Verwaltungsrecht

Nutzungsuntersagung für Wohnungen aus Brandschutzgründen wegen mangelhaften Rettungsweges

Aktenzeichen  M 1 S 16.1816

Datum:
10.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 54 Abs. 4

 

Leitsatz

Hat eine Baukontrolle ergeben, dass der Rettungsweg für Obergeschosswohnungen und eine Dachgeschosswohnung mangelhaft ist und im Brandfall mit großer Wahrscheinlichkeit versagen wird, ist eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung gemäß Art. 54 Abs. 4 BayBO gerechtfertigt, da diese der Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit der Bewohner dient. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes gegen bauaufsichtliche Anordnungen des Antragsgegners.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 178, Gemarkung …, auf dem sich ein schlossartiges Gebäude aus dem 16. Jahrhundert befindet. In dem viergeschossigen Gebäude (EG, 1. und 2. OG, DG) befinden sich pro Etage zwei Wohnungen, insgesamt also acht Wohneinheiten. Das Dachgeschoss ist in zwei Ebenen unterteilt. In der unteren Ebene befinden sich die beiden Wohneinheiten des Dachgeschosses. Die östlich gelegene Dachgeschosswohnung verfügt über eine nach Süden ausgerichtetete, mit einem kleinen Turm versehene Gaube (vgl. unteres Foto Bl. 120 d. Behördenakte – BA).
Das Landratsamt Rosenheim (Landratsamt) hatte am 16. Februar 2001 dem damaligen Eigentümer des Anwesens angekündigt, die Nutzung des 1. Obergeschosses und des Dachgeschosses zu Wohnzwecken zu untersagen, falls kein zweiter Rettungsweg sichergestellt werde, eine solche Untersagung dann jedoch nach Aktenlage zunächst nicht verfügt. Die Verwaltungsgemeinschaft R. (Verwaltungsgemeinschaft) hatte am … Juni 2009 das Landratsamt um Überprüfung des Anwesens gebeten, da im Dachgeschoss eine akute Gefahr für Gesundheit und Leben der Bewohner bestehe, was eine Feuerbeschau am 26. Februar 2009 ergeben habe. Am … Januar 2010 beantragte die Verwaltungsgemeinschaft beim Landratsamt aufgrund erheblicher Brandschutzmängel (insbesondere im Bereich des Dachgeschosses) bauaufsichtliches Einschreiten.
Eine Baukontrolle des Landratsamtes am 13. April 2016 ergab, dass sich im Treppenhaus des Gebäudes im Erdgeschoss Brandlasten (Holzschränke, Polsterbezüge) befunden hätten. Zur Brüstung im 2. Obergeschoss betrage die Anleiterbarkeit 7,55 m. Ein an der westlichen Giebelwand angebrachter, zum Dachgeschoss gehörender Balkon habe eine Brüstungshöhe von 11,20 m (vgl. Foto Bl. 118 der Behördenakte – BA). Die Fenster im 1. und 2. Obergeschoss seien zweigeteilt mit zusätzlich zwei Oberlichtern; die beiden Fensterteile sind jeweils 75 cm hoch und 45 cm breit, dazwischen befindet sich ein Mittelsteg (vgl. Foto Bl. 104 ff., 113 BA). Im 1. und 2. Obergeschoss sowie im Dachgeschoss sei kein zweiter Rettungsweg vorhanden; der erste Rettungsweg sei durch Brandlasten mangelhaft. Der Balkon in 11,20 m Höhe sei mit einem Leiterfahrzeug der Feuerwehr durch die beengte Zufahrt nicht erreichbar. An der Außenfassade des Gebäudes angebrachte Rettungsleitern sind auf den am 13. April 2016 vom Baukontrolleur aufgenommenen Fotos nicht zu erkennen (vgl. Bl. 94 bis 121 BA).
