Verwaltungsrecht

Personenzusammenschluss alten Rechts; Aufhebung der Vertretungsbefugnis der Gemeinde

Aktenzeichen  3 K 34/20, 3 K 34/20 Ge

Datum:
10.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Gera 3. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGGERA:2021:0610.3K34.20.00
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Die Aufhebung der Vertretungsbefugnis der Gemeinde über einen Personenzusammenschluss alten Rechts kommt nur beim Nachweis der tatsächlich sichergestellten Vertretung durch die Eigentümer aller Grundstücke in Betracht.(Rn.34)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des festgesetzten Betrages abwenden, wenn der Beklagte nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Aufhebung der Vertretungsbefugnis der Gemeinde T… für die im Grundbuch von T… Blatt 1 als Eigentümerin der Flurstücke mit den laufenden Nummern a-j eingetragene Altgemeinde T….
Mit Schreiben vom 6. April 2010 beantragte der Kläger beim Amt für Landentwicklung und Flurneuordnung in G…, die Vertretungsbefugnis für den altrechtlichen Personenzusammenschluss der Altgemeinde T…, hinsichtlich der im Grundbuch von T… Blatt 1, Flurstücke a-j genannten Grundstücke, aufzuheben. Zum Nachweis dafür, dass gemäß Art. 233 Abs. 4 letzter Satz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) die anderweitige Vertretung des Personenzusammenschlusses sichergestellt sei, legte der Kläger das Beschlussprotokoll der Versammlung zur „Reaktivierung der Altgemeinde T…“ vom 24. Februar 1995 vor.
Mit Schreiben des Amts für Landentwicklung und Flurneuordnung in G… vom 13. April 2010 wurde dem Kläger u.a. mitgeteilt, dass aus den im Grundbuch genannten Folio-Nummern des die Altgemeinde begründenden Lehnscheins aus dem Jahre 1832 nicht automatisch auf die heutigen Hausnummern der Gemeinde T… geschlossen werden könne und die Vertretung der Altgemeinde durch ihn als Vorsteher nicht ausreichend nachgewiesen sei.
Daraufhin übersandte der Kläger am 22. April 2010 zum Nachweis der Vertretungsbefugnis der Altgemeinde die notariell beglaubigten Unterschriften von ihm selbst sowie Herrn … … G… als dessen Stellvertreter. Zudem legte er eine auf den 24. Februar 1995 datierte Satzung der Altgemeinde T…vor, in welcher der Zweck der Altgemeinde als Vermögensgemeinschaft die kollektivierte Eigentumsausübung zur Organisation und Verwaltung der Bewirtschaftung und Nutzung sowie der Erhalt ihrer Flächen definiert wird. Beigefügt war eine Bestätigung der Satzung durch die derzeitigen Bewohner der Hausnummern …, … sowie … der Gemeinde T…. Weiterhin übersandte der Kläger die Kopie eines Gerichtsurteils des Thüringischen Landgerichts in Altenburg vom 16./17. Mai 1925 aus dem sich ergebe, dass schon im Jahr 1925 eine gesamthänderische Vertretung der Altgemeinde T… möglich gewesen sei und daher auch die von dem Kläger vorgelegten Beschlüsse und Unterschriften der aus seiner Sicht heutigen Mitglieder der Altgemeinde für den Nachweis ihrer Konstitution und Vertretungsfähigkeit gegeben wären.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2016 teilte das Amt für Landentwicklung und Flurneuordnung dem Kläger mit, dass die notwendige Vertretung der Altgemeinde derzeit noch nicht sichergestellt sei. Dies setze zumindest voraus, dass sämtliche Mitglieder der historischen Altgemeinde an der Satzung sowie dem Beschluss zur Reaktivierung der Altgemeinde beteiligt gewesen seien. Hierzu hätten sämtliche Miteigentümer der Hofgrundstücke dem Beschluss zur Aufhebung der Vertretungsbefugnis zustimmen müssen.
