Verwaltungsrecht

Psychische Erkrankung als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis

Aktenzeichen  M 16 S7 15.31563

Datum:
18.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7, § 60a Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Reiseunfähigkeit aufgrund einer schwerwiegenden behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung kann ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis iSv § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG iVm Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG begründen. Im Übrigen können psychische Erkrankungen im Kosovo im öffentlichen Gesundheitssystem in neun regionalen Gesundheitszentren durchgeführt werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger des Kosovo. Von 1991 bis 1994 hatte er sich bereits im Rahmen eines Asylverfahrens im Bundesgebiet aufgehalten. Sein Asylantrag war am 5. Oktober 1994 unanfechtbar abgelehnt worden. Nach eigenen Angaben reiste er am 5. Februar 2015 zusammen mit seiner Ehefrau und seinen Kindern auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. Februar 2015 erneut einen Asylantrag.
Laut der Niederschrift zur Folgeantragstellung vom 6. Februar 205 gab der Antragsteller dabei unter Mitwirkung eines Dolmetschers gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) an, die Weiterreise nach Deutschland sei aufgrund der wirtschaftlichen Lage (ohne Arbeit und Unterhalt) erfolgt. Als neue Gründe, die erst nach Abschluss des Erstverfahrens entstanden seien, gab der Antragsteller auf die (weitere) Frage, was er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland befürchte, an, die Wirtschaftslage sei sehr schlecht. Ohne Arbeit sei es nicht mehr möglich, die Kinder zu ernähren.
Bei der informatorischen Anhörung vor dem Bundesamt am 1. Juli 2015 (im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) gab der Antragsteller im Wesentlichen an, er habe im Kosovo ein großes Problem gehabt. Als er wieder einmal in die Moschee zum Beten gegangen sei, sei eine Gruppe der … zu ihm gekommen und hätten gesagt, dass sie ihm Geld geben würden, wenn er sich einen Bart wachsen lasse und orientalische Schuhe trage. Das habe er dann auch gemacht. Er habe im Januar 2014 damit angefangen und sie hätten ihm monatlich 300,- Euro dafür bezahlt. Es sei eine Organisation, die aus arabischen Ländern finanziert werde. Man wisse nicht, wer die Geldgeber seien und sie hätten mehr Anhänger haben wollen. Für das Geld habe er sich so kleiden sollen wie ein Araber und er habe fünfmal in die Moschee gehen und beten sollen. Und wenn sie ihn gebraucht hätten, dann hätte er alles stehen und liegen lassen sollen und hätte mitkommen müssen. Er habe die beiden Männer gekannt, die ihn angesprochen hätten. Er sei Mitglied dieser Organisation geworden. Dafür habe er ein Papier unterschrieben. Er sei in ihrem Dorf das einzige Mitglied gewesen. Er habe es erst als harmlos betrachtet und gedacht, man bekomme dann das Geld für das Beten. Aber als er dann Mitglied gewesen sei, habe er gesehen, dass das falsch gewesen sei. Im Oktober 2014 seien sie dann auf ihn zugekommen und hätten gesagt, sie hätten ihn jetzt schon lange Zeit unterstützt und sie würden ihn jetzt brauchen. Es gebe viel Bedarf, z. B. in Arabien und Syrien. Es habe noch keine konkreten Anweisungen gegeben und sie hätten gesagt, er wäre im Gespräch, dass er in nächster Zeit abreisen solle. Mitte Januar habe er dann einen Brief bekommen, dass er ausreisen solle. Er sei dann noch eine Woche im Kosovo gewesen und sei dann ausgereist. Auf Nachfragen gab der Antragsteller weiter an, er wolle sich berichtigen, es sei kein Brief gewesen, er sei persönlich von den Männern angesprochen worden. Sie hätten ihm gesagt, er müsse zu 99 Prozent nach Syrien gehen, da würde er dann reich belohnt werden. Er habe nicht gewusst, dass er als Kämpfer irgendwohin geschickt werden sollte. Wenn er jetzt wieder in den Kosovo reisen müsste, befürchte er, dass sie ihn sicher finden und umbringen oder nach Syrien schicken würden, da sie seine Daten hätten. Er habe nichts bei der Polizei angeben können, da er keine Fakten gehabt habe. Außerdem sei die Polizei korrupt.