Das Landratsamt untersagte mit Bescheid vom 15. April 2016 der Antragstellerin die Nutzung der Wohnungen im 1. und 2. Obergeschoss und im Dachgeschoss als Aufenthaltsräume (Nr. 1 des Bescheids). Ferner ordnete es an, dass die Antragstellerin innerhalb von vier Wochen ab Zustellung des Bescheids dem Landratsamt einen prüffähigen Brandschutznachweis zum Gebäude vorlegen müsse (Nr. 2 a) und dass sämtliche Brandlasten (Polsterbezüge, Holzschränke) im Bereich des Treppenhauses des Erdgeschosses vom jeweiligen Eigentümer zu entfernen seien (Nr. 2 b). Zu Nr. 1 und 2 ordnete das Landratsamt den Sofortvollzug an (Nr. 3). Unter Nr. 4 drohte es für den Fall, dass die unter Nr. 1 erfolgte Anordnung nicht innerhalb von zwei Tagen nach Zustellung des Bescheids befolgt werden solle, ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,- Euro an; bei Nichtbefolgen der Anordnungen unter Nr. 2 a und 2 b drohte es unter Nr. 5 und 6 jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- Euro an. Bezüglich der Befolgung der Anordnung unter Nr. 2 b enthält die Zwangsgeldandrohung unter Nr. 6 eine Frist von zwei Tagen ab Zustellung des Bescheids. Zur Begründung wird auf Art. 54 Abs. 4 Bayerische Bauordnung (BayBO) verwiesen und im Wesentlichen ausgeführt, die Anordnungen seien zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib und Leben notwendig, insbesondere aufgrund der nicht vorhandenen bzw. nicht gesicherten Rettungswege. Einer Rettungsmöglichkeit von außen durch Anleiterung im 1. und 2. Obergeschoss stehe die unzureichende Fensterflügelgröße entgegen. Wegen Gefahr in Verzug sei von einer vorherigen Anhörung abgesehen worden. Die Anordnungen seien in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens getroffen worden; das private Interesse der Antragstellerin und auch der Mieter habe hinter dem öffentlichen Interesse am Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bewohner des Anwesens zurücktreten müssen. Der Bescheid war der Antragstellerin am 15. April 2016 zugestellt worden.
Die Antragstellerin erhob durch ihre Bevollmächtigte beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am … April 2016 Klage mit dem Ziel einer Aufhebung des Bescheids vom 15. April 2016 „mit Ausnahme der Ziff. 2 a und b“ (M 1 K 16.1815). Zudem beantragte sie,
die sofortige Vollziehung des Bescheids vom 15. April 2016 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung ließ sie im Wesentlichen vortragen, sie habe am … April 2016 dem Landratsamt mitgeteilt, dass mittlerweile unter anderem die Brandlasten im Treppenhaus entfernt worden seien. Schon deshalb sei es nicht erforderlich, die Nutzung der Wohnungen zu untersagen. Die Anordnung der sofortigen Wohnungsräumung sei unverhältnismäßig gewesen. Zudem sei beabsichtigt, die Mittelstege der Fenster beweglich zu machen. Eine Rettung aus dem Dachgeschoss sei bislang durch eine Leiter auf dem darunter liegenden Balkon sichergestellt. Das sei mit der Gemeinde und der Feuerwehr so abgestimmt und auch Gegenstand einer entsprechenden Feuerwehrübung mit Drehleiter gewesen. Zufahrt und Aufstellmöglichkeit der Drehleiter sei jederzeit möglich; die Zufahrt sei durch einen Absperrbügel gesichert. Sämtliche, von der Verwaltungsgemeinschaft 2011 geforderten Maßnahmen seien erledigt worden, Zwangsgelder seien nicht festgesetzt worden. An einer Begehung 2012 hätten der Bürgermeister, ein Brandschutzberater sowie ein Vertreter der Feuerwehr teilgenommen. In dieser Feuerbeschau sei die Sicherstellung des 2. Rettungsweges aus dem Dachgeschoss über eine Leiter an der westlichen Außenwand geklärt worden. Diese Maßnahmen seien auch ausgeführt worden. Von Maßnahmen an den Fenstern sei nie die Rede gewesen. Zwischenzeitlich seien in allen Wohnungen Feuerlöscher und Rauchmelder vorhanden. Nach einer Anordnung der Verwaltungsgemeinschaft vom … August 2011 sei unter anderem gemäß Nr. 6 als zweiter Fluchtweg vom Dachgeschoss in das 2. Obergeschoss eine Leiter fest an der westlichen Außenwand anzubringen. Auch bei Fenstern mit einer Breite von 45 cm sei eine Rettung möglich, etwa durch das Herausbrechen des Mittelstegs. Die Fenster stünden unter Denkmalschutz, eine Veränderung sei genehmigungspflichtig. Eine Genehmigungsfähigkeit sei unklar.