Hierauf reagierte der Kläger mit Schreiben vom 17. April 2017 und teilte mit, dass er an seinem Antrag festhalte. Die Zweifel an der Vertretungsfähigkeit der Altgemeinde seien nicht gerechtfertigt. Der aktuelle Grundbuchauszug der Gemeinde nehme Bezug auf einen Lehnbrief von 1832. Die dort genannten Flurstücksnummern hätten sich seit dem damaligen Zeitpunkt verändert und die Anzahl der heutigen Altgemeindemitglieder daher verringert. Zudem seien bei der Beschlussfassung im Jahr 1995 alle vormals in dem Lehnschein genannten Güter respektive Häuser durch mindestens einen heutigen Mitbesitzer vertreten gewesen.
Mit Bescheid vom 21. Juli 2017 lehnte das Amt für Landentwicklung und Flurneuordnung den Antrag ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Aufhebung der Vertretungsbefugnis der Gemeinde T… über die Altgemeinde nicht vorlägen. Hervorzuheben sei, dass Eigentümer und Rechtsinhaber der im Grundbuch von T…, Blatt 1 eingetragenen Grundstücke nie die Altgemeinde T… gewesen sei, denn dieser Personenzusammenschluss sei niemals eine juristische Person gewesen und habe damit auch nicht Träger von eigenen Rechten und Pflichten sein können. Gleichzeitig müssten die heutigen Eigentümer der Häuser …der Gemeinde T… nicht automatisch als Rechtsnachfolger der in dem Lehnschein von 1832 aufgeführten Besitzer in Frage kommen. Sollte in der Vergangenheit Bruchteilseigentum gebildet worden sein, wofür die Angabe einzelner Anteile spreche, könnten auch die Erben bzw. Rechtsnachfolger der damaligen Eigentümer Rechteinhaber an den Gemeinschaftsgrundstücken geworden seien. Aber selbst wenn die Angabe von Anteilen nur irrtümlich erfolgt sei, stelle sich die Frage, ob der damalige Grundbesitz ungeteilt geblieben sei. Der Annahme, dass nur die Eigentümer der Haus- und Hofgrundstücke eine Mitberechtigung an den Gemeinschaftsgrundstücken hätten, könne nicht gefolgt werden. Die Gemeinschaftsgrundstücke hätten nicht nur den Wohngrundstücken der Mitglieder der Altgemeinde gedient, sondern auch der Bewirtschaftung und Nutzung ihrer übrigen Güter und Flächen. Ungeachtet dessen sei die Vertretungsbefugnis aber auch deswegen nicht aufzuheben, weil lediglich … der … in Frage kommenden Eigentümer der heutigen Flurstücke an der Satzung und Reaktivierung der Altgemeinde mitgewirkt hätten. Außerdem seien hinsichtlich einzelner Grundstücke nur einzelne Miteigentümer, nicht jedoch die Gesamtheit der Eigentümer mit der Aufhebung der Vertretungsbefugnis der Gemeinde einverstanden gewesen. Schließlich hätten die Unterschriften und Identitäten der jeweiligen Eigentümer notariell beurkundet werden müssen.
Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kläger fristgemäß mit Widerspruch vom 14. August 2017. Im Wesentlichen trug er vor, dass das Eigentum an den Altgemeindeflächen an die jeweiligen Besitzer der im Grundbuch angeführten Häuser gebunden gewesen sei. Das Eigentum der Mitglieder der Altgemeinde sei daher als Gesamthandeigentum zu bewerten. Insbesondere sei es irrelevant, dass nicht alle Bewohner der Hausgrundstücke zur Gründungsversammlung anwesend gewesen seien. Dem Kläger sei aus historischen Dokumenten bekannt, dass bei Beschlussfassungen hierauf nicht immer konsequent geachtet wurde. Deshalb reiche aus, dass zumindest ein Vertreter des jeweiligen Hauses bei der Versammlung zur Reaktivierung der Altgemeinde und dem Beschluss der Satzung anwesend gewesen sei. Die Zustimmung der Mitbesitzer sei durch die Anwesenheit eines Besitzers glaubhaft nachgewiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zugunsten des Widerspruchsführers sei zwar davon auszugehen, dass die Altgemeinde derzeit noch bestehe und nicht durch Gesetz oder sonstigen Akt aufgelöst worden sei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer Veränderung der Zahl der Mitglieder durch Güterteilung und Erbfälle gekommen sei. Es gebe heute in T… mehr Anwesen als früher. Wer also tatsächlich Mitglied der Altgemeinde ist und ob es eventuell noch andere derzeit unbekannte Eigentümer gibt, könne der Kläger nicht nachweisen. Daneben könne die Aufhebung der Vertretungsbefugnis nur einheitlich und einstimmig durch alle Berechtigten erklärt werden. Dies sei, da nicht alle (Anteils-)Eigentümer an der Beschlussfassung aus dem Jahr 1995 mitgewirkt hätten, nicht der Fall.
