Verwaltungsrecht

Politisch-wirschaftliche Lage an der Elfenbeinküste: Keine Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 2 K 17.33502

Datum:
23.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9927
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1 In der Elfenbeinküste besteht weder die Gefahr der Vollstreckung oder Verhängung einer Todesstrafe noch die Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch ohne formalen Schulabschluss ist ein gesunder, junger, arbeitsfähiger Mann in der Lage, sich in einer der zahlreichen Großstädte der Elfenbeinküste eine Existenz aufzubauen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Beteiligten verhandelt werden konnte, ist unbegründet.
Der Bundesamtsbescheid vom 21. September 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Es liegen keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Ausreiseaufforderung unter Androhung der Abschiebung in die Elfenbeinküste und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind rechtmäßig.
1.1. Eine Anerkennung des Klägers als Asylberichtigter ist bereits aufgrund seiner Einreise aus Frankreich gemäß § 26a Abs. 1 i.V.m. Art. 16a Abs. 1 GG ausgeschlossen.
1.2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Gemäß § 3a AsylG gelten dabei Handlungen als Verfolgung, die gemäß Nr. 1 auf Grund ihrer Art oder Wiederholungsgefahr so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) keine Abweichungen zulässig ist, oder die gem. Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Aufgrund der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Maßgeblich sind die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher eine gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu den Umständen machen.
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat der Kläger eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung in der Elfenbeinküste nicht glaubhaft gemacht. Selbst wenn man seine Einlassungen zum Brand des mütterlichen Geschäftes im Jahr 2013, dem anschließenden gewaltsamen Tod des als Brandstifter verdächtigten Mannes sowie die anschließenden Drohungen von Seiten dessen Familie als wahr unterstellt, beruht der vom Kläger und seinem Bevollmächtigten hergestellte Zusammenhang zum Tod von Mutter und Bruder des Klägers gut zwei Jahre später alleine auf den Mutmaßungen des Klägers. Selbst wenn man weiterhin darüber hinweg sehen wollte, dass der Kläger sowohl zum Todestag (14. Juli 2016 vs. 14. Februar 2016) als auch zum Fundort der Leichen (Wohnzimmer und Schlafzimmer vs. beide im Wohnzimmer) in der mündlichen Verhandlung abweichende Angaben zu seinen Einlassungen beim Bundesamt gemacht hat, ergeben sich aus seinem Vortrag keine objektiven Anhaltspunkte die eine tatsächliche Bedrohung des Klägers auch nur annähernd wahrscheinlich erscheinen lassen. Auf die entsprechenden Ausführungen im verfahrensgegenständlichen Bundesamtsbescheid wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger bestätigt, nach 2013 nicht mehr von der Familie des damals getöteten Mannes bedroht worden zu sein. Das subjektive Gefühl der Bedrohung nach dem ungeklärten Mord an Mutter und Bruder – dessen Vorliegen einmal als wahr unterstellt – mag unter psychologischen Gesichtspunkten nachvollziehbar sein, kann jedoch nicht als alleinige Grundlage für das tatsächliche Bestehen einer realen Gefahr herangezogen werden. Unbeschadet, dass auch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Verfolgungsmerkmal nicht ersichtlich ist, ist schon aufgrund der Tatsache, dass der Kläger sich nach der Ermordung von Bruder und Mutter einen Monat lang weiterhin unbehelligt in Bonoua und anschließen offensichtlich fast ein halbes Jahr in Bouaké aufgehalten hat, eine reale Gefahr zur Überzeugung des Gerichts zu verneinen. Spekulationen des Klägerbevollmächtigten, der Brand des Geschäftes sei 2013 zur Verdeckung des Diebstahls der dort gelagerten Waren von der Mafia gelegt worden, bei dem getöteten Mann habe es sich um ein Mitglied der Mafia gehandelt, und die Ermordung von Bruder und Mutter des Klägers sei ein Racheakt der Mafia gewesen, fanden weder bei der Anhörung des Bundesamtes noch in der mündliche Verhandlung auch nur entfernte Anknüpfungspunkte.
Mangels realer Gefahr flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgung ist der Kläger nicht vorverfolgt ausgereist. Anhaltspunkte für eine Verfolgungsgefahr unabhängig von einer Vorverfolgung sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
1.2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.
Weder für die Vollstreckung noch Verhängung der Todesstrafe noch die Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommen in Betracht. Für eine eventuell drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung liegen ebenfalls keine Anhaltspunkte vor. Zur Überzeugung des Gerichts besteht keine rechtlich relevante Gefahr, dass der Kläger Opfer eines von der Mafia veranlassten Gewaltverbrechens werden könnte.
1.3. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24. Mai 2000 – 9 C 34/99 –, juris Rn. 11).
Dabei können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person des Antragstellers vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Antragstellers im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 27. Mai 2008 – 26565/05, U.v. 28. Juni 2011 – 8319/07). Solche Umstände sind vom Kläger weder vorgetragen, noch ersichtlich. Auch ohne formalen Schulabschluss ist davon auszugehen, dass der gesunde, junge, arbeitsfähige Kläger in der Lage sein wird, sich in einer der zahlreichen Großstädte der Elfenbeinküste eine den Anforderungen des Art. 3 EMRK entsprechende Existenz aufbauen könne wird. Zudem verfügt er in seiner Heimatstadt Bonoua über Erfahrungen im örtlichen Kleinhandel. In Bouaké steht ihm außerdem der Freund, bei dem er bis zu seiner Ausreise gewohnt hat als weitere Anlaufstelle zur Verfügung. Für die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Elfenbeinküste wird gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im verfahrensgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
Gesundheitsbedingte Einschränkungen wurden weder vorgetragen, noch sind sie offensichtlich. Auftreten und Erscheinungsbild des Klägers in der mündlichen Verhandlung gaben keinen Anlass an seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu zweifeln, so dass auch ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt.
1.4. Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG, deren Voraussetzungen hier gegeben sind.
1.5. Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
Somit hatte die Klage insgesamt keinen Erfolg.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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