Mit Änderungsbescheid vom 11. Mai 2016 hob das Landratsamt unter Nr. 1 die unter Nr. 1 des Bescheids vom 15. April 2016 angeordnete Untersagung der Nutzung der Wohnungen des 1. und 2. Obergeschosses sowie der ersten Ebene des Dachgeschosses im östlichen Teil unter der Voraussetzung auf, dass die (in der Zwischenzeit von der Antragstellerin) installierte Treppe sowie das Gerüst vollständig funktionsfähig bleiben (vgl. Fotos zum Treppengerüst Bl. 223 bis 236 BA).
Daraufhin änderte die Antragstellerin im Verfahren M 1 K 16.1815 mit Schreiben vom … Juni 2016 den Klageantrag und beantragt dort nunmehr die Aufhebung des Bescheids vom 15. April 2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 11. Mai 2016. Sie trägt dort vor, das Landratsamt beharre zu Unrecht auf die Beibehaltung des Gerüstturms mit Treppe, obwohl zwischenzeitlich ein Brandschutzgutachter beauftragt worden sei, der sich gegenüber dem Landratsamt geäußert habe. Maßnahmen für den ersten Rettungsweg seien mittlerweile durchgeführt worden. Die Badfenster um Dachgeschoss sowie im 1. Obergeschoss hätten keinen Mittelpfosten; bei Öffnung beider Fensterflügel hätten sie eine Öffnung von 99 cm x 113 cm und seien deshalb als Rettungsweg geeignet. Das Landratsamt sei diesbezüglich von falschen Voraussetzungen ausgegangen.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen. Er führt aus, zwischenzeitlich habe die Antragstellerin an der Außenfassade des Gebäudes ein Gerüst mit einer Treppe zur ersten Ebene des Dachgeschosses errichten lassen. Damit sei vorübergehend ein zweiter Rettungsweg gesichert. Für die zweite Dachgeschossebene habe die Antragstellerin angekündigt, auf eine Aufenthaltsnutzung zu verzichten. Die Brandlasten im Treppenhaus seien vollständig entfernt worden. Deshalb sei – mit Ausnahme der zweiten Ebene des Dachgeschosses und des westlichen Teils der ersten Dachgeschossebene – die Nutzungsuntersagung mit Änderungsbescheid aufgehoben worden. Damit habe sich der Rechtsstreit weitestgehend erledigt.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, sofern die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes entfällt, die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, sofern der Sofortvollzug gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet wurde. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Ein gewichtiges Indiz sind hierbei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 72 ff.).
2. Nach diesen Maßstäben bleibt der Eilantrag der Antragstellerin ohne Erfolg. Ihr Antrag richtet sich auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 15. April 2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 11. Mai 2016. Ursprünglich beantragte sie im Klageverfahren die Aufhebung des Bescheids vom 15. April 2016 mit Ausnahme der Nr. 2 a und 2 b. Abgesehen von Nr. 7 (Bestimmung der Antragstellerin als Kostenschuldnerin) und Nr. 8 (Festsetzung v. 200,- Euro als Bescheidsgebühr) richtet sich ihre Klage damit hauptsächlich gegen die unter Nr. 1 des ursprünglichen Bescheids verfügte Nutzungsuntersagung für die Wohneinheiten im 1. und 2. Obergeschoss sowie im unteren Bereich des Dachgeschosses, ferner gegen die unter Nr. 4 bis 6 verfügten Zwangsgeldandrohungen.