Mit Bescheid vom … Juli 2015, zugestellt am 10. Juli 2015, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie den Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab, erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Kosovo oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Antragsteller einreisen dürfte oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seien gegeben. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor, da der Antragsteller keine Verfolgungsmaßnahmen durch den Staat oder zu berücksichtigende schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen seitens nichtstaatlicher Dritter zu befürchten hätte. Eine begründete Furcht vor Verfolgung habe der Antragsteller nicht glaubhaft machen können. Das Vorbringen des Antragstellers zu den angeblich erlittenen Beeinträchtigungen sei unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht glaubhaft. Darüber hinaus stehe gegen rechtswidrige Übergriffe nichtstaatlicher Akteure hinreichender staatlicher Schutz zur Verfügung. Im Übrigen könnte einer etwaigen regional bestehenden individuellen Gefährdung durch Wohnsitznahme in einem anderen Landesteil Kosovos oder auch in Serbien entgangen werden. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Weder von der kosovarischen Regierung noch durch nichtstaatliche Dritte sei eine unmenschliche Behandlung zu erwarten. Die nationalen und internationalen Sicherheitskräfte gewährleisteten Schutz und Sicherheit. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung von Art.3 EMRK vorliege. Wohnraum, wenn auch mitunter auf niedrigem Standard, stehe ausreichend zur Verfügung. Rückkehrer könnten zudem die Unterstützungen der in jeder Gemeinde eingerichteten Büros für Gemeinschaften und Rückkehrer (MOCR) in Anspruch nehmen und bedürftige Personen erhielten Unterstützung in Form von Sozialhilfe, die sich allerdings auf niedrigem Niveau bewege. Eine allgemein schwierige soziale und wirtschaftliche Lage begründe kein Abschiebungsverbot, sie müsse und könne vom Antragsteller ebenso wie von vielen seiner Landsleute gegebenenfalls unter Aufbietung entsprechender Aktivitäten bewältigt werden. Eine Rückkehr sei für den Antragsteller insofern zumutbar. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK komme nicht in Betracht. Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib und Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers am 17. Juli 2015 Klage und beantragte gleichzeitig, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, es lägen erhebliche Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen seitens nichtstaatlicher Dritter i. S. d. § 3c Nr. 3 AsylVfG drohten. Der Antragsteller sei im Januar 2015 damit konfrontiert worden, dass er und sein Sohn nunmehr angesichts der vergangenen Hilfeleistungen verpflichtet seien, als Kämpfer in den Krieg nach Syrien zu ziehen. Für den Fall, dass sie sich dieser Aufforderung widersetzen würden, seien ihnen Gewalttaten gegen die Familie bzw. die Entführung nach Syrien angedroht worden. Nach Angaben des Antragstellers seien bereits in den Wochen zuvor Personen aus dem Umfeld der Moschee gegen die Zahlung von Geld nach Syrien verbracht, andere jedoch auch verschleppt bzw. unter Druck gesetzt worden, um dann „freiwillig“ für den IS zu kämpfen. Dem Bescheid sei zu entnehmen, dass sich das Bundesamt nicht unvoreingenommen mit dem Vorbringen des Antragstellers auseinandergesetzt habe. Es befänden sich dort Ausführungen zu der vom Antragsteller vorgebrachten nichtstaatlichen Verfolgung. Die Ausführungen würden sich auf Verfolgung durch nationalistische Gruppierungen beziehen, wohingegen der Antragsteller eine Verfolgung durch eine religiöse Gruppierung geltend mache. Dies sei vor dem Hintergrund der vorliegenden Berichte über die Aktivitäten islamistischer Organisationen im Kosovo und der Tatsache, dass eine erhebliche Anzahl von Kosovaren für den islamischen Staat in Syrien kämpfe, auch durchaus glaubhaft. Soweit das Bundesamt ausgeführt habe, staatliche Stellen würden im Kosovo ausreichend Schutz vor Verfolgung durch nichtstaatliche Gruppen bieten, werde beantragt, „ein Gutachten darüber einzuholen, ob dies angesichts der Tatsache, dass sich die Ausführungen auf den Schutz durch staatliche Stellung vor nationalistischer Verfolgung beziehen, und angesichts der vorhandenen Berichte über die islamistische Unterwanderung des religiösen Lebens im Kosovo noch gilt“. Bis zur Klärung dieser Frage im Rahmen des Hauptsacheverfahrens müsse die Abschiebung ausgesetzt werden.
