Verwaltungsrecht

Obdachlosenunterbringung, Corona-Pandemie, Einzelzimmer, Abstandsgebot, hohes Lebensalter

Aktenzeichen  4 CE 21.897

Datum:
12.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9503
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 8 E 20.2247 2021-02-24 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt W., für eine noch zu erhebende Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. Februar 2021 wird abgelehnt.

Gründe

Der von der Antragstellerin innerhalb der Beschwerdefrist gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Beschwerde gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Antragstellerin kann von der Antragsgegnerin unter den derzeitigen Umständen nicht die Bereitstellung eines Einzelzimmers im Rahmen der Obdachlosenunterbringung verlangen.
Wie bereits das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Entscheidung des Senats vom 17. Februar 2021 (Az. 4 CE 21.36) ausgeführt hat, gebietet das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in der Regel auch in Zeiten der Corona-Pandemie nicht, dass Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen leben und keine individuellen Risikofaktoren aufweisen, in Einzelzimmern untergebracht werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn in der Einrichtung ein ausreichendes Hygienekonzept besteht und dieses auch tatsächlich eingehalten werden kann.
Ein solches Konzept, das mittlerweile fortentwickelt worden ist, hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 16. November 2020 vorgelegt. Wie sich aus ihren ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 24. Februar 2021 ergibt, werden in den drei Zimmern der Frauenunterkunft aufgrund der Corona-Pandemie derzeit jeweils maximal zwei Personen in Einzelbetten untergebracht, wobei die Betten aufgrund der Zimmergröße mit dem notwendigen Abstand positioniert werden können; bei Bedarf kann dazwischen zusätzlich eine Folientrennwand angebracht werden. Die Zimmer dürfen nur von den Bewohnern betreten werden; anderen Personen kann im Bedarfsfall von der Leitung der Zutritt erlaubt werden. In den Gemeinschaftsbereichen ist das Tragen einer FFP2-Maske verpflichtend vorgeschrieben.
Diese Regelungen entsprechen den Vorgaben des Landratsamts als der für örtliche Infektionsschutzmaßnahmen zuständigen Behörde (§ 28 Abs. 1 12. BayIfSMV i.V.m. § 65 Satz 1 ZustV); sie orientieren sich weitgehend am Rahmenhygienekonzept Asylunterkünfte der Bayerischen Staatsministerien des Innern, für Sport und Integration und für Gesundheit und Pflege vom 23. September 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 553). Danach ist bei Unterkünften dieser Art zwar grundsätzlich auf eine gelockerte Belegung zu achten. Da ein Wechsel der Zimmerbelegung möglichst vermieden werden soll, können die Bewohner eines Zimmers aber wie ein Hausstand im Sinne der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung behandelt werden. Wie in anderen Gemeinschaftseinrichtungen obliegt es somit auch den Nutzern der gemeindlichen Obdachlosenunterkünfte, während ihres Aufenthalts in den gemeinschaftlich genutzten Räumen die in der Corona-Pandemie notwendigen Hygieneregeln einzuhalten, um sich selbst und andere vor dem Corona-Virus zu schützen.
Soweit die Antragstellerin demgegenüber in ihrem Prozesskostenhilfeantrag auf (unveröffentlichte) Eilentscheidungen des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Oder (B.v. 30.6.2929 – 4 K 240/20) und des Verwaltungsgerichts Potsdam (B.v. 3.7.2020 – 8 L 444/20.A) verweist, folgt daraus keine andere rechtliche Beurteilung. Das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder ging, wie sich aus den zitierten Entscheidungsgründen ergibt, aufgrund eines Ortsaugenscheins davon aus, dass die Unterbringung des damaligen Antragstellers mit zwei weiteren Personen in einem Zimmer gegen den nach der brandenburgischen SARS-CoV-2-Umgangsverordnung einzuhaltenden Mindestabstand von 1,5 m verstieß. Von einem vergleichbaren Rechtsverstoß kann im vorliegenden Fall schon deshalb keine Rede sein, weil das in der aktuell geltenden Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung enthaltene generelle Abstandsgebot (§ 1 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV) nur als programmatischer Appell und nicht als ein zwingendes und ggf. durchsetzbares rechtliches Gebot zu verstehen ist, wie schon das Fehlen einer Bußgeldbewehrung zeigt (vgl. BayVGH, B.v. 26.5.2020, 20 NE 20.1065 – juris Rn. 27 m.w.N.). Anders als in dem angeführten Bezugsfall geht es bei der Antragstellerin auch nicht um eine Dreifachbelegung, sondern nur um die (mögliche) Belegung mit einer weiteren Person in einem 21 m² großen Raum, so dass die Einhaltung des empfohlenen Abstands von 1,5 m ohne weiteres möglich ist.
Bei der Antragstellerin liegen nach bisherigem Erkenntnisstand auch keine speziellen persönlichen Umstände vor, die eine Unterbringung zusammen mit einer anderen weiblichen Person als unzumutbar erscheinen ließe. Ihr Alter von 73 Jahren stellt für sich genommen noch kein zwingendes Hindernis für die gemeinsame Nutzung des Wohn- und Schlafraums in der Obdachloseneinrichtung dar, auch wenn in dieser Altersgruppe im Falle einer Infektion mit dem Corona-Virus eine höhere Wahrscheinlichkeit eines schwerwiegenden Krankheitsverlaufs besteht als bei jüngeren Menschen. Dass die Antragstellerin aufgrund einer bestehenden Vorerkrankung in besonderer Weise gefährdet wäre und insoweit einer speziellen Risikogruppe angehören würde, ist weder von ihr vorgetragen worden noch aus den Umständen ersichtlich. Der im Prozesskostenhilfeantrag geäußerte Wunsch, nicht mit einer fremden Person im selben Raum untergebracht zu werden, sondern zur Wahrung der Intimsphäre eine Rückzugsmöglichkeit zu besitzen, unterscheidet die Antragstellerin nicht von jüngeren Obdachlosen und begründet daher auch für sie keinen Anspruch auf Zuweisung eines Einzelzimmers. Entgegen den Ausführungen im Prozesskostenhilfeantrag war die Antragsgegnerin im Übrigen nicht verpflichtet, zunächst Erwägungen über die mögliche Dauer der Obdachlosigkeit anzustellen und erst aufgrund einer solchen „perspektivischen Wertung“ über die konkrete Art der Unterbringung zu entscheiden.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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