Der Änderungsbescheid des Landratsamtes vom 11. Mai 2016 hebt die Nutzungsuntersagung nur teilweise, nämlich nur für die vier Wohnungen im 1. und 2. Obergeschoss sowie für die im Dachgeschoss östlich gelegene Wohnung, und zudem nur bedingt auf, nämlich unter der Voraussetzung der Beibehaltung des Treppengerüsts, welches bis zur Gaube der genannten östlichen Dachgeschosswohnung führt. Da die Antragstellerin erkennbar auch die Auferlegung dieser Bedingung für nicht erforderlich und daher für rechtswidrig hält, ist es konsequent, dass sie ihre Klage gegen Nr. 1 des Bescheids vom 15. April 2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 11. Mai 2016 aufrechterhält. Missverständlich ist hingegen, dass ihr mit Schriftsatz vom … Juni 2016 geänderter Antrag auf die Aufhebung „des Bescheids des Landratsamtes Rosenheim vom 15. April 2016“ abzielt, während ihr ursprünglicher Klageantrag die Aufhebung dieses Bescheids „mit Ausnahme der Ziff. 2 a + b“ umfasste. Bei verständiger Auslegung des geänderten Antrags gemäß § 88 VwGO ist jedoch davon auszugehen, dass die Antragstellerin ihre ursprüngliche Antragsbeschränkung auch im geänderten Klageantrag beibehalten will. Aus der Begründung zu ihrem geänderten Klageantrag ergibt sich nichts, was darauf hindeuten könnte, dass sie nun doch eine Überprüfung der – im Übrigen nunmehr ihr gegenüber bestandskräftig gewordenen – Anordnungen begehrt, für das Schlossgebäude einen prüffähigen Brandschutznachweis vorzulegen (Nr. 2 a im Bescheid v. 15.4.2016) und sämtliche Brandlasten im Bereich des Treppenhauses des Erdgeschosses zu entfernen (Nr. 2 b im ursprünglichen Bescheid).
3. Die vom Landratsamt auf Art. 54 Abs. 4 BayBO gestützte Nutzungsuntersagung ist nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes notwendigen und ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich zu Recht erfolgt.
3.1 Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs begegnet in formeller Hinsicht keinen rechtlichen Bedenken. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Auch wenn hieran nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen, genügt eine nur formelhafte Begründung nicht. Es bedarf der Angabe besonderer, auf den konkreten Fall bezogener Gründe, die die Behörde zum Ausschluss des Suspensiveffekts bewogen haben (BayVGH, B. v. 26.3.2008 – 20 CS 08.421 – juris Rn. 20; B. v. 20.2.2015 – 20 CS 15.56 – juris Rn. 5). Diesen Erfordernissen wurde Rechnung getragen, insbesondere ist das Landratsamt auf die besondere Gefahr für Leben und Gesundheit der Bewohner im Schlossgebäude eingegangen, der auch mit Sofortmaßnahmen nicht wirksam begegnet werden könne.
3.2 Die Nutzungsuntersagung der Wohnungen im 1. und 2. Obergeschoss sowie im Dachgeschoss des Schlossgebäudes durfte nach überschlägiger Prüfung vom Landratsamt auf der Grundlage von Art. 54 Abs. 4 BayBO ausgesprochen werden. Da diese Anordnung sich im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird, konnte das Landratsamt im Änderungsbescheid durch die bedingte Aufhebung der Nutzungsuntersagung für fünf der sechs von der ursprünglichen Anordnung erfassten Wohnungen eine demgegenüber geringer in die Rechte der Antragstellerin eingreifende Anordnung treffen und dadurch dem Umstand Rechnung tragen, dass sie durch das Aufstellen eines Treppengerüstes provisorisch einen Rettungsweg zumindest für diese fünf Wohnungen hergestellt hat.
Zwar ist die Nutzung des Anwesens der Antragstellerin als Wohngebäude nach überschlägiger Prüfung bestandskräftig bauaufsichtlich genehmigt, so dass die Nutzungsuntersagung durch die speziellere Vorschrift des Art. 76 Satz 2 BayBO nicht gedeckt wäre, doch können zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit auch bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen gemäß Art. 54 Abs. 4 BayBO notwendige Anforderungen gestellt werden (vgl. Jäde, Die neue Bayerische Bauordnung, Stand: Januar 2016, Art. 54 Rn. 214). Durch die Feststellungen im Aktenvermerk über die Baukontrolle vom 13. April 2016 und im angefochtenen Bescheid ist hinreichend dargelegt, dass die drei oberen, zu Wohnzwecken genutzten Stockwerke (1. und 2. Obergeschoß sowie untere Ebene im Dachgeschoß) im Schlossgebäude – jedenfalls ohne Anbringung der Außentreppe – brandschutztechnischen Anforderungen nicht genügen und die Nutzungsuntersagung deshalb der Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit der Bewohner dient.
