Verwaltungsrecht

Offensichtlich unbegründeter Asylantrag eines senegalesischen Asylbewerbers, der im Klageverfahren behauptet, malischer Staatsangehöriger zu sein

Aktenzeichen  M 21 K 16.30104

Datum:
15.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a
AsylG AsylG § 3, § 3a, § 3e, § 4, § 29a, § 34
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Trägt ein Asylbewerber vor, neben seiner urspünglich angegebenen Staatsangehörigkeit eine weitere Staatsangehörigkeit zu besitzen, kommt wegen des Prinzips der Subsidiarität, das sowohl dem Asylrecht als auch dem Flüchtlingsrecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu Grunde liegt, eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nicht in Betracht, wenn er bereits den Schutz eines dieser Staaten in Anspruch nehmen kann (vgl. BVerwG BeckRS 2005, 28779). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Verfolgungshandlungen müssen eine bestimmte Schwere besitzen, um als asylerheblich im Sinne von § 3a AsylG qualifiziert werden zu können oder den Schluss zuzulassen, durch sie drohe dem Betroffenen ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG. Hierfür reicht ein behaupteter einmaliger Angriff auf den Betroffenen nicht aus. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Der Hinweis eines Asylbewerbers auf die allgemeine Lage im Senegal und die dortige Bedeutung der Marabouts ersetzt den erforderlichen Vortrag zur erfolglosen Inanspruchnahme staatlichen Schutzes nicht. (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die Integrationsbereitschaft eines Asylbewerbers ist im Hinblick auf die asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Maßgabe von § 34 AsylG ohne Belang. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Im Hinblick auf die durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 28. August 2013 (BGBl. 2013 I S. 3474 ff.) sowie durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. 2015 I S. 1722 ff.) geänderten bzw. neuen Vorschriften des Asylgesetzes (AsylG) und des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie unter Berücksichtigung des erkennbar gewollten Rechtsschutzziels ist die Klage gemäß § 88 VwGO dahin auszulegen, dass – neben der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids – die Verpflichtung der Beklagten begehrt wird, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen (Art. 16a GG), hilfsweise dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG oder hilfsweise subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen sowie (weiter hilfsweise) nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Ferner ist bei gebotener Auslegung davon auszugehen, dass sich der Klageantrag nicht auf die Aufhebung der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 7. bezieht. Anhaltspunkte dafür, dass eine – mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässige – isolierte Aufhebung der Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG (ausführlich m.w.N. VG München, B.v. 19.1.2016 – M 21 S. 16.30019) mitumfasst sein soll, bestehen nicht.
Die Klage ist mit diesem Rechtsschutzziel zulässig, aber offensichtlich unbegründet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet – mit der Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung (§ 78 Abs. 1 AsylVfG) – voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3; B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18). Da dem Asylgesetz ein einheitlicher Begriff der offensichtlichen Unbegründetheit zu Grunde liegt, ist die Bestimmung des § 30 AsylG grundsätzlich auch für das gerichtliche Verfahren maßgeblich.
Entsprechend diesem Maßstab ist offensichtlich, dass die Entscheidung des Bundesamtes rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt zunächst der Begründung des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen sowie auf die Gründe des Beschlusses vom 2. März 2016 Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin: Maßgeblich für die Prüfung eines Asylantrags ist der Herkunftsstaat (Land der Staatsangehörigkeit des Ausländers). Der Kläger hat nach eigenen Angaben (Teil 1 der mit dem Kläger bei der Anhörung vor dem Bundesamt abgeglichenen Niederschrift zu seinem Asylantrag) die Staatsangehörigkeit Senegals. Das wurde von ihm auch durch die im Klageverfahren geltend gemachte Geburt in Mali nicht in Frage gestellt. Eine Einbeziehung Malis in die Prüfung von asylrechtlichen Abschiebungsschutz ist im Hinblick auf eine möglicherweise zusätzlich bestehende malische Staatsangehörigkeit des Klägers nicht veranlasst. Wegen des Prinzips der Subsidiarität, das sowohl dem Asylrecht als auch dem Flüchtlingsrecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu Grunde liegt, kommt bei Personen, die zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nicht in Betracht, wenn sie den Schutz eines dieser Staaten in Anspruch nehmen können (BVerwG, B.v. 14.6.2005 – 1 B 142/04 – juris Rn. 4).
Nach § 29a Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG – einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat – als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht.