Den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Gericht mit Beschluss vom 31. Juli 2015 (M 16 S 15.30970) ab.
Am 20. November 2015 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers,
in Abänderung des Beschlusses vom 31.07.2015 gem. § 80 Abs. 7 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der streitgegenständliche Bescheid sei rechtswidrig, da das Vorhandensein von Abschiebehindernissen i. S. d. § 60 Abs. 7 AufenthG nach dem Inhalt der vorgelegten Atteste anzunehmen sei. Zumindest sei es erforderlich, im Rahmen der Hauptsache eine eingehende Prüfung des Falls vorzunehmen. Die aufschiebende Wirkung der Klage sei anzuordnen, um mögliche unwiderrufliche Schäden vom Antragsteller und seiner Familie abzuwenden. Der Kläger werde derzeit nur deshalb nicht abgeschoben, weil durch das Verwaltungsgericht München die aufschiebende Wirkung im Klageverfahren der Ehefrau und Kinder des Antragstellers angeordnet worden sei, da zu diesem Zeitpunkt noch keine Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers getroffen gewesen sei. In diesem Verfahren drohe jedoch nach dem derzeitigen Sachstand jederzeit die Abänderung des Beschlusses, da der Bescheid mittlerweile vorliege. Demnach liege – trotz der derzeit aufgrund dieses Beschlusses ausgesetzten Abschiebung des Antragstellers zur Wahrung der Familieneinheit – auch ein Rechtsschutzbedürfnis für die Abänderung des Beschlusses vor. Vorgelegt werde eine „Nervenärztliche Stellungnahme vom … November 2015 sowie weiterhin das „amtsärztliche Gutachten“ der Ärztin am zuständigen Gesundheitsamt vom … September 2015. Auch hieraus ergebe sich der dringende Behandlungsbedarf.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Zur Begründung der Klage war mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 28. Oktober 2015 weiter vorgetragen worden, es sei im Hinblick auf das Vorliegen von Abschiebeverboten zu klären, ob es dem Antragsteller tatsächlich möglich sei, in einen anderen Landesteil auszuweichen, um sich dort niederzulassen. Gleichzeitig seien Zweifel angebracht, ob tatsächlich davon auszugehen sei, dass die kosovarischen Sicherheitskräfte in der Lage und willens seien, den Antragsteller vor dem Zugriff der ihn bedrohenden Personen zu schützen. Hierzu werde ein E-Mailverkehr zwischen Frau M.B. und Herrn S.K. vom … August 2015 vorgelegt. Dieser sei Autor einer Studie über kosovarische Kämpfer in Syrien und im Irak vom April 2015 und „senior researcher at the Kosovar Institute for Policy Research and Development“ und als Sachverständiger geeignet. Dieser melde auch erhebliche Zweifel an, dass die kosovarischen Sicherheitskräfte in der Lage seien, den Schutz von Zeugen zu gewährleisten. Abgesehen von den bereits vorgebrachten Tatsachen sei die Abschiebung auch aufgrund der derzeit nicht vorhandenen Reisefähigkeit des Klägers nicht möglich und der Bescheid sei deshalb aufzuheben. Vorgelegt wurden ein fachärztliches Attest vom … August 2015, eine „Psychologische Stellungnahme“ des …Zentrums D. vom … August 2015 sowie ein „Ärztliches und psychotherapeutisches Attest“ vom … September 2015.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und in den Verfahren M 16 K 15.30969 und M 16 S. 15.30970 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 und Satz 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben; jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
Das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO darf nicht als Rechtsmittelverfahren zu einer vorhergehenden Entscheidung verstanden werden. Es dient allein der Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (vgl. BVerwG, B. v. 25.8.2008 – 2 VR 1/08 – juris; VGH BW, B. v. 16.12.2001 – 13 S 1824/01 – juris; OVG NRW, B. v. 7.2.2012 – 18 B 14/12 – juris). Dasselbe gilt bei einer Veränderung der Prozesslage, etwa aufgrund neuer Erkenntnisse. Darüber hinaus müssen die geänderten Umstände geeignet sein, eine andere Entscheidung herbeizuführen (vgl. VG Augsburg, B. v. 30.9.2013 – Au 5 S 13.30305 – juris, Rn. 10; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 80 Rn. 202 ff. m. w. N.).