Die Baukontrolle am 13. April 2016 hat ergeben, dass der erste bauliche Rettungsweg mangelhaft ist und im Brandfall mit großer Wahrscheinlichkeit versagen wird. Das Treppenhaus und der Flur sowie die Wohnungen widersprechen nach dieser Baukontrolle aufgrund ihrer Mängel den einschlägigen Vorschriften der Art. 31 ff. BayBO. Im Aktenvermerk über die Baukontrolle vom 13. April 2016 ist zudem festgehalten, dass bei den Wohnungen vollwandige, selbstschließende Türen gemäß Art. 33 Abs. 6 BayBO fehlen und dass es keine Entrauchungsmöglichkeiten und Lüftungen gemäß Art. 33 Abs. 8 BayBO gibt. Zum anderen ist in diesem Aktenvermerk festgehalten, dass ein zweiter baulicher Rettungsweg nicht vorhanden ist. Nach der bei überschlägiger Prüfung nachvollziehbaren Auffassung des Antragsgegners ist aus diesem Grund im Dachgeschoss aufgrund der Höhe keine Rettung über Geräte der Feuerwehr im Sinne von Art. 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 BayBO möglich. Die Fenster im 1. und 2. Obergeschoss können zwar über eine Steckleiter erreicht werden, wegen der zu geringen Fensterflügelgröße mit etwa 45 cm ist bei der überwiegenden Anzahl der vorhandenen Fenster die von Art. 35 Abs. 4 BayBO geforderte Mindestbreite von 60 cm aber nicht vorhanden und deshalb eine Rettung im vorgegebenen Zeitraum für alle Bewohner nicht möglich.
Die Einwände der Antragstellerin gegenüber diesen Feststellungen sind nicht durchgreifend. Allein die Absicht, Mittelstege der Fenster beweglich zu machen oder die Möglichkeit, diese im Gefahrfall herauszubrechen, ist für eine gesicherte Rettung sämtlicher Bewohner im Brandfall nicht ausreichend. Ihr Einwand, jedenfalls die Badfenster im Dachgeschoss und im 1. Obergeschoss hätten keine Mittelpfosten, bei Öffnung beider Fensterflügel hätten sie eine ausreichende Öffnung und seien als Rettungswege geeignet, ist nach den in den Akten enthaltenen Fotos von außen her nicht unzweifelhaft und sicher erkennbar. Auch deswegen ist im Brandfall allein durch diese Fenster eine sichere und schnelle Rettung aller Bewohner der oberen Stockwerke nicht möglich. Dass die Fenster im Schlossgebäude unter Denkmalschutz stehen und eine Veränderung der Fenster genehmigungspflichtig ist, ist ebenfalls kein Umstand, der der Rechtmäßigkeit einer Anordnung nach Art. 54 Abs. 4 BayBO in der vom Landratsamt getroffenen Weise entgegenstünde.
Der Vortrag der Antragstellerin, eine Rettung aus dem Dachgeschoss sei durch eine Leiter auf dem darunter liegenden Balkon sichergestellt, steht im Widerspruch zu den in den Akten enthaltenen Fotos, die der Baukontrolleur des Landratsamtes am Tag der Baukontrolle (13.4.2016) vom Schlossgebäude aufgenommen hatte. Auf den Fotos (Bl. 117 und 118 BA) ist die (vom Kontrolleur mit „Ansicht Ost“ beschriebene) Ansicht der Westwand des Gebäudes mit dem Balkon mit Brüstungshöhe 11,20 m festgehalten. Auf diesen und auch auf sonstigen Fotos zur Außenfassade des Schlossgebäudes ist keine Leiter zu sehen, die eine Rettung aus dem Dachgeschoss sicherstellt. Eine Abstimmung einer solchen Anbringung einer Leiter mit der Gemeinde und der Feuerwehr ist sinnvoll, jedoch nicht ausreichend für die Sicherstellung eines (provisorischen) Rettungswegs, ebenso wenig eine Begehung mit dem Bürgermeister der Gemeinde, einem Brandschutzberater und einem Vertreter der Feuerwehr. Auch der handschriftliche Eintrag „Ersatzmaßnahmen abgestimmt und ausgeführt“ auf einer von der Antragstellerin dem Gericht übersandten Kopie einer Anordnung der Verwaltungsgemeinschaft vom … August 2011 helfen nicht über die Tatsache hinweg, dass zum Zeitpunkt der Baukontrolle am 13. April 2016 eine solche Leiter offensichtlich nicht vorhanden war. Zudem fehlt es an jedem Nachweis dafür, dass eine solche Leiter gegebenenfalls den notwendigen Voraussetzungen nach Art. 33 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 BayBO genügt.
