Aktenzeichen W 9 K 19.31248
Leitsatz
1. Für die Prüfung von Abschiebehindernissen durch das Bundesamt spielen nur die zielstaatsbezogenen Gesichtspunkte eine Rolle. Hierzu gehört eine etwaige familiäre Lebensgemeinschaft nicht, weil diese allenfalls ein inlandsbezogenes Abschiebehindernis begründen könnte. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 6. November 2018 erweist sich in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlage des Bescheids ist aber entgegen der Wertung des Bundesamts nicht § 73c Abs. 2 AsylG, sondern § 73c Abs. 1 AsylG, da die Voraussetzungen für die Gewährung eines Abschiebungsverbots bereits zum Erlass des Bescheids vom 20. Oktober 2016 nicht vorlagen. Die Heranziehung der falschen Rechtsgrundlage führt vorliegend nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids, da deren Austausch nicht zu einer Wesensänderung führt (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.2010 – 8 C 12/09 – juris; BayVGH, B.v. 5.3.2018 – 8 ZB 16.993 – juris). § 73c Abs. 1 und § 73c Abs. 2 AsylG sehen beide gebundene Entscheidungen vor und unterscheiden sich nur bezüglich des Umstands, ob die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots anfänglich nicht vorlagen oder nachträglich entfallen sind (Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, § 73c AsylG Rn. 6).
Nach § 73c Abs. 1 AsylG ist die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG zurückzunehmen, wenn sie fehlerhaft ist. Dabei sind alle Rechtsgrundlagen für den nationalen Abschiebungsschutz in die Prüfung einzubeziehen. Aufgrund der in § 73c Abs. 3 AsylG erklärten entsprechenden Anwendung von § 73 Abs. 3 AsylG, ist im Rücknahmefall eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG auch darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG lagen nicht vor – insbesondere rechtfertigen die im Bescheid des Bundesamts vom 20. Oktober 2016 enthaltenen Gesichtspunkte dieses nicht. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Entgegen der Wertung im Bescheid des Bundesamts vom 20. Oktober 2016 konnte sich ein solches Abschiebeverbot nicht aus dem Umstand herleiten, dass sich im Inland die Ehefrau des Klägers und die gemeinsamen Kinder aufhalten. Die damit in Rede stehenden Bestimmungen nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK und der durch sie gewährte Schutz einer etwaigen familiären Lebensgemeinschaft können allenfalls zu Gunsten des Klägers ein inlandsbezogenes Abschiebehindernis begründen. Dieses ist durch die Ausländerbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Prüfung etwaiger Vollstreckungshindernisse zu prüfen und zu entscheiden; diese hat hierbei auch die weiteren (mittelbaren) Folgen der Trennung im Abschiebungszielstaat – etwa eine drohende Existenzgefährdung – zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39/12 – juris Rn. 4; BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris). Für die Prüfung durch das hier maßgebliche Bundesamt spielen nur die zielstaatsbezogenen Gesichtspunkte eine Rolle; mithin die Umstände, die den Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan erwarten.
Ein Abschiebungsverbot konnte auch nicht mit Blick auf Art. 6 EMRK angenommen werden. Die Klärung der familiären Situation in Deutschland stellt allenfalls ein inlandsbezogenes Abschiebehindernis dar.
Dem Kläger stand und steht auch unter Berücksichtigung der weiteren Grundrechte nach der EMRK kein Abschiebungsverbot zu. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Art. 3 EMRK.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht weiterhin davon aus, dass in der Zentralregion und in ganz Afghanistan die Lage nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 13a ZB 19.31492; B.v. 8.11.2017 – 13a ZB 17.30615, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris zur Zentralregion unter Bezugnahme auf U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris und Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167). Auch aus dem UNAMA-Bericht vom 24. Februar 2019 (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2018) ergibt sich kein erneuter Überprüfungsbedarf: Die im Bericht vom 24. Februar 2019 ausgewiesenen zivilen Opferzahlen für das Jahr 2018 bewegen sich auf einem mit den Vorjahren vergleichbaren Niveau (konfliktbedingtes Schädigungsrisiko für Afghanistan insgesamt von 1:2456 bei 10.993 zivilen Opfern und einer Einwohnerzahl von 27 Mio. Menschen, vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 13a ZB 19.31492). Das Gericht schließt sich für das vorliegende Verfahren dieser Rechtsprechung an. Die Bedrohungslage für Zivilisten hat sich nach Einschätzung des Auswärtigen Amts (Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 vom 28.7.2017) seit Ende der ISAF-Mission nicht wesentlich verändert. Das Risiko, als Angehöriger der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet zu werden, liegt immer noch im Promillebereich und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Dass sich hinsichtlich individueller gefahrerhöhender Umstände in seiner Person eine Änderung gegenüber dem ersten Asylverfahren ergeben hätte, hat der Kläger nicht geltend gemacht.
Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; BayVGH, B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652; VGH Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
Die diesbezügliche aktuelle Lage in Afghanistan stellt sich wie folgt dar:
Die Versorgungslage ist in Afghanistan weiterhin kritisch, was insbesondere für Rückkehrer gilt (Auswärtiges Amt, Bericht vom 2.9.2019 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Juli 2019, S. 27 ff.). Afghanistan belegt trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2018 im Human Development Index (HDI) den Platz 169 von 188. Rund 55 Prozent der Bevölkerung lebten 2016 unter der Armutsgrenze. Aufgrund des unaufhaltsamen Bevölkerungswachstums sieht sich der afghanische Staat bezogen auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung und der Gewährleistung eines Minimums an sozialen Dienstleistungen mit zusätzlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Im Jahr 2018 betrug das Wirtschaftswachstum 1 Prozent und ist damit im Verhältnis zum Vorjahr leicht zurückgegangen. Für 2019 geht die Weltbank von einer leichten Erholung aus. Hauptgründe sind nach der Dürre 2018 die ergiebigeren Niederschläge, die dem Agrarsektor zugutekommen. Die Arbeitslosenquote lag 2017 bei 11,2 Prozent. Dabei ist zu beachten, dass der Anteil formaler Beschäftigungsverhältnisse, ähnlich wie in den benachbarten Staaten Asiens, extrem gering ist. Die medizinische (Grund-) Versorgung hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verbessert, fällt aber im regionalen Bereich weiterhin zurück. Festzustellen sind eine unzureichende Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung von Kliniken (umfassend Auswärtiges Amt, Bericht vom 19.10.2016 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand September 2016, S. 21 ff.).
Laut einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) vom 1. Juni 2018 stünden in den Großstädten Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif Unterkünfte und Nahrung grundsätzlich zur Verfügung, sofern der Lebensunterhalt gewährleistet sei. Zugang zu angemessener Unterkunft sei jedoch eine Herausforderung. Die Mehrheit der städtischen Unterkünfte seien als Slums einzustufen. Flüchtlinge lebten in der Regel in Flüchtlingssiedlungen. Die Städte böten jedoch auch die Option billigen Wohnens in sog. „Teehäusern“. Zugang zu Trinkwasser sei in den Städten oft eine Herausforderung, insbesondere in den Slums und Flüchtlingssiedlungen in Kabul; in Mazar-e-Sharif und Herat hätten hingegen die meisten Menschen besseren Zugang zu Wasserquellen sowie sanitären Anlagen. In Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif seien auch Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung vorhanden; diese seien aufgrund des Anstiegs der Zahl der Flüchtlinge und Rückkehrer jedoch überlastet. Das Fehlen finanzieller Mittel sei eine große Hürde beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Aufgrund der Wirtschafts- und Sicherheitslage bestehe eine hohe Arbeitslosenquote, insbesondere bei städtischen Jugendlichen. Zusätzliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sei das Ergebnis der steigenden Zahl von Flüchtlingen. Städtische Armut sei weit verbreitet und steige an. In diesem Umfeld hänge die Fähigkeit zur Gewährleistung des Lebensunterhalts überwiegend vom Zugang zu Unterstützungsnetzwerken – etwa Verwandten, Freunden oder Kollegen – oder zu finanziellen Mitteln ab (siehe zum Ganzen: EASO, Country Guidance: Afghanistan, 1.6.2018, S. 104 f.).