Mit der am 16. Dezember 2019 form- und fristgerecht erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel weiter. Er wiederholt im Wesentlichen seinen bereits im behördlichen Verfahren gemachten Vortrag und führt ergänzend aus, dass er als Bewohner des Hauses T…, D… …, gemäß dem Grundbuchblatt der Gemeinde auch Mitglied der Altgemeinde sei. Zudem könne er über seinen Anteil am Gesamthandeigentum der Altgemeinde nicht verfügen. Dementsprechend sei er in seinen Rechten verletzt. Im Übrigen sei es für die Mitgliedschaft in der Altgemeinde irrrelevant, dass im Laufe der Zeit durch Erbfälle oder Güterverteilung eine Veränderung der Zahl der Mitglieder der Altgemeinde stattgefunden haben könnte. Mitglied der Altgemeinde sei nur, wer derzeit ein Haus in dem Geltungsbereich der Altgemeinde bewohne.
Insbesondere reiche es aus, wenn lediglich ein Mitbesitzer bei der Reaktivierung der Altgemeinde sowie dem Erlass der Satzung anwesend gewesen sei. Bei der Altgemeinde handele es sich um eine historische Einrichtung. Als sie gegründet worden sei, habe es noch eine patriarchalische Gesellschaft gegeben und damals seien lediglich die Familienväter bzw. die Bauern bestimmungsberechtigt gewesen. Später habe sich dies zwar geändert und es seien auch die Frauen mitgekommen oder hätten die Vertretung ausgeübt. Jedenfalls sei eine Vertretung eines Hauses durch nur einen der Mitbesitzer in der Vergangenheit so gelebt worden.
Zwar seien 1995 die Eigentümer des Hauses Nr. … nicht anwesend gewesen. Aber darauf komme es auch nicht an, weil allein die Stellung als Besitzer maßgeblich sei. Nach dem Tod der Eigentümer habe das Anwesen damals leer gestanden. Die neuen Besitzer, die Familie B…, habe 1996 oder 1997 dem Beschlussprotokoll zugestimmt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Vertretungsbefugnis der Gemeinde T… über die Altgemeinde T… aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt Bezug auf den Ausgangs- und Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, dass nicht abschließend nachgewiesen sei, welche Personen Mitglieder der Altgemeinde T… seien. Hierfür sei erforderlich, dass sämtliche Mitglieder der Altgemeinde einstimmig eine Verfügung erklären oder eine Person zu ihrer Vertretung hinsichtlich des Gesamthandeigentums legitimieren. Dies sei bei den vom Kläger vorgelegten Unterlagen jedenfalls nicht zu erkennen. Außerdem könne es nicht darauf ankommen, wer nach dem heutigen Begriffsinhalt „Besitzer“ sei, auch wenn dies in den alten Urkunden gelegentlich mit dem Eigentümerverständnis des heutigen BGB gleichgesetzt werden würde. Es komme allein auf die gegenwärtigen Rechtsbegriffe an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie den Behördenvorgang (ein Ordner) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg.
1. Die Verpflichtungsklage ist zulässig.
Der Kläger, welcher im eigenen Namen – allerdings im Falle des Obsiegens mit Wirkung für und gegen alle Mitglieder der Altgemeinde – die Aufhebung der Vertretungsbefugnis der Gemeinde T… über die Altgemeinde erreichen will, ist klagebefugt.
Bei der Altgemeinde als Personenzusammenschluss alten Rechts handelt es sich nicht um eine eigenständige Rechtspersönlichkeit. Sie ist nicht selbst Träger der Eigentumsrechte, sondern lediglich Ausdruck einer gemeinschaftlichen Bezeichnung von Eigentumsberechtigten, ohne dass sie die einzelnen Berechtigten ausdrücklich benennt. Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei derartigen Interessentenschaften alten Deutschen Rechts um gesamthänderisch gebundene Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die sich der juristischen Person nähern. Sie sind ausnahmsweise ohne Bezeichnung ihrer Berechtigten grundbuchfähig (OLG Naumburg, Beschl. v. 01.10.2018 – 12 Wx 14/18 – juris m.w.N.).