3.3 Die Ermessensausübung im Bescheid vom 15. April 2016 begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Die von der Antragstellerin geltend gemachten Verstöße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sind nicht erkennbar. Insbesondere hat das Landratsamt auch geprüft, ob mildere Mittel möglich sind und hat aus diesem Grund einen Änderungsbescheid erlassen, in dem es unter der Bedingung der Beibehaltung des hergestellten Treppengerüsts die Nutzungsuntersagung für fünf der sechs von der Nutzungsuntersagung ursprünglich erfassten Wohnungen aufgehoben hat. Zu Recht ist das Landratsamt im Bescheid vom 15. April 2016 davon ausgegangen, dass die Nutzungsuntersagung erforderlich ist, weil es kein milderes Mittel gibt, das in einem – vor dem Hintergrund der Gefahrenlage angemessenen – vergleichbaren Zeithorizont zu diesem Ergebnis führt. Es hat auch zu Recht angenommen, dass mögliche Baumaßnahmen am Gebäude angesichts der bestehenden erheblichen Gefahr nicht abgewartet werden können.
Auch die Auffassung des Landratsamtes, dass die Nutzungsuntersagung zumutbar und nicht übermäßig ist, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere hat es den Umfang der Untersagung auf das im Hinblick auf die Gefahrensituation erforderliche Maß eingegrenzt und die Wohnungen im Erdgeschoß nicht erfasst. Dass das Landratsamt nach Aktenlage offensichtlich zuvor über Jahre hinweg nicht bauaufsichtlich gegen die Verantwortlichen des Schlossgebäudes tätig geworden ist, hindert das Vorgehen mit Bescheid vom 15. April 2016 nicht; insbesondere wird das Recht zu bauaufsichtlichem Einschreiten nicht verwirkt.
Auch unabhängig von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache führt eine Abwägung der widerstreitenden Interessen dazu, dass der Sofortvollzug der Nutzungsuntersagung gerechtfertigt ist. Auch wenn man berücksichtigt, dass aufgrund der ursprünglich ausgesprochenen Nutzungsuntersagung sechs Wohnungen von den Bewohnern in kürzester Zeit verlassen werden mussten, ist es nicht zu beanstanden, dass die Nutzung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache untersagt wird, weil sich die insoweit gefährdeten höchstrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit gegenüber den wirtschaftlichen Interessen der die Wohnungen vermietenden Antragstellerin durchsetzen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Landratsamt mit Änderungsbescheid vom 11. Mai 2016 unter der Bedingung der Beibehaltung des Treppengerüsts die Nutzungsuntersagung für fünf der sechs zunächst nutzungsuntersagten Wohnungen aufgehoben hat.
4. Auch gegen die in Nr. 4 bis 6 des Bescheids vom 15. April 2016 ausgesprochenen Zwangsgeldandrohungen ist rechtlich nichts zu erinnern. Insbesondere sind sie unter Setzung einer Frist für die Befolgung der Nutzungsuntersagung und der unter Nr. 2 b ausgesprochenen Maßnahme erfolgt, während in Nr. 2 a bereits eine Frist enthalten ist. Damit folgt das Landratsamt der Regelung in Art. 36 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG), wonach für die Erfüllung der zwangsgeldbewährten Verpflichtung eine Frist zu bestimmen ist, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann.
Ebenso wenig ist rechtlich an der Bestimmung der Antragstellerin als Kostenschuldnerin (Nr. 7) und der Festlegung einer Bescheidsgebühr i. H. v. 200,- Euro (Nr. 8) etwas auszusetzen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. Nr. 1.5, 1.7.1 und 9.4 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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