Verwaltungsrecht

Pflicht zur Übernahme von Bestattungskosten auch für Angehörige im EU-Ausland

Aktenzeichen  M 12 K 16.258

Datum:
12.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BestG Art. 14 Abs. 2 S. 2, Art. 15
BestV § 1, § 15
VO (EG) Nr. 805/2004

 

Leitsatz

Wenn mehrere Beststattungspflichtige vorhanden sind, hat die in Vorleistung getretene Behörde die Bestattungskosten grundsätzlich gegenüber den Personen geltend zu machen, die dem Verstorbenen nach dem Grad der Verwandtschaft bzw. Schwägerschaft am nächsten stehen (Art. 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Hs. 2 BestG iVm § 15 S. 2 BestV). Ein diese “Soll-Vorschrift” durchbrechender atypischer Fall liegt vor, wenn es der Behörde nicht zumutbar ist, die Bestattungskosten von den vorrangig Bestattungspflichtigen einzufordern.       (redaktioneller Leitsatz)
Eine Geltendmachung der Bestattungskosten gegenüber den vorrangig Bestattungpflichtigen ist der Behörde u.a. nicht zumutbar, wenn die Vollstreckung einer Forderung im Ausland nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich ist.  (redaktioneller Leitsatz)
Der Europäische Vollstreckungstitel aufgrund der VO (EG) Nr. 805/2004 gilt nicht für öffentlich-rechtliche Forderungen. Die Bestattungspflicht und die hieran anknüpfende Kostentragungspflicht stellen öffentlich-rechtliche Forderungen dar, die durch das Zivilrecht nicht verdrängt werden (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 29180).  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtsgrundlage für den Bescheid ist Art. 14 Abs. 2 Satz 2 Bestattungsgesetz (BestG). Danach kann eine Gemeinde von einem Bestattungspflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen, wenn sie gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG für die Bestattung des Verstorbenen Sorge tragen musste, weil der nach § 15 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Bestattungsverordnung (BestV) Bestattungspflichtige seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist und Anordnungen nach Art. 14 Abs. 1 BestG nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgsversprechend gewesen sind.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Die Bestattung des Verstorbenen musste von der Beklagten von Amts wegen durchgeführt werden, da die von der Beklagten mit zumutbarem Aufwand ermittelten bestattungspflichtigen Angehörigen des Verstorbenen innerhalb der Bestattungsfrist des § 19 Abs. 1 BestV keinen Bestattungsauftrag erteilt haben und Anordnungen nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BestG nicht erfolgversprechend waren, nachdem die Ehefrau und die Kinder des Verstorbenen über das italienische Generalkonsulat haben ausrichten lassen, sich nicht um die Bestattung kümmern zu wollen, und auch der Kläger dies zu erkennen gegeben hat, indem er lediglich einen Wunsch zur Bestattungsart mitgeteilt und im Übrigen darauf verwiesen hat, kein Geld für eine Bestattung zu haben.
Als Bruder des Verstorbenen gehört der Kläger zum Kreis derjenigen Angehörigen, die gemäß Art. 15 Abs. 1 BestG i. V. m. §§ 15, 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 f BestV bestattungspflichtig sind.
Die Inanspruchnahme des Klägers scheitert auch nicht an Art.15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 BestG i. V. m. § 15 Satz 2 BestV, wonach die Gemeinde den Grad der Verwandtschaft bzw. Schwägerschaft berücksichtigen „soll“, wenn mehrere Bestattungspflichtige vorhanden sind. Verwaltungsrechtliche Sollvorschriften dieser Art sind im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betraute Behörde rechtlich zwingend und verpflichten sie, so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Nur wenn Umstände vorliegen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (BVerwG, U.v.2.7.1992 – 5 C 39.90 – BVerwGE 90, 275/278).
In den Fällen des Kostenersatzes nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG liegt ein atypischer Ausnahmefall dann vor, wenn es der Gemeinde nicht zumutbar ist, die Bestattungskosten von den vorrangig Bestattungspflichtigen einzufordern und einzutreiben.
Die Beklagte hat sich vorliegend bemüht, die Kosten der Ersatzvornahme von den vorrangig bestattungspflichtigen Angehörigen in Italien zu erlangen. Sie hat sowohl die Ehefrau des Verstorbenen (Schreiben vom 30. Oktober 2013) als auch dessen Söhne (Schreiben vom 30. Juni 2015) diesbezüglich angeschrieben und diese auf ihre Bestattungspflicht und die damit verbundene Kostentragungspflicht hingewiesen. Eine Reaktion hierauf ist jedoch nicht erfolgt.