Nach Art. 233 § 10 Abs. 4 Satz 2 EGBGB kann die Aufhebung der Vertretungsbefugnis allerdings von jedem Mitglied des Personenzusammenschlusses beantragt werden. Der Kläger ist als Teileigentümer des Grundstücks D… in … T… Mitglied des Personenzusammenschlusses der Altgemeinde T… und damit klagebefugt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29. August 2006 – 8 C 21/05 – juris Rn. 39).
2. Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid vom 21. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2019 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Aufhebung der Vertretungsbefugnis der Gemeinde T… über die Altgemeinde T… (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Die Altgemeinde T… stellt einen Personenzusammenschluss alten Rechts dar. Derartige Zusammenschlüsse sind aus den Vorschriften, wie z. B. der Preußischen Gemeinheitsteilungsordnung vom 7. Juni 1821 hervorgegangen. Im Rahmen der Gemeinheitsteilungen wurden nutzbare Grundstücke geschaffen, die den Teilnehmern des Auseinandersetzungsverfahrens durch einen abschließenden Auseinandersetzungs- oder Gemeinheitsteilungsrezess als Abfindungsflächen zu Alleineigentum zugeteilt wurden. Die durch die Teilnehmer nutzbaren Grundstücke dienten der Bewirtschaftung. Dabei handelte es sich um Wirtschaftswege, Gräben, Viehweiden, Waldungen, Tränkeplätze, Triften, Lehm- und Sandgruben, Steinbrüche etc. Sie wurden als gemeinschaftliche Anlagen und gemeinschaftliches Eigentum aller Grundbesitzer behandelt. Die durch den abschließenden Rezess ausgewiesenen Zweckgrundstücke blieben Gemeinschaftsvermögen der Personenzusammenschlüsse, die wiederum in ihrer Gesamtheit als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wurden. Es erfolgte dementsprechend keine namentliche Aufführung der Grundbesitzer (Böhringer, Auflösung der Personenzusammenschlüsse alten Rechts in Sachsen-Anhalt, NJ 2021, 9 f.).
Die Altgemeinde T… geht auf ein durch den Lehnschein vom 27. April 1832 erteiltes Nutzungsrecht an bestimmten Grundstücken zurück. Durch Ablösungsvertrag aus dem Jahre 1853 wurden die Lehnsverbindlichkeiten abgelöst und auf die „Besitzer der Güter resp. Häuser“ übertragen. Bei der Altgemeinde handelt es sich demnach um einen nach dem gesetzgeberischen Willen von Art. 233 § 10 EGBGB erfassten Personenzusammenschluss (vgl. zum eingeschränkten Anwendungsbereich der Vorschrift LG Stendal, Beschl. v. 4. März 1997 – 22 T 267/95 -, Leits. zitiert nach juris). Gemäß Art. 233 § 10 Abs. 1 EGBGB ist die Gemeinde T… ist damit gesetzliche Vertreterin der im Grundbuch eingetragenen Altgemeinde (Staudinger/Rauscher, Artikel 233 § 10 EGBGB, Rn. 4).
b) Rechtsgrundlage des begehrten Anspruchs auf Aufhebung der Vertretungsbefugnis ist Art. 233 § 10 Abs. 4 EGBGB. Steht ein dingliches Recht an einem Grundstück einem Personenzusammenschluss zu, dessen Mitglieder nicht namentlich im Grundbuch aufgeführt sind, ist nach Abs. 1 die Gemeinde, in der das Grundstück liegt, vorbehaltlich einer anderweitigen landesgesetzlichen Regelung gesetzliche Vertreterin des Personenzusammenschlusses und dessen Mitglieder in Ansehung des Gemeinschaftsgegenstandes. Die Vertretungsbefugnis der Gemeinde endet nach Art. 233 § 10 Abs. 4 Satz 2 EGBGB, wenn sie durch Bescheid der Flurneuordnungsbehörde aufgehoben wird und eine Ausfertigung hiervon zu den Grundakten des betroffenen Grundstücks gelangt. Die Flurneuordnungsbehörde hat dem Antrag zu entsprechen, wenn die anderweitige Vertretung des Personenzusammenschlusses sichergestellt ist (Satz 3).