Das neue Vorbringen in Bezug auf die Erkrankung des Antragstellers ist nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit des Bescheids des Bundesamts vom … Juli 2015 in Zweifel zu ziehen und eine Änderung des Gerichtsbeschlusses vom 31. Juli 2015 zu rechtfertigen.
Die geltend gemachte psychische Erkrankung des Antragstellers kann auf der Grundlage der bislang vorgelegten ärztlichen Äußerungen kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen. Es ergeben sich hieraus auch noch keine hinreichenden Gründe dafür, dass das Vorliegen eines solchen Abschiebungshindernisses überwiegend wahrscheinlich wäre.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben (z. B. Reiseunfähigkeit), nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B. v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U. v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B. v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Ein (ausländerrechtlicher) Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ist unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn) (vgl. BVerfG, B. v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14).
Demnach könnte hier nach dem derzeitigen Sachstand von einer Reiseunfähigkeit im Sinne eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses, nicht jedoch von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis ausgegangen werden.
Der Antragsteller leidet (entsprechend der zuletzt bescheinigten fachärztlichen Diagnose vom … November 2015) an einer „Mittelgradig ausgeprägten Depression bei vielfältigen exogenen Belastungen mit erheblichen Ängsten (ICD 10: F 32.1 G, Z 73, G) sowie „Anhaltenden Ein- und Durchschlafstörungen (G 47.9 G)“. Sowohl der „Ärztliche Bericht“ des Facharztes vom … August 2015 als auch die „Psychologische Stellungnahme“ der Beratungsstelle für psych. Gesundheit des …zentrum D. vom … August 2015 schließen mit dem Ergebnis, dass Reisefähigkeit nicht gegeben sei bzw. der Antragsteller in seinem momentanen psychischen Zustand als nicht reisfähig einzustufen sei. Gleiches gilt bezüglich des „Ärztlichen und psychotherapeutischen Attests“ der Praktischen Ärztin/Psychotherapie vom … September 2015. Der Antragsteller sei aus ärztlicher und psychotherapeutischer Sicht nicht reisefähig und es sei unerlässlich, dass er weiter ärztliche und therapeutische Hilfe bekomme. In dem zuletzt vorgelegten Schreiben des Landratsamts Dachau (Gesundheitsamt) vom … September 2015 geht es um die Prüfung der medizinischen Notwendigkeit der Kostenübernahme für eine Psychotherapie und Dauermedikation mit dem Ergebnis, dass eine fachärztliche psychiatrische und sozialpsychiatrische Behandlung zur Sicherung der Gesundheit des Antragstellers zwingend notwendig, unerlässlich und zeitlich unaufschiebbar sei. Hierzu erfolgen Ausführungen zu Art und Dauer der erforderlichen Behandlung. Hierbei sei auch eine psychopharmakologische Behandlung für die Wiederherstellung der Gesundheit essentiell notwendig. Darüber hinaus benötige der Antragsteller regelmäßig ein Medikament in Tablettenform zur Behandlung einer Erkrankung aus dem internistischen Formenkreis.