Art. 16a Abs. 3 GG und die entsprechende Regelung in § 29a AsylG beinhalten eine Arbeitsteilung zwischen dem Gesetzgeber und den Behörden und Gerichten. Indem der Gesetzgeber nach vorhergehender Prüfung einzelne Staaten bestimmen kann, in denen gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet, wird ihm ein Ausschnitt aus der von Art. 16a Abs. 1 GG geforderten umfassenden Prüfung übertragen, die ansonsten dem Bundesamt und den Gerichten obläge (BVerfG, U.v. vom 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – NVwZ 1996, 691 = juris Rn. 65). Für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat muss Sicherheit vor politischer Verfolgung (und dementsprechend auch vor unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung) landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 a.a.O. – juris Ls 2 und Rn. 71). Stellt der Gesetzgeber nach dieser Prüfung fest, dass ein bestimmter Herkunftsstaat sicher im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG ist, sind Bundesamt und Gerichte hieran bei der Prüfung des Einzelfalls gebunden und haben den Asylantrag grundsätzlich – mit der Folge der Ablehnung als offensichtlich unbegründet – zu behandeln. Das Bundesamt und – vorbehaltlich der durch Art. 100 GG gezogenen Grenzen – auch die Gerichte haben nur zu prüfen, ob der einzelne Asylbewerber Tatsachen vorgetragen hat, welche entgegen der Vermutung, die an seine Herkunft aus einem sicheren Staat anknüpft, die Annahme begründen, er werde dort gleichwohl politisch verfolgt (BVerfG, U.v. vom 14.5.1996 a.a.O. – juris Rn. 65).
Zur Ausräumung der Vermutung ist nur ein Vorbringen zugelassen, das die Furcht vor politischer Verfolgung auf ein individuelles Verfolgungsschicksal des Klägers gründet. Dabei kann er zwar seine Furcht vor politischer Verfolgung auch dann auf ein persönliches Verfolgungsschicksal stützen, wenn dieses seine Wurzel in allgemeinen Verhältnissen hat. Erforderlich ist aber stets, dass der Asylbewerber die Umstände seiner politischen Verfolgung schlüssig und substantiiert vorträgt (BVerfG, U.v. 14.5.1996 a.a.O. – juris Rn. 97, 98).
Der Kläger hat die gesetzliche Vermutung in § 29a AsylG nicht durch einen schlüssigen Vortrag eines individuellen Verfolgungsschicksals erschüttert. Der Sachvortrag des Klägers lässt – unabhängig von Fragen der Glaubwürdigkeit – bereits keine Handlungen erkennen, die asylerheblich sind. Handlungen müssen von einer bestimmten Schwere sein, um eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG oder einen ernsthaften Schaden im Sinne von § 4 AsylG darzustellen. Der einmalige Angriff auf den Kläger Anfang 2012 genügt hierfür nicht. Ein weiter gehendes individuelles Verfolgungsschicksal hat der Kläger nicht vorgetragen. Im Übrigen wäre der Kläger gegenüber einer Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure (§ 3c Nr. 3 AsylG) auf die Inanspruchnahme der zuständigen staatlichen Organe im Senegal zu verweisen. Im Hinblick auf die Vermutungsregel des § 29a AsylG ist im Allgemeinen von einer Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit Senegals auch gegenüber asylerheblichen Repressionen Dritter auszugehen. Der Kläger hat entsprechenden Schutz nicht in Anspruch genommen. Der Hinweis auf die Allgemeine Lage und die Bedeutung von Marabouts ersetzt den erforderlichen Vortrag zur erfolglosen Inanspruchnahme von staatlichem Schutz nicht. Im Übrigen hätte der Kläger vor befürchteten weiteren Nachstellungen internen Schutz durch einen Umzug innerhalb von Dakar oder aus Dakar Weg erlangen können (§ 3e AsylG).
Der Kläger hat offensichtlich auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Zusammenhang mit den von ihm geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Aus der Menschenrechtskonvention leitet sich kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat ab, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Anderes kann nur in besonderen, hier nicht vorliegenden, Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff.).
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).
Entsprechend diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nicht vor.
Die im Klageverfahren vorgelegten Atteste beinhalten bereits keine Diagnose einer lebensbedrohlichen oder ähnlich schwerwiegenden Erkrankung.
Die Abschiebungsandrohung (mit dem Zielstaat Senegal) sowie die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende einwöchige Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist nach alledem nicht zu beanstanden. Die Integrationsbereitschaft des Klägers ist im Zusammenhang mit der asylrechtlichen Abschiebungsandrohung nach Maßgabe von § 34 AsylG ohne Belang. Der Ausreisefrist nach § 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG steht auch nicht entgegen, dass das Bundesamt bei der Tenorierung den Antrag auf subsidiären Schutz nicht ausdrücklich als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, obwohl die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet jedenfalls nach Maßgabe von § 30 Abs. 1 AsylG in der seit 6. August 2016 geltenden und mit Blick auf § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Fassung voraussetzt, dass auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes, einschließlich subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG, offensichtlich nicht vorliegen. Die unterbliebene Tenorierung des Offensichtlichkeitsausspruchs hinsichtlich subsidiärem Schutz ist jedoch unschädlich, wenn sich der Wille zur Ablehnung des gesamten Asylantrags als offensichtlich unbegründet – wie vorliegend – bereits aus dem restlichen Tenor sowie ergänzend aus der Rechtsbehelfsbelehrung:sowie aus der Begründung ergibt (vgl. VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Schließlich ist auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG ermessensfehlerfrei angeordnet worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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