Die Regelung des Art. 233 § 10 Abs. 4 EGBGB ist durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 1992 (BGBl I, S. 1257) eingefügt worden. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P. vom 28. April 1992 lagen die folgenden Erwägungen zu Grunde:
„Diese Personenzusammenschlüsse, die aus Vorschriften wie der Preußischen Gemeinheitsteilungsordnung vom 7. Juni 1821 hervorgegangen sind und durch das ZGB nicht aufgehoben wurden (§§ 2, 3, 6 EGZGB), bestehen gemäß Artikel 113 EGBGB fort. Die Organe dieses Personenzusammenschlusses sind nicht handlungsfähig, weil die sie tragenden Personen verstorben sind und eine Nachfolgeregelung nicht durchgeführt wurde. Für die ehemalige DDR stellte dies kein Problem dar, da Grundeigentum nicht von Bedeutung war und die LPG ein Nutzungsrecht an allen landwirtschaftlich genutzten Grundstücken hatte (§ 18 LPG-G 1982). Diese Lage hat sich grundlegend verändert. Handeln könnten heute nur die Organe, die dazu aber nicht in der Lage sind, zumal nicht bekannt ist, wer im einzelnen Mitglied des entsprechenden Personenzusammenschlusses ist. […] Die Auflösung solcher Personenzusammenschlüsse kann im Rahmen des Flurbereinigungs- oder Flurneuordnungsverfahrens erfolgen. Regelungen könnten auch durch das Landesrecht getroffen werden. In allen Fällen wären jedoch durch umfangreiche Nachforschungen die Mitglieder des Personenzusammenschlusses zu ermitteln.
Lösung: gesetzliche Vertretung des Personenzusammenschlusses
Um die entsprechenden Grundstücke schnell verfügbar zu machen, wird vorgesehen, daß die Gemeinde, in der das fragliche Grundstück liegt, zur Vertretung des Personenzusammenschlusses ermächtigt ist, bis landesrechtliche Regelungen zur Bereinigung der Verhältnisse erlassen werden. Eine ähnliche Regelung traf schon das preußische Gesetz, betreffend die durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten gemeinschaftlichen Angelegenheiten vom 2. April 1887 (Preuß. GS S. 105).“ (vgl. BT-Drs. 12/2480, S. 82)
Hintergrund dieser Bestimmung war somit der Umstand, dass in den neuen Ländern noch altrechtliche Personenzusammenschlüsse bestehen, denen als Gesamthandsgemeinschaften Rechte an Wegen und Grundstücken zustehen. Sie bestehen nach Art. 113 EGBGB fort und sind auch durch das Zivilgesetzbuch der DDR (vgl. §§ 2 Abs. 2, 15 EGZGB) nicht aufgelöst worden (vgl. BVerwG, Urt. v. 29. August 2006 – 8 C 21.05; vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 20. August 2002 – 11 U 179/01 – jeweils zitiert nach juris).
Eine andere als die in Art. 233 § 10 Abs. 1 Satz 1 EGBGB bestehende Regelung existiert im Freistaat Thüringen nicht, sodass die Gemeinde Vertreter der altrechtlichen Personenzusammenschlüsse bleibt, bis ihre Vertretungsbefugnis aufgehoben ist (vgl. insofern die in Sachsen-Anhalt geltende Rechtslage, wonach Personenzusammenschlüsse alten Rechts in Sachsen-Anhalt zum 31. Dezember 2021 aufgelöst werden, § 1 Abs. 1 Gesetzes über die Auflösung der Personenzusammenschlüsse alten Rechts in Sachsen-Anhalt).
c) Die Voraussetzungen des Anspruchs aus Art. 233 § 10 Abs. 4 EGBGB liegen nicht vor.
Zwar sind im Grundbuch von T… Blatt 1 als Eigentümer der Grundstücke mit den laufenden Nummern a-j
die Mitglieder der Altgemeinde, […] die Besitzer der Güter resp. Häuser: Fol. … oben und, Fol. … mit je ½ Anteil; Fol…. und … mit je 2/3 Anteilen, …oben und … unten mit je 1 ganzen Anteil, Fol … und …oben mit je ¼ Anteil, Fol. … unten mit je 2/9 Anteilen und Fol. … unten mit 4/9 Anteilen laut des Lehnscheins vom 27.04.1832
eingetragen. Eine namentliche Bezeichnung der Mitglieder fehlt.
