied zu verhaltensbezogenen Benutzungsregelungen, die den im Rahmen der Widmung bestehenden Zugangsanspruch aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 GO einschränken (vgl. Gern/Brüning, a.a.O., Rn. 944), nicht in eine bereits innegehabte einfachgesetzliche Rechtsposition der Einrichtungsbenutzer ein. Sie bedürfen insofern keiner besonderen Rechtfertigung, da die Kürzung einer zuvor bereitgestellten Leistung noch keine (grund-)rechtlich relevante Belastung darstellt (vgl. Lange, DVBl 2014, 753/754, 756; Knierim, a.a.O., S. 169 f.). Subjektive Rechte der – aktuellen oder potentiellen – Benutzer können aber durch solche Widmungsbeschränkungen dann verletzt werden, wenn darin entweder ein zielgerichteter Eingriff in ein spezielles Grundrecht oder eine sachwidrige Ungleichbehandlung liegt (vgl. BayVGH, U.v. 17.11.2020 – 4 B 19.1358 – BayVBl 2021, 159 Rn. 49 ff., 60 f.; BVerwG, U.v. 28.3.1969 – VII C 49.67 – BVerwGE 31, 368/370; Knierim, a.a.O., 171 f.; Gassner, VerwArch 85 [1994], 533/539).
Auf Letzteres beruft sich die Antragstellerin mit ihrer Behauptung, die Beschränkung des nächtlichen Betretungsverbots auf die Grünanlagen G … und J … sei willkürlich, da es in anderen städtischen Grünanlagen ebenfalls zu starken Ruhestörungen gekommen sei. Hiernach kann ihr die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zumindest im Hinblick auf einen möglichen Gleichheitsverstoß (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht von vornherein abgesprochen werden, da sie als ortsansässige bisherige Benutzerin der Einrichtungen zum Adressatenkreis der angegriffenen Regelung gehört und bei einer Missachtung des Betretungsverbots nicht nur mit einer Geldbuße (§ 11 Nr. 5 GrünanlS), sondern auch mit einer polizei- oder sicherheitsrechtlichen Platzverweisung (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG; Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG) rechnen muss.
2. Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet, da das während der Monate April bis Oktober in der Zeit von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr bestehende Verbot des Betretens der beiden Grünanlagen rechtlich nicht zu beanstanden war.
a) Bei der freiwilligen Schaffung und Erhaltung öffentlicher Einrichtungen (Art. 57 Abs. 1 Satz 1 GO) verfügen die Gemeinden aufgrund des aus der Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV) folgenden Rechts auf eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung über ein weites, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares Organisations- und Gestaltungsermessen (BayVGH, U.v. 17.11.2020 – 4 B 19.1358 – BayVBl 2021, 159 Rn. 47 m.w.N.; VerfGH, E.v. 7.10.2011 – Vf. 32-VI-10 – VerfGHE 64, 177/181). Sie können daher auch den zeitlichen Umfang der Benutzung ihrer kommunalen Einrichtungen aus sachlichen Gründen begrenzen (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.1988 – 4 CE 87.03883 – BayVBl 1988, 497/499; B.v. 14.9.2007 – 4 CE 07.2292 – juris Rn. 11; VG Hannover, U.v. 1.2.2006 – 1 A 4991/05 – juris Rn. 30 ff.; Schoch, NVwZ 2016, 257/264; Lange, a.a.O., Kap. 13 Rn. 77), müssen dabei allerdings das höherrangige Recht, insbesondere die Grundrechte und das Willkürverbot beachten.
b) Diesen Anforderungen wird das mit der Normenkontrolle angegriffene Betretungsverbot gerecht. Wie die Antragsgegnerin im Normenkontrollverfahren im Einzelnen unwidersprochen vorgetragen hat, werden die beiden Grünanlagen G … und J … aufgrund ihrer innenstadtnahen Lage in letzter Zeit zunehmend von einer großen Zahl junger Leute zur nächtlichen Freizeitgestaltung genutzt, wobei es vor allem durch mitgebrachte Tonwiedergabegeräte sowie durch alkoholisierte Besucher zu erheblichen Ruhestörungen der Nachbarschaft und dementsprechend regelmäßig zu Polizeieinsätzen kommt. Ob die Antragsgegnerin als Einrichtungsbetreiberin für diese unbestritten vorliegende Immissionsbelastung nach § 22 Abs. 1 Satz 3 BImSchG rechtlich verantwortlich ist (dazu VGH BW, B.v. 19.4.2017 – 10 S 2264/16 – NVwZ-RR 2017, 653 Rn. 7 ff. m.w.N.), kann hier offenbleiben. Selbst wenn man eine solche Zurechnung verneint, weil die Lärmprobleme aus einer in § 3 Abs. 6 Nr. 11 und Nr. 12 GrünanlS ausdrücklich untersagten Nutzung der Grünanlagen resultieren, ist die Antragsgegnerin jedenfalls nicht gehindert, sich des Problems anzunehmen und durch eine nächtliche Schließung ihrer Einrichtungen für eine Entlastung der Nachbarschaft zu sorgen. Diese Zielsetzung, die dem Erlass des Betretungsverbots erklärtermaßen zugrunde lag, stellt in jedem Fall einen hinreichenden sachlichen Grund für die angegriffene Maßnahme dar. Ob es in dem Konflikt zwischen den Freizeitinteressen der Einrichtungsbenutzer und dem Ruhebedürfnis der Nachbarn eine geeignetere, schonendere oder ausgewogenere Lösung gegeben hätte, ist hier nicht zu prüfen, da die Widmungsbeschränkung aus den oben genannten Gründen (I.1.b.cc) mangels Eingriffsqualität nicht am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen ist.
Es kann auch nicht als willkürlich (Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG) angesehen werden, dass mit der angegriffenen Vorschrift nächtliche Betretungsverbote nur für die beiden Anlagen G … und J … erlassen wurden, nicht dagegen für andere städtische Grünanlagen. Insoweit liegen schon keine im Wesentlichen gleichen Sachverhalte vor, die eine Gleichbehandlung durch den Satzungsgeber zur Folge haben müssten. Wie aus dem der Grünanlagensatzung als Anlage 1 beigefügten Grünanlagenplan erkennbar ist, sind die anderen städtischen Grünanlagen vergleichsweise weniger zentral und verkehrsgünstig gelegen; in ihrem Umfeld befinden sich nach Auskunft der Antragsgegnerin auch keine oder wesentlich weniger To go-Mitnahmemöglichkeiten und Shisha-Cafés. Die anderen Grünanlagen sind daher nach Erfahrung der Polizei und der städtischen Behörden bei jungen Leuten weniger beliebt; sie lassen sich angesichts des wesentlich geringeren Besucheraufkommens hinsichtlich der Einhaltung der Benutzungsregeln auch ohne Betretungsverbot hinreichend effektiv kontrollieren. Dass sich diese weiteren Grünanlagen in Bezug auf das Besucheraufkommen von den Anlagen G … und J … erheblich unterscheiden, wird auch von der Antragstellerin nicht ausdrücklich in Frage gestellt; sie trägt lediglich allgemein vor, es komme auch an (nicht näher bezeichneten) anderen Grünanlagenstandorten „vermehrt zu starken Ruhestörungen“. Dieser Umstand allein genügt jedoch nicht, um das auf die beiden am stärksten frequentierten Grünanlagen beschränkte nächtliche Betretungsverbot als willkürliche Einschränkung der städtischen Freizeiteinrichtungen erscheinen zu lassen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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