Ausweislich des Länderinformationsblatts Afghanistan des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Juni 2018 seien von den 2,1 Mio. Personen, die in informellen Siedlungen lebten, 44% Rückkehrer. Die Zustände in diesen Siedlungen seien unterdurchschnittlich und besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen seien Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% hätten keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% lebten in überfüllten Haushalten. Rückkehrer erhielten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehrten, und internationalen Organisationen (z.B. IOM, UNHCR) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (z.B. IPSO und AMASO), die die Reintegration in Afghanistan finanziell, durch Bereitstellung von Unterkunft, Nahrungsmitteln oder sonstigen Sachleistungen sowie durch Beratung unterstützten. Gleichwohl sei die Möglichkeit der Rückkehr zur Familie oder einer sonstigen Gemeinschaft mangels konkreter staatlicher Unterbringungen für Rückkehrer der zentrale Faktor. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellten die afghanische Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung (zwei Wochen). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stelle eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar; Unterstützungsnetzwerke könnten sich auch aus der Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Religion sowie aus „professionellen“ (Kollegen, Kommilitonen etc.) oder politischen Verbindungen ergeben (siehe zum Ganzen: BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan v. 29.6.2018, S. 314-316, 327-331).
Auch laut einem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2018 böten die informellen Siedlungen in den afghanischen Städten meist einen schlechten oder keinen Zugang zu Basisdienstleistungen und Infrastruktur (Elektrizität, sauberes Wasser, Nahrungsmittel, sanitäre Einrichtungen, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen). Die Unterkünfte seien meist behelfsmäßig gebaut und könnten nur bedingt vor Kälte, Hitze und Feuchtigkeit schützen. Die Lebensbedingungen von Rückkehrern lägen unter den normalen Standards. Laut einer Studie seien 87% der IDPs und 84% der Rückkehrer von Lebensmittelknappheit betroffen. Ob es Rückkehrer schafften, sich in Afghanistan wieder zu integrieren, hänge nicht zuletzt vom Vorhandensein von Unterstützungsnetzwerken ab. In Kabul (geschätzte Einwohnerzahl: 3,8 – 7 Mio.) habe der schnelle Bevölkerungsanstieg rasch zu einer Überforderung der vorhandenen Infrastruktur sowie der Kapazitäten für Grunddienstleistungen geführt. Die humanitäre Lage spitze sich insbesondere in großen Städten zu, weil sich dort IDPs und Rückkehrer konzentrierten, die eine Existenzgrundlage und Zugang zu bereits stark überlasteten Grunddienstleistungen suchten. Laut Amnesty International sei die Aufnahmekapazität – insbesondere in den größeren Städten – aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage, der sehr bescheidenen Möglichkeiten, eine Existenzsicherung sowie angemessene Unterkunft zu finden, sowie des mangelnden Zugangs zu überstrapazierten Grunddienstleistungen „äußerst eingeschränkt“ (siehe zum Ganzen: SFH, Afghanistan: Gefährdungsprofile – Update, 12.9.2018, S. 20-22).
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dortigen allgemeinen Verhältnisse nicht in eine Art. 3 EMRK verletzende besondere Ausnahmesituation, wie sie § 60 Abs. 5 AufenthG entsprechend obiger Ausführungen erfordert, geraten würde. Es ist nämlich davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR, wonach bei leistungsfähigen Männern – wie dem 31-jährigen Kläger – in urbanen und semiurbanen Gebieten eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 110; so auch: EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, S. 106 f.). Der UNHCR weist in seinen Richtlinien darauf hin, dass die Sicherheitslage in Afghanistan volatil bleibe. Es sei eine kontinuierliche Verschlechterung der Sicherheitssituation und eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in den Jahren nach dem Rückzug der internationalen Truppen in 2014 zu verzeichnen gewesen. Die Taliban setzten ihre Offensive zur Erreichung der Kontrolle über eine größere Zahl von Distrikten fort, während sich die Regierung auf die Verteidigung der Bevölkerungszentren und strategischen ländlichen Gebiete beschränke. Die zivilen Opferzahlen lägen trotz der Tatsache, dass die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im Jahre 2017 gegenüber dem Vorjahr um 9% gesunken sei, auf einem hohen Niveau. Die Zahl der konfliktbedingt intern Vertriebenen habe am Ende des Jahres 2017 bei geschätzt über 1,8 Millionen gelegen, 2017 sei hierbei ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr bei den neu Vertriebenen zu verzeichnen gewesen. Zusätzlich seien im Jahr 2016 über 1 Million Afghanen aus den Nachbarländern Iran und Pakistan zurückgekehrt und weitere 620.000 im Jahre 2017. Die wirtschaftliche Situation habe sich seit 2013/2014 aufgrund der Unsicherheit und dem hohen Bevölkerungswachstum verschlechtert. Zwar habe sich das Wirtschaftswachstum in 2017 gegenüber dem Vorjahr leicht erhöht, allerdings leide der Landwirtschaftssektor unter einer schweren anhaltenden Trockenzeit, vor allem in den nördlichen und westlichen Regionen des Landes. Der Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben müsse, habe sich von 38,3% in 2011/2012 auf 55% in 2016/2017 erhöht. Die Arbeitslosenrate habe sich von 22 auf 24% erhöht. 