Die Voraussetzungen für die Aufhebung dieser gesetzlichen Vertretungsbefugnis liegen gleichwohl nicht vor.
Die für die Aufhebung der Vertretungsbefugnis in Art. 233 § 10 Abs. 4 EGBGB geforderte Sicherstellung einer „anderweitigen Vertretung“ setzt voraus, dass die Organe des Personenzusammenschlusses neu gebildet worden sind. Dies schließt ein, dass die entsprechenden Organe durch den Personenzusammenschluss legitimiert sind. Hier hat der Kläger einen Beschluss über die „Reaktivierung der Altgemeinde“ sowie eine Satzung nebst Vertretungsregelung und seine Wahl zum Vorsteher des Vereins in Form von Ablichtungen vorgelegt.
Aus den vorgelegten Dokumenten ist nicht festzustellen, dass die satzungsmäßigen Vertretungsorgane zur Vertretung der im Grundbuch eingetragenen Altgemeinde T… berechtigt sind.
Weder der Lehnsbrief vom 23. April 1832 noch der Ablösungsvertrag aus dem Jahr 1853 enthalten Bestimmungen darüber, durch wen die Altgemeinde vertreten werden soll. Sie bestimmen vielmehr nur, welche Höfe, Güter und Häuser an den jeweiligen Flurstücken berechtigt sind.
Eine Vertretungsregelung lässt sich auch nicht dem vom Kläger vorgelegten Urteil des Thüringischen Landgerichts in Altenburg vom 16./17. Mai 1925 entnehmen, aus dem dieser eine Gesamthandgemeinschaft dergestalt ableiten will, dass die Altgemeinde aus insgesamt 15 Personen besteht. Vielmehr findet sich im Urteil lediglich die Nennung von einer Person als Kläger und weiteren 14 Personen als „Verklagte“, welche „als Mitglieder der Altgemeinde T…“ im Rubrum erwähnt werden. Das Urteil enthält jedoch keine Ausführungen dazu, ob diese genannten Personen auch als Gesamthandvertreter der Altgemeinde handelten oder ob sie überhaupt den gesamten oder nur einen Teil der Mitglieder der Altgemeinde darstellten.
Es ist für die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen, dass es sich bei den 15 Grundstückseigentümern, die am Erlass der Satzung bzw. dem Beschluss zur „Reaktivierung der Altgemeinde“ mitgewirkt haben, um sämtliche Mitglieder der altrechtlichen Altgemeinde handelt.
Der Kläger hat bisher bereits keinen Nachweis vorgelegt, dass sich die im Grundbuch benannten historischen Folio …bis … sowie …, …und … nur auf die Hausgrundstücke mit den gegenwärtigen Nrn. … beziehen. Dies lässt sich anhand der heutigen Grundbuchblätter nicht feststellen. Die Beklagte hat insofern in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass aufgrund der über den sehr langen Zeitablauf stattgefundenen Umschreibungen bzw. Teilungen der historischen, auf den jeweiligen Grundbuchblättern angegebenen Flurstücke, eine rechtssichere Zuordnung mit den heute bestehenden Flurstücken wohl nicht mehr möglich sei. Die Kammer kann aufgrund der vorliegenden Unterlagen jedenfalls nicht feststellen, welche heutigen Grundstücke mit der Aufzählung der Folio-Nummern erfasst werden. Der Kläger hat zwar vorgetragen, Einblick in die historischen Unterlagen beim Grundbuchamt S… sowie im Katasteramt P… genommen zu haben, diesbezügliche Nachweise hat er indes nicht vorgelegt.
Aber selbst wenn der Kläger nachweisen kann, dass sich die genannten Folio-Nummern auf die Grundstücke bezogen haben, auf denen heute die Wohnhäuser mit den Hausnummern … stehen, lässt sich hieraus noch nicht der Schluss ziehen, dass lediglich die Inhaber dieser Wohngrundstücke Mitglieder der Altgemeinde sind. Zwar benennt das Grundbuch für die Grundstücke mit den laufenden Nummern a-j als Mitglieder der Altgemeinde „die Besitzer der Güter resp. Häuser…“ Damit dürfte aber das gesamte damalige auf dem Grundstücksblatt angegebene Grundstück erfasst sein.