Eine darüber hinausgehende Geltendmachung der Bestattungskosten gegenüber der Ehefrau und den Söhnen des Verstorbenen in Italien mittels Kostenbescheides war der Beklagten nicht zumutbar, weil die Vollstreckung einer öffentlich-rechtlichen Forderung im (europäischen) Ausland nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich ist. Mit der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen wurde zwar ein Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen für Zivil- und Handelssachen eingeführt. Für öffentlich-rechtliche Forderungen wie hier nach dem Bestattungsgesetz gilt diese Verordnung jedoch nicht. Es ist der Beklagten auch nicht zuzumuten, gegen die Ehefrau und die Söhne des Verstorbenen zunächst zivilrechtlich vorzugehen, um dann die Forderung vollstrecken zu können. Die Bestattungspflicht und die hieran anknüpfende Kostenerstattungspflicht stellen öffentlich-rechtliche Pflichten dar, die durch das Zivilrecht nicht verdrängt werden (BVerwG, B.v.19.8.1994 – 1 B 149/94 – juris Rn. 5). Es obliegt nicht der Beklagten, zivilrechtliche Regressansprüche gegenüber den Erben geltend zu machen und zu diesem Zweck weitergehende Nachforschungen zu betreiben, ob der Verstorbene weiteres Vermögen hinterlassen hat und wer Erbe geworden ist. Es obliegt vielmehr den für die Kosten der Bestattung in Anspruch genommenen Angehörigen, durch entsprechende Nachforschungen zu klären, ob zum Zeitpunkt des Todesfalls die für die Bestattung notwendigen Geldmittel vorhanden waren, so dass ggf. ein Rückgriffsanspruch gegenüber den Erben geltend gemacht werden kann (BayVGH, B.v. 8.6.2015 – 4 ZB 15.364 – juris).
Soweit Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG die Entscheidung in das Ermessen der Behörde stellt („kann“), handelt es sich um einen Fall des intendierten Ermessens, d. h. in der Regel ist nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei. Dies folgt aus der Zweckrichtung der Regelung in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG, wonach es regelmäßig ohne Ansehung der tatsächlichen persönlichen Beziehung des Pflichtigen zum Verstorbenen dem Interesse der Allgemeinheit an der rechtmäßigen, wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Steuergeldern entspricht, die durch die Gemeinde verauslagten Bestattungskosten vom Bestattungspflichtigen zurückzufordern. Einer Darlegung der Ermessenserwägungen bedarf es hier nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen könnten (BayVGH, B.v. 9.6.2008 – 4 ZB 07.2815 – juris Rn. 6). Solche außergewöhnlichen Umstände liegen hier nicht vor.
Auch die Höhe der geltend gemachten Kosten ist nicht zu beanstanden. Der Kläger ist gem. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG zur Erstattung der notwendigen Kosten der Bestattung verpflichtet. Notwendige Kosten der Bestattung sind sämtliche Kosten der Beklagten, die diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG aufwenden musste, um eine angemessene Bestattung in einfacher, aber würdiger und ortsüblicher Form zu gewähren (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 25.9.2001 – 1 S 974/01 – juris; a.A. VGH Baden-Württemberg, U.v. 15.11.2007 – 1 S 2720/06 – juris). Anhaltspunkte, dass die geltend gemachten Kosten nicht notwendig im Sinne o.g. Vorschrift wären, sind weder ersichtlich noch vorgetragen worden.
Der Anspruch der Beklagten ist auch nicht gem. Art. 71 Abs. 1 AGBGB erloschen. Danach erlöschen die auf eine Geldzahlung gerichteten öffentlich-rechtlichen Ansprüche einer bayerischen Gemeinde, soweit nichts anderes bestimmt ist, in drei Jahren, Art. 71 Abs.1 Nr.1 AGBGB. Die Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Berechtigte von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste, nicht jedoch vor Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Demnach hat die dreijährige Erlöschensfrist vorliegend mit dem Schluss des Jahres 2012 begonnen. Durch Erlass des streitgegenständlichen Bescheides vom 18. Dezember 2015, der dem Kläger am 22. Dezember 2015 zugestellt wurde, wurde das Erlöschen des Anspruchs zum Ende des Jahres 2015 gem. Art. 53 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz gehemmt.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 2.332,09 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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