Soweit hieraus ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgen sollte, wäre dieser gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen. Das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG folgt hieraus jedoch nicht ohne weiteres. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass nach derzeitiger Erkenntnislage im Herkunftsland des Antragstellers einschlägige und zugängliche Behandlungsmöglichkeiten gegeben sind. Es ist davon auszugehen, dass psychische Erkrankungen im Kosovo behandelt werden können. Laut aktuellem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 9. Dezember 2015 November 2014 (Stand: September 2015 S. 25 ff., vgl. auch vorhergehenden Lagebericht vom 25. November 2014, S. 25 ff.) wird die Behandlung von psychischen Erkrankungen im Kosovo im öffentlichen Gesundheitssystem in neun regionalen Gesundheitszentren durchgeführt. Patienten, die einer stationären Behandlung bedürfen, werden in den vier Regionalkrankenhäusern in den Abteilungen für stationäre Psychiatrie sowie in der Psychiatrischen Klinik der Universitätsklinik Pristina behandelt. In diesen Regionalkrankenhäusern stehen ausreichende Bettenkapazitäten zur Verfügung. Diese Einrichtungen verfügen über eine angeschlossene psychiatrische Ambulanz mit ambulanter fachärztlicher Betreuung. Freiwillige Rückkehrer sowie Zurückgeführte aus Deutschland können bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung/Traumatisierung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo-Rückkehrer-Projekts URA II in Anspruch nehmen. Alle Rückkehrer können von den in Deutschland zu Trauma-Spezialisten geschulten Psychologen des Projektes URA II eine professionelle Behandlung psychischer Erkrankungen erhalten bzw. vermittelt URA psychisch kranken Personen entsprechende Behandlungsmöglichkeiten bei kosovarischen Ärzten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 26, 29).
Aus den bislang vorgelegten ärztlichen Berichten geht nicht hervor, dass im Falle der Rückkehr die Gefahr besteht, dass sich die Erkrankung des Antragstellers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass – trotz der dort vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten, wenn auch möglicherweise nicht unmittelbar im Herkunftsort des Antragstellers, – eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr droht. Auch ergibt sich aus den Berichten nicht, dass eine Behandlung nur dann möglich bzw. erfolgversprechend ist, wenn sie in Deutschland durchgeführt wird (vgl. hierzu BayVGH, B. v. 28.5.2015 – 21 ZB 15.30076 – juris Rn. 6 ff.; vgl. auch VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28.7.2015 – 7 K 5156/14.A – juris Rn. 46 ff.).
Auch das neue – nur äußerst allgemeine – Vorbringen im Rahmen des Klageverfahrens ist in dieser Form nicht geeignet, eine neue Entscheidung in der Sache herbeizuführen und damit eine Abänderung der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO von Amts wegen zu veranlassen. Soweit erhebliche Zweifel angemeldet werden, dass kosovarische Sicherheitskräfte in der Lage seien, den Schutz von Zeugen zu gewährleisten, wird bereits in einer Auskunft des Auswärtigen Amts an das Bundesamt vom 28. Januar 2015 (Gz.: 508-516.80/48329; vgl. Erkenntnismittelliste „Nr. 150 Kosovo“ des Gerichts, aktueller Stand 8.1.2016) ausgeführt, dass die Kosovo Police aus eigenen Mitteln nicht in der Lage sei, einen vollständigen Schutz (wie in einem Zeugenschutz-Programm) zu gewährleisten; sie sei hier auf die Unterstützung durch internationale Partner angewiesen. In der aktuellen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird unter Bezugnahme auf die einschlägigen aktuellen Erkenntnismittel – auch in Bezug auf eine geltend gemachte Bedrohung durch Angehörige des ISIS – nicht von einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit der kosovarischen Behörden ausgegangen, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen (vgl. z. B. VG München, B. v. 28.9.2015 – M 15 S 15.31210 – juris Rn. 18 ff.; VG Würzburg, U. v. 24.6.2015 – W 6 K 15.30327 – juris Rn. 22 ff.; VG Darmstadt, B. v. 24.4.2015 – 2 L 430/15.DA.A – juris; ). Hiermit hat sich die Antragstellerseite nicht auseinandergesetzt, sondern lediglich unsubstantiierte Zweifel hieran vorgebracht. Dies allein vermag eine Veränderung der Prozesslage nicht zu bewirken.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.


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