Spätere rechtsgeschäftliche Veräußerungen von den ursprünglich berechtigten Höfen zugehörigen Teilflächen oder Erbfolgen mit Realteilung können aber zu einem Übergang von Flächen und damit auch der Mitgliedschaft geführt haben. Dass die Nutzung der im Eigentum der Mitglieder der Altgemeinde liegenden Flächen ausschließlich und untrennbar nur mit dem Besitz – lediglich der Hofstelle verbunden sein soll, drängt sich nicht auf (vgl. hierzu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 25. April 2007 – 1 L 39/06 – juris Rn. 29). Vorliegend wird auf die „Güter resp. Häuser“ abgestellt. Die Benutzung des Wortes Güter deutet darauf hin, dass nicht allein die Hofstelle maßgeblich sein sollte. Dementsprechend bedarf es eines konkreten Nachweises, wer Inhaber der in den Folio-Nummern genannten gesamten Flächen ist.
Die heutigen Organe der Altgemeinde müssten damit von allen Personen bestellt werden, welche die gesetzlichen oder gewillkürten Rechtsnachfolger der im Ablösungsvertrag von 1853 genannten Grundstückseigentümer waren (Böhringer, NJ 2021, 10; BTDrucks 12/2480 S. 82 f.; OVG Saschen-Anhalt, Urt. v. 25. April 2007 – 1 L 39/06 – juris Rn. 29).
Dieser Nachweis lässt sich dem klägerischen Vortrag nicht entnehmen.
Selbst wenn zugunsten des Klägers anzunehmen wäre, dass sich der tatsächliche Umfang der Altgemeinde nur aus den Flurstücken, auf denen die Wohnhäuser mit den Hausnummern … errichtet sind, erstreckt, stellen auch die diesbezüglich vorliegenden Unterlagen keinen ausreichenden Nachweis für die Vertretung der Mitglieder der Altgemeinde dar, denn nicht sämtliche Rechtsinhaber waren an der Reaktivierung der Altgemeinde sowie dem Satzungsbeschluss beteiligt.
Zum Einen dürften allein die jeweiligen Eigentümer Mitglied der Altgemeinde sein. Die Auffassung des Klägers, es komme für die Mitgliedschaft in der Altgemeinde allein auf den Besitz der Häuser an, sodass deren Bewohner im Moment der Beschlussfassung zur Reaktivierung der Altgemeinde diese wirksam vertreten konnten, findet auch unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung keine Stütze.
Zwar benennt das Grundbuch die „Besitzer der Güter resp. Häuser“. Hieraus kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass damit auch der Besitz im heutigen Rechtssinne des BGB gemeint ist. Denn der Besitz stellt die bloße tatsächliche Sachherrschaft dar (vgl. BeckOK BGB/Fritzsche, 58. Ed. 1.5.2021, BGB § 854 Rn. 3 m.w.N. auf die st. Rspr. des BGH), wohingegen allein das Eigentum die grundsätzlich unbeschränkte Herrschaft über eine Sache und somit auch die Befugnis verleiht, diese etwa zum Mitglied eines grundbuchfähigen Personenzusammenschlusses zu machen.
Es ist nicht ersichtlich, dass der Erstellung des Lehnscheins 1832 das heutige Verständnis der Begriffe Besitz und Eigentum zugrunde lag. Unstreitig wurden erst mit dem Ablösungsvertrag aus dem Jahre 1853 die Lehnsverbindlichkeiten aufgelöst und die Grundstücke auf die „Besitzer der Güter resp. Häuser“ übertragen. In der Folge erlangten sie das Eigentum hieran. Angesichts dieser Entwicklung ist nicht erkennbar, dass nach der Erlangung des Eigentums der Bauern an den Grundstücken und dem Wegfall der Lehnseigenschaft trotzdem derjenige die Eigentümerrechte an den Zweckgrundstücken ausüben sollte, der lediglich in dem Augenblick die tatsächliche Sachherrschaft über eine in der Folio genannte Fläche ausübt.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass z.B. nicht die Verpachtung einer Wiese hinter dem Haus zu einer Erhöhung der Anzahl der Mitglieder der Altgemeinde führen sollte, wie dies beim Abstellen auf den Begriff des Besitzes der Fall wäre.