3,3 Millionen Afghanen würden 2018 einen akuten humanitären Bedarf aufweisen, 1,9 Millionen müssten mit ernsthafter Nahrungsunsicherheit leben. 4,5 Millionen Menschen hätten keinen Zugang zu primären essenziellen Gesundheitsdienstleistungen. Afghanistan bleibe eines der ärmsten Länder der Welt und liege daher auf Rang 169 von 188 Ländern im UN Human Development Index. In den größeren Städten sei zudem zu berücksichtigen, dass sich dort eine sehr hohe Zahl von Rückkehrern und intern Vertriebenen ansiedle, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten geführt habe. Dies gelte insbesondere für die Stadt Kabul, wo zusätzlich die Gefahr von Anschlägen mit hohen Opferzahlen zu berücksichtigen sei. Dort übersteige das Bevölkerungswachstum die Kapazitäten der erforderlichen Infrastruktur, Hilfs- und Arbeitsmöglichkeiten, so dass geschätzte 70% der Bevölkerung in informellen Siedlungen leben müssten. Trotz dieser Einschätzung, für die der UNHCR seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser daran fest, dass bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt, wovon das Gericht auch bei dem hiesigen Kläger ausgeht.
Der Kläger befindet sich vorliegend nicht in einer ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigenden Ausnahmesituation. Vielmehr ist bei dem Kläger positiv individuell zu berücksichtigen, dass der Kläger jung und arbeitsfähig ist. Er hat in Afghanistan als Schlosser gearbeitet und geht hier auch einer Erwerbstätigkeit nach. Damit verfügt der Kläger, auch aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen und Sprachkenntnisse, über einen Bildungsstand, mit dem er gegenüber geringer qualifizierten jungen Menschen in Afghanistan erheblich im Vorteil und auch in der Lage ist, ein breiteres Spektrum an beruflichen Tätigkeiten auszuüben. All diese Kenntnisse und Erfahrungen wird der Kläger sicherlich auch nach seiner Rückkehr in sein Heimatland gewinnbringend einsetzen können. Er hat zudem die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seines Heimatlandes von Geburt an kennengelernt, so dass er auch nach einer Rückkehr dorthin in der Lage sein wird, sich dort zurechtzufinden. Darüber hinaus könnte der Kläger seine finanzielle Situation zusätzlich auch dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
Bei der Rückkehrprognose geht das Gericht davon aus, dass der Kläger allein nach Afghanistan zurückkehren wird und demnach keine weiteren Unterhaltslasten haben wird. Eine andere Wertung folgt nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2019. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts soll bei der im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG durch das Gericht anzustellenden Rückkehrprognose selbst dann von einer Rückkehr im Familienverband ausgegangen werden, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt worden ist (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 -juris). Voraussetzung ist aber nach dieser Rechtsprechung das Bestehen einer familiären Gemeinschaft im Inland, an der es vorliegend auch nach der Befragung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung fehlt. Der Kläger lebt von seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern getrennt. Die Kinder hat der Kläger seit mehreren Jahren nicht gesehen. Dass diese Situation nach Meinung des Klägers an seiner Ehefrau liegen soll, die seinen Umgang mit den Kindern verhindere, kann aus Sicht des Gerichts nichts daran ändern, dass es an einer gelebten familiären Lebensgemeinschaft fehlt und gegenwärtig in keiner Weise absehbar ist, wie sich diese Situation entwickeln wird.
Ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG steht dem Kläger ebenfalls nicht zu. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Von einer solchen Unzumutbarkeit ist auszugehen, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; vgl. zudem BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 13).
Eine solche, extreme Gefahrenlage kann vorliegend nicht angenommen werden. Zum einen besteht – wie sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen bereits ergibt – keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen. Insbesondere bestehen in seiner Person keine hier zu berücksichtigenden Besonderheiten gesundheitlicher Art. Zum anderen droht dem Kläger auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris). Vorliegend vermögen die – fraglos schlechten – Lebensverhältnisse nach den vorstehenden Ausführungen keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann mit den von ihm erworbenen Kenntnissen und Erfahrungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, vermag das Gericht danach nicht festzustellen.
2. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.