Des Weiteren würde das Abstellen auf den jeweiligen Besitzer der Flächen als Mitglied der Altgemeinde zu völlig unpraktikablen, nicht der Rechtssicherheit entsprechenden Ergebnissen führen. Der Besitzer ergibt sich weder aus öffentlichen Registern, noch muss er von einer gewissen Beständigkeit geprägt sein. Folgte man der Annahme, jeder Besitzer sei Mitglied der Altgemeinde, wäre damit eine unübersichtliche Mitgliederanzahl verbunden, welche möglicherweise ständigen Schwankungen unterworfen wäre. Für einen Dritten wäre nicht hinreichend sicher erkennbar, an wen er sich bei Ansprüchen gegen die Mitglieder der Altgemeinde wenden müsste. Angesichts des öffentlichen Glaubens an die Richtigkeit des Grundbuchs (§ 892 Abs. 1 BGB) und der Inhaberschaft der Mitglieder der Altgemeinde an dinglichen Rechten kann dies augenscheinlich nicht gewollt sein.
Zum Anderen haben aber nicht sämtliche Miteigentümer der Reaktivierung der Altgemeinde und der Satzung zugestimmt. Selbst wenn mit dem Kläger auf den Besitz abzustellen wäre, hätten auch nicht sämtliche Mitbesitzer eingewilligt.
Ausweislich der Grundbücher der betreffenden Hausgrundstücke und der vorgelegten Unterlagen wurde die Satzung für Haus … (Frau S… statt … S…), Haus … (Niemand), Haus … (…. S… statt … und … S…), Haus … (… X… allein statt zusätzlich … X…), Haus … (… M… allein statt zusätzlich … M…), Haus … (… R… allein statt zusätzlich … F…) und Haus … (… S… allein statt zusätzlich … S…) nicht vollständig durch alle Grundstücksmiteigentümer (bzw. Mitbesitzer) bestätigt. Dass die am 24. Februar 1995 anwesenden Mitglieder der Altgemeinde die abwesenden Miteigentümer (bzw. Mitbesitzer) vertreten hätten, lässt sich dem vorgelegten Unterschriftsblatt nicht entnehmen. Dass in der späteren Mitgliederversammlung noch andere Personen die Anwesenheitsliste unterschrieben haben, dokumentiert nicht, dass diese Personen die Satzung und die darin enthaltenen Vertretungsregelung bestätigt hätten. Damit sind hinsichtlich einzelner Grundstücke nur einzelne Miteigentümer (bzw. Mitbesitzer), nicht jedoch die Gesamtheit der Eigentümer (bzw. Mitbesitzer) in nachvollziehbarer Weise mit der Aufhebung der Vertretungsbefugnis der Gemeinde einverstanden gewesen.
Etwas anderes resultiert auch nicht aus der Ansicht des Klägers, dass zu Zeiten der Begründung der Altgemeinde eine patriarchalische Gesellschaftsordnung geherrscht habe und seinerzeit die Teilnahme des Haushaltsvorstands oder Familienvaters ausreichend für eine wirksame Zustimmung aller Eigentümer war. Grundlage des geltend gemachten Anspruchs des Klägers ist Art. 233 § 10 Abs. 4 EGBGB in seiner derzeit geltenden Fassung. Dieser enthält jedoch keine Regelung zur Vertretung von Mitgliedern des Personenzusammenschlusses, sodass auch nicht angenommen werden kann, dass, gewissermaßen stillschweigend, eine Vertretung eines Teileigentümers für eine Eigentümergemeinschaft anzunehmen wäre.
Demzufolge kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass alle Mitglieder der Altgemeinde T… bei der Regelung ihrer Vertretung mitgewirkt haben. Die Vertretung ist daher nicht im Sinne des Gesetzes „sichergestellt“.
II. Als Unterliegender hat der Kläger die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
IV. Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit zuzulassen. Bislang ist in Thüringen keine oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ersichtlich, welche Auskunft darüber gibt, welche Anforderungen an die Auslegung von Art. 233 § 10 EGBGB zu stellen sind.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 52 GKG).
Gründe
Das Gericht hat mangels anderer Anhaltspunkte den Regelstